Einführung: Reproduktive Rechte - Definition und Debatten

Reproduktive Rechte beschreiben alle Aspekte reproduktiver Gesundheit und das sexuelle Selbstbestimmungsrecht: Verhütung, Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionstechnologien – all diese und noch weitere Themen sammeln sich unter dem Überbegriff „Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ (abgekürzt mit SRGR).

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Dieser Artikel ist Teil unseres einführenden Dossiers „Feminismus & Gender".

Reproduktive Rechte und Gesundheit beschreiben das Recht eine*r jede*n Einzelnen, selbstbestimmt und frei über den eigenen Körper und die eigene Sexualität zu entscheiden. Dies bedeutet vor allem die freie Entscheidung zu Elternschaft, das Recht über die Anzahl und den Zeitpunkt der Geburt der Kinder zu entscheiden, sowie über die dafür nötigen Informationen, Kenntnisse und Mittel zu verfügen.

Diese als Menschenrechte verstandenen Rechte sind für Frauen* und Mädchen* besonders wichtig. Jede Frau* und jedes Mädchen* hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob, wann und in welchen Abständen sie schwanger werden will. Sowohl erzwungene Schwangerschaftsabbrüche als auch das Verbot von Abtreibungen verletzen dieses Recht.

Schwangerschaftsabbruch in Deutschland

In Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch laut §218 Strafgesetzbuch (StGB) noch immer rechtswidrig. Eine Strafe kann i.d.R umgangen werden durch eine Bestätigung einer medizinischen Indikation (körperliche und seelische Beeinträchtigung) oder kriminologischen Indikation (Vergewaltigung) sowie einer Beratung, die laut Schwangerschaftskonfliktgesetz zwar ergebnisoffen sein soll, aber gleichzeitig dem „Schutz des ungeborenen Lebens“ dienen soll.

Ein Widerspruch in sich. §219 StGB schreibt zudem das sogenannte Werbeverbot fest, bei dem es sich jedoch de facto um ein Informationsverbot handelt und es Frauen* erheblich erschwert, die unter §218 geregelte eingeschränkte Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs überhaupt wahrzunehmen. Ein breites Bündnis feministischer Gruppen und Akteur*innen, wie u.a. das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, fordern seit langem die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und die ersatzlose Streichung des §218.

Stattdessen könnten Angebote der freiwilligen Beratung ausgebaut und Krankenhäuser dazu verpflichtet werden, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Damit würde schließlich auch der vom Gesetzgeber zugesicherte Zugang zu und die Versorgung mit reproduktiver Medizin gewährleistet werden. Erst damit werden Schwangerschaftsabbrüche wirklich entkriminalisiert.

Wichtig sind aber auch präventive Maßnahmen. So muss jedes Mädchen* und jede Frau* Zugang haben zu Informationen über Sexualität und zu Methoden der Schwangerschaftsverhütung. Verhütung ist Teil der sexuellen Rechte. So ist die „Pille danach“ eine bedeutsame Notfallverhütung. Sie kann eine Schwangerschaft verhindern, wenn sie rechtzeitig eingenommen wird. Dafür stellte bisher gerade in ländlichen Räumen die Rezeptpflicht eine hohe Hürde da. Seit März 2015 ist die „Pille danach“ ohne Rezept in der Apotheke erhältlich. Der schnelle und unkomplizierte Zugang wurde auch durch die politische Intervention der Grünen und Linksfraktion möglich.

Sexuelle Gesundheit

Zu den sexuellen und reproduktiven Rechten gehört auch Sexualität unabhängig von Reproduktion, also der Fortpflanzung, leben zu können. Sexuelle Gesundheit ist in diesem Sinne ein Zustand des körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen – so die Weltgesundheitsorganisation.

So verpflichten sich die Staaten gemäß der UNO Statuten dazu, diese Rechte zu schützen und damit jedem Menschen selbstbestimmte und bewusste Entscheidungen zu ermöglichen, wenn es um Sexualität, Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft geht, frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt.

Darüber hinaus haben Staaten die Pflicht, für den Schutz, die Einhaltung und die tatsächliche Umsetzung dieser Rechte zu sorgen. Sie müssen zum Beispiel Frauen*, Männer*, Mädchen* und Jungen* schützen vor Diskriminierung in diesem Bereich und vor sexueller Gewalt in allen ihren Formen, also auch vor Übergriffen von Drittpersonen einschliesslich Angehörigen der eigenen Familie. Sie müssen den Zugang zu entsprechenden Gesundheitsdienstleistungen und Informationen diskriminierungsfrei gewährleisten, Menschenrechtsverletzungen in diesem Bereich verfolgen und die Täter_innen bestrafen.

Mit der globalen Kampagne «My Body, My Rights» forderte z.B. Amnesty International die Einhaltung der sexuellen und reproduktiven Rechte und dass Mädchen* und Frauen*, die aufgrund einer Vergewaltigung, eines sexuellen Übergriffs oder sexuellen Missbrauchs in der Familie schwanger geworden sind, die Möglichkeit haben, diese Schwangerschaft auf legalem Weg abzubrechen. Dasselbe gilt für den Fall, dass das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren schwer gefährdet ist. Ein Schwangerschaftsabbruch muss in diesen Fällen unter sicheren, niederschwelligen und nicht diskriminierenden Bedingungen durchgeführt werden können.

Seit der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 gehören sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte vor allem mit dem Fokus Familienplanung auch offiziell zur internationalen Bevölkerungspolitik. Dabei wird angeprangert, dass weltweit Millionen Menschen nicht frei entscheiden können, mit wem sie Sex haben, wann oder wen sie heiraten. Unzählige Frauen* und Mädchen könnten nicht darüber bestimmen, ob und wann sie Kinder haben wollen. Der Zugang zu Aufklärung, Verhütung und Mitteln der Geburtenkontrolle wäre in etlichen Ländern nicht gegeben.

Neue Herausforderungen

In Deutschland wird die Umsetzung der UN-Forderungen und Richtlinien im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit einem eigenen Themenschwerpunkt „Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ quasi in die Entwicklungspolitik ausgelagert und aktiv als Familienplanungskontrolle der Bevölkerungspolitik betrieben. Gerade diese Spaltung setzt eine intersektionale feministische Arbeit vor neue Herausforderungen.

Feminismus & Gender

Die Heinrich-Böll-Stiftung engagiert sich für gerechte Verhältnisse zwischen allen Geschlechtern. Dieser Beitrag ist Teil eines einführenden Dossiers mit Einstiegen in unsere Themen. >> (zurück) zum Dossier

Der klassische feministische Fokus auf die Entkriminalisierung von Abtreibung muss sich mit fortschreitenden reproduktiven Technologien, Methoden und medizinischen Angeboten erweitern. Heute stellen sich ebenso Fragen wie: Für wen gilt eigentlich das proklamierte Recht auf Fortpflanzung? Wer ‚bezahlt‘, wer verdient in der globalen Fortpflanzungsindustrie? Wenn es im Kern bei den sexuellen und reproduktiven Rechten um das Recht auf Selbstbestimmung, frei und unabhängig über den eigenen Körper, die eigene sexuelle Identität und Fortpflanzung zu entscheiden, geht, dann kann dies nicht nur in einer gesellschaftspolitischen Verhandlung von hier und dort bzw. uns und den anderen passieren. Die UN-Generalversammlung hat diese Rechte im September 2014 erneut bestätigt und damit auch bekräftigt, dass sie überall und gleichermaßen gelten müssen.

In Deutschland lenken daher auch immer mehr feministische Gruppen und NGOs, wie Women on Waves, den Fokus auf eine intersektionale Debatte, die die Rechte von Geflüchteten in Deutschland genauso mit bedenkt wie die Bedeutung von Bevölkerungspolitik, Klimaschutz und Entwicklungspolitik, die sich die Errungenschaften und Forderungen des hiesigen weißen Feminismus zu Nutzen macht, um im globalen Süden eine Bevölkerungsdezimierung voranzutreiben.