Journalismus und Ethik: Würdest du mit Extremisten sprechen?

Reporter spricht mit rechtem DÜGIDA-Aktivisten
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Ein Reporter von Russia Today Deutschland spricht mit einem Aktivisten auf einer rechten DÜGIDA-Demonstration

Welche Informationen veröffentlicht man über Straftäter? In dem Seminar „Journalismus und Ethik“ haben wir uns in der Heinrich-Böll-Stiftung mit Fragen zur formalen journalistischen Ethik auseinander gesetzt.

Freitag Nachmittag. Seit fünf Minuten bin ich Mitglied vom Beschwerde-Ausschuss des Deutschen Presserates. Vor meinen Kolleg/innen und mir liegt ein Titelblatt vom Magazin Focus, auf dem eine nackte, weiße Frau mit dunklen Handabdrücken auf ihrem Körper zu sehen ist. Die Überschrift: "Frauen klagen an, Nach Sex-Attacken von Migranten: Sind wir noch tolerant oder schon blind?“

Ethische Konflikte im Journalismus

Diese Übung, welche von den Journalistinnen Annelie Kaufmann und Wiebke Schönherr angeleitet wurde, soll uns die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Urteilsfindung des Presserates nahebringen. Der Deutsche Presserat entwickelt den Pressekodex, also die Richtlinien zu Veröffentlichungen, an die sich Presseunternehmen halten müssen, und setzt sich gegen Verletzungen dieser ein. Dies geschieht durch drei unterschiedlich schwere Sanktionen, die verhängt werden können. Dazu gehören der Hinweis, die Missbilligung und die Rüge. Wir sind uns schnell einig, dass so ein sexistisches, rassistisches Titelbild mit der schärfsten Sanktion, der Rüge, sanktioniert werden muss. Leider sind wir nicht der echte Presserat und müssen kurz danach erfahren, dass dieser nicht so hart durchgegriffen hat, wie wir.

Am zweiten Seminartag erarbeiten wir in Gruppen kurze Vorträge über nationale und internationale journalistische Projekte, die ethische Konflikte auf eigene Art und Weise in Angriff nehmen. Dazu zählt das Buch War Porn von Fotograf Christoph Bangert, welches durch schonungslose Bilder aus Kriegsgebieten unsere voyeuristischen Triebe aufdecken will. Die Seiten des Buches sind zusammengeklebt, sodass sie zum Ansehen aktiv aufgerissen werden müssen.

Ein weiteres Thema, das immer wieder ethische Fragen aufkommen lässt, ist die Art und Fülle von Informationen, die bei Straftaten über die Täter veröffentlicht werden. Ein Vorschlag dazu stammt von der Sächsischen Zeitung, die zukünftig die Nationalität von Tätern immer nennen möchte. So solle das Vertrauen der Leser*innen zurückgewonnen werden, ließ die Chefredaktion der SZ verlauten. Denn viele von ihnen glauben, dass aus Rücksicht auf ausländische Straftäter die Nationalität nicht genannt werden würde. Die französische Tageszeitung Le Monde hingegen setzt auf weniger Informationen zu Tätern, indem sie keine Fotos von Attentätern mehr drucken wollen, um jegliche Glorifizierung oder Humanisierung der Personen zu vermeiden.

Außerdem lernen wir, was der konstruktive Journalismus an neuer Berichterstattung anbieten möchte. Online-Magazine wie das britische Positive News Magazin, oder das deutsche Magazin Perspektive Daily wollen neben Fakten zu heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen zusätzlich Lösungsansätze aufzeigen.

Jede/r Journalist/in hat Anteil am ethischen Standard der Veröffentlichung

Nachmittags geht es mit schwerer Kost zum Thema Terror und Amok weiter. Wir beschäftigen uns mit der Berichterstattung zum Amoklauf von 2009, der sich in einer Schule in Winnenden abspielte. Unsere Diskussion dreht sich um ethische Fragen nach dem Umgang mit den Opfern, um die (gewollte?) Aufmerksamkeit, welche der Täter durch die Medien erlangt, und um Gerüchte, die durch übereilige Weitergabe von nicht verifizierten Informationen entstehen.

Unser Samstagabend endet in geheimer Mission. Wir diskutieren über drei Fälle von Undercover-Journalismus, und deren Notwendigkeit. Musste Günther Walraff in vollständiger Blackface-Montage sein, um Rassismus in Deutschland aufdecken zu können? Können zwei Reporter aus der Mittelschicht die Realität von Wohnungslosen in Neukölln überhaupt ansatzweise nachvollziehen? Wie wäre es mit einem Hauch Selbstreflexion? Wollte Jan Böhmermann die RTL-Redaktion von „Schwiegertochter gesucht" vor ganz Deutschland bloß stellen, um Gerechtigkeit zu fordern oder eher zur Eigenwerbung?

Am Sonntagmorgen sitze ich plötzlich Extremisten gegenüber. Zumindest in meiner Vorstellung. Soll ich mit ihnen sprechen? Nein, lieber nicht. Aber das ist eine einmalige Chance an Insider-Informationen heranzukommen. Ich bin hin und her gerissen, als ich versuche meine Gedanken zu ordnen, um meiner Interviewerin im Hier und Jetzt zu antworten. In dieser Interviewsituation werden wir dazu angeregt, ethische Fragen zu durchdenken. Würdest du mit Extremisten sprechen? Was sind Fakten? Und wem willst du helfen wollen, in deiner Rolle als Journalist/in?

Während des ganzen Wochenendes kommt immer wieder die Frage der Vereinbarkeit von ethischem Journalismus und wirtschaftlichem Druck auf. Mit der Wahl der Worte und Schlagzeilen hat jede/r Journalist/in Anteil am ethischen Standard der Veröffentlichung. Jede/r kann also individuell dazu beitragen, die Ethik in der Medienlandschaft hochzuhalten. Was für ein/e Journalist/in willst du sein?