Das Ende von Mugabe – aber wie geht es weiter für Simbabwe?

Die Ära Robert Mugabes, der Simbabwe knapp vier Jahrzehnte lang mit eiserner Faust regierte, ist zu einem Ende gekommen. Zumindest fast.

Robert Mugabe

Der eigentlich begnadete Taktiker schien sich zum ersten Mal gründlich verrechnet zu haben, als er vor zwei Wochen seinen Vize Emmerson Mnangagwa absetzte und ihn des Verrats bezichtigte, um seiner eigenen Frau Grace den Weg zur nächsten Präsidentschaft freizuräumen. Mnangagwa, der für die Befreiung des Landes vom Kolonialismus gekämpft hatte und als erster Sicherheitsminister nach der Unabhängigkeit im Jahr 1980 diente, genießt jedoch starken Rückhalt in der Armee. Am 13. November rückte das Militär in Harare ein, setzte Robert und Grace Mugabe kurzerhand unter Hausarrest und übernahm die Kontrolle des Flughafens und anderer strategischer Orte.

Am vergangenen Wochenende demonstrierten Zehntausende Simbabwer in Unterstützung des Militärs und forderten Mugabes offiziellen Abtritt. Am Sonntag rief das Zentralkomitee der  regierenden Partei Zimbabwe African National Union – Patriotic Front (ZANU-PF) Mugabe von seinem Parteivorsitz ab und ernannte Mnangagwa zum Übergangspräsidenten. Mit deutlichen Worten schloss es zudem Grace Mugabe, wegen ihrer extravaganten Eskapaden auch Gucci-Grace genannt, gänzlich von der Partei aus. Dieses gleiche Schicksal widerfuhr einigen Ministern und anderen Angehörigen ihrer G40-Faktion, eine „Gang“, die „Hass und Spaltung“ gesät habe, so der Parteisekretär. Mugabe selbst wurde angewiesen, bis Montag die Präsidentschaft aufzugeben.

Als eine öffentliche Ansprache Mugabes für den Sonntagabend angekündigt wurde, erwarteten die Simbabwer demnach gebannt seine Rücktrittserklärung. Ganze Generationen wuchsen mit dem allgegenwärtigen Propagandakult um Mugabe auf und kennen nichts anderes. Sie sehnen sich nach einem Neuanfang und nennen den Putsch gar die zweite Befreiung nach der Unabhängigkeit des Landes von der weißen Minderheitenherrschaft. Ein historischer Moment sollte es werden. So einfach wollte es ihnen der 93-jährige dann aber doch nicht machen. In billigender Würdigung des Militärs und seiner „patriotischen Sorge um die Stabilität des Landes“ verkündete er, dass er sich diesen Sorgen annehmen und dem kommenden Parteikongress im Dezember  vorsitzen werde.
General Constantino Chiwenga, der den Coup angeführt hatte und neben Mugabe stand, um für ihn die Seiten der Rede weiter zu blättern, blickte sichtlich verdattert drein, als Mugabe mit den Worten “Dankeschön und gute Nacht“ endete. Der wohl schillerndste Diktator Afrikas ist erneut seinem Ruf gerecht worden. Gekonnt trickste er die Nation aus.

Ein Putsch, der keiner sein wollte

Dabei wollte die Armee genau dies vermeiden: Mugabe gegen seinen Willen oder gar mit Gewalt zum Abtritt zu zwingen.  

In einer Fernsehansprache nach dem Coup hatte die Armee deutlich gemacht, dass sie nicht die Absicht hege, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Entgegen der Klischees von Militärputschen rief das Militär auch nicht der Notstand aus. Der Sprecher appellierte stattdessen an die Parlamentarier, die Justiz, und die Medien, ihre Rollen auszufüllen. Er versicherte auch, dass Mugabe noch Präsident des Landes sei, und dass es lediglich darum ginge, einige Kriminelle aus seinem Umfeld aus dem Verkehr zu ziehen und für eine normale Situation zu sorgen, die „Investitionen, Entwicklung und Wohlstand“ ermögliche.

Hinter diesen vorsichtigen Formulierungen steckte Kalkül. Nicht umsonst machte der Sprecher deutlich, dass die desolate Wirtschaft des Landes das Militär zu diesem Schritt gezwungen habe. Um den wirtschaftlichen Ruin des Landes abzuwenden, muss Mnangagwa die internationale Gemeinschaft zurück gewinnen. Deren Geldhähne und Kredite anzuzapfen wird aber nur mit einer gewissen Legitimität gelingen. Auch das regionale Forum SADC, die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika, drückt zwar bei Menschenrechtsverletzungen beide Augen zu, hat bei Militärcoups jedoch bisher eine rote Linie gezogen.

Um nicht planlos zu erscheinen, muss die Armee nun entweder erklären, warum Mugabe bis zum Kongress im Dezember in seinem Posten bleiben soll, oder doch entschieden die Reißleine ziehen.

Simbabwes Wirtschaft am Boden

Die Entstehung eines Vakuums, das gewaltsamen Konflikten den Boden bereiten könnte, ist in niemandes Interesse: Wie von der Armee proklamiert, benötigt das Land dringend eine Normalisierung. Nach Jahrzehnten der Misswirtschaft liegt die Ökonomie des Landes am Boden, sind die Staatskassen leer. Die eigene Währung fiel im Jahr 2008 einer Hyperinflation zum Opfer. Der seither als Handelswährung eingeführte US-Dollar hat das Land in großen Mengen verlassen, was eine Bargeldkrise in den vergangenen zwei Jahren auslöste. Inzwischen druckt die Regierung Schuldscheine, die als alternative Währung in Umlauf gebracht wurden, und begleicht Löhne mit virtuell geschaffenem Geld. Jobs sind fast nur noch im öffentlichen Sektor zu finden, und diese Gehälter machen nunmehr 60 – 80 Prozent der staatlichen Ausgaben aus. Zahlungen an Lehrer, Ärzte und Beamte blieben jedoch immer wieder aus. Auch die Armee muss um die Besoldung ihrer Soldaten fürchten. Eine weitere Hyperinflation und damit der Totalkollaps des Landes scheinen vorprogrammiert. Internationale Investoren fürchten politische Willkür und Enteignungen. Die Landwirtschaft und der Fertigungssektor sind nur noch Schatten ihrer selbst. Selbst im vor einigen Jahren noch vielversprechenden Bergbausektor herrscht Stagnation. Die öffentliche Infrastruktur ist vielerorts kollabiert. Eine hohe Arbeitslosigkeit, die kaum noch beziffert werden kann, sorgt dafür, dass sich immer mehr Simbabwer auf der Suche nach einem besseren Leben der ohnehin großen Diaspora anschließen. Im eigenen Land leidet rund ein Fünftel der Bevölkerung an Nahrungsmittelknappheit.

Als die Regierung im vergangenen Jahr ein Importverbot für Konsumgüter aus Südafrika aussprach, um zu verhindern, dass Gelder aus dem Land fließen, kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen an der südafrikanischen Grenze. Diese weiteten sich schnell auf breite Proteste in Harare aus. Hier war es nicht mehr das Importverbot, das die Menschen auf die Straßen trieb, sondern ihr tief sitzender Frust mit der politischen Stagnation und wirtschaftlichen Aussichtslosigkeit. Die Proteste, die sich vor allem über die sozialen Medien organisierten, konnten sich jedoch nicht verstetigen und schliefen nach einigen Wochen wieder ein. Wie so oft reagierten aber auch die Sicherheitskräfte der Regierung wieder mit Gewalt und Verhaftungen.

Das Militär  als Teil des Problems

Die sorgsamen Beteuerungen der Armee, nicht mit demokratischen Prinzipien brechen zu wollen, können daher nicht die Ironie der gegenwärtigen Situation verschleiern. Diejenigen, die den Putsch ausgeheckt haben und  verkünden, die desolate Lage des Landes beenden zu wollen, sind nämlich Teil des Problems.

Mnangagwa und das militärische Establishment waren stets Mugabes willige Handlanger. Sie fälschten  Wahlen, hielten die Opposition in Schach, und schüchterten die Bevölkerung ein.  In den 1980er Jahren spielte Mnangagwa eine zentrale Rolle in dem Massaker von Matebeleland, das einen angeblichen Aufstand gegen Mugabe bezwingen sollte. Dem Massaker, das bis heute ein unbearbeitetes nationales Trauma darstellt, fielen mehr als 20,000 Simbabwer zum Opfer. Nicht ohne Grund nennt man ihn auch Mugabes „Mann für die Drecksarbeit“.

Die Loyalität gegenüber Mugabe zeigte erst in den vergangenen Jahren Risse. So veröffentlichten die Kriegsveteranen, die in Simbabwe als Helden des nationalen Befreiungskampfes gelten und eine einflussreiche Gruppe in der regierenden Partei ZANU-PF und der Armee sind, im Juli 2016 ein mutiges Kommuniqué. Es kritisierte Mugabes Autoritarismus und machte ihn für die verzweifelte wirtschaftliche Lage des Landes und die endemische Korruption verantwortlich. In dem Kommuniqué bedauerten die Veteranen auch, die brutale Unterdrückung der Bevölkerung nie offen kritisiert zu haben, und versprachen, dies ab jetzt zu tun. Chris Mutsvangwa, Vorsitzender der Vereinigung der Kriegsveteranen, fordert nun mit entsprechend lauter Stimme, Mugabe seines Amtes zu entheben, und ruft zu weiteren Massenprotesten auf.

In der Vergangenheit sah sich das Militär jedoch nie veranlasst einzuschreiten, wenn die schiere Verzweiflung die Bevölkerung wie zuletzt im vergangenen Jahr auf die Straße trieb. Erst jetzt, als mit der Absetzung Mnangagwas die eigenen Interessen direkt bedroht waren, wurde es aktiv.

Aussichten für die Demokratie

Wenn nun Mugabe tatsächlich abgesetzt wird, stehen die Armee und Mnangagwa unter Druck, die Transition in legale Bahnen zu lenken. Die Verfassung würde es Mnangagwa erlauben, die Regierungsgeschäfte für 90 Tage zu übernehmen. Wenn der Parteikongress ihn im Dezember zum Präsidentschaftskandidaten ernennt, wäre ihm mit einem Wahlsieg der ZANU-PF in den Nationalwahlen 2018 die Präsidentschaft schließlich sicher. Die politische Opposition und zivilgesellschaftliche Stimmen rufen derweil nach einem breiten nationalen Dialog, und fordern die Bildung einer temporären Einheitsregierung. Um sich internationale Akzeptanz und Geldern zu sichern, hätte Mnangagwa auf diesem Weg sicher mehr Erfolg in Aussicht. Es ist allerdings schwer vorstellbar, wie ausgerechnet die Akteure, die bisher für eine Zentrierung der Macht in Mugabes Händen gesorgt haben, einen demokratischen Übergang moderieren sollen.

Es wäre nicht das erste Mal in der jüngeren Geschichte, dass sich die ZANU-PF auf eine Einheitsregierung einlässt. Nach den von viel Gewalt überschatteten Wahlen von 2008, aus denen die  Oppositionspartei Movement for Democratic Change (MDC) siegreich hervor ging, wurde für fünf Jahre ein Arrangement zur Machtteilung getroffen, das den Weg für eine Demokratisierung des Landes bereiten sollte. Es scheiterte jedoch vor allem daran, dass die ZANU-PF nicht zu einer wirklichen Beteiligung der Opposition bereit war, eine Demokratisierung der Institutionen nicht zuließ, und wichtige Reformen, wie die des Sicherheitssektors, blockierte.

Einen echten politischen Aufbruch kann es daher nur geben, wenn Mnangagwa tatsächlich, unterstützt von SADC und anderen Vermittlern wie afrikanische Union und Vertretern der internationalen Gemeinschaft, alle Beteiligten versammelt um einen Fahrplan für die Transition zu erarbeiten. An den Verhandlungen gleichberechtigt teilnehmen müssten nicht nur die politischen Parteien. Auch die bedrängte Zivilgesellschaft und die Kirchen, die in Simbabwe starken gesellschaftlichen Einfluss haben, müssten mit am Tisch sitzen.

Erfolg ist auch nur dann in Aussicht, wenn sich die geschwächte und fragmentierte politische Opposition zusammenschließt. Abgesehen von Rufen nach Rechtsstaatlichkeit und einem nationalen Dialog, haben die verschiedenen Oppositionsführer bisher jedoch nicht verlautbaren lassen, dass sie bereits sind, ihre Differenzen beiseite zu legen. Der gewichtigste unter ihnen, Morgan Tsvangirai, der in 2008 MDC zum Sieg verhalf, ist heute schwer krank. Die MDC hat sich inzwischen in verschiedene Strömungen aufgespalten; ihre Geldquellen sind versiegt. Trotzdem wäre dies der Moment für die MDC und die Zimbabwe People First Party von Joice Mujuru - Mugabes Vizepräsidentin vor Mnangagwa, die ähnlich wie er im Dezember 2014 abgesetzt und als Verräterin verunglimpft wurde - geschlossen anzutreten und den Ton anzugeben. Die Opposition scheint jedoch derzeit noch nicht in der Lage zu sein, die Krise in eine Chance für sich umzuwandeln.

Oder doch Militärdiktatur?

Dass die ungeklärte Frage der Nachfolge innerhalb der Regierungspartei, die sie eigentlich intern klären sollte, in einem Putsch gipfelte und damit die Nation in eine Krise stürzte, ist auch Ausdruck der Tatsache, dass die staatlichen Institutionen seit Jahrzehnten im Würgegriff von Mugabes ZANU-PF sind und mittlerweile nicht  viel mehr als ein Schatten der Partei sind.

Angesichts dieser verwischten Grenzen stellt sich die Frage, ob sich die Armee tatsächlich wieder in ihre Kasernen zurückzieht. Was könnte passieren, wenn sich die Opposition neu formiert und in Zukunft gestärkt für die Wahlen aufstellt? Wie wird das Militär reagieren, wenn die ZANU-PF doch noch einmal verlieren sollte?

Eine Antwort, die Sorge bereiten sollte, lässt sich aus den Erklärungen der Armee ableiten. Verpackt in ihre versöhnlichen Worte hatten die Sprecher deutlich gemacht, dass sie nur einen Anführer mit revolutionärer Vergangenheit akzeptieren würden. Dies schließt nicht nur jüngere Generationen aus, sondern auch die politische Führung der verschiedenen MDC-Strömungen. Bei allen Hoffnungen, die der Coup auslöst, sollte man daher nicht vergessen, dass er die ohnehin stark militarisierte politische Kultur fortsetzt. Die simbabwische Politik bleibt tief im militärischen Befreiungskampf verwurzelt, der das Gründungsnarrativ der jungen Nation darstellt.

Bei all der Aufregung um die momentanen Machtkämpfe innerhalb der ZANU-PF sollten die SADC und die internationale Gemeinschaft die grundsätzlichen politischen Fragen mit mehr Nachdruck angehen. Sie sollten auf freie und faire Wahlen pochen, und Versammlungs-, Medien- und Meinungsfreiheit fordern.  Wahrscheinlicher erscheint jedoch, dass sich die Opposition aufgrund ihrer eigenen Schwäche bereit erklärt, sich an einer von ZANU-PF dominierten Regierung zu beteiligen, die kontrolliert einige Reformen zulässt, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Letzteres würde schon viele Simbabwer aufatmen lassen.

Aber nicht allen geht es nur darum, Brot auf den Tisch zu stellen. Trotz des autoritären Charakters der Politik hat das Land eine aktive Zivilgesellschaft aufzuweisen, wie auch - infolge der guten Bildungspolitik aus Mugabes Anfangsjahren - hoch qualifizierte Intellektuelle, Anwälte, Journalisten und andere Fachleute. Diese berufen sich auf eine demokratische Verfassung und Rechtscharta, die im Jahr 2013 verabschiedet wurden – ein Erfolg, den sich die MDC zuschreiben kann. Die internationale Gemeinschaft sollte sich verpflichtet fühlen, diese progressiven Kräfte und die bestehenden demokratischen Institutionen nicht wieder im Stich zu lassen.

Das Land steht vor Mammutaufgaben: Nicht nur muss die Wirtschaft des Landes wieder auf die Füße kommen, auch müssen die staatlichen Institutionen von der Regierungspartei getrennt und in ein unabhängiges Verhältnis entlassen werden. Dies geht nur durch tief greifende Reformen, die Mnangagwa sicherlich versuchen wird zu verhindern. Er sieht sich vor einem ähnlichen Dilemma wie Mugabe 2008: Wie damals Mugabe, muss sich Mnangagwa heute den Schein der Legitimität geben und Konzessionen eingehen, ohne jedoch die Macht wirklich aufzugeben zu wollen. Wenn politischer Wandel jedoch erneut auf die lange Bank geschoben wird, während die Armee ihre Macht verfestigt und nach Gutdünken interveniert, wäre das Ergebnis bestenfalls ein „Mugabe light“.