Tierwohl - Schmerz und Leid im Stall

Fleischatlas 2018

Es gibt viele Ideen, was zu einer „tierwohlgerechten“ Haltung nötig ist. Sie kann Erkrankungen und Verletzungen im Stall vermeiden und die Gesundheit der Herden verbessern.

Fleischatlas 2018: Elemente einer artgerechten Tierhaltung
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Ein Schweinestall der Zukunft

Die Haltung von Nutztieren ist in Deutschland detailliert geregelt – jedenfalls auf dem Papier. Eine EU-Richtlinie löste 2001 die Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer zur Erzeugung tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung aus. Sie regelt in 46 Paragrafen, wie es in den Nutztierställen für Kälber, Legehennen, Masthühner, Schweine, Kaninchen und Pelztiere um Platz, Futter, Licht und Temperatur bestellt sein muss.

Die Verordnung fußt auf dem Tierschutzgesetz von 1972 und seiner Neufassung von 2006. Dessen Gebot lautet: Die Tiere müssen verhaltensgerecht untergebracht werden, sie dürfen keine Schmerzen haben, leiden oder sonst wie zu Schaden kommen.

Doch keinesfalls wird dieses Gesetz überall befolgt. Berichte über verletzte, kranke oder apathische Tiere in der Nutztierhaltung gehören zum Alltag. Der Tierschutz muss also deutlich verbessert werden. Wie gravierend die Probleme sind, zeigen Literaturstudien wie in dem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“, das der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik (WBA) beim Bundeslandwirtschaftsministerium 2015 veröffentlichte.

An vielen Stellen reichen die Vorschriften nicht aus, um Tierhaltung deutlich stärker am Tierwohl auszurichten

Bei Mastschweinen sind bis zu 80 Prozent der Tiere verletzt oder an den Atemwegen erkrankt. Bis zu einem Drittel der Milchkühe leidet an lahmen Gelenken – Störungen des Gangbildes –, 38 Prozent an Euterentzündungen.

Bei bis zu zwei Dritteln der Masthühner haben sich die Fußballen verändert, ebenso viele leiden unter Kahlstellen wegen Federpickens. Brustbeinschäden weisen 40 Prozent auf, Knochenbrüche 53 Prozent. In der biologischen Nutztierhaltung sind die Schäden, die durch die Haltung entstehen, geringer.

Deutschland ist beim Schutz der Nutztiere kein Vorbild in Europa, sondern allenfalls im Mittelfeld angesiedelt. An den Regelungen in Schweden oder der Schweiz könnte man sich hierzulande orientieren. Doch es wird gerade einmal das umgesetzt, was seitens der EU zwingend vorgeschrieben ist. Und das ist so unzulänglich, dass der deutsche Gesetzgeber gegen seine eigenen Tierschutzprinzipien verstößt.

Um etwas zu verändern, müssen die erforderlichen Daten über die Gesundheit der Tierbestände nach einem standardisierten Verfahren erhoben werden. Denn in der politischen Auseinandersetzung argumentieren die Agrarlobbyverbände, die Verletzungen seien nicht durch die Haltung verursacht, sondern durch das schlechte Management einzelner Betriebe.

Cover des Fleischatlas 2018

Der Fleischatlas 2018

Billig, umweltschädlich, qualvoll und ungesund – so haben sich große Teile der Tierhaltung in den letzten Jahren präsentiert. Das muss nicht so sein.

Der neue Fleischatlas zeigt, wie eine bessere Tierhaltung funktionieren kann. Instrumente und Strategien, die zu grundlegenden Veränderungen bei Konsum, Produktion und Vermarktung führen könnten sofort umgesetzt werden. Dazu aber bedarf es politischen Willen und den Mut sich mit denjenigen Anzulegen, die an dem heutigen Produktionsmodell gut verdienen. 

Der Fleischatlas kann hier gratis bestellt werden.

Anders formuliert: Das Recht sei in Ordnung, es werde nur schlecht umgesetzt. Ließe sich aber in einheitlichen und repräsentativen Untersuchungen feststellen, dass die Verletzungen der Tiere auch nur annähernd in den genannten Größenordnungen des WBA-Gutachtens liegen, stünde fest, dass die gesetzlichen Vorgaben für die Haltung nicht ausreichen. Das Dauerargument, dass es sich nur um Einzelfälle handle, wäre auch statistisch belegt vom Tisch.

Unverzichtbar sind strenge, unangemeldete Kontrollen

Die Tierschutzverbände sollten zudem ein Verbands­klagerecht erhalten, um eine Nutztierhaltung durchzusetzen, die den Vorschriften zum Schutz der Tiere standhält. Auch dafür braucht es belastbare Zahlen. Sobald vor Gericht nachgewiesen ist, dass mangelhafte Vorgaben für die Nutztierhaltung zum Verstoß gegen das Tierwohlgebot führen, ist der Gesetzgeber zum Handeln gezwungen.

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Die entsprechenden Vorschriften wären so lange nachzubessern, bis die Schutzvorgaben eingehalten werden. Unverzichtbar sind strenge, unangemeldete Kontrollen.

Bisher wird kaum überwacht, ob die Tierschutzvorschriften eingehalten werden, sei es aus Personalmangel, sei es aus Konfliktscheu der Aufsichtsbehörden gegenüber den Tierhalterinnen und Tierhaltern.

Eine dauerhafte Verbesserung der Zustände könnte mit finanziellen Anreizen erreicht werden. Wenn die Tiere eines Halters /einer Halterin besonders häufig verletzt oder krank sind, könnte er oder sie Fördermittel verlieren oder Geldstrafen zahlen müssen.

Die Tierhalter/-innen hätten dann ein eigenes Interesse daran, dass ihre Tiere sich nicht verletzen oder krank werden. Finanzielle Anreize und Strafen würden dann auch den Tiergruppen zugutekommen, für die es bisher keine Haltungsvorgaben im nationalen Recht gibt, etwa Rinder, Milchkühe, Puten, Enten oder Gänse. Dazu müsste der Zustand aller Tiere vor der Schlachtung kontrolliert werden.

Der Aufwand dafür ist überschaubar. Und weil der Tierschutz als Staatsziel in der Verfassung steht, ist dies auch zumutbar.