Versauerung: Die Zukunft wird saurer

Kaum wahrnehmbar für uns Menschen schreitet die Versauerung unserer Meere immer weiter voran. In vielen Meeresgebieten zeigen sich schon heute die Folgen.

Infografik aus dem Meeresatlas 2017: Die Zukunft wird sauer
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(Ausschnitt aus kompletter Grafik unten)

Besonders betroffen sind die vier großen Auftriebsgebiete an den Westküsten Afrikas und Amerikas. Dort steigt das nährstoffreiche Wasser aus tieferen Schichten in die lichtdurchfluteten Bereiche nahe der Oberfläche. Diese Nährstoffe wie etwa Stickstoff- und Phosphorverbindungen bilden die Grundlage der Nahrungsnetze: als Nahrung für Phytoplankton, einzellige Algen, die wiederum von Zooplankton verzehrt werden, winzigen Meerestieren, die dann Nahrung für Fische sind. Darum gibt es in Auftriebsgebieten besonders reiche Fisch­fanggründe.

Der Artenreichtum, aber auch die schiere Anzahl an Lebewesen ist hier besonders hoch – sieben Prozent der Biomasse-Produktion werden hier erzeugt, und 25 Prozent des Fischereiertrags werden hier erzielt. Es sind Räume voller Lebensfülle und eine wichtige Lebensgrundlage für Millionen Menschen. Doch diese Lebensgrundlage ist durch die Versauerung bedroht. Im Auftriebsgebiet an der Küste Kaliforniens hatte sich seit dem Goldrausch im 19. Jahrhundert eine florierende Austernindustrie entwickelt, die das ganze Land mit der Delikatesse versorgte. Doch das Jahr 2005 hielt einen Schock für die Austernfarmerinnen und -farmer bereit – der Nachwuchs blieb aus, da die Larven der begehrten Tiere eingegangen waren. Die Zuchten erholten sich auch in den Folgejahren nicht, und die Austernindustrie an der Westküste brach zusammen. Tausende Jobs gingen verloren.

Was war geschehen? Das aufsteigende Tiefenwasser in dem Auftriebsgebiet hatte sich verändert. Forscherinnen und Forscher stellten fest, dass der pH-Wert des Wassers vor der Küste stark gesunken war – das Tiefenwasser hatte sich für die Austernlarven von einer Nahrungsquelle in eine lebensfeindliche Umgebung verwandelt, in der sie starben: Der Säuregehalt war zu stark angestiegen. Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass ein Teil dieser zunehmenden Versauerung auf das CO2 zurückzuführen ist, das wir Menschen in die Atmosphäre entlassen haben.

Phasen höherer und geringerer CO2-Konzentration im Ozeanwasser gab es in der Erdgeschichte zwar schon immer, doch heute versauern unsere Ozeane in einer erdhistorisch wohl einmaligen Geschwindigkeit. Es wird geschätzt, dass die Meere bereits ein Drittel des CO2, das wir Menschen seit der Industriellen Revolution in die Atmosphäre geschickt haben, aufgenommen haben. Die Folge war ein Anstieg des Säuregehaltes im Meer um 26 Prozent.

Versauerung bedeutet, dass das CO2 sich im Wasser zu Kohlensäure wandelt – und die Sättigung des Wassers mit Karbonat abnimmt. Das ist ein Problem für alle (sogenannten) Kalkbildner, also Muscheln, Schnecken, Korallen, See­igel und viele andere, denn Karbonat ist der Baustein für ihre Schalen und Gehäuse. Bei Foraminiferen, kalkbildenden Kleinstlebewesen, die einen wichtigen Teil des Planktons ausmachen, finden sich heute schon die Spuren: Bei Tieren aus dem südlichen Ozean hat sich im Vergleich zu Artgenossen aus der vorindustriellen Zeit die Schalen­dicke bereits wahrnehmbar verringert. Bei Austern wurde beobachtet, dass in saureren Milieus zwar ihre Schalen­dicke nicht abnimmt, sie aber so viel Energie in das Schalenwachstum stecken, dass das Größenwachstum leidet – sie bleiben kleiner. Dadurch werden sie zu leichterer Beute für Fressfeinde wie die Stachelschnecke Urosalpinx cinerea. Besonders kritisch ist die Situation für Kalkbildner in Zonen, in denen die Karbonatsättigung ins Minus fällt – hier beginnt das Wasser dann, den Schalen das Karbonat zu entziehen und sie so zu zersetzen.

In einigen Regionen im Südpolarmeer ist dies heute schon der Fall. Und auch im Nordatlantik: Die Kaltwasserkorallen, die dort wachsen, können die für sie lebenswichtigen Kalkskelette nicht mehr dauerhaft erhalten und werden schließlich zusammenbrechen. Doch auch andere, nicht kalkbildende Arten sind gefährdet. Dorscheier etwa haben ohnehin eine geringe Überlebenschance – 95 Prozent der Eier sterben in der Regel. Wird das Wasser saurer, sterben 97 Prozent – ein Unterschied, der bestandsgefährdend sein kann. Und die Ozeangebiete mit korro­sivem, also Kalk zersetzendem Wasser, breiten sich aus.

Neben den Polarmeeren sind zuerst die Auftriebsgebiete betroffen: Vor Kalifornien wird es wohl schon in 30 Jahren so weit sein. Die Ökosysteme in den Auftriebsgebieten sind besonders bedroht, da sie gleichzeitig von Versauerung, Erwärmung und Sauerstoffverlust unter Druck gesetzt werden. Das ist fatal, weil sie für die Welternährung so wichtig sind. Das völlig überraschende Ausbleiben des Austernnachwuchses vor Kalifornien zeigt, dass wir die Auswirkungen der Versauerung noch schwer vorhersagen können. Darum sollten wir dieser Belastung nicht noch weitere hinzufügen – sei es durch Müll, Tourismus oder Überfischung.

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