Lektionen über Kohle und die Welt (4/6): Der Strukturwandel

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Der Kohleausstieg steht auf der politischen Agenda: Minen müssen geschlossen, Kraftwerke abgeschaltet werden. Welche Aspekte muss die Politik dabei beachten? Wie können neue Arbeitsplätze mit vergleichbaren Standards geschaffen werden?

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Demonstration gegen den Braunkohleabbau in der Lausitz

Das Manuskript der vierten Folge unserer Podcast-Reihe zu Kohleausstieg und Energiewende:

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Willkommen zur vierten Folge dieses Podcasts zum Kohleausstieg. Ehe wir gleich gegen den Braunkohleabbau in der Lausitz demonstrieren und über den Kohleausstieg sprechen, ein kurzer Rückblick.

Annalena Baerbock: Das Argument „heimische Kohle sei billig“, das trägt aus meiner Sicht überhaupt nicht, weil viele der Kosten eben nicht eingepreist sind, weil das politisch und von Seiten der großen Industrie so gewollt ist, dass man die Gesundheitskosten nicht einpreist.

Bei einer Anwältin habe ich erfahren, dass die CO2-Emissionen deutscher Kraftwerke in weit entfernten Regionen Schäden verursachen können.

Roda Verheyen: Das Problem sind die global wirksamen Treibhausgasemissionen, die in Deutschland verursacht werden, die sich akkumulieren in der Atmosphäre und zur lokalen Temperaturerhöhung im Trend führen.

Und ich weiß jetzt, es gibt großen Gegenwind. Aktivistinnen in der ganzen Welt bieten den Konzernen die Stirn.

Dekarbonisierung – dieses komplizierte Wort steht weit oben auf der nationalen und internationalen politischen Agenda. Dekarbonisierung bezeichnet die Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaftsweise, speziell der Energiewirtschaft. Die Eindämmung der Kohleverstromung hat dabei Vorrang.

Das heißt, Minen müssen geschlossen, Kraftwerke abgeschaltet werden. Der Kohleausstieg wird kommen, und zwar bevor der letzte Tagebau ausgekohlt ist. Darum sprechen Expertinnen und Experten auch von einem beschleunigten oder politisch induzierten Kohleausstieg. Ich habe einige von ihnen getroffen, um zu erfahren, was dabei zu beachten ist.

Cottbus. Der Zug nach Kerkwitz ist an diesem Tag rappelvoll. Ich sehe Dreadlocks, Stulpen, der Protest trägt Kapuzenpulli & Bergstiefel. Drecksschleuder raunt der Protest, als das Kraftwerk Peitz Ost auftaucht.

4000 Menschen demonstrieren gegen die Braunkohle

Ankunft in Kerkwitz. Gerade einmal 502 Einwohnerinnen und Einwohner zählt Wikipedia und doch sind alle da: Greenpeace, der Bund Naturschutz, und die Aktivistinnen und Aktivisten von Ende Gelände. Ende Gelände, wir erinnern uns: fast 4000 Menschen demonstrierten im Mai 2016 in der Lausitz gegen die Braunkohle und besetzten für viele Stunden Kraftwerk und Tagebau.

Dann setzt sich die Demo in Bewegung. Vorneweg die Freiwillige Feuerwehr. Auf dem Kühlergrill flattert ein Plakat: „Kerkwitz sagt nein, kein Tagebau Jänschwalde Nord“. Gemächlich gehen Anwohner/innen und Unterstützer/innen bis zum "Alten Schafstall". Auf dieser Wiese kommen nach und nach zwei weitere Demonstrationszüge an.

Gut 800 Menschen stehen jetzt vor der provisorischen Bühne, trinken Tee oder essen eine warme Suppe aus der Gulaschkanone. Reiner Vogel und Wolfgang Meier sind unter den Demonstrierenden. Meier, der aus Schönau kommt, ist seit vielen Jahren dabei.

Wolfgang Meier: Ich denke schon, wir können ganz viel bewirken. Ich meine, das ist der zehnte Sternmarsch. Also wir sind auf jeden Fall in den Medien präsent. Mit dem Widerstand und auch für Länder, die ganz weit weg sind, ist es wichtig, weil die saufen sonst ab, wenn der Meeresspiegel steigt.

Noch vor ein paar Jahren war der Protest gegen die Kohle vor allem von lokalen Initiativen und Naturschutzverbänden getragen. 2007 dann wurde die Klima-Allianz gegründet. Neben Naturschützer/innen kamen nun Kirchen und Entwicklungsorganisationen und Wirtschaftsverbände dazu.

Der Protest wird jetzt von einer breiten Basis getragen, nimmt an Fahrt auf. Seitdem kommt es fast jährlich zu großen, internationalen Protesten in Deutschland. Von der Anti-Atom-Bewegung wird die Anti- Kohle-Bewegung dennoch lernen müssen, glauben einige Aktive. Großes Vorbild sind die Castor-Blockaden – sowohl was die vielfältigen Formen des Protestes, als auch die Ausdauer betrifft.

Die Proteste machen Braunkohle zu einem wichtigen Thema für Politik und Gesellschaft

Ausdauer beweisen die Sternmärsche in der Lausitz. Diesmal findet der Sternmarsch zum zehnten Mal statt. Reiner Vogel aus Senftenberg ist wie jedes Jahr dabei. Die Proteste gegen die Braunkohle sind für ihn eine Gelegenheit, das Thema Braunkohle auf die öffentliche Agenda zu heben.

Reiner Vogel: Wenn wir einen solchen Sternmarsch nicht machen würden, dann gäbe es eine wichtige Gelegenheit nicht, dass die Öffentlichkeit das wahrnehmen kann. Und es tut auch ein bisschen gut, immer wieder festzustellen: Anfang des Jahres – gleich welches Wetter – es sind sichtbar viele Menschen hier, ältere und ganz junge, um zu sagen: wir brauchen – und das ist ja wissenschaftlich begründet – keine neuen, eine weiteren Tagebaue. Außerdem ist das ja ein schönes, sehr schönes Stückchen Erde und das muss es einfach bleiben.

Im Januar 2017 war ich beim Sternmarsch in Senftenberg. Im April 2017 stellte der Betreiber der Kraftwerke und Tagebaue, die LEAG, einen überarbeiteten Revierplan 2040 vor. Demnach verzichtet die LEAG auf die Tagebauerweiterungen und Neuaufschlüsse in Jänschwalde-Nord, Bagenz-Ost und Spremberg-Ost.

Der Tagebau Nochten II wird nur in einer abgespeckten Variante erschlossen. Begründung: Es lohnt sich nicht mehr. Und diese betriebswirtschaftliche Überlegung ist letztendlich ein Verdienst des beharrlichen Widerstandes von engagierten Bürgerinnen und Bürgern vor Ort. Von solchen Menschen, die ich beim Sternmarsch getroffen habe.

Genau darin liegt die Stärke der zivilgesellschaftlich organisierten Bündnisse. Sie können das Anliegen wieder und wieder auf die Tagesordnung setzten, erklärt die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock.

Annalena Baerbock: Innerhalb der letzten zwei, drei Jahre hat sich aufgrund der ständigen Thematisierung der kritischen Nachfragen, aufgrund aber auch der Klimakonferenzen, das so gedreht, dass selbst ein Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sagt: ‚na gut Kohleausstieg, den müssen wir irgendwann machen‘. Und jetzt ist der Streit nicht ob, sondern wie soll der Kohleausstieg gestaltet werden und vor allen Dingen nach welchem Zeitplan.

Ist ein Kohleausstieg mit möglichst viel Planungssicherheit möglich?

Der Ausstieg soll möglichst viel Planungssicherheit für alle Beteiligten beinhalten.

Annalena Baerbock: Und das würde aus meiner Sicht am besten über Ordnungsrecht passieren. Dass es ein Gesetz gibt, mit dem man sagt, mit diesem Instrument wollen wir aussteigen. Wir schlagen CO2-Budgets vor, das heißt analog zu den Klimazielen gibt es nur eine gewisse Menge von CO2, das Kraftwerke noch ausstoßen dürfen und das würde dann jährlich reduziert werden. Sodass man in den nächsten 20 Jahren einen geordneten Ausstiegsplan hat. Ganz am Anfang müssten einfach die 20 dreckigsten Kraftwerksblöcke vom Netz, damit wir das Klimaziel 2020 überhaupt noch erreichen können.

Annalena Baerbock
Mit den Zeitplänen ist das so eine Sache. ‚Plan‘ klingt irgendwie verbindlich. Das möchten Unternehmen gerne vermeiden, schließlich wollen sie so lange wie möglich Kohle mit der Kohle machen. Dabei bekommen sie Rückenwind von Gewerkschaften und der Bundesregierung. Im Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung taucht noch nicht mal das Wort Kohleausstieg auf. Wohl aber der Begriff Strukturwandel:

Klimaschutzplan 2050: Eine Kommission soll zur Unterstützung des Strukturwandels einen Instrumentenmix entwickeln, der wirtschaftliche Entwicklung, Strukturwandel, Sozialverträglichkeit und Klimaschutz zusammenbringt. Dazu gehören notwendige Investitionen in den vom Strukturwandel betroffenen Branchen und Regionen und deren Finanzierung.

Ende 2018 soll die Kommission ihre Ergebnisse vorstellen.  Statt Strukturwandel sagen die Fachleute übrigens heute vielfach Transition und meinen damit den Übergang von einem Zustand in den anderen. In diesem Fall von der karbonisierten in die dekarbonisierte Gesellschaft. Also, wenn man so will, schon ein Ausstieg aus der Kohle.

Beim Kohleausstieg soll es gerecht zugehen

Dabei soll es möglichst gerecht zugehen, denn ein so fundamentaler Wandel kann nur durch eine große Zustimmung geschehen. Er muss von einem breiten Bündnis getragen werden. Der Thinktank Agora Energiewende fordert einen nationalen Kohlekonsens, getragen von Energiewirtschaft, Gewerkschaften, Politik, Wissenschaft und Umweltverbänden. In Konzeptpapier der Agora Energiewende heißt es dazu:

Die Bundesregierung lädt zeitnah zu einem „Runden Tisch Nationaler Kohlekonsens“ ein. Es geht dabei um einen vertrauensvollen Dialogprozess zur Aushandlung der Kernelemente eines Ausstiegs aus der Kohleverstromung, um einen erneuten jahrzehntelangen energiepolitischen Fundamentalkonflikt zu vermeiden. Ziel sollte es sein, zu einem politisch und gesellschaftlich breit getragenen Ergebnis zu kommen, damit – analog zu Steinkohlekonsens und Atomkonsens – alle Beteiligten frühzeitig Planungssicherheit hinsichtlich der anstehenden Dekarbonisierung erhalten.

Das Ziel heißt: Just Transition, der gerechte Übergang. Dazu komme ich später noch einmal. Hier schon einmal die wesentlichen Elemente des Fahrplans des Agora Thinktanks:

1) Festlegung eines Rahmens
2) Kohleausstieg aus dem Kraftwerkspark
3) Kohleausstieg in den Braunkohleregionen
4) Kohleaussteig in Wirtschaft und Gesellschaft

Gerade der letzte Punkt ist heikel. Wolfgang Rupieper gehört zu den Befürworterinnen und Befürwortern der Braunkohle. Er ist Vorsitzender des Vereins Pro Lausitz, der sich für die Erhaltung der Braunkohleindustrie einsetzt. Mit der Braunkohle verschwindet viel mehr als der Energieträger.

Wolfgang Rupieper: Wenn Sie sich hier die Städte anschauen, dann sind die hübsch herausgeputzt. Es ist ja viel Geld reingeflossen durch die Braunkohle. Und es ist auch viel Geld in die Vereine geflossen. Es ist viel Geld auch in Theater, in Sportveranstaltungen geflossen, was alles nur möglich war, weil die Braunkohle einfach der größte Arbeitgeber und der größte Geldgeber in der Region war.

Kohlearbeiterinnen und -arbeiter müssen mit Gehaltsverlusten rechnen, wenn sie in andere Industriezweige wechseln

Nun muss ich dazu sagen, dass Vattenfall 2014 seine gezahlte Gewerbesteuer zurückgefordert hat, zu hohe Verluste. Ein großes Problem für die ohnehin klammen Kommunen. Die Kehrseite der Abhängigkeit von nur einem großen Industriezweig. Für Rupieper ist die Kohle der Motor der Lausitz.

Wolfgang Rupieper: Darüber hinaus hat natürlich dann diese Industrie dafür gesorgt, dass andere Ansiedlungen geschaffen wurden. In der Lausitz, wo etwa über eine Million Einwohner wohnen, haben wir etwa 135 000 Industriearbeitsplätze. Wir haben hier die Lebensmittelindustrie, die chemische Industrie, den Maschinenbau und natürlich die Kraftwerke und die Braunkohle Tagebaue; und das sind gut bezahlte Arbeitsplätze. Aber die meisten dieser Arbeitsplätze hängen von der Braunkohle ab. direkt oder indirekt.

Studien belegen, dass die Braunkohle ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. So heißt es in „Strukturwandel in der Lausitz - Wissenschaftliche Auswertung der Potentialanalysen der Wirtschaft der Lausitz ab 2010“:

Die Bedeutung der Braunkohleverstromung in der Region ist hoch: ein großer Teil der industriellen Wertschöpfung geht auf die Braunkohleverstromung zurück. Circa 8.000 Arbeitsplätze sind direkt, bzw. etwa 15.000 bis 20.000 Arbeitsplätze sind je nach Methodik direkt und indirekt von der Braunkohleverstromung in der Lausitz abhängig. Die Arbeitsplätze sind meistens hochwertig und überdurchschnittlich gut bezahlt.

Folge 1/6

Fördern und Fordern
Unterwegs im Tagebau: Woher kommt die Kohle? Welche Folgen hat der Abbau für die Lausitz? Und wer haftet für die Folgeschäden? Die erste Folge unserer sechsteiligen Podcast-Reihe.

Folge 2/6

Feiner Staub, großer Schaden
Wie entsteht aus Kohle Strom? Wie sauber ist das Steinkohlekraftwerk Hamburg-Moorburg wirklich? Und was hat das mit der peruanischen Gletscherschmelze zu tun? Antworten in der zweiten Folge.

Folge 3/6

Das Kapital der Kohle
Minen, Kraftwerke, Infrastruktur - woher bekommt die Kohleindustrie ihre Milliarden? Was passiert mit den Geldanlagen im Falle eines Kohleausstiegs? Die Divestment-Bewegung zeigt einen Weg aus dem Geschäft mit der Kohle. Mehr in der dritten Folge.

Folge 4/6

Der Strukturwandel
Der Kohleausstieg steht auf der politischen Agenda: Minen müssen geschlossen, Kraftwerke abgeschaltet werden. Welche Aspekte muss die Politik dabei beachten? Wie können neue Arbeitsplätze mit vergleichbaren Standards geschaffen werden? Antworten in der vierten Folge.

Folge 5/6

Die Energiewende
Wie schaffen wir Energiesicherheit ohne Kohle? Der Strommarkt muss sich radikal verändern, damit die Energieversorgung unabhängiger, dezentraler und regionaler wird. Die fünfte Folge.

Folge 6/6

Die Sektorenkopplung
Für eine komplette Energiewende darf der Strom aus erneuerbaren Energien nicht nur für die Steckdose reichen, sondern muss den Energiebedarf des gesamten Verkehrs und der Wärme decken. Wie kann das klappen? Die Antwort in der letzten Folge.

Ein Wechsel von Kohlearbeiterinnen und Kohlearbeitern in eine andere Branche ist meist mit Gehaltseinbußen verbunden. Eine Einkommenslücke entsteht – die Hypothek auf das Haus bleibt derweil gleich hoch. Hier werden die Akteurinnen und Akteure Lösungen finden müssen. Die Sorge um die Arbeit und das Gehalt kommt bei den Betroffenen vor der Rettung des Weltklimas. Das Thema ist emotional stark aufgeladen, weiß Annalena Baerbock.

Annalena Baerbock: Natürlich geht es um die Arbeitsplätze. Derzeit arbeiten 8.000 direktbeschäftigte Menschen bei dem Kohlekonzern. Aber auch ohne weitere Kohleausstiegsmaßnahmen hatte Vattenfall schon angekündigt, diese Arbeitsplätze bis 2030 auf rund 3000 zurückzufahren. Das heiß, der Strukturwandel findet derzeit statt und ganz viele Beschäftigte gehen einfach in Rente.

Große Unsicherheit bei Arbeiterinnen und Arbeitern

Nüchtern betrachtet, ist die Zahl der vom Kohleausstieg Betroffenen also viel geringer als jene 8000 bis 20.000.  

Annalena Baerbock: Jetzt geht es darum, jungen Menschen Hoffnung zu machen. Sagen: guck mal, dieses Arbeitsfeld läuft auf, Maschinenbau ist groß in der Lausitz, BASF ist als sehr großes Unternehmen da. Es gibt sehr sehr viele Textilunternehmen. Das heißt, es gibt andere Beschäftigungsmöglichkeiten. Aber die muss man jetzt wettbewerbsfähig und attraktiv machen und da arbeitet auch die Industrie- und Handelskammer dran.

In Gesprächen mit Lausitzerinnen und Lausitzern wird schnell klar: Die Energiewende ist nicht das eigentliche Problem. Frederik Moch, Abteilungsleiter Energiepolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund bestätigt diese Erfahrung. Unter den Arbeiterinnen und Arbeitern gäbe es eine große Zustimmung zur Energiewende, aber gleichzeitig herrsche eine große Unsicherheit vor.

Frederik Moch: Wenn wir uns die verschiedenen Bereiche der Energiewirtschaft angucken, dass es auch Regionen gibt, die in besonderem Maße von der Stromerzeugung aus Kohle betroffen sind. Schaut man zum Beispiel auf die Lausitz, da sind seit 1990 90 Prozent der Arbeitsplätze in der Kohleindustrie verschwunden. Das heißt, da hat es einen massiven Strukturwandel gegeben mit all den Herausforderungen und Schwierigkeiten, die wir dort auch sehen.

Die Wendeerfahrungen, der industrielle Niedergang der Regionen prägt die Menschen in Ostdeutschland noch immer. Geht es nach den Gewerkschaften und ihren Mitgliedern, also den Beschäftigten, dann braucht es vernünftige Arbeitsplätze – gut bezahlt und sicher. So wie die Braunkohle sie bisher anbietet. Das ist bei allen Beteiligten Konsens.

Annalena Baerbock: Natürlich ist es essentiell, dass diejenigen, die jetzt in der Kohle beschäftigt werden, eine Perspektive haben, dass sie wissen, wie lange können wir hier noch weiterarbeiten. Und wenn wir nicht in Rente gehen, sondern immer noch erwerbstätig sind, welche anderen Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es dann?

Neue Arbeitsplätze haben noch keine vergleichbaren sozialen Standards

Es lohne sich nicht mehr, neue Jobs in der Kohleindustrie zu besetzten, weil es in 20, 30 Jahren schlicht keine Jobs mehr gibt. Dafür aber in anderen Branchen wie den Erneuerbaren. Die Politik könnte eine Ansiedlung von Unternehmen aus diesem Sektor fördern. Warum in der Lausitz nicht die Windenergie fördern? Und die Erforschung der Speichertechnik unterstützen? Frederik Moch vom DGB bremst die Erwartungen.

Ton Moch: Wir haben gesehen, dass zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien mehr als 350.000 Arbeitsplätze neu entstanden sind. Das sind ja große Erfolge. Gleichzeitig muss man sich aber auch mit der Qualität der Arbeitsplätze auseinandersetzen. Wir sehen, dass sich im Bereich der Windindustrie so langsam das ganze Thema Mitbestimmung entwickelt. Wir sehen auch, dass es in den ersten Betrieben jetzt Tarifverträge gibt. Das ist aber ein Prozess. Wir haben da lange nicht das Niveau erreicht, das wir in anderen Branchen, beispielsweise auch im Kohlebereich, an sozialen Standards haben.

Diese Sorgen sind nicht unbegründet. Im Magazin Mitbestimmung der Hans-Böckler-Stiftung steht über REpower, einen Windturbinenhersteller:

Löhne bei REpower liegen 20 bis 30 Prozent unter dem Niveau des Metall- und Elektrotarifvertrags. Bei einer 40-Stunden-Woche im Dreischichtbetrieb kommen Beschäftigte in der Produktion auf Bruttolöhne zwischen 1.900 bis 2.300 Euro, zudem setzt REpower stark auf den Einsatz von Leiharbeitern.

Arbeitsplätze entstehen nicht einfach so, gut bezahlte schon gar nicht. Ohne Unternehmen keine Arbeitsplätze. Unternehmen aber brauchen gute Bedingungen. Dazu gehört zu allererst eine gute Infrastruktur. Unternehmen, die in internationalen Märkten tätig sind, brauchen Wege, um ihre Produkte zu transportieren.

Investitionen in die Infrastruktur sind nötig

Außerdem sollten die Firmen für potentielle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erreichen sein. Annalena Baerbock kritisiert ganz konkret, dass die Bahnstrecke zwischen Berlin und Dresden über Cottbus nur eingleisig verläuft. Das verhindert einen reibungslosen und schnellen Transport. Ironie: Unternehmen sind auf einen weiteren Klimakiller angewiesen, um ihre Waren zu transportieren: den Straßenverkehr.

Annalena Baerbock: Das ist eigentlich eines der größten Hemmnisse für ansässige Unternehmen. Wenn man sagt, man will die Zukunft der Lausitz gestalten, dann muss man vor allen Dingen in diese Bahnstrecke investieren, in Breitband. Unternehmen können nach wie vor nicht richtig arbeiten, weil es keine vernünftige Breitbandanbindung gibt. Und natürlich: die Orte, die bisher von den Gewerbesteuern von Vattenfall, jetzt LEAG profitiert haben, da muss man sehen, dass die am Ende nicht im Regen stehen.

Die Forderung der meisten Akteurinnen und Akteure lautet deswegen auch: mehr Geld für Infrastruktur. Zusätzliche Anreize müssen erfolgen: Steuererleichterungen, Förderung von Innovationen und die Qualifizierung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen.

Annalena Baerbock: Wie können Teile derjenigen, die vorher im Bereich Kohle oder Zulieferer gearbeitet haben, jetzt so weiter qualifiziert werden, dass sie dann in anderen Feldern tätig sind oder ihre Unternehmen sich als Zulieferer auch etwas umstellen. Vorher haben sie Förderbänder gemacht für die Kohleproduktion. Kann man diese Förderbänder jetzt zum Beispiel für die nutzen?

Und die Verantwortlichen müssen in Bildung und Forschung investieren, sodass die betroffenen Regionen den Anschluss an internationale Entwicklungen nicht verlieren. Das bedeutet, betroffene Kommunen sollten gestützt werden. Der Strukturwandel betrifft weit mehr als den Arbeitsmarkt.

Der demografische Wandel, der die meisten ländlichen Regionen in Deutschland ohnedies beschäftigt, trifft die Kohlereviere in Nordrhein-Westfalen und der Lausitz noch härter. Die Einwohnerinnen und Einwohner fühlen sich abgehängt, so Frederik Moch, vom Deutschen Gewerkschaftsbund.

Frederik Moch: Das heißt, das sind ja auch konkrete Lebenserfahrungen, die Menschen machen. Das Schwimmbad wird zugemacht. Die Straße ist marode. So und jetzt fällt auch noch der Arbeitsplatz weg. Das heißt: Wir wollen ja kein Bild zeichnen von einem düsteren Deutschland. Aber es ist schon eine Situation, wo wir unsere öffentliche Infrastruktur auf Verschleiß fahren. Wir investieren deutlich zu wenig in den Erhalt unserer öffentlichen Infrastruktur.

Wohlstand und Beschäftigung müssen erhalten bleiben

Über den Fahrplan und die Gestaltung des bevorstehenden Strukturwandels wird politisch gerungen. Während die Umweltverbände vor allem die Klimaergebnisse im Blick haben, ist für Verbraucherverbände die Frage der Kosten zentral. Die Gewerkschaften wollen gute und sichere Arbeitsplätze. Einen idealen Weg gibt es nicht, erst recht keine Vorbilder, sagt Frederik Moch.

Frederik Moch: Ich glaube, dass die ganz große Herausforderung beim Klimaschutz ist, dass wir als Bundesrepublik Deutschland zeigen können, dass unser Wohlstandsmodell auch in einer dekarbonisierten Welt Bestand hat. Wir werden niemanden zum Nachahmen animieren, wenn wir bei uns den Wohlstand gegen die Wand fahren. Das sind radikale Veränderungen, die uns in vielen Bereichen irgendwie auch bevorstehen. Die müssen wir so gehen, dass wir gleichzeitig auch Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland erhalten.

Der Politik steht ein breites Instrumentarium für die Eindämmung der Kohleverstromung zur Verfügung. Etwa die Reform des europäischen Emissionshandels, eine europäische oder nationale CO2-Bepreisung und die Festlegung von Mindestwirkungsgraden für Kraftwerke. Auch möglich: ein Kohleausstiegs-Gesetz mit festgelegten Reststrommengen oder Restemissionsmengen für bestehende Kraftwerke.

Also ähnlich dem Atomausstiegs-Gesetz. Derzeit steht die CO2-Bepreisung hoch im Kurs. Für die Gestaltung des Kohleausstiegs müssen in der kommenden Legislaturperiode 2017 bis 2021 zentrale Weichen gestellt werden.

Der Abschied von der Kohle fällt großen Energieversorgern und den Menschen in den Revieren schwer – emotional und ökonomisch. Die eskalierende Klimaerhitzung, das Wachsen der Kohlenstoffblase und der Wunsch nach einer umweltverträglichen Energieerzeugung – das alles sind Treiber für einen beschleunigten Kohleausstieg.

Vor drei oder vier Jahren haben nur Umweltverbände das Wort „Kohleausstieg“ in den Mund genommen. Heute gehört es selbstverständlich zum Sprachgebrauch. Wir steigen ein in die Welt der sauberen Energien. Die globalen Investitionen in Sonne, Wind & Co. sind vielfach höher als Investitionen in fossile Energien.

In Zukunft werden wir eher mehr Strom als weniger Strom benötigen – für die klimafreundliche Verkehrs- und Wärmewende. Damit und mit weiteren Facetten der neuen Energiewelt befassen wir uns in weiteren Folgen dieses Podcasts.

Das war der vierte von sechs Teilen einer Podcast-Reihe zum Ausstieg aus der Kohle. Sie können alle Episoden abonnieren, oder bei Soundcloud, Deezer und Spotify hören. Mehr zum Thema finden Sie in unserem Kohleatlas.

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Ein Böll.Spezial von Jan Schilling.
Ton und Technik: Jan Schilling
Redaktion: Stefanie Groll