“You will only treasure what you can measure”

Macht eine ökonomische Bewertung Natur sichtbarer und führt damit zu besseren Entscheidungen für den Naturschutz?

Neue Ökonomie der Natur: Naturkapital und Biodiversität

Befürworter und Befürworterinnen einer Inwertsetzung von Natur argumentieren, dass eine ökonomische Bewertung von "Ökosystemleistungen" - wie etwa der Regulierung des Wasserhaushalts oder der Speicherung von Kohlenstoff in Pflanzen und Böden - dazu beiträgt, die Folgen menschlicher Konsum- und Investitionsentscheidungen auf die Natur sichtbar zu machen. Dadurch, so das Argument, würde der Stellenwert von Naturschutz in politischen Entscheidungen gestärkt. “Die ökonomische Unsichtbarkeit von Natur muss enden”, schreibt etwa Pavan Sukhdev, Leiter der TEEB-Initiative (The Economics of Ecosystems and Biodiversity). Diese Argumentation beruht auf folgender Annahme: Natur werde deshalb zerstört, weil all diejenigen, deren Handeln sich an ökonomischen Werten orientiert, den Wert der Funktionen, die sie erfüllt, nicht sehen.

Die Befürworter der Inwertsetzung von Natur unterstellen dabei: Ökonomische Bewertung helfe nicht nur, Natur als knappes Gut zu erkennen, sondern auch zu verstehen, wie Naturschutz dazu beiträgt, dieses knappe Gut zu bewahren. Die Inwertsetzung "kann dafür sorgen, dass wir als Gesellschaft unsere Ressourcen 'sparsam' und im Bewusstsein ihrer Knappheit einsetzen", heißt es etwa. Konsument/innen, Produzent/innen und öffentliche Entscheidungsträger/innen könnten so „Anreize zu einem schonenden Umgang mit der Natur" erhalten.

Das stimmt so nicht. Natur besitzt einen Wert an sich.

Ökonomisches Denken basiert auf der Annahme, dass nur das einen Wert besitzt, was dem Menschen in irgendeiner Form nützt. Dass Natur auch einen Wert an sich besitzt, wird ausgeblendet.

Natur lässt sich nicht vollständig erfassen

Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wer darüber entscheidet, welchen Ökosystemfunktionen ein ökonomischer Nutzen zugeschrieben wird – und welchen dagegen nicht. Wer bestimmt darüber, für welche Funktionen von Natur eine solche Bewertung zu kostspielig, methodisch zu aufwändig oder zu unsicher ist? Werden aber bestimmte Funktionen ökonomisch nicht erfasst, bleiben sie in der Logik der ökonomischen Bewertung auch weiterhin unsichtbar. Das betrifft sowohl die Funktionalität des gesamten Ökosystems als auch all jene Funktionen, deren Bedeutung wir heute noch nicht kennen. Das Problem ist hierbei: Die ökonomische Bewertung kann nur einen kleinen Ausschnitt der komplexen Lebensräume und ökosystemaren Funktionen erfassen. Befürworter/innen der ökonomischen Inwertsetzung legen diese Einschränkung aber nur selten offen. Sie tun so, als sei es möglich, den ökonomischen Wert von Natur in ihrer Gesamtheit abzubilden.

Ökonomische Inwertsetzung schwächt die Demokratie

Auch für die Demokratie hat die ökonomische Bewertung von Natur Folgen: So verschärft sie den Trend dahin, dass politische Entscheidungsprozesse sich zunehmend an ökonomischen Kennzahlen orientieren. Problematisch ist hieran, dass Bürgerinnen und Bürger deren zugrundeliegende Annahmen und Berechnungen kaum noch bewerten können, und diese Annahmen und Berechnungsgrundlagen oft nicht offengelegt werden.

Methodische Fragen sind weiter unklar

Zudem bleiben auch über 30 Jahre nach Umsetzung der ersten Instrumente zur ökonomischen Bewertung von Natur (z.B. die Bestimmung von Ausgleichsflächen für gesetzlich geschützte Feuchtgebiete in den USA) viele methodische Ansätze umstritten und grundsätzliche Fragen ungelöst. Etwa weist der Geograf Morgan Robertson darauf hin, dass die ökonomische Bewertung den Naturwissenschaften ein Wissen über "Ökosystemleistungen" abverlangt, das diese nicht ohne Kontroversen liefern können. Denn unser Wissen um die komplexen ökosystemaren Zusammenhänge in natürlichen Lebensräumen weist weiterhin große Lücken auf.

Politische Entscheidungen orientieren sich nicht zwangsläufig an ökonomischer Rationalität

Der fragwürdigen Annahme schließlich, dass Natur deshalb zerstört wird, weil Instrumente fehlen, die ihren ökonomischen Nutzen sichtbar machen, liegt das problematische Idealbild des homo oeconomicus zugrunde. Das Bild unterstellt, dass reale politische Entscheidungen über den Schutz oder die Zerstörung bzw. Übernutzung von Natur allein durch Abwägung faktischer Informationen getroffenen werden. Dass das so nicht zutrifft, beweist die Vielzahl von Infrastrukturprojekten, die gebaut werden, obwohl sie ökonomisch nicht sinnvoll sind. Das zeigt: Ökonomische Argumente spielen oft nur eine untergeordnete Rolle in der politischen Entscheidungsfindung.

Diesen Sachverhalt verdeutlicht der englische Journalist George Monbiot anschaulich an einem Beispiel aus der TEEB-Studie:

Die TEEB-Studie zu Wasser und Feuchtgebieten beziffert den ökonomischen Nutzen von Mangrovenwäldern im Süden Thailands u.a. für den Küstenschutz und die lokale Fischzucht. Diesem Wert stellt sie dem ökonomischen Nutzen von kommerziellen Garnelenfarmen gegenüber, die zur Zerstörung der Mangrovenwälder beitragen. Die Studie beschreibt die dortige Situation so, als hätte sich eine politische Entscheidung zugunsten der kommerziellen, exportorientierten Garnelenzucht verhindern lassen, wenn den Politiker/innen der ökonomische Wert der vielfältigen Ökosystemdienstleistungen der Mangrovenwälder klar gewesen wäre. 

Monbiot widerspricht dieser Argumentation: Den Preis zu kennen, ändere die Machtverhältnisse vor Ort nicht. “Selbst wenn wir keine Zahl hätten, die wir an die Mangrovenwälder heften können, wissen wir doch seit Jahrhunderten um die Bedeutung der Mangrovensümpfe für den Küstenschutz und als Brutstätten für Fische. Doch das hat Leute nicht daran gehindert, Politiker zu bedrängen und zu bestechen, um diese Wälder für die Garnelenzucht zu zerstören. Wenn Garnelenzucht auf einem Hektar Mangrovenwald einem reichen und gut vernetzten Mann 1.200 US-Dollar einbringt, zählt das viel mehr als die 12.000 US-Dollar, die derselbe Hektar für die verarmte Küstenbevölkerung wert ist. Den Preis zu kennen und zu benennen, verändert dieses Missverhältnis nicht: es geht, auch hier, um Einfluss und Macht.”

Kurz: Daran, dass einige Akteure einen privilegierten Zugang zu Entscheidungsträger/innen und deshalb mehr Einfluss auf politische Entscheidungen haben, ändert auch die ökonomische Bewertung von Natur[1] nichts. Die Bewertung macht Natur nicht sichtbarer, sondern weist Zerstörung und Übernutzung lediglich einen Preis zu[2]. In Verbindung mit Instrumenten wie Kompensationsgutschriften macht die ökonomische Bewertung von Natur es Unternehmen möglich, einige Umweltkosten zu internalisieren – allerdings nicht mit dem Ziel, dass die Preise ihrer Produkte die ökologische Wahrheit sagen, sondern um Planungssicherheit für Bauvorhaben in geschützten oder besonders artenreichen Lebensräumen zu bekommen.

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers "Neue Ökonomie der Natur".

 

Anmerkungen:

[1] Siehe auch ein Beispiel aus Deutschland: "Dies zeigt sich derzeit auch an der Debatte um Holznutzung in Deutschland. Sowohl Naturschützer als auch Waldbesitzer und das Bundesministerium für Landwirtschaft argumentieren mit dem ökonomischen Wert für die gleiche Ökosystemleistung (Kohlenstoffspeicherung), die der Wald erbringt – für zwei gegensätzliche Positionen. Während Waldbesitzer und Ministerium behaupten, "Holzverwendung ist Klimaschutz", argumentieren Naturschutzorganisationen, dass ein Aufbau vorratsreicher Naturwälder u.a. durch Nutzungsverzicht auf 5 Prozent der Wälder in Deutschland ein wichtiger Beitrag zu Klima- und Biodiversitätsschutz ist." Aus: Charta für Holz 2.0, Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung, April 2017.

Auch interessant: Stellungnahme Klima-Bündnis: Neue Charta für Holz zu kurz gedacht. Klima-Bündnis bewertet einseitigen Ansatz kritisch

[2] Jutta Kill: Economic Valuation and Payment for Environmental Services. Recognizing Nature's Value of Pricing Nature's Destruction?; 2015. E-Paper Heinrich Böll Stiftung.