Brexit: Rassismus gegenüber Muslimen und Musliminnen in Großbritannien

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In Großbritannien leben etwa 3,3 Millionen Musliminnen und Muslime – etwa so viele wie die Zahl der Europäer/innen, die in Großbritannien leben. Für lange Zeit schien Großbritannien ein sicheres Land in Europa für alle Religionsgruppen zu sein. Doch seit der Brexit-Kampagne nehmen Diskriminierung und Angriffe auf britische Musliminnen und Muslime verstärkt zu.

Brexit: Rassismus gegenüber Muslim/innen in Großbritannien: Foto - Wandmalerei von einer Frau mit Kopftuch
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Seit dem Brexit haben Übergriffe vor allem auch auf muslimische Frauen verstärkt zugenommen

Insbesondere durch das Brexit-Referendum 2016, sowie die Terroranschläge im Jahr 2017 – an der Westminster Bridge am 22. März 2017, in Manchester am 22. Mai 2017 und an der London Bridge am 3. Juni 2017 – sind die Angriffe auf Muslim/innen in Großbritannien sowohl online als auch auf der Straße gestiegen. Dabei haben vor allem Diskriminierung und Vandalismus zugenommen. Die Organisation Tell MAMA berichtet, dass islamfeindliche Vorfälle allein am Tag nach dem Referendum, am 24. Juni 2016, um 475% gestiegen sind.

Tell MAMA: Aufstehen für Muslim/innen im Vereinigten Königreich

Tell MAMA (Measuring Anti-Muslim Attacks) ist eine 2012 gegründete Organisation, welche Hassverbrechen und Rassismus gegenüber Muslim/innen in Großbritannien beobachtet sowie die Opfer in ihren Rechten unterstützt. Hassverbrechen gegenüber Muslim/innen (oder die als solche wahrgenommen werden) sind sprachliche oder physische Angriffe gegenüber Personen, persönlichem Eigentum oder religiösen Einrichtungen.

Mit ihrer Arbeit hat sich die Organisation zum Ziel gesetzt, die britische Gesellschaft und Politik auf Hassverbrechen gegenüber Muslim/innen aufmerksam zu machen. Betroffene Personen können ihre Erfahrungen selbst auf der Website melden. Tell MAMA wertet diese Vorfälle aus, bietet psychologische und rechtliche Hilfe an, und arbeitet mit Polizeibehörden und der Regierung zusammen für einen stärkeren Schutz für Muslim/innen. „Die Welt ist ein unstabiler Ort geworden”, sagt Iman Atta, Direktorin von Tell MAMA. „Während all dieser Entwicklungen waren die Stimmen der Opfer nicht zu hören und besonders die Ergebnisse bezüglich ihres Zugangs zu Justiz nicht sehr gut“.

Nina Locher

Nina Locher ist die Autorin des Brexit-Blogs der Heinrich-Böll-Stiftung und schreibt über die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien. 

Derzeit absolviert sie den Master of Public Administration an der London School of Economics and Political Science (LSE). Von 2016 bis 2018 war sie in der Berliner Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung für Projekte zur Türkei und zu Griechenland, sowie zur Europäischen Energiewende zuständig.

Im Brexit-Blog thematisiert sie aktuelle Entwicklungen in Großbritannien sowie übergreifende Themen wie Gender und LGBTQ+, Bregret und die Generation-Brexit.

Rassismus gegenüber Muslim/innen seit dem Brexit-Referendum

Insgesamt wurden im Jahr 2017 1.201 verifizierte Vorfälle von Hassverbrechen an Tell MAMA gemeldet. Hiervon fanden 70% der Vorfälle in direkten Begegnungen (offline) statt und zeigen eine Zunahme von 30% zu 2016 – eine Zahl, die bereits zwischen 2015 und 2016 um 47% gestiegen ist. Es handelt sich also um eine sehr drastische Zunahme in den letzten Jahren. Zudem wurden muslimische Frauen deutlich häufiger Opfer von muslimfeindlicher Gewalt (57,5%).

Obwohl der Islam nicht offiziell Teil der pro-Brexit-Kampagne war, befeuerte doch die Ausrichtung der Kampagne Vorurteile und Rassismus gegen Muslim/innen. Nigel Farage, der ehemalige Vorsitzende der euroskeptischen UKIP-Partei, verbreitete kurz vor dem Referendum ein Plakat, auf dem Tausende Geflüchtete zu sehen waren, mit dem Slogan: „Breaking Point: Die EU hat uns alle im Stich gelassen“.

Zudem nutzte die Leave-Kampagne die Türkei, um Angst vor einem Beitritt der Türkei in die Europäische Union zu schüren. Die Leave-Kampagnenführer Boris Johnson und Michael Gove hatten ihre Sorge geäußert, dass 80 Millionen Türk/innen bei einem Verbleib nach Großbritannien kommen könnten und dass dies die Gefahr von türkischen Kriminellen in Großbritannien erhöhen würde. Diese Aussagen befeuerten die bereits vorhandenen Stereotype gegenüber türkischen Muslim/innen.

Doch diese Entwicklungen spiegeln nicht nur die Situation in Großbritannien wider: Während 36% der Brit/innen laut einer Umfrage von YouGov 2019 der Meinung sind, dass der Islam nicht mit westlichen Werten vereinbar sei, sind 46% der Französinnen und Franzosen, und 47% der Deutschen ebenfalls dieser Meinung.

Die Brexit-Entwicklungen zeigen, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft und Religion für politische Zwecke und Mobilisierung instrumentalisiert wurden – und das, obwohl Großbritannien seit langer Zeit ein pluralistisches Gesellschaftsmodell pflegt (im Gegensatz zu Deutschland oder Frankreich). Seit dem Brexit ist Großbritannien insbesondere für diejenigen Menschen ein kritischer Ort geworden, die bereits zuvor Verletzung und Diskriminierung erfahren haben.

Dies bedeutet vor allem eines: Wir haben noch einen langen Weg vor uns, um die Gesellschaft zu gestalten, in der wir alle, egal welcher Herkunft und welchen Glaubens, friedlich und sicher miteinander leben können.