Bürger/innen an der Verkehrsplanung beteiligen

Praxistipp

Auf Veränderungen vor der eigenen Haustür, wie den Bau einer Straßenbahntrasse, reagieren Anwohner/innen oft emotional. Mit Beteiligungsprozessen können Kommunen ihre Zustimmung gewinnen und von ihrer Ortskenntnis profitieren.

Kommunale Verkehrswende_Praxistipp für Bürger/innenbeteiligung in der Verkehrsplanung. Foto von Menschenmenge

Wenn in einer Stadt der Bau von Straßen, Bahntrassen oder Radwegen ansteht,  haben Anwohnerinnen, Anwohner und Einzelhändler/innen viele Fragen. Die einen wollen wissen, wie hoch die Abgasbelastung in ihrem Quartier nach dem Ausbau der Straße ist. Oder wie laut es in der eigenen Wohnung wird, wenn die Straßenbahn in Zukunft vor dem Haus vorbeifährt. Die anderen fragen sich, wo ihre Kundschaft parken soll, wenn Stellplätze einem breiten Radweg weichen müssen. Beteiligungsprozesse, sowohl zur Information als auch zur Mitgestaltung, helfen, die Zustimmung der Bürger/innen und der Zivilgesellschaft zu Bauvorhaben zu gewinnen. Zudem beauftragen Städte für die Stadt- und Verkehrsplanung oft externe Planungsbüros, denen die Ortskenntnis fehlt. Durch den Austausch mit Anwohnerinnen und Anwohnern gewinnen die Planer/innen Erkenntnisse, die ihnen helfen ihre Entwürfe zu verbessern. Die gesetzlich vorgeschriebene Information der Bürger/innen reicht dazu nicht aus.

Es werden zwei Arten der Bürgerbeteiligung unterschieden, die formelle Variante ist gesetzlich vorgeschrieben. Städten und Gemeinden informieren die Beteiligten (Bürger/innen, Einzelhändler, zivilgesellschaftliche Akteure, Verbände, Industrie- und Handelskammern) über Bauvorhaben beispielsweise auf Bürgerversammlungen, durch Planaushänge an öffentlichen Orten wie im Rathaus oder auf der städtischen Website (E-Partizipation). Die Beteiligten haben dann die Möglichkeit, Stellungnahmen, Einwände, Bedenken oder Anregungen bei der zuständigen Behörde einzureichen. Die Kommune muss die Relevanz der Stellungnahmen für das Verfahren prüfen und sie entsprechend berücksichtigen. Es findet eine 1:1-Kommunikation zwischen den Beteiligten und den Behörden statt. Ein Dialog zwischen den Beteiligten ist nicht gesetzlich vorgeschrieben.

Die informelle Bürgerbeteiligung führen Kommunen freiwillig durch. Dabei suchen sie den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Vertreterinnen und Vertretern von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Beispiele für informelle Bürgerbeteiligung sind Zukunftswerkstatt, Bürgergutachten oder Beteiligungsplattformen im Internet.

Bremen: Ortskenntnis von Bürgerinnen, Bürgern und Verbänden nutzen

Die Stadt Bremen führte rund um die Erstellung ihres Verkehrsentwicklungsplans 2025 (VEP) zwischen Sommer 2012 und Herbst 2014 einen der größten Bürgerbeteiligungsprozesse durch, den es im Verkehrssektor in Deutschland bislang gab. Der VEP ist die Grundlage der strategischen Verkehrsplanung in der Hansestadt bis zum Jahr 2025 und soll dafür sorgen, dass die einzelnen verkehrlichen Maßnahmen zueinander passen und dem Erreichen derselben Ziele dienen.

In über 40 Bürgerforen und Regionalausschüssen diskutierten Vertreter/innen der Stadtverwaltung und Gutachter/innen mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Interessengruppen wie ADAC, ADFC, dem ökologischen Verkehrsclub VCD, Umweltverbänden und der Industrie- und Handelskammer. Zudem führte die Stadt auf der Internetplattform bremen-bewegen.de ein vierstufiges Online-Beteiligungsverfahren durch.

Zunächst führten Gutachter/innen für den Bremer Senator für Umwelt, Bau und Verkehr (Bezeichnung sowohl für das Landesministerium als auch den Landesminister) eine Chancen- und Mängelanalyse zum Zustand des örtlichen Verkehrsnetzes durch. In der ersten Runde des Online-Beteiligungsverfahrens konnten die Beteiligten die Analyse einsehen und der Stadt mitteilen, wo sie Verbesserungsbedarf sehen: Sie meldeten beispielsweise Lücken im Rad- und Fußverkehrsnetz, stauanfällige Straßen oder Quartiere, die schlecht an den ÖPNV angebunden sind. Die Stadt veröffentlichte die über 4.000 Beiträge online.

In den weiteren Phasen entwickelte die Stadt verschiedene Zukunftsszenarien, prüfte die enthaltenen Maßnahmen auf Wirksamkeit und Umsetzungskosten und wählte die geeignetsten Maßnahmen für den VEP aus. In einem letzten Schritt legte sie fest, welche Maßnahmen Priorität bei der Umsetzung haben. Nach jedem dieser Schritte veröffentlichte die Stadt auf bremen-bewegen.de die Zwischenergebnisse der Planung, rief die Beteiligten auf, diese zu bewerten und eigene Vorschläge einzubringen. Die Erkenntnisse aus dem Beteiligungsprozess sind mit in den VEP eingeflossen.

Wenn Kommunen ausschließlich auf die formellen Beteiligungsverfahren setzen, also die Beteiligten informieren und ihnen die Möglichkeit der Stellungnahme einräumen, fehlt eine Dialogplattform, um Konflikte zwischen verschiedenen Interessengruppen zu lösen. Schafft eine Stadt Raum für den Dialog zwischen allen Akteuren wie in Bremen, kann ein für alle Parteien zufriedenstellendes Ergebnis gefunden werden. Die Bremische Bürgerschaft hat den Verkehrsentwicklungsplan 2025 am 23. September 2014 einstimmig beschlossen und so die Weichen für nachhaltige Mobilität in der Hansestadt gestellt.

Wuppertal: Bürgergutachten für eine Seilbahn

Ein weiteres Beispiel für gelungene Bürgerbeteiligung stammt aus Wuppertal. Dort wird bereits seit 2014 über den Bau einer in den öffentlichen Verkehr integrierten Seilbahn diskutiert. Diese soll den Hauptbahnhof mit dem Unicampus und dem auf einem 325 Meter hohen Bergkamm gelegenen Quartier Küllenhahn verbinden. Im Auftrag des Stadtrates erstellten 48 Bürger/innen aus unterschiedlichen Berufs- und Altersgruppen und mit unterschiedlichen Nationalitäten ein Bürgergutachten. Ziel des Stadtrates war es, herauszufinden wie die Bürger/innen über das Seilbahnprojekt denken. Nach vier Tagen, die von Ortsbesichtigungen und intensiven Diskussionen geprägt waren, stimmten die Bürgergutachter/innen mit 37 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung dafür, dass die Stadt die Planung der Seilbahn fortsetzt. Das „nexus Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung“ aus Berlin, das den Prozess begleitete, erstellte ein 72-seitiges Gutachten, in dem die Empfehlungen der Bürger/innen an die Stadt festgehalten sind. Das Gutachten wurde am 4. November 2016 übergeben.

Im November 2018 beauftragte der Stadtrat die Stadtverwaltung, einen Vorschlag für einen Bürgerentscheid über den Bau der Seilbahn zu machen. Dieser wird voraussichtlich 2019 stattfinden.