Das laute Schweigen im Osten

Analyse

Nach den rassistischen Hetzjagden von Chemnitz bleibt es seltsam stumm im Osten. Wo sonst jeder Vorwand recht ist, um gegen den deutschen Multikulturalismus zu hetzen, scheint es, als versagten die rechtspopulistischen Apologeten in Warschau, Budapest und Moskau der deutschen Rechten ihre Gefolgschaft. Was ist da los?

Aufmarsch von Gegnerinnen und Gegnern der Flüchtlingspolitik, Hooligans und Neonazis
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Aufmarsch von Gegnerinnen und Gegnern der Flüchtlingspolitik, Hooligans und Neonazis im August 2018 in Chemnitz.

von Dora Diseri (Ungarn), Maxim Kireev (Russland), Franz Müller (Polen)

Wie reagieren die illiberalen Demokratien in Polen, Ungarn und Russland, wenn der rechte Mob durch Chemnitz tobt?

Polen: „Die extreme Rechte in Deutschland ist den Menschen zwischen Danzig und Krakau ein Graus“

Islamophobe Kommentare? Stimmungsmache gegen Flüchtlinge? Das polnische Staatsfernsehen und regierungsnahe Medien reagierten unerwartet zurückhaltend auf die Bilder von Hetzjagden auf Ausländer und Nazis mit heruntergelassenen Hosen in Chemnitz.

Eigentlich lassen zumindest Journalisten bei Sender TVP seit der Medienreform vor mehr als zwei Jahren und etlichen Entlassungen von Angestellten kaum eine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, wie desaströs die Sicherheitssituation in Deutschland aufgrund der vielen muslimischen Männer sei. Die Mehrheit der Deutschen sei dem ausgeliefert. Der Islam übernehme langsam: so die These.

Die hässlichen Szenen aus Sachsen jedoch dürften den Medienmachern in Warschau aufgestoßen sein. Eine gemeinsame Sache mit denen? Niemals. Die meisten Beiträge waren denn auch sachlich gehalten, egal ob in privaten oder staatsnahen Programmen oder Zeitungen. Viele bezogen sich etwa auf Nachrichten der Deutschen Welle. In Kommentaren wurde Deutschland attestiert, ein Rassismusproblem zu haben.

Trotz regelmäßig auf Straßen polnischer Städte stattfindender Märsche von Nationalisten: die extreme Rechte in Deutschland ist den Menschen zwischen Danzig und Krakau ein Graus. Eine unheilige Allianz der Fremdenfeinde muss scheitern. Gerade im August und September gedenkt man in Polen der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes durch die Deutschen 1944. Die Verwüstungen, die die Deutschen während des Zweiten Weltkrieges in Polen angerichtet haben, sind beispiellos.

Auf Deutsche, die den Hitlergruß zeigen, reagiert man in Polen mit Erschrecken und Erstaunen, aber keineswegs mit Verständnis.

Ungarn: „Die Rechtsextremen mit ihren Naziparolen und der Hetzjagd auf Ausländer scheinen wohl doch nicht so ganz ins Bild zu passen“

Genüßlich zogen die regierungsfreundlichen Medien Ungarns nach Köln, Kandel und Freiburg über eine vermeintliche „Migranten-Kriminalität“ und die angeblich gescheiterte Flüchtlingspolitik Merkels her; die Amokfahrt in Münster stellte man gar wider besseren Wissens als “islamistischen Anschlag” dar. Dagegen schlug Chemnitz jetzt überraschenderweise keine großen Wellen. Vielmehr stand gerade eine andere Stadt im Mittelpunkt der Berichterstattung: Mailand. Dort traf der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán zum ersten Mal den italienischen Innenminister Matteo Salvini, um eine neue Allianz der Migrationsgegner gegen die Politik von Macron und Merkel anzukündigen.

Dieses Treffen beschäftigte die regierungsnahen und staatlichen ungarischen Medien so sehr, dass sie erst drei Tage später (am Dienstag) begannen, ausführlicher über die Geschehnisse in Chemnitz zu berichten. Obwohl das propagandistische Ausschlachten eines Mordfalls mit syrischen und irakischen Tatverdächtigen die perfekte Begleitmusik zum Orbán-Salvini-Pakt gegeben hätte, konnten die Scharfmacher der regierungsnahen Zeitungen die Ereignisse nicht so einordnen, wie es zu erwarten gewesen wäre. Die Rechtsextremisten mit ihren Naziparolen und der Hetzjagd auf Ausländer scheinen wohl doch nicht ganz ins gewünschte Bild zu passen: Orbáns Politik soll weiterhin salonfähig bleiben und sich deshalb mit diesen Gruppen nicht offen identifizieren.

Auch die AfD-Politiker, die als “ganz normale besorgte Bürger” regelmäßig in der Hauptnachrichtensendung des staatlichen Fernsehens minutenlang über die „furchtbaren Zustände“ in Deutschland berichten, ohne dass sie als AfD-Funktionäre kenntlich gemacht werden, suchte man diesmal vergeblich. Lediglich Georg Spöttle, der selbsternannte Sicherheits- und Deutschlandexperte der regierungsnahen Medien, ärgerte sich in einem Interview im Staatsradio darüber, dass zu viel über die Neonazis und zu wenig über die Opfer des Mordes berichtet würde. Immerhin: Der Tweet des AfD-Politikers Markus Frohnmaiers über „Messermigration“ fand dann doch noch seinen Weg in die „ungarische Tagesschau”.

Russland: „Hitlergrüßende Wutbürger in Deutschlands Provinz sind Wladimir Putin herzlich egal“

Eigentlich haben die Demos in Chemnitz alles, wovon ein russischer Propagandist nur träumen kann. Wütende Bürger gehen auf die Straße, weil „Migranten“ einen von ihnen umgebracht haben. Ein Russe wurde zudem verletzt, weil er den Deutschen dabei beschützen wollte. Merkel ist in Erklärungsnot.

Doch plötzlich läuft etwas schief. Wladislaw Below, Leiter des Deutschland-Instituts bei der staatlichen Akademie der Wissenschaften, sieht gar ein “positives Signal“ angesichts der zahlreichen Gegendemonstranten. Boulevardzeitungen schreiben von einem Nazi-Aufstand. Und Gennadij Onischenko, Mitglied der Regierungspartei „Einiges Russland“ spricht davon, dass „einige in Deutschland die Lektionen des Zweiten Weltkrieges vergessen“ hätten.

Innerhalb der rechten Szene ist der Irrglaube verbreitet, der Kreml sei ideologisch auf ihrer Seite. Dabei ignorieren viele, wie massiv die Staatsmacht echte Neonazis in Russland mit Gefängnisstrafen überzogen hat, nachdem sie sich 2010, aus ähnlichem Anlass wie in Chemnitz, zu einer Großdemo vor den Kremlmauern trafen. Im öffentlichen Raum sind nur jene verblieben, die steuerbar und dem Kreml nützlich sind. Zum Beispiel um prorussischen Separatismus in Nachbarländern zu schüren. Oder um sich eben mit ähnlich nützlichen westlichen Gesinnungsgenossen zu treffen.

Die westlichen Rechten sind für den Kreml nur soweit interessant, wie sie Putin gut finden. Und weil sie Stimmung machen gegen die Sanktionen; weil sie wahlweise eigene Regierungen oder die EU-Politik kritisieren. Hitlergrüßende Wutbürger in Deutschlands Provinz sind Wladimir Putin herzlich egal. Genauso egal, wie die Frage, ob Merkel wegen der Migranten Deutschlands Wohlergehen aufs Spiel setzt, so wie es Moskaus Medien gern behaupten. Ganz im Gegenteil. Angesichts der frostigen Beziehungen mit dem Westen müsste doch gerade Russlands Präsident der größte Freund von Merkels Migrationspolitik sein.

Die Analyse wurde zuerst von ostpol, dem Online-Magazin von n-ost veröffentlicht.