Gestrandet: Tschetschenische Geflüchtete in Belarus

Interview

Weil Polen die Annahme von Asylanträgen überwiegend verweigert, müssen Geflüchtete in in der belarussischen Grenzstadt Brest ausharren. Sicher fühlen sie sich dort nicht.

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In Polen wird die Annahme von Asylanträgen überwiegend verweigert, so dass die Menschen mit dem nächsten Zug zurück nach Brest fahren müssen

Seit Polen im Sommer 2016 seine östlichen Grenzen für Asylsuchende weitgehend schloss, harren in der belarussischen Grenzstadt Brest noch immer hunderte Flüchtlinge vor allem aus Tschetschenien und anderen russischen Nordkaukasus-Republiken aus und hoffen auf Einreise in die EU. Die Menschenrechtsorganisation Human Constanta hat ihren zweiten Bericht zur Lage der Betroffenen veröffentlicht.

In Deutschland hatten zuletzt jährlich bis zu gut 10.000 Staatsangehörige der Russischen Föderation, in der Mehrzahl Tschetscheninnen und Tschetschenen, Asyl beantragt. Die meisten von ihnen sind über Belarus und Polen eingereist. Schon deshalb ist Deutschland nach dem „Dublin-Abkommen“ nicht für das Asylverfahren zuständig. Nur einige hundert werden aber tatsächlich nach Polen zurückgeschickt, und nur weniger als fünf Prozent wird in Deutschland dauerhafter Schutz zugesprochen.

Enira Bronitskaya: Heinrich-Böll-Stiftung: Wie und wann habt Ihr von der prekären Situation der russischen Flüchtlinge an der belarusisch-polnischen Grenze erfahren und welches sind die wichtigsten Probleme?

Unsere Organisation ist im Spätsommer 2016 auf das Problem aufmerksam geworden als die polnischen Grenzschützer/innen Asylbewerber/innen die Einreise untersagten. Scheinbar willkürlich wurden einige Asylsuchende eingelassen, andere nicht. Dadurch sammelten sich 1000-3000 Flüchtlinge in Brest.

Sie hatten diese Schließung der Grenze für sie nicht erwartet und strandeten großteils mittellos am Bahnhof der Stadt [von dem aus die Züge über den Grenzfluss nach Polen abfahren]. In dieser Situation – viele hatten schlicht nichts zu essen - begann unsere Organisation Human Constanta ihre humanitäre Unterstützung für die Menschen am Bahnhof.

 

Enira Bronitskaya koordiniert die Arbeit der belarusischen Menschenrechtsorganisation Human Constanta zu den Rechten von Ausländer/innen in Belarus.

Warum verlassen diese Menschen Russland?

Der Flüchtlingsstrom aus Tschetschenien ist kein neues Phänomen und ist vor allem verbunden mit der gesellschaftlich-politischen Lage in der russischen Teilrepublik. Praktisch kontrollieren lokale Milizen das Land. Menschenrechtler/innen beschreiben Tschetschenien mit Blick auf den totalitären Charakter der Republikführung als “Staat im Staate”.

Illegale Verhaftungen und Folter wegen angeblicher terroristischen Aktivität sind keine Seltenheit. Oft werden Familienangehörige von Verdächtigen in Sippenhaft genommen. Es trifft aber auch Menschen, die sich politisch oder journalistisch engagieren oder die einfach nur anders aussehen. Es herrscht eine Atmosphäre der Angst vor Repressionen.

Tschetschen/innen bleiben auch in anderen Regionen Russlands weitgehend ungeschützt. Zahllose Berichte dokumentieren, wie mit dem tschetschenischen Regime verbündete Kräfte Menschen auch in anderen Teilen Russlands verfolgen. Die nationalen russischen Sicherheitsbehörden streiten die Existenz des Problems jedoch ab. Unsere Befragungen der Flüchtlinge zeigen, dass Verfolgungen, Folterandrohung, aber auch die noch verbreitete traditionelle Norm der Blutrache zwischen Familien die wichtigsten Fluchtgründe darstellen. Im Bericht haben wir die Ergebnisse genau dokumentiert.

Wie verhalten sich die polnischen Grenzbehörden?

Jeden Morgen verlässt ein Zug das belarusische Brest in das polnische Terespol, wo die polnische Kontrolle stattfindet. Dort stellen die Flüchtlinge, da sie über kein Visum für den Schengen-Raum verfügen, mündlich oder schriftlich ihren Asylantrag. Die Antragsteller/innen müssten nun der Ausländerbehörde in Polen zur Bearbeitung der Anträge überstellt werden.

Die Grenzbeamt/innen verweigern jedoch ganz überwiegend die Annahme von Asylanträgen, so dass die Menschen mit dem nächsten Zug zurück nach Brest fahren müssen. Über ca. ein Jahr lang wurden nur einzelne willkürlich akzeptiert. Seit dem Sommer 2017 wurde in der Regel maximal der Asylantrag einer einzigen Familie pro Tag akzeptiert.

 

 

Der Bericht von Human Constanta zur Situation der Geflüchteten in Brest steht zum Download zur Verfügung.

Warum können oder wollen die Flüchtlinge nicht in Belarus bleiben?

Auch in Belarus fühlen sie sich nicht sicher. Laut offiziellen Statistiken haben zwischen 2004 und Mitte 2017 86 Bürger der Russischen Föderation Asyl oder Schutzstatus in Belarus nach internationalen Normen beantragt, was in keinem Fall gewährt wurde. Dagegen sind einzelne Fälle von Auslieferungen aus Belarus aufgrund tschetschenischer Haftbefehle bekannt. Wir wissen auch, dass Vertreter tschetschenischer Sicherheitsorgane, so genannte “Kadyrowtsy”, in Brest am Bahnhof Befragungen von Flüchtlingen nach dem Verbleib bestimmter Personen vorgenommen haben. Einmal in den Händen der tschetschenischen Behörden verliert sich der Kontakt zu den Personen. Auch ihre Anwälte haben dann wenig Chance, Informationen zu erhalten.

So war es im Fall von Imran Salamov, der achtmal versucht hat, von Brest nach Polen zu gelangen, nachdem er in Tschetschenien schon Folter und Verhaftungen ausgesetzt war. Er wurde am 13. April 2017 von der belarusischen Polizei beim Versuch der Ausreise nach Polen verhaftet und ausgeliefert, obwohl er noch einen Flüchtlingsstatus in Belarus beantragte. Russland hatte ihn ein paar Tage zuvor auf eine internationale Terrorliste gesetzt. Die Staatsanwaltschaft Brest bestätigte später die Unrechtmäßigkeit der Auslieferung nach Russland. Seit dem 11. September - Salamov war nach Grozny überstellt worden - fehlt jede Information über seinen Verbleib und Zustand.

Was kann Human Constanta zur Linderung der schwierigen Situation beitragen?

Wir suchen beständig neue Ideen und Möglichkeiten, den Flüchtlingen zu helfen: Erstens bei der Inanspruchnahme ihres Rechts auf Asyl und zweitens für sicherere und humanere Bedingungen ihres Aufenthaltes in Belarus. Wir beobachten die Lage an der Grenze, helfen bei der Formulierung von Beschwerden gegenüber dem polnischen Grenzschutz. Wir koordinieren die Arbeit auch mit polnischen Menschenrechtsorganisationen, die bei dortigen Asylverfahren behilflich sind.

Weiterhin beraten wir die Flüchtlinge zu ihrem Rechtsstatus in Belarus und helfen bei der Kommunikation mit Behörden. Und wir informieren die zuständigen internationalen Gremien über Verfahren der beteiligten Staaten, die internationalen Konventionen widersprechen. Natürlich leisten wir auch klassische humanitäre Unterstützung, also die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und Leistungen.