Potenziale für Klimaschutz und ökologische Modernisierung in Belarus

Belarus konnte die Energieintensität seiner Wirtschaft bereits vergleichsweise stark reduzieren. Dennoch zeigt das Land im Rahmen des Pariser Klimaabkommens nur wenig Ambitionen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen. 

Kraftwerk in Belarus inmitten Landschaft mit Nadelbäumen

Belarus konnte die Energieintensität seiner Wirtschaft bereits vergleichsweise stark reduzieren. Effizienz ist ein strategisches Ziel, das mit konkreten Maßnahmen hinterlegt wurde. Dennoch zeigt das Land im Rahmen des Pariser Klimaabkommens nur wenig Ambitionen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Die im Oktober 2018 präsentierte Studie „Energy [R]Evolution Scenario Belarus“ entwirft einen ökonomisch tragfähigen Entwicklungspfad für eine weitgehende Dekarbonisierung des Landes im Einklang mit den globalen Klimazielen.

Belarus war einer der ersten Unterzeichner-Staaten der Pariser Klimavereinbarungen von 2015, mit denen sich die Weltgemeinschaft dem Ziel der Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius verschrieben hat. Der jüngste Bericht des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) warnt vor katastrophalen Folgen einer Überschreitung dieser Marke und fordert eine Senkung der globalen Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent bzw. bis 2050 auf Netto-Null. Welchen Beitrag möchte und kann Belarus leisten?

Hintergrund

Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und den folgenden ökonomischen Kollaps hatten sich die Treibhausgas-Emissionen von Belarus in der ersten Hälfte der 1990er Jahre um mehr als 40 Prozent reduziert. Zwischen 2002 und 2013 stiegen die Emissionen zwar wieder um gut 20 Prozent an, der Zuwachs blieb aber deutlich unter dem der Wirtschaftsleistung, die sich im selben Zeitraum ungefähr verdoppelte.

Entsprechend verringerte sich die Energie- und Kohlenstoffintensität der Volkswirtschaft erheblich – jetzt liegt sie nur noch anderthalbmal so hoch wie im Durchschnitt der OECD-Länder. Auch dank gezielter Maßnahmen zur Effizienzsteigerung steht Belarus damit heute besser da als etwa die Nachbarn Russland und Ukraine. Die Stromerzeugung basiert ohnehin fast ausschließlich auf dem im Vergleich zur Kohle klimafreundlicheren Erdgas. Die CO2-Emissionen pro Kopf lagen 2014 bei 6,7 Tonnen, gegenüber 11,8 in Russland, 8,9 in Deutschland und 7,5 in Polen.

Die „Nationale Nachhaltigkeitsstrategie“ und das „Energiesicherheitskonzept“ von Belarus (beide von 2015) fixieren die wichtigsten energiepolitischen Zielsetzungen und Indikatoren. Der Anfang 2017 bestätigte Aktionsplan zur Umsetzung der Pariser Klimavereinbarungen sieht die Aufstellung eines klimapolitischen Rechtsrahmens bis 2020 vor, nachfolgend zum bestehenden Maßnahmenplan zur Reduzierung der Folgen des Klimawandels für den Zeitraum 2012-2020.

Ebenso sollen Programme für die Entwicklung der wichtigsten Wirtschaftssektoren im Zeitraum 2020 bis 2030 erarbeitet werden, die Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen festlegen sollen. Ferner sind die Ausarbeitung einer Dekarbonisierungsstrategie bis 2050 und eines „Nationalen Aktionsplanes“ zur Anpassung an den Klimawandel geplant.

Die Verringerung der Energieintensität ist ein strategisches Ziel im Energiesicherheitskonzept. Das „Nationale Energieeffizienzprogramm“ konkretisiert die Umsetzung, beispielsweise mit klaren Indikatoren für die Modernisierung von Industrieanlagen und zur Verringerung der Verluste in (Fern-)Wärmeleitungen. Nationale technische Standards werden vielfach analog zu EU-Regularien festgelegt.

In dem gemäß dem Pariser Abkommen eingereichten „Nationalen Beitrag“ (NDC) von Belarus zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen bietet das Land eine Senkung um 28 Prozent bis 2030 an, bezogen auf das Emissionsniveau des Jahres 1990. Allerdings lagen die Emissionen im Jahr 2014 nur bei rund 66 Prozent des Niveaus von 1990, so dass das Ziel faktisch eine deutliche Steigerung der Emissionen ermöglichen würde und damit als vollkommen ambitionslos eingestuft werden kann.

Umso mehr, als die genannten Dokumente andererseits sogar ein deutliches Potenzial für eine mögliche Steigerung der Energieeffizienz erkennen lassen. Komplett vernachlässigt bleibt der Ausbau der Erneuerbaren Energien, die bis zum Jahr 2030 lediglich einen Anteil von 8 Prozent (bzw. 9% bis 2035) am Primärenergiebedarf decken sollen.

Einzelne Problempunkte

Die belarussische Klimadiplomatie verweist vor allem auf die eigene ökonomische Schwäche und fehlende Finanzmittel, um die modernste verfügbare Technologie nutzen und somit ambitioniertere Ziele erreichen zu können. In seiner Rede auf der Kattowitzer Klimakonferenz im Dezember 2018 forderte der belarussische Umweltminister Andrei Khudyk Zugang zu den Fonds, die im Rahmen des Pariser Abkommens für die Entwicklungsländer zur Verfügung gestellt werden.

Hier scheint Belarus also zu pokern, obwohl man im Rahmen des Kyoto-Protokolls seinerzeit mit einer ähnlichen Strategie auch schon gescheitert war und am Ende keinen Zugang zu den flexiblen Mechanismen bekam. Allerdings ist Belarus in der Klimakonvention von Kyoto ein „Annex1-Land“, also eines der Industrie- und Transformationsländer, die die größten Anstrengungen unternehmen sollen.

Für die belarussische Zivilgesellschaft nahm unter anderem Anastassia Bekisch an der Konferenz in Kattowitz teil. Die Klimapolitik-Expertin des „Belarussischen Grünen Netzwerks“, einer Koalition von Umweltorganisationen und Aktivist/innen, kritisierte, die Regierung habe ihre kompetenten Expert/innen gar nicht erst nach Kattowitz entsandt und keine konstruktive Haltung gezeigt. Statt nur Geld zu fordern, solle man lieber proaktiv vorgehen, dann bestünde auch Zugang zu entsprechenden Investitionsfonds, etwa jenen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Der Elefant im Raum der Energiewirtschaft in Belarus ist zweifelsohne das neue Atomkraftwerk in Ostrowez, dessen erster Block mit einer Kapazität von 1,2 Gigawatt bereits 2019 ans Netz gehen könnte. Ein zweiter ebensogroßer Block soll etwas später folgen. Die Reaktoren werden mit 18 Mrd. Kilowattstunden pro Jahr ungefähr die Hälfte des aktuellen jährlichen Stromverbrauchs des Landes generieren. Ein gigantischer Überschuss würde entstehen.

Die Nachfrage liegt dank der gestiegenen Effizienz aber auch aufgrund der Wirtschaftskrise 2014-2016 weit unter den anfänglichen Prognosen. Die derzeit allein durch Gaskraftwerke installierte Leistung von 10 Gigawatt mit einer Stromerzeugung von 36 Mrd. Kilowattstunden pro Jahr wäre vollkommen ausreichend. Gasbasierte Stromerzeugung kann andererseits auch nur zu einem kleinen Teil durch Atomkraft ersetzt werden, da sie flexibler und in vielen Fällen mit der Wärmeversorgung verknüpft ist.

Aus dieser Situation erklären sich die geringen Ambitionen beim Ausbau erneuerbarer Energien. Zusätzliche Stromerzeugung, etwa aus Windkraft oder Photovoltaik, würde den Stromüberschuss noch vergrößern. Ein Kabinettsbeschluss der belarussischen Regierung deckelte 2015 mit sehr niedrigen Quoten den weiteren Ausbau von Wind und Solarenergie.

Nun droht Belarus beim Ausbau der erneuerbaren Energien im globalen Vergleich den Anschluss zu verlieren. Dass Wind und Solar global immer billiger werden, ist hier zunächst nicht hilfreich, da die vielen Milliarden für das AKW ja bereits ausgegeben wurden und der Staat für die Bedienung der russischen Kredite zum Bau des Kraftwerks garantiert.

Das eigentliche strategische Ziel zur Erhöhung der Energiesicherheit wird mit dem AKW zudem nur teilweise erreicht. Zwar dürfte relativ die Abhängigkeit vom wichtigsten Energieträger Erdgas (und von dessen Weltmarktpreis) sinken. In Bezug auf die Brennstäbe des AKW ist Belarus aber ebenso wie beim Erdgas auf Lieferungen aus Russland angewiesen. Eine Diversifizierung der Lieferquellen gelingt somit nicht.

Energy [R]Evolution Szenario

Nach anderthalb Jahren Diskussionen und Modellierungen wurde im Oktober 2018 in Minsk die Studie „energy [r]evolution – A Sustainable Belarus Energy Outlook“ präsentiert. Auf Initiative des belarussischen „Grünen Netzwerks“ („Seljonaja Set“), einem Zusammenschluss von Umweltorganisationen und Aktivisten, und mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung berechnete das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein Szenario, wie Belarus bis zum Jahr 2050 seine Wirtschaft und seine Energieversorgung im Einklang mit den Pariser Klimazielen weitestgehend dekarbonisieren könnte.

Im Ergebnis kommt die Untersuchung zu dem Schluss, dass eine derartige Transformation der Wirtschaft technisch und ökonomisch sinnvoll umsetzbar wäre. Dabei würde sich – unter der Annahme eines Wirtschaftswachstums von 2,25-3,25 Prozent pro Jahr – der Energieverbrauch bis 2050 im Vergleich zu 2014 dank steigender Effizienz um 24 Prozent reduzieren.

Die Erneuerbaren erhielten bis 2030 einen Anteil von 26,6 Prozent an der Primärenergieversorgung, bis 2050 könnten 80 Prozent erreicht werden. Dafür würden der Transport- und der Wärmesektor teilweise elektrifiziert und der Stromverbrauch würde sich bis 2030 um 43 Prozent erhöhen und sich bis 2050 sogar verdoppeln.

Dank steigender Effizienz und dem Ersatz fossiler Brenn- und Treibstoffe ließen sich so die CO2-Emissionen bis 2030 auf 38 Prozent und bis 2050 auf 7 Prozent des Niveaus von 1990 reduzieren. Mit 2 Mrd. US-Dollar pro Jahr müsste für diesen Umbau der Volkswirtschaft deutlich mehr investiert werden als im Vergleichsszenario, in dem von einer bloßen turnusmäßigen Erneuerung der heutigen Energieinfrastruktur mit mäßiger Effizienzsteigerung ausgegangen wird.

Dieser Mehrbedarf an Investitionsmitteln würde jedoch durch die Einsparung von Importen fossiler Energieträger vollständig kompensiert. Nicht zuletzt ließe sich mit der Orientierung auf weitgehend lokal generierte erneuerbare Energie die Energiesicherheit des Landes deutlich verbessern. Über 60 Prozent der erneuerbaren Stromerzeugung käme aus Solarenergie, knapp 30 Prozent aus Wind, der Rest hauptsächlich aus Biomasse. Die Kalkulation für 2050 enthält keinen Atomstrom, da in der Studie von einer Abschaltung des Kraftwerks nach 30 Jahren Laufzeit ausgegangen wird.

Wie in jeder längerfristigen Projektion sind die Annahmen für die fernere Zukunft natürlich mit einigen Unsicherheiten behaftet. Der Vergleich mit anderen globalen Szenarien zeigt aber, dass in der vorliegenden Untersuchung eher konservativ gerechnet wurde.

So hält die Studie "Global Energy System based on 100% Renewable Energy – Power Sector" der finnischen Lapeenranta University of Technology von 2017 sogar eine sichere Stromversorgung von 100 Prozent auf Basis von Erneuerbaren im Jahr 2050 für technisch machbar und ökonomisch vorteilhaft, während im „Energy [R]Evolution Belarus Szenario“ lediglich 92 Prozent angenommen werden und ein Erdgasanteil zum Ausgleich in besonders lang anhaltenden wind- und lichtarmen Zeiten des Jahres verbleibt. Auch wurden keine Preise für CO2 eingerechnet. Kämen diese zum Gaspreis hinzu, so würde das [R]Evolution Szenario im Kostenvergleich noch günstiger abschneiden. Nicht berechnet wurden außerdem mögliche Importe von möglicherweise preiswerterem erneuerbaren Strom etwa aus der Ostseeregion.

Endenergieverbrauch Belarus nach Sektoren in Petajoule / Jahr, Referenz- und [R]Evolution-Szenarien im Vergleich.

Ausblick

Im Bereich der Steigerung der Energieeffizienz verfolgt Belarus zumindest im Regionalvergleich eine konsequente und konstruktive Politik. Die Ziele der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, der Energiesicherheit und des Klimaschutzes können auf diesem Gebiet gleichermaßen erreicht werden. Weitere Potenziale verbleiben, v.a. im Wohnungssektor – dessen ist man sich in Belarus bewusst.

Die Herausforderung besteht in der Mobilisierung der notwendigen Ressourcen für ein ambitioniertes weiteres Vorgehen. Dies betrifft nicht nur die Finanzierung, sondern auch das Know-How der Beteiligten. Eine positive Dynamik ist hierfür entstanden. So ist zum Beispiel das belarussische Städtenetzwerk im Rahmen der gesamteuropäischen Initiative „Konvent der Bürgermeister für Klima und Energie“ in den letzten beiden Jahren deutlich gewachsen, und viele Aktivitäten sind in Gang gekommen.

Das neue Atomkraftwerk generiert für die nächsten Jahre einen Überschuss bei der Stromerzeugung im Land. Aus Klimaschutzsicht wären die gigantischen Investitionen für das Kraftwerk weit besser angelegt gewesen, wenn sie in Effizienz und Erneuerbare geflossen wären. In der jetzigen Situation wird dadurch der nötige Ausbau der global so sehr boomenden Erneuerbaren in Belarus abgebremst. Die Staatsfinanzen sind durch die Kreditverpflichtungen gegenüber Russland belastet. Prinzipielle Vorbehalte gegen Atomkraft aufgrund ungelöster Sicherheits- und Entsorgungsfragen seien an dieser Stelle ausgeklammert.

Wie die Energy [R]Evolution-Studie aufzeigt, wird für einen klimafreundlichen Entwicklungspfad mittelfristig aber ohnehin mehr Strom benötigt, um damit v.a. Öl als Energieträger für Transport zu ersetzen. Die in Belarus zuletzt verstärkt geführte Debatte um Elektromobilität und Elektrifizierung von Bussen kann also durchaus als pragmatischer Ansatz verstanden werden, mit der Ausgangslage umzugehen.

Die Distanzen innerhalb des Landes sind nicht übermäßig groß, so dass die Reichweitenfrage von Elektroautos weniger problematisch scheint als in anderen Ländern. Erste Programme zum Aufbau der nötigen Infrastruktur für Elektromobilität wurden gestartet. Aus Klimaschutzsicht noch wirksamer sind Maßnahmen zur weiteren Elektrifizierung von Bussen und Bahnen, die Mobilität ressourcenschonender anbieten können als Pkw. So waren 2016 nur 21 Prozent der Bahnstrecken im Land elektrifiziert.

In den Städten bergen Erweiterungen von Straßenbahn- und Trolleybussystemen großes Potenzial, nicht nur für Einsparungen von Dieselverbrauch, sondern auch für die Verbesserung der Luftqualität. Know-How sowohl für den Bau von Trolley- als auch von rein batteriebetriebenen Bussen ist beim belarussischen Hersteller „Belkommunmasch“ vorhanden. Bereits im Frühjahr 2019 werden weitere neue Elektrobusse an die Minsker Verkehrsbetriebe übergeben.

Belarus hat damit im Prinzip also gute Voraussetzungen für eine Vorreiterposition auf dem Gebiet, wenn die Verkehrspolitik insgesamt die Förderung des öffentlichen Verkehrs und des Eisenbahnwesens zur Priorität gegenüber dem Individual- und dem Straßengüterverkehr macht.

Ein erheblicher Wandel von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung wird auch auf die Industrie zukommen, die sehr auf die Weiterverarbeitung von importiertem Öl- und Gas und deren Reexport ausgerichtet ist. Sofern die EU die Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft vorantreibt werden hier die Absatzmengen tendenziell schrumpfen.

Die wenig ambitionierte Haltung von Belarus im Pariser Klimaprozess, die bis 2030 sogar Emissionssteigerungen vorsieht, hat mutmaßlich v.a. taktische Gründe, um für spätere Verschärfungen der Klimaziele durch Entgegenkommen einen Zugang zum internationalen Klimafinanzierungsfonds herausverhandeln zu können. Schon mit der bloßen Fortschreibung bestehender Maßnahmen zur Verringerung der Energieintensität würden sich die Treibhausgasemissionen im Referenzszenario der Modellierung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt bis 2030 im Vergleich zu 2014 nicht erhöhen.

Die Energy [R]Evolution Studie entwirft ambitionierte Pfade in Richtung größerer Nachhaltigkeit, höherer Energiesicherheit und effektiverem Klimaschutz. Sie versteht sich als Beitrag für die so wichtige Modernisierungsdebatte im Land.


Download: Energy [R]evolution: a Sustainable Belarus Energy Outlook

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in den Belarus-Analysen Nr. 41 (2019)