Welthandel und Preiskampf

Kaffee, Bananen, Smartphones, Autos: Handelsschiffe transportieren Waren rund um den Globus. 90 Prozent des globalen Handels erfolgen über den Seeweg. Wer leistet was – und wer bezahlt das Ganze?

Infografik aus dem Meeresatlas: Seeverkehr, Klimabilanz, Abgaskontrollgebiete
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(Ausschnitt aus kompletter Grafik unten)

Neun Milliarden Tonnen Waren werden pro Jahr auf rund 90.000 Schiffen transportiert. Der Trend geht dabei zu immer größeren Schiffen mit gigantischen Ladekapazitäten. Schifffahrt wird in 170 Ländern der Welt betrieben und beschäftigt über 1,65 Millionen Seefahrende. Die Schifffahrt ist damit die am stärksten international ausgerichtete Industrie. Das bedeutet auch, dass für alle Schiffe die gleichen Bedingungen für den sicheren und umweltfreundlichen Transport gelten müssen. Daher gibt es bei den Vereinten Nationen die IMO, die Internationale Seeschifffahrtsorganisation mit Sitz in London, an der alle schifffahrttreibenden Nationen beteiligt sind. Dort werden Regeln und Gesetze verabschiedet, die für die internationale Schifffahrt verbindlich gelten. Doch trotz erfreulicher Erfolge den Bereichen Sicherheit und Reduk­tion der Verschmutzung – die internationalen Regelungen des Seeverkehrs gelten als „UN at its best“ – gibt es immer noch Probleme.

Die Folgen der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 haben die Schifffahrtsbranche in eine tiefe Strukturkrise gestürzt. In den vorausgegangenen Boomjahren der Globalisierung schien der Bau und die Finanzierung immer größerer Containerschiffe ein sicheres Geschäft zu sein – doch die Wachstumserwartungen, auch an den chinesischen Markt, erwiesen sich als spekulative Illusion. Heute sind daher zu viele Schiffe für zu wenig Ladung auf dem Weltmarkt vorhanden.

Diese Schiffsüberkapazitäten, sinkende Frachtraten und Konkurrenzdruck führen zu einem harten Preiskampf: Für etwa 12 US Dollar kann man inzwischen eine Tonne Eisen von Australien nach Europa transportieren. Und die Fahrt über 10.000 Seemeilen, die ein Containerschiff von Hongkong nach Hamburg zurücklegt, macht nur einen Bruchteil der gesamten Frachtkosten aus. Der Löwenanteil, nämlich 80 Prozent der Frachtkosten, entfällt auf den Transport an Land: zum Beispiel auf die nur 800 Kilometer kurze Strecke über die Straße von Hamburg nach München. Unter diesen Bedingungen verdienen viele Schifffahrtsgesellschaften weder die Betriebskosten noch die Kosten, um Kredite zu bedienen.

Traditionell war das Reedereigeschäft durch mittelständische Familienunternehmen geprägt – doch das ändert sich jetzt. Durch den Preiskampf werden immer mehr von ihnen vom Markt verdrängt und sogar große Reedereien kommen ins Straucheln, wie beispielsweise die südkoreanische Hanjin, die 2016 in die Zahlungsunfähigkeit geriet. Eine weitere Rationalisierungswelle wird die zunehmende Digitalisierung bringen: Innovationen wie selbstfahrende Schiffe und die lückenlose Echtzeitüberwachung werden kommen, aber auch der Zwang für die Linienreedereien, deutlich größere Teile der Transportkette als heute selbst abzudecken, auf See und an Land. Selbst Unternehmen wie Google und Amazon könnten in Zukunft den Traditionsunternehmen Konkurrenz machen.

Diesem Preisdruck können Reedereien schon heute nur standhalten, wenn sie an anderer Stelle sparen: zum Beispiel an den Lohnkosten. Offene Schiffsregister, sogenannte Billigflaggen, erlauben es Schiffseignerinnen und -eignern, billiges Geld in den Industrieländern mit niedrigen Arbeitslöhnen in Entwicklungsländern zu kombinieren. Offenes Schiffsregister heißt, dass die Nationalität der Eignerin oder des Eigners und die Flagge des Schiffs nicht übereinstimmen. Mit dem Wechsel zu einer Billigflagge gelingt es ihnen, für sie sehr kostspielige Regulierungen in den Industrieländern – beispielsweise des nationalen Arbeitsrechts – auszuhebeln. Es überrascht daher kaum, dass 2016 laut UNCTAD mehr als 76 Prozent der Welthandelsflotte in Entwicklungsländern inklusive der offenen Schiffsregister geführt wurden. Zum Vergleich: 1950 waren es gerade einmal 5 Prozent.

Für die unteren Mannschaftsränge auf den Schiffen – die meisten Seefahrenden kommen aus China, Indonesien und den Philippinen – ist das eine bedenkliche Entwicklung. Aufgrund der großen Unterschiede in Entlohnung und sozialer Absicherung innerhalb der internationalen Schiffsbesatzungen hat sich bereits ein globales maritimes Prekariat herausgebildet. Die Seeleute sind durch monatelange Abwesenheiten und sprachliche Barrieren isoliert – teure Heimflüge können sich nur die besser qualifizierten Ränge leisten. Das schafft starke Abhängigkeiten, aufgrund derer die Internationale Arbeitsorganisation ILO die Seefahrenden zu den weltweit 21 Millionen gefährdeten Opfern von Zwangsarbeit als moderner Form der Sklaverei rechnet.

Und auch am Ende der Reise, beim Abwracken der Riesenschiffe in Alang oder Chittagong, sind es wiederum die Schwächsten, die unter den Folgen des Preisdrucks zu leiden haben: Die Stahlkolosse werden direkt auf den Strand gezogen und dort zerlegt. Von Hand. Unter allergrößter Gefahr für Leib und Leben der dort lebenden und arbeitenden Menschen. Ob die Internationale Seeschifffahrtsorganisation auch für gerechte Arbeitsbedingungen auf den Schiffen eintreten wird, ist offen – nötig wäre es auf dem Weg zu einer nachhaltig organisierten Handelsschifffahrt.

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