Digitale Energiewende? Mit Werten aufladen!

Analyse

Energiewende heißt auch, dass Erzeugung und Verbrauch automatisch aufeinander abgestimmt werden. Über die Herausforderungen
des digitalisierten Energiesystems schreibt Stefanie Groll.

 Smart meter from Liander

Die normative Anforderung an ein digitales Energiesystem ist, dass es im Einklang mit den ökologischen und sozialen Zielen der Energiewende steht. Dieser Beitrag reiht sich ein in eine virulente Debatte um Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

In der technokratisch und betriebswirtschaftlich geprägten Debatte um die Digitalisierung des Energiesystems kommen ethische Aspekte kaum vor. Da geht es um „Convenience“ und „Joy of Use“ und wie Digitalisierung zur Kosteneffizienz von Unternehmen beiträgt. Die Ziele der Energiewende, also

  • lebensfreundliche, ökologisch orientierte Energieversorgung,
  • breite gesellschaftliche Teilhabe und Mitbestimmung,
  • dezentrale Energieversorgung,

und wie diese durch Digitalisierung zu erreichen sind, geraten aus dem Blick. Das führt auch dazu, dass die Schattenseiten der digitalen Technologien, wie etwa eine neue Quantität und Qualität des Rohstoff-Extraktivismus, unterbelichtet bleiben. Der einzige ethische Aspekt, der Beachtung findet, ist der Datenschutz. Gerade weil es ohne Digitalisierung nicht geht, ist es höchste Zeit, das Ganze ethisch zu fundieren.

1. Begrünen und Begrenzen: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz sind der Dreiklang der digitalen Energiewende.

In einer Welt mit begrenzten Ressourcen ist das de facto mehr als eine normative Leitplanke, sondern eine physikalische Notwendigkeit. Ein Energiesystem ist ökologisch nachhaltig, wenn es natürliche Ressourcen wie Boden, Wasser und die Atmosphäre nicht überbeansprucht.[1] 

Die Schlüsseltechnologien der Energiewende, Sonne, Wind und Batterien, enthalten Seltene Erden und High-Tech-Metalle. Die größten Lagerstätten dieser Rohstoffe sind typischerweise nicht in Industriestaaten, sondern in Lateinamerika (Kupfer, Eisenerze, Silber, Lithium, Mangan etc.), in afrikanischen Staaten (Platin, Bauxit, Mangan etc.) und in asiatischen Staaten (Seltene Erden vor allem in China). Die Hardware der Digitalisierung bestehend aus Smart Phons, Servern, Festplatten, Bildschirmen, etc. ist ressourcenintensiv. So genannte (digitale) Zukunftstechnologie benötigen unter anderem Rohstoffe wie Lithium, Rhenium, Terbium Germanium, Kobalt, Scandium oder Tantal. Der Rohstoffbedarf schnellt weltweit nach oben. Der internationale Wettlauf um diese Rohstoffe hat längst begonnen, was unter anderem dazu führt, dass Manganknollen in 4000 Metern Meerestiefe abgebaut werden. Eine große Gefahr für dieses fragile Ökosystem.

Technologisches Maß halten

Ist Metall-Recycling hier eine Lösung? Jein! Sicherlich ist es umweltfreundlicher, Metalle wiederaufzubereiten anstatt sie zu verwerten oder sie zu beseitigen. Aber: Erstens ist Recycling nur an dritter Stelle der Abfallhierarchie[2] (Vermeidung und Reparatur sind besser). Zweitens ist das Recyclingpotenzial von vielen Zukunftstechnologien, die das Energiesystem tangieren, eingeschränkt (z.B. Smart Metering, Brennstoffzellen für mobile Geräte). Andere Materialen und Technologien (z.B. Glasfaserkabel, weiße LED, RFID, Touchscreen aus Kohlenstoff) sind gar nicht recyclingfähig.[3]  Urban Mining, Cradle-2-Cradle und sparsame „intra-technology choices“ werden ebenfalls als Möglichkeiten genannt, den sozialen und ökologischen Fußabdruck der Energiewende-Infrastruktur klein zu halten. In Zukunft wird es dank technologischer Innovationen wahrscheinlich noch mehr Möglichkeiten geben, die Hardware der digitalen Energiewende umweltfreundlicher zu machen. Aber es wäre fatal, sich darauf zu verlassen, dass es irgendwann für das sozio-ökologische Ressourcen- bzw. Abfallproblem mal technologische Lösungen (techno fixes) gibt.

Zusätzlich sollte darüber nachgedacht werden, wie die (digitale) Energiewende suffizient gestaltet werden kann. Die Verminderung und Vermeidung von digitalem und materiellem Ballast muss schleunigst mit ordnungspolitischen Instrumenten und mit Marktanreizen versehen werden.

2. Breite Teilhalbe: Die Akteursvielfalt ist das Markenzeichen der deutschen Energiewende. Die breite, bürgerschaftliche Basis ist ein Wert an sich, der im Zuge der Digitalisierung erhalten bleiben sollte

Energiegenossenschaften steigern die Akzeptanz für Erneuerbare-Energie-Projekte und tragen zur regionalen Wertschöpfung bei. Bürgerenergie schlägt eine Brücke zwischen dem Technologie-Projekt Energiewende und dem Wunsch nach sozialer Teilhabe. In einem Virtuellen Kraftwerk werden Stromproduzent/innen und Stromverbraucher/innen digital vernetzt. Im Zuge der Digitalisierung werden Bürgerinnen und Bürger zu flexiblen Erzeuger/innen und Verbraucher/innen von Energie. Über Automatisierung und Algorithmen können prinzipiell Grenzkosten gespart werden. Das führt dazu, dass es sich schon lohnt auf einer kleinen Skala zu agieren.

Welche politischen Rahmenbedingungen sind dafür notwendig? Welche politischen Rahmenbedingungen tragen zu einem fairen, digitalen Spielfeld für Konzerne und Bürgerenergie bei? 

Digitalisierung für bürgernahe und dezentrale Energiesysteme

Der Breitbandausbau muss staatlich vorangetrieben werden. Am besten zusammen mit dem Ausbau von Energie-Verteilernetzen. Für die dezentrale, bürgernahe Energiewende werden moderne Kommunikations- und Energienetze gebraucht. Wenn ein Stadtwerk also sowieso schon die Straße aufreißen muss, dann am besten direkt alle Leitungen legen.

Dezentrale, regionale und lokale Verbrauchsgemeinschaften müssen von Umlagen und Steuern entlastet werden. Die Nutzung von selbst erzeugten Strom von der EEG-Umlage befreit werden. So genannte Mieterstrommodelle auf Wohnquartiere und Gewerbemieter ausweiten.

Grundsätzlich ist Digitalisierung eine Chance die Energiewirtschaft zu diversifizieren und resilient zu machen. Die aktuelle Regulierung spielt oftmals noch den „alten Akteuren“ in die Hände. So stehen viele der Stromdaten nur bestimmten Marktakteuren wie den Netzbetreiben zur Verfügung. Eine offene Datengrundlage könnten Systemkosten reduzieren. Die Schattenseite ist, dass eine solche Transparenz das Systems anfälliger macht, also in Cybersecurity investiert werden müsste.

3.    Saubere Energieversorgung, Digitalisierung und Datenschutz müssen zusammengedacht werden. Das Primat der Datensparsamkeit muss auf allen Ebenen gelten.

Das Aushängeschild des digitalen Energiesystems sind die Smart Meters. Die intelligenten Stromzähler erfassen erzeugte und verbrauchte Strommengen und Zeiten. Die Daten werden direkt an den Messstellenbetreiber geschickt, in der Regel ist das der örtliche Netzbetreiber. Somit entfällt der jährliche Ablesetermin. Darüber hinaus kann die/der Verbraucher/in via Datenanalyse und entsprechende Software ihren/seinen Stromverbrauch optimieren. Wenn viele Erzeuger/innen und Verbraucher /innen Smart Meter haben und die Daten automatisiert austauschen, entsteht ein intelligentes Stromnetz (Smart Grid). Das steigert die Energieeffizienz, eröffnet die Möglichkeit Geld zu sparen und ist – wie weiter oben ausgeführt – notwendig, um die nötige Flexibilität rund um 100 Prozent Erneuerbare aufzubauen.

Grundlage für den stufenweisen Einbau der Smart Meter ist das Digitalisierungsgesetz vom Sommer 2016, welches auf die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zurückgeht. Dieses Gesetz wurde und wird von Datenschützer/innen kritisch gesehen. Die kritischen Stimmen lassen sich nicht dadurch beruhigen, dass das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die höchsten Sicherheitsstandards für Smart Meter und Smart Meter Gateway entwickelt hat. Und es stimmt ja, dass theoretisch alles gehackt werden kann. Die von den Stromzählern generierten Stromverbrauchsdaten können prinzipiell zu „Lebensauskunftsdaten“ der Verbraucher/innen werden. Es besteht grundsätzlich das Risiko, dass die Analyse, Nutzung, Sammlung, Verwertung und Vermarktung der Daten die informationelle Selbstbestimmung der Verbraucherinnen und Verbraucher gefährdet. Somit gibt es hier einen schwelenden Zielkonflikt für die Digitalisierung des Energiesystems.

 

Abbildung 1: Agora Energiewende (2016) Energiewende: Was bedeuten die neuen Gesetze? Zehn Fragen und Antworten zu EEG 2017, Strommarkt- und Digitalisierungsgesetz, Berlin, S. 26

Wie der schwelende Zielkonflikt zwischen Datenschutz und Systemoffenheit eingehegt werden kann

Die Grünen fordern ein Energiedatengeheimnis und ein striktes Zweckbindungsgebot der Daten, die Durchsetzung des informellen Selbstbestimmungsrechtes über die eigenen Daten und die ausreichende Aufklärung und Bildung der Verbraucher/innen. Die nicht umkehrbare Anonymisierung und Zweckbindung von „Energiedaten“ könnten in Modellprojekten von Bundes- und Landesregierungen erprobt werden. Innovative Datenschutzkonzepte wie "privacy by design/privacy by default" sind politisch stärker zu unterstützen und Anreize für Investitionen in guten Datenschutz staatlicherseits zu fördern.

Die andere Datenbaustelle ist die Datensicherheit. Ereignisse wie der Hacker-Angriff auf den Bundestag oder die Deutsche Bahn zeugen davon, dass auch kritische Infrastrukturen niemals ganz gesichert werden. Solche Angriffe werden als Vorhut von möglichen Katastrophen gelesen, die Marc Elsberg in „Black Out“ popularisiert hat: Via Internet installieren Hacker massenhaft Schadcodes auf Smart Meters und drängen die ganze westliche Welt an den Rand des Abgrunds. Schlussfolgerung oder Forderung?

4.    Zusammengefasst sind folgende Punkte die normativen Anforderungen an die Digitalisierung des Energiesystems:

  1. Digitalisierung lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht erschaffen kann. Die Wahrung der natürlichen, analogen Ressourcen ist der Maßstab für gute oder schlechte Digitalisierung. In den Dienst dieser Zielfunktion muss Digitalisierung gestellt werden.
  2. Digitalisierung ist ein machtvolles Werkzeug. Digitalisierung ist kein Wert an sich und kein Selbstzweck.
  3. Die Digitalisierung des Energiesystems muss in Einklang gebracht werden mit der ökologischen Idee der Energiewende. Ökologische Ordnungspolitik muss Digitalisierung in ökologische Bahnen lenken.
  4. In der Digitalisierung liegt Potenzial, das Energiesystem in sozialer Dimension breit aufzustellen. Dezentrale Prosumer-Modelle werden durch smarte Vernetzung einfacher. Digitalisierung sollte dazu beitragen, die Akteursvielfalt des Energiesystems aufrecht zu erhalten. Das Ziel ist letztendlich ein demokratischeres Energiesystem.
  5. Digitalisierung und Datenschutz sind keine geborenen Zwillinge. Ein flexibles Energiesystem, das zu 100 Prozent auf Sonne, Wind und Co. basiert, benötigt Informationen in Echtzeit zum Nutzer/innen-Verhalten. Sonst funktioniert es nicht. Energieexpert/innen und Datenschützer/innen müssen zusammen hier über pragmatisches Daten-Ordnungsrecht verhandeln.

[1] Auf dieses Maßhalten verweist das Wort Ökologie an sich: Ökologie ist die Lehre vom Haushalt (Ökologie = altgriechisch οἶκος oikos ‚Haus‘, ‚Haushalt‘ und λόγος logos‚ Lehre‘; also „Lehre vom Haushalt“). Dieses Haushalten, oder, wenn man so will: diese Begrenzungs- und Sparpolitik muss so gestaltet werden, dass sie zu positiven sozialen Entwicklungen führt. Die ökologische Frage muss integrativ und systematisch mit der sozialen Frage verbunden werden.

[2] Europäische Union (2008): Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (Amtsblatt der Europäischen Union. 22. November 2008, Artikel 4, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32008L009…, Zugriff am 16. Oktober 2017

[3] Deutsche Rohstoffagentur (DER) (2016): Rohstoffe für Zukunftstechnologien, Berlin, PDF-Version: https://www.deutsche-rohstoffagentur.de/DERA/DE/Downloads/Studie_Zukunf…, Zugriff am 26. Juli 2017, International Bank for Reconstruction and Development/The World Bank (2017): The Growing Role of Minerals and Metals for a Low Carbon Future, New York. PDF-Version, http://documents.worldbank.org/curated/en/207371500386458722/pdf/117581…, Zugriff am 27.Juli 2017