Helft Sachsen! Mischt Euch ein!

Analyse

Seit Jahrzehnten gibt es in Sachsen Probleme mit Rassismus. Es kommt immer wieder dazu, dass die Regierungsparteien die neonazistischen Aktivitäten ignorieren oder verharmlosen. Die Debatte, wie wir in einer Demokratie leben wollen, kennt keine Landesgrenze. Man muss Unterstützungsangebote machen.

Karl-Marx-Monument in Chemnitz
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Karl-Marx-Monument in Chemnitz: Die inneren Kräfte im Bundesland reichen offensichtlich nicht aus, um der völkisch-nationalistischen Atmosphäre etwas entgegenzusetzen.

Das Sachsenbashing oder Ostbashing sei „völlig fehl am Platz“ ruft es derzeit aus etlichen Ecken. Tatsächlich lässt die pauschale Kritik an „Sachsen“ mindestens zwei wesentliche Gruppen unsichtbar werden: Opfer rassistischer Gewalt, Hass und Ausgrenzung sind eben auch sächsische Bürgerinnen mit und ohne Migrationsgeschichte. Zum anderen sind es die Gruppen und Personen, die täglich beruflich oder ehrenamtlich für Grundrechte und Pluralismus eintreten und die häufig von Diffamierung, Marginalisierung und Übergriffen betroffen sind. Dennoch ist der Bashingvorwurf überwiegend nichts weiter als eine Abwehr, die Probleme in Sachsen ehrlich zu beschreiben und sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen.

Seit Jahrzehnten ist immer und immer wieder dasselbe Analyseversagen der Regierungsparteien in Sachen zu erleben.

Rassismus, völkische Hetze und antidemokratischer Furor sind weit verbreitet und alltäglich. Rassistinnen und Rassisten morden und brandschatzen von Hoyerswerda bis Arnsdorf seit den 1990er Jahren - mit wechselnder Intensität – und feinden Menschen mit Migrationsgeschichte und Andersdenkende an. Wir erleben seit Jahrzehnten immer und immer wieder dasselbe Analyseversagen der Regierungsparteien in Sachsen und insbesondere der sächsischen CDU, die die völkischen und neonazistischen Tendenzen und Aktivitäten ignorieren und verharmlosen.

Viel zu oft werden menschen- und demokratieverachtendem Reden unwidersprochen und gedankenlos Plattformen in Veranstaltungen und Medien geboten. Wir erleben, wie antifaschistisches Engagement diffamiert wird. Wir sehen tiefverwurzelte Ressentiments, die sich in Verwaltungen niederschlagen: Ordnungsämter behindern demokratischen Protest und machen den Raum für menschenfeindliche Propaganda unnötig weit auf, Sozialämter behandeln sozial Benachteiligte wie migrantische Klientel arrogant und verstehen sich oft mehr als Abwehrbollwerk und Hilfeverhinderer, als als Unterstützungsstruktur für sozialer Rechte. Und das ist über Jahrzehnte eingeübt und belohnt worden.

Die Unterschiedlichkeit in der Behandlung antidemokratischer, rassistischer und nazistischer Aufmärsche und antifaschistischer Demonstrationen kann kaum augenscheinlicher sein. Erinnern wir uns an den Einsatz der sächsischen Polizei mit militärischer Ausrüstung und übergroßer Zahl bei einer antifaschistischen Kundgebung in Wurzen im letzten Jahr und dem hilflosen Mitlaufen der Staatsmacht in Chemnitz am vergangenen Montag. Das ist kein einmaliges Führungsversagen von Polizei und Innenministerium sondern hat Kontinuität von Hoyerswerda über Colditz, Freital, Connewitz, Schneeberg, Heidenau, you name it. Und nun Chemnitz. Keine Überraschung.

Trotz der vielen Fehlleistungen gibt es, von Kabinett zu Kabinett in Sachsen, kaum einen Lerneffekt, keine Umkehr.

Chemnitz liegt unweit von Zwickau. In dieser Region hat das NSU-Netzwerk seine Heimat. Der sächsische Verfassungsschutz hat das Terrornetzwerk gewähren lassen, es geschützt und behindert bis heute die allumfassende Aufklärung. Trotzdem wird er dafür mit Ressourcenaufstockung belohnt und darf weiterhin seine Fehleinschätzungen platzieren und wie jüngst Vereine in der Demokratiearbeit geheimdienstlich bewerten, über deren Förderung durch Ministerien quasi entscheiden und auf Tagungen als Spezialist der Extremismustheorie parlieren. Trotz der vielen so brutal offensichtlichen Fehlleistungen gibt es von Kabinett zu Kabinett in Sachsen kaum einen Lerneffekt, keine Umkehr, keine Klarheit im Reden und Handeln.

Man muss sich in Sachsen einmischen, präzise kritisieren und konkrete und zielgerichtete Unterstützungsangebote machen.

Jan Böhmermanns Hashtag #Nazifreistaat verweist unter anderem darauf, dass Nazis in Sachsen eben alle Freiheit hatten und haben, Strukturen aufzubauen, sich zu organisieren, Gewalttaten zu planen und durchzuführen. Die inneren Kräfte im Bundesland reichen ganz offensichtlich nicht aus, um der verfestigten völkisch-nationalistischen Atmosphäre und der antidemokratischen Praxis an so vielen Stellen in Staat und Gesellschaft allein etwas entgegenzusetzen. Deshalb wünsche ich mir Einmischung in Sachsen. Kritisiert präziser und differenzierter und macht konkrete und zielgerichtete Unterstützungsangebote.

Es braucht Fortbildungen für die sächsische Polizei und Justiz, die deren Verantwortung für die Demokratie klarmacht.

Ich wünsche mir Fortbildungen für die sächsische Polizei und Justiz, die deren Verantwortung für Gewaltenteilung, Grundrechte und Demokratie klarmacht. Ich wünsche mir Austauschprogramme für Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen, um den demokratischen Auftrag gemeinsam herauszuarbeiten und einzuüben.

Ich wünsche mir Interventionen von Bundesvorständen der Parteien, wenn ihre Parteifreund*innen in Sachsen Grundrechte kleinreden und den sogenannten Wutbürgern nach dem Mund reden.

Ich wünsche mir mehr Angebote der Gewerkschaften für ihre Mitglieder, um sie zu ermutigen und zu befähigen, im betrieblichen Alltag für Vielfalt zu intervenieren.

Das Framing der Rechtspopulisten wird oft zu unkritisch übernommen.

Ich wünsche mir Austausch für Journalist*innen zwischen Ost und West, Nord und Süd. Das Framing der Rechtspopulisten wie die „Flüchtlingskrise“, „Merkels Grenzöffnung“ oder „islamkritische“ Pegida wird zu oft unkritisch übernommen. Es gibt viel zu klären, wer in Zeitung, Hörfunk und im „mitteldeutschen“ Fernsehen eine Plattform bekommt und warum.

Ich wünsche mir, dass die Landeskirchen aufeinander zugehen und sich gegenseitig stützen und korrigieren, wenn Kirchgemeinden sich von Rechtspopulist*innen die Themen diktieren lassen.

Ich wünsche mir entschiedene Richtigstellungen von Wissenschaftler*innen, wenn einzelne Professoren in Sachsen unter dem Deckmantel der Wissenschaft eigene, nahe der AfD liegende, Agenden forcieren und so ganz nebenbei völkische Vorstellungen von Gesellschaft legitimieren.

Zeitgenössische Debatten darum, wie wir in einer Demokratie leben wollen, kennen keine Landesgrenzen.

Der Bashing-Vorwurf ist ein Trick, Analyse und Kritik zu verhindern. Zeitgenössische Debatten darum, wie wir in einer Demokratie leben wollen, kennen aber keine Landesgrenzen. Und es ist kein einseitiger Prozess von Belehrung, wir haben viel voneinander zu lernen und etliche Institutionen mischen sich ja auch schon ein und machen Erfahrungen, die es lohnt weiter zu geben. Sachsen ist – auch – ein spannendes Labor für die demokratischen Kräfte.

Lasst Euch also nicht abschrecken vom Bashingvorwurf! Was wir hier unwidersprochen sich entwickeln lassen, wird früher oder später in anderen Regionen und Bundesländern Alltag werden. Mischt Euch ein in Sachsen. Oder wie wir mit Heinrich Böll sagen: „Einmischung ist die einzige Möglichkeit realistisch zu bleiben.“

Der Beitrag wurde zuerst von Tagesspiegel Causa dem Debattenportal des Tagesspiegels veröffentlicht.