Eine faire Welt säen

Die Rückeroberung des Saatguts als Gemeingut hat begonnen. Mithilfe von Open-Source-Regeln entstehen wieder Möglichkeiten für die Züchtung einer großen Anzahl von Arten und Sorten.

Pflanzensamen werden aus einer Tüte in eine Hand geschüttet

Wir erleben derzeit eine enorme Machtkonzentration, nicht nur, aber vor allem auf dem Saatgutmarkt. Heute dominieren sieben Unternehmen 70 Prozent des Weltmarkts, Tendenz steigend. Die US Riesen DuPont und Dow Chemical fusionieren, ChemChina kauft die schweizerische Syngenta auf und Bayer will mit Monsanto fusionieren. Monsanto hat sich seit den 90er Jahren systematisch und rund um den Globus den kommerziellen Saatgutmarkt einverleibt und besitzt Patente auf das Gros aller gentechnisch veränderten Pflanzen.

Neben dieser erdrückenden ökonomischen Dominanz, sind es vor allem technische Methoden wie die Hybridzüchtungen (ein Nachbau ist nicht möglich) und juristische Wege. Letztere sichern private Eigentumsrechte durch Patente auf Eigenschaften der gezüchteten Sorten ab.  Unabhängige Züchtungen gibt es immer weniger, Bauern und Bäuerinnen auf der ganzen Welt sitzen in der Falle und sind komplett abhängig vom Saatgutangebot und dem Diktat der Großkonzerne.

Open-Source-Lizenzen ermöglichen den gemeinschaftlichen Austausch von Saatgut

Wie aus dieser Falle herauszukommen ist, zeigen die OpensourceSeeds-Akteur/innen von Agrecol. Sie nehmen den Kampf David gegen Goliath auf. Ihr Projekt ist eine sehr konkrete Alternative zum patentierten und global vermachteten Saatgutmarkt. Die kleine gelbe Cocktailtomate Sunviva wird zwar nicht die Weltmärkte für Tomaten erobern. Sie zeigt aber Wege auf, dass die Patentierung und Kontrolle von Saatgut reversibel ist. Alternativen predigen ist das eine, sie so konkret mit Sunviva zu entwickeln und Saatgut – so wie es jahrhundertelang der Fall war– wieder zu einem Gemeingut zu machen, das andere.

Die Sorte Sunviva wird zwar geschützt, jede/r darf sie aber kostenlos verwenden, weitergeben und auch weiterentwickeln. Ein Patent soll es nicht geben. Ich habe ein Saatguttütchen Sunviva vor mir liegen. Damit akzeptiere ich genau diese Regeln und gehe einen kostenfreien Lizenzvertrag ein, der es mir erlaubt, das Saatgut zu nutzen, mich aber auch verpflichtet, dass ich keine Sortenschutz- oder Patentrechte anstrebe. Damit räume ich anderen die gleichen Rechte ein, wie ich sie selbst genieße. So entstehen Kettenverträge, die unendlich sind und ein enormes Potenzial haben.

Saatgut nicht den Großkonzernen überlassen

Das Sunviva- respektive OpenSourceSeed-Projekt hat etwas Revolutionäres. Es wendet Open-Source-Regeln aus der digitalen Welt für die Rückeroberung des Saatguts als Gemeingut an. Das gibt Bäuerinnen und Bauern ihre Freiheit und Unabhängigkeit zurück – und unserem Saatgutbestand wieder mehr Vielfalt. Vielfalt statt Monokultur, dafür arbeiten wir in der Heinrich-Böll-Stiftung seit Jahren - für eine agrarökologisch basierte Landwirtschaft und die Wiederaneignung der Gemeingüter (Commons).

Saatgut bestimmt über unsere Ernährung, über ihre Vielfalt. Freies Saatgut, die unpatentierte Züchtung einer großen Zahl von Arten und Sorten, brauchen wir mehr denn je, denn die Klimakrisen, der Verlust der Artenvielfalt und Erosion der Böden erfordern eine agrarökologisch angepasste Landwirtschaft, die sich auf die Standorte konzentriert und lokale Gegebenheiten berücksichtigt, die Bauern und Bäuerinnen ermächtigt und ökologisch nachhaltig ist. Wir erleben heute das glatte Gegenteil, nämlich eine Einheitlichkeit von wenigen Kulturpflanzen, die über unsere Ernährung bestimmen. Das bringt jetzt noch viel Rendite, ist aber angesichts des Klimawandels mehr als zukunftsvergessen, das ist verantwortungslos.

Wie kommen solche Modellprojekte in den "Mainstream"?

Auch Gemeingüter brauchen Schutz, vor allem solange gesetzlich verankerten  geistigen Eigentumsrechte (national wie z.B  international in der WTO) noch existieren. Die Utopie ist, dass die exklusiven geistigen Eigentumsrechte, die die Vermachtung und den Monokulturtrend befördern, verschwinden. Dann wären auch Open-Source-Lizenzen überflüssig. Bis es soweit ist, braucht aber auch Saatgut als Gemeingut rechtlichen Schutz, damit nicht Einzelne daraus wieder ein Privateigentum machen können. An solchen Regeln muss weitergearbeitet werden.

Saatgutzüchtungen dürfen wir nicht den Großkonzernen überlassen. Dass die Agrobiodiversität durch die Fehlentwicklungen der industriellen Landwirtschaft bedroht ist, wissen wir schon lange. Obwohl damit auch die Ernährungssicherheit bedroht ist, fließen kaum öffentliche Mittel in die Züchtung. Gemeinnützige Öko-Züchtung muss eine große und öffentliche Aufgabe werden. Dafür gilt es politische Mehrheiten in nationalen, europäischen Parlamenten sowie international aufzubauen.

Pioniere wie Agrecol und viele einzelne private Züchter/innen und Vereine sind hier Vorreiter/innen, sie brauchen aber breite Unterstützung aus Politik und Gesellschaft. Bewusstsein dafür schaffen, das unsere Ernährung heute mehr denn je abhängig ist von einigen wenigen Konzernen, haben wir uns auch als Stiftung zu eigen gemacht.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift 'politische ökologie' (Nr. 150) "Geht doch! Geschichten, die zum Wandel anstiften." Sie können ihn hier als PDF herunterladen.