Oslo: Welthauptstadt der E-Mobilität

Best Practice

Oslo hat ehrgeizige Ziele: Bis 2030 will Norwegens Hauptstadt klimaneutral werden. Dazu hat die „Grüne Hauptstadt Europas 2019“ die elektrifizierte Verkehrswende eingeläutet.

Kommunale Verkehrswende. Oslo: Welthaupstadt der E-Mobilität. Foto vom Sonnenuntergang in Oslo

Rushhour in Oslo. Im vornehmen Parkveien hinter dem Königsschloss staut sich der Verkehr. Ist wirklich fast jeder zweite Pkw in Norwegens Hauptstadt ein Elektroauto? Ich zähle die vorbeifahrenden Verbrenner und E-Autos anhand der Kennzeichen: vollelektrische Fahrzeuge haben ein „EL“ für „Elektro" oder „EK“ für „Elektrisk Kjøretøys“, norwegisch für Elektroauto. Und tatsächlich: Meine Zufallsstatistik stabilisiert sich schnell bei vierzig Prozent. Und die restlichen sind oft keine reinen Verbrenner, sondern Hybridautos mit Elektro- und Verbrennungsmotor.

Teslas, e-Golfs, i3s, Zoes oder Leafs sind in der selbsternannten „Welthauptstadt der Elektromobilität“ unübersehbar. Das charakteristische leise Summen des E-Antriebs ist für geübte Ohren unüberhörbar. Die Stromer sind ein Segen für alle Fußgänger/innen und Radler/innen, die neben oder hinter einem solchen Auto unbeschwert „durchschnaufen“ können. Bessere Luft ist aber für alle 670.000 Einwohner/innen der Hauptstadt ein Thema. Denn auch Oslo hat Probleme.

Das Problem mit zu hohen Schadstoffwerten

„Obwohl die Stadt an einem Fjord liegt und rund 80 Prozent der Häuser elektrisch beheizt werden, haben wir im Winter zu hohe Schadstoffwerte“, berichtet Jon Stenslet, Projektmanager Elektrobusse bei Ruter AS, dem kommunalen Verkehrsdienstleister der Region Oslo-Akershus. Dort wohnen mehr als eine Million Menschen, ein Fünftel aller Norweger.

Laut norwegischer Umweltbehörde lag der durchschnittliche Stickstoffdioxid-Gehalt (NO2) in der Osloer Luft im Jahr 2016 bei 55 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3). Das nationale Ziel liegt bei 40 µg/m3. Auch der Feinstaubgehalt lag mit 24 µg/m3 über dem nationalen Ziel von 20 µg/m3. Trotz der vielen Elektrofahrzeuge gilt der Verkehr als Hauptquelle für die Schadstoffe.

Bis 2020, so Stenslet, soll der ÖPNV fossil- und bis 2025 weitgehend emissionsfrei werden. Das ist bei der Tunnelbane und der Trikk (U-Bahn und Straßenbahn) sowie den meisten Zügen der Norwegischen Staatsbahnen bereits der Fall. Denn Norwegens Strom ist günstig und stammt fast komplett aus eigener Wasserkraft; was sehr viel ökologischer ist als Strom aus fossilen Brennstoffen. Nur Fähren und Busse haben noch Dieselmotoren. Das soll sich ändern.

Fähren und Busse werden elektrifiziert

Unter anderem mit über 600 Elektrobussen. 76 werden bereits 2019 auf 13 Linien unterwegs sein, darunter 52 Gelenkbusse.Nach intensiven Tests entschied sich Ruter für 40 VDL (Niederlande), 20 BYD („Build Your Dreams“; China) sowie vier Solaris (Polen) und sechs Mercedes-Benz. Sie werden je nach System an der Endhaltestelle oder im Busdepot mit bis zu 400 Kilowatt aufgeladen. Und beim Schiffsverkehr laufen Pilotprojekte mit Hybrid- und Elektrofähren etwa am Sognefjord. Bis 2021 sollen 50 Routen elektrifiziert werden.

Für 61 Prozent aller Emissionen ist in Oslo der Verkehr verantwortlich, vor allem der Individualverkehr mit 39 Prozent. „Unser Ziel ist bis 2020 eine CO2-Reduktion um 50 Prozent, bis 2030 um 95 Prozent im Vergleich zu 1990“, erklärt Oslos grüne Vizebürgermeisterin Lan Marie Nguyen Berg.

Das Interesse der Norweger/innen am elektrischen Fahren hat Geschichte. Von 1991 bis 2011 gab es drei kleine norwegische Firmen, die Elektroautos produzierten. Den „Think“ und den „Kewet Buddy“ sieht man noch heute auf Oslos Straßen. Und mit dem „Paxster“, einem elektrischen Postauslieferungsfahrzeug auf Quad-Basis, gibt es auch aktuell ein Elektrofahrzeug aus landeseigener Herstellung.

Vergünstigungen für Elektroautos

Um die eigene elektromobile Produktion zu protegieren, wurden ab 1990 zahlreiche praktische Regelungen und finanzielle Vorteile für Elektro­mobile eingeführt. Beim Kauf werden weder die sonst übliche Kaufsteuer – bei Verbrennern im Schnitt 10.000 Euro – noch die Mehrwertsteuer von 25 Prozent fällig. Das macht viele E-Autos preiswerter als die Verbrenner-Varianten.

Die Kfz-Steuer für betrieblich genutzte Elektroautos ist um 50 Prozent ermäßigt. Stromer zahlen nur eine niedrige jährliche Straßensteuer und sind von der Maut befreit, die Oslo bereits 1990 eingeführt hat. Sie dürfen Fähren umsonst nutzen, in den Städten umsonst parken und auf Bus- und Taxispuren fahren, wenn sie mit mindestens zwei Personen besetzt sind.

Regierungsprogramme ebnen den Weg

2009 startete die norwegische Regierung ein 7-Millionen-Euro-Programm zum Aufbau von 1.900 Ladepunkten im öffentlichen Raum. 2010 beschloss das Stortinget, das Parlament Norwegens, sämtliche finanziellen Privilegien für Elektroautos zu verlängern, bis 50.000 Fahrzeuge zugelassen sind. Diese Grenze ist mit aktuell über 200.000 Stromern längst durchbrochen, die Förderung läuft weiter.

Automobilkonzerne wie in Deutschland, die die Elektromobilität ausbremsen, haben wir hier nicht“, erklärt Christina Bu, Generalsekretärin der 1995 gegründeten norwegischen Norsk Elbilforening, mit mehr als 50.000 Mitgliedern der stärkste Elektromobilistenclub weltweit.

Jetzt geht es auch noch den Verbrennern an den Kragen. Laut Nationalem Transportplan sollen ab 2025 nur noch emissionsfreie Pkw und Vans verkauft werden dürfen. Wie soll das gehen? „Verbrenner werden über steuerliche Maßnahmen finanziell so unattraktiv, dass sie keiner mehr kauft“, erklärt Christina Bu, die enge Kontakte zur Politik pflegt. Im Parlament waren sich jedenfalls alle einig – von links bis rechts.

Europas Grüne Hauptstadt Oslo

Und das wird auch nötig sein, denn die Stadt tritt auf der Stelle: Die Treibhausgasemissionen sind seit 1990 nicht gesunken, sondern um 25 Prozent gestiegen. Ursache: Mit seiner hohen Lebensqualität gehört Oslo zu den am stärksten wachsenden Städten Europas. Bis 2030 wird ein weiteres Bevölkerungswachstum um 30 Prozent erwartet. So nimmt auch der Verkehr weiter zu statt ab.

Daher haben Stadtrat und Stadtverwaltung, beide seit 2015 rot-grün dominiert, Oslo die Verkehrswende verordnet. Die im Juni 2016 verabschiedete Klima- und Energiestrategie setzt in 16 Handlungsfeldern ambitionierte Ziele. Unter anderem sollen Radfahrer/innen und Fußgänger/innen mehr Verkehrsflächen erhalten. Bereits 2019 soll das Stadtzentrum autofrei werden. Es wäre wichtig, dass das klappt, denn 2019 erwartet die Stadt am Fjord extra viele Gäste: Sie ist ein Jahr lang „Europas Grüne Hauptstadt“.