Sektorenkopplung: Der wichtigste Teil der Wende

Energieatlas

Heizung, Kühlung und Transport verbrauchen derzeit noch große Mengen fossiler Brennstoffe. Werden diese Sektoren mit der Stromerzeugung gekoppelt, ergeben sich auch Lösungen für das Problem der schwankenden Stromerzeugung aus Sonnen- und Windenergie.

Infografik zu Umwandlungstechniken
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Sektorenkopplung ist das wichtigste Instrument der EU, ihre Treibhausgasemissionen um mindestens 80 Prozent zu senken – oder sogar um 100

In den vergangenen zehn Jahren hat die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien ein bemerkenswertes Wachstum erfahren. In der EU ist der Anteil regenerativ gewonnenen Stroms zwischen 2006 und 2016 um durchschnittlich 5,3 Prozent pro Jahr oder in zehn Jahren um 67 Prozent gestiegen. Im Jahr 2016 kamen fast 90 Prozent der neuen Kapazitäten zur Stromerzeugung aus Erneuerbaren, hauptsächlich aus Wind und Sonne. Im Gegensatz dazu dominieren Öl, Kohle und Gas nach wie vor die Bereiche Transport, Heizung und Kühlung. Die Bemühungen, auch hierfür die Erneuerbaren auszubauen, hatten nur wenig Erfolg. Damit die EU den Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 40 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 senken kann und ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen erfüllt, sind noch deutliche Fortschritte nötig.

Während die Kapazitäten für Erneuerbare deutlich gestiegen sind, blieben die für konventionelle Energien nahezu unverändert. Solche Kraftwerke sind auf die Bedienung der Grundlast ausgerichtet, also für die gleichmäßige Stromnachfrage etwa durch Industrieanlagen. Sie können nicht schnell aus- und eingeschaltet werden. Sonne und Wind erzeugen hingegen eine ständig schwankende Menge an Energie. Sie sind den Launen des Wetters ausgesetzt. Sonnenkollektoren wie Solarzellen sind nachts unbrauchbar. Infolge des wachsenden Anteils an Strom aus diesen Quellen wird aber die Flexibilität des übrigen Energiesystems immer wichtiger. Es muss in der Lage sein, schnell auf Schwankungen von Angebot und Nachfrage zu reagieren und zugleich das Netz stabil zu halten.

Erneuerbare Energien können fossile Brennstoffe komplett ersetzen. Auch Biotreibstoffe, die von Äckern stammen, haben keine Zukunft

Der Stromsektor muss mit Wärme- und Transportsektor zusammengeführt werden

Das Stichwort dafür heißt Sektorenkopplung. Sie bedeutet eine Verbindung von Strom-, Transport- und Wärmesektor – Transport deckt den Verkehr ab, Wärme das Heizen und Kühlen. So wird es möglich, überschüssigen Strom zu nutzen, um Häuser zu heizen, Wärme in Fernwärmenetzen zu speichern, industrielle Prozesse zu kühlen und die Batterien von Elektroautos aufzuladen – alles zugleich. Weniger Kohle und Gas werden verbraucht und mit zunehmender Kopplung geht der Ausstoß von Treibhausgasen bis auf null zurück. Allein die Elektrifizierung von 80 Prozent der Fahrzeuge bis 2050 würde die Emissionen um 255 Millionen Tonnen reduzieren. Solche Investitionen senken die Nachfrage nach Leistungen konventioneller Kraftwerke. Sie müssen auch mit den Kosten für die Instandhaltung alternder oder für den Bau neuer Anlagen verglichen werden.

Um die Sektorenkopplung wirtschaftlich zu machen, müssen die Strompreise für die Endnutzer/innen das tatsächliche Angebot und die tatsächliche Nachfrage widerspiegeln. Die Strompreise sollten niedrig sein, wenn zu viel erzeugt wird, und höher sein, wenn es zu Engpässen kommt. Aber das ist nicht der Fall. Heute zahlen die Haushalte immer den gleichen Strompreis, selbst wenn die Nachfrage sinkt, etwa nachts oder in den Ferien, wenn sogar die industrielle Produktion gedrosselt wird. In solchen Zeiten sinken die Strompreise auf dem Großhandelsmarkt fast auf null oder sind sogar negativ, sodass Kraftwerksbetreiber tatsächlich zahlen müssen, um Strom ins Netz zu speisen. Es wäre sinnvoll, einige Kraftwerke abzuschalten. Aber das geht technisch nicht.

Die Sektorenkopplung ist für den Übergang zu erneuerbaren Energien unverzichtbar

Selbst wenn die vollständige Energiewende etwas teurer wird als das „Business as usual“, sind die geldwerten Vorteile an anderer Stelle spektakulär
Bislang sind die Strategien zur Verringerung der Emissionen in den Sektoren Wärme, Elektrizität und Transport voneinander isoliert. In den vergangenen Jahren ist jedoch das Interesse an einem stärker integrierten Ansatz gestiegen. Im Transportsektor kann überschüssige Energie in den Batterien von Elektrofahrzeugen gespeichert werden und Benzin oder Diesel ersetzen. Die Kopplung von Wärme und Kälte mit dem Stromsektor wird auf zwei Arten erfolgen: durch Elektrifizierung und durch technologische Innovation. An den meisten Orten der Welt werden einzelne Wohngebäude mit Kohle, Gas oder minderwertigen Brennstoffen beheizt. In vielen Fällen kann die Elektrifizierung die einzige Alternative sein, wenn es keinen Zugang zu einem Gasnetz gibt und ein Fernwärmenetz zu teuer wird.

Neue Technologien wie Power-to-Heat – Wärme aus Strom, der aus erneuerbaren Quellen stammt – wären ebenfalls nützlich. Hybride Heizsysteme könnten neben dem Strom zusätzlich Kohle, Holz oder Gas verwenden. An sonnigen, windigen Tagen ist die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien besonders hoch. Strom zur Beheizung von Wohnungen ist ein neuer Ansatz, der sich in Ländern mit viel Solar- und Windkapazität schnell ausbreitet. Nur für den Restbedarf sind dann noch fossile Brennstoffe nötig.

Die Sektorenkopplung ist für den Übergang zu erneuerbaren Energien unverzichtbar – mit innovativen Technologien wie Wärmepumpen, Elektroautos, Power-to-Heat-Lösungen und kleinteiliger Nachfragesteuerung. So wird das System flexibler und die Energiesicherheit nimmt zu. Weniger neue Kraftwerke sind nötig und die ältesten und schmutzigsten können abgeschaltet werden. Die ökonomischen wie die ökologischen Kosten sinken.