Ostdeutschland: Mitglied der Band Feine Sahne Fischfilet wird von Fans auf Händen getragen

Wie Wacken ohne Schlamm

Feine Sahne Fischfilet kommen aus Mecklenburg-Vorpommern und wollen da auch nicht weg. Sie machen mehr lauten als leisen Punkrock und engagieren sich gegen «Faschoschweine» – vor allem im Osten. Ein Konzert­besuch in Brandenburg an der Havel.

Keine zwei Taktschläge, dann treffen dich Härte und Liebe und Testosteron. Die ersten Sekunden sind wie ein Schock: Wer bis eben den Kosmopoliten geben wollte und dachte, was genau soll jetzt in Brandenburg gehen – der Stadt? Und dann als Nächstes die Tram vor der Jugendkulturfabrik über Kopfsteinpflaster abrattern sah, um beim Blick auf die Technische Hochschule gegenüber schlechte Vibes zu kriegen – diese Erinnerung an den Studium-in-der-Provinz-Schleier; immer war man müde oder Winter – der kann sich jetzt ordentlich Schweiß vom Nacken wischen.

In der Kulturfabrik ist es nassheiß, kambodschaheiß. Es tropft von den Rohren an der Decke, und es tropft von Monchis Stirn – vom Sänger der Punkrocker Feine Sahne Fischfilet, über die zuletzt viel zu lesen war. Die, anders als andere Bands, keine Hits zum «Warmwerden» brauchen. Es geht sofort los, sprichwörtlich, «es geht los, es geht los heute Nacht» – so starten sie mit dem ersten Song ihres ersten Konzertes der «Alles auf Rausch»-Tour. Die Strophe fällt einfach in den Raum, besser: in ein größeres Wohnzimmer, vollgestopft mit Menschen, die schwarze Fan-Shirts tragen. Viele mit demselben Aufdruck auf dem Rücken: «Niemand muss nüchtern sein.»

Man muss sich das Bild für Bild vorstellen: Ein paar «Alerta, Alerta, Antifascista!»-Rufe hallen durchs Publikum. Die Scheinwerfer gehen an. Und dann laufen sechs Männer aus Mecklenburg-Vorpommern auf die Bühne, die Christoph Sell, Kai Irrgang, Olaf Ney, Jacobus North, Max Bobzin und Jan «Monchi» Gorkow heißen. Der Sänger kippt Bier in geöffnete Münder der vorderen Reihen, über Arme, Haare, Augen, er nimmt selbst einen Schluck und spuckt ihn in die Menge. Links stagedived ein Mädchen in fremde Hände, rechts ein Typ, und dann wirft sich Monchi in die Mitte, dessen Körper in den meisten Texten über Feine Sahne Fischfilet Erwähnung findet. Und wie auch nicht? Der Mann ist eine Wucht. Ehrensache, dass ihn die Fans halten – nicht nur in Brandenburg an der Havel. Auch im Leben. «Die geilen Leude halt», wie sie sagen.

Lieber reißen sie was, besingen ihr Zuhause.

Aber nur um die geht es ihnen nicht. Es geht auch um die Sache, ums Linkssein inmitten des Rechtsrucks. Feine Sahne Fischfilet machen Politik, und das mit Leidenschaft. «Radikal», werfen ihnen manche vor. Beinahe jeder Facebook-Post, den sie schreiben, ist ein Aufruf zur Solidarität. «Was zu reißen» im Kampf gegen die «Faschoschweine». «Wenn wir sehen, dass ihr kotzt, geht es uns gut», heißt es auf dem neuen Album. Wobei sich ihnen die Frage nicht stellt, ob man mal von der Ostsee wegziehen sollte, wenn man wie sie aus Demmin, Wismar, Rostock, Hanshagen, Loitz, Greifswald und Jarmen stammt. Im Gegenteil. Lieber reißen sie was, besingen ihr Zuhause. «Zuhause heißt: Wir schützen uns alle, alle sind gleich.» Organisieren ein Open Air, das den Namen «Wasted in Jarmen» trägt, 2016, direkt vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Unter dem Motto «Noch nicht komplett im Arsch» ziehen sie gegen AfD und NPD durchs Bundesland, mit Lesungen und Partys. «Leute ansprechen, die sich in ihrer Gegend ganz einfach nicht trauen, den Mund aufzumachen.»

Wären Feine Sahne Fischfilet nicht seit Langem sichtbar in Sorge um die Zukunft der Republik, man könnte ihre Aktionen für eine Masche halten. Eine für die geilen Leute: Sie verlosen Gästelistenplätze an die Kinder von AfD- und CDU-Wählern. In ihren Musikvideos sind Anarchiezeichen und «FCK NZS»-Shirts «in». Und 2012, als sie erneut im Verfassungsschutzbericht von Mecklenburg-Vorpommern erwähnt werden – 2011 meinte man eine «explizit antistaatliche Haltung» bei ihnen erkannt zu haben –, stellen sie dem Verfassungsschutz einen Präsentkorb vor die Tür. Danke, super Promo und so!

Sechs Jahre später braucht es eigentlich keine Promo mehr, da kommt der Ruhm wie von selbst. Schon allein weil die politische Bewegung wächst, die Feine Sahne Fischfilet hört – und derselben Ablehnung entspringt, die die Band seit jeher treibt. Mit dem Aufstieg rechter Parteien wird das linke Engagement größer. Und damit auch Feine Sahnes Erfolg. Im September treten sie in Chemnitz vor 65.000 Menschen auf, die zeigen wollen: «Wir sind mehr». Im Oktober werden sie für den MTV Europe Music Award nominiert, als «Best German Act». Und dann folgt auch noch der «Bauhaus-Skandal».

Eine Flasche Pfeffi gibts dazu.

Das ZDF will seine Konzertreihe im Dessauer Bauhaus fortsetzen und dort am 6. November einen Auftritt von Feine Sahne Fischfilet aufzeichnen. Binnen Tagen werden FSF zum gesamtdeutschen Politikum: auf Druck von AfD, CDU und der lokalen Neonaziszene wird das Konzert abgesagt. Der Regierungssprecher von Sachsen-Anhalt hält die Einladung für «schwer bis nicht nachvollziehbar». Die Bauhaus-Direktorin erklärt, sie habe auf diese Weise rechte Aufmärsche verhindern wollen. Und überhaupt, Punkrock in den Hallen? Das Bauhaus ist Weltkulturerbe. Wenn da die Glasfassade wackelt!

Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer lädt die Band ins Bauhaus-Archiv der Hauptstadt ein. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters bezeichnet die Entscheidung, das Konzert abzusagen, als «fatales Zeichen» – und erinnert an die Kunstfreiheit, die hierzulande «durch Artikel 5 im Grundgesetz hohen Verfassungsrang» genieße.

Der Fall ist ein Eklat.

Und Feine Sahne?

Setzen erst mal noch einen Facebook-Post ab. «Es ist doch wohl klar, dass wir am 6.11. in Dessau spielen werden!»

Sie verlagern ihr ZDF-Konzert vom Bauhaus ins Brauhaus. Jede Zeitung berichtet, das Bauhaus Dessau stellt seine Pressesprecherin frei. Ist doch wohl klar, dass die Band dort noch schnell vorbeifährt, kurz vor ihrem Konzertbeginn, und sich mit einer Urkunde für die «PR-Aktion des Monats» bedankt. Eine Flasche Pfeffi gibts dazu.

Wer umfällt, wird hochgehoben.

Und ist doch wohl auch klar, dass da der Punk zwei Tage später, am 8. November, erst recht weitergeht. Zum Glück «nicht in einer Stadt wie Berlin oder Hamburg», wie Gitarrist Christoph Sell sagt. «Sondern in einer Kleinstadt» – außerhalb der We’re-all-so-liberal-and-international-Blase –, wo Sich-einig-Sein ein bisschen schwerer fällt. In Brandenburg also, im Haus der Offiziere, der Jugendkulturfabrik.

Es ist quasi Wacken – etwas kleiner und ohne Schlamm. Die Leute rempeln und pogen, die Moshpits entstehen und vergehen. Wer umfällt, wird hochgehoben. Ständig ziehen sich irgendwelche Fans auf die Bühne, eine – Steffi – geht erst gar nicht mehr. Monchi fragt: «Stefanie, alles gut bei dir? Nimm dir nochn Bier. Greif zu.» Dann singt er Klaus Lage und holt noch eine Flasche Pfeffi für alle, «taaauuusend Mal berührt, tausend Mal is’ nix passiert». Ein Mann crowdsurfed neben seinem gut zehnjährigen Sohn, Monchi holt den Jungen aus der Masse und hebt ihn auf seine Schultern. Er hebt das Mikro für ein bisschen Pathos und Glück. «Das ist für alle», sagt er, «die sich auf und über das Mittelmeer machen, um Menschen zu retten. Menschen, die in erster Linie Menschen sind. Und nicht: Juden, Christen oder Muslime.»

«Was für ein Schweineglück wir haben», sagt er, «auf diesem Fleckchen Erde geboren zu sein.»

Und: «Ihr da vorne! Klappt ihr mir um?»

Hinten, auf der Empore, wo sie von oben Bier runterschütten und von unten Becher hochgeschleudert bekommen, wo sie sich abwechselnd den Mittelfinger und mit zwei Händen geformte Herzen zeigen – dort sagt noch Mike: «Hier neben mir steht übrigens Monchis Schwager.» Mike ist Feuerwehrmann. Hergekommen mit vier anderen Feuerwehrmännern aus Eisenhüttenstadt, «vom Lehrgang», erzählt er – darunter auch Monchis Schwager, «der musste fahren».

Es dauert nicht lange, bis Monchi auf der Bühne nach diesem Schwager verlangt. «Los, bringt ihn runter!», ruft er. «Tragt ihn durch den Raum!» Es gibt Küsse auf die Stirn, «ich mach Fotos für meine Schwester», es gibt Küsse auf den Kopf. Zugaben gibt es, «Ausziehen, ausziehen!»-Chöre. Mehr Pfeffi, mehr Bier, «Komplett im Arsch», «Alles auf Rausch». Es gibt eine Fünfzig-Grad-Energie, die dir das Atmen schwer macht und dich im Glauben lässt, die Welt sei längst nicht verloren.

Es gäbe stattdessen was zu reißen, heute noch.

Gleich.

Jetzt!

«Könnt ihr noch?» – «Jaaaaaa!» – «Scheiße.»


Annabelle Seubert, geboren 1985 in Bad Mergentheim, hat an der Universität der Künste Kulturjournalismus studiert. Sie ist Autorin und Redakteurin bei der taz am Wochenende.

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