Herausforderungen für ein grünes Technikverständnis im digitalen Zeitalter

Veranstaltungsbericht

Digitalisierung und künstliche Intelligenz stehen im Zusammenhang eines rasanten gesellschaftlichen Strukturwandels. Im Rahmen ihrer Neujahrstagung diskutierten Mitglieder der Grünen Akademie über Antworten auf die dadurch entstehenden Herausforderungen.

Technik und Gesellschaft: Diskussionsrunde für ein grünes Technikverständnis und die Folgen der Digitalisierung.

Machine Learning, Digitalisierung, neuronale Netze, Robotisierung, Big Data, Cyber Warfare – dies sind nur einige der Schlagworte, mit denen heutige Technologiedebatten geführt werden und die Eingang in den politischen Diskurs gefunden haben. Grund genug, sich im Rahmen der Neujahrstagung der Grünen Akademie genauer mit Chancen und Risiken dieser Technologien und deren gesellschaftlichen Implikationen auseinanderzusetzen. Neben zwei Plenardebatten zum technologischen Wandel im Bereich künstliche Intelligenz (KI) und den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt wurden in vier Workshops zu spezifischen Themen des technologischen Wandels Grüne Positionen erarbeitet.

Wohin entwickelt sich das Internet?

Zur Einführung stellte Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, zur Diskussion, was es bedeutet, dass heute 4,1 Milliarden Menschen Zugang zum Internet haben. Die Verfügbarkeit und Nutzung des Internets verändere Gesellschaften wie zuvor nur die industrielle Revolution und es stelle sich die Frage, ob wir nicht unlängst vom Holozän über das „Anthropozän“ im „Digitozän“ gelandet wären.

Mit dieser rasanten Entwicklung gingen sowohl Ängste und Sorgen als auch große Hoffnungen einher. Während wir uns auf der einen Seite erhoffen dürften, dass es durch die Digitalisierung große Fortschritte in Bereichen wie Welternährung, Katastrophenprävention oder in der Haushaltshilfe geben wird, fürchteten wir auf der anderen Seite Kontrollverlust durch autonome Maschinen und KI. Maßstab, auch im Umgang mit KI, könne allein eine Kontrolle durch den Menschen sein sowie dessen Würde als „archimedischer Punkt“.

Ueberschär äußerte klare Erwartungen an die Neujahrstagung. So gelte es insbesondere, die verschleiernden Metaphern für unterschiedlichen Phänomene der Digitalisierung zu entwirren. Jenseits dieser Aufklärung über Digitalisierung stellten sich dann die zentralen Fragen für den Umgang mit der Digitalisierung: Wie können Freiheit und Selbstbestimmung von Bürger/innen sichergestellt werden? Wie kann Teilhabe an der digitalen Wertschöpfung organisiert werden? In welchem Rahmen können zukünftig demokratische Debatten geführt werden? Es sei die Aufgabe der Politik, auf diese Fragen Antworten zu finden und den digitalen Wandel ethisch, ökologisch und sozial in positiver Weise mitzugestalten. Dafür brauche es einen neuen Entwurf eines digitalen Gesellschaftsvertrags.

Der Hype um künstliche Intelligenz

Der Forderung nach Präzisierung in der Debatte kam Stefan Heumann von der Stiftung neue Verantwortung umgehend nach, indem er den Begriff der künstlichen Intelligenz und deren Entwicklung erklärte. Dies sei vor allem deshalb notwendig, weil es gerade einen regelrechten Hype um das Thema KI gebe und dabei verschiedene Phänomene vermischt werden. Während in der Öffentlichkeit häufig das Bild einer allwissenden künstlichen Intelligenz gezeichnet werde, befänden wir uns tatsächlich noch auf einem Gipfel überzogener Erwartungen und viele Programme hätten zurzeit noch mit Kinderkrankheiten zu kämpfen.

Als Beispiel für solche Kinderkrankheiten nannte Heumann den von Microsoft entwickelten Chatbot Tay. Dieser hatte sich durch das Einwirken von Nutzer/innen gezielt zu rassistischen oder anzüglichen Nachrichten bewegen lassen. Insbesondere aber habe KI Schwierigkeiten, neue Kontexte verstehen und interpretieren zu können und sei daher nur bereichsspezifisch einsetzbar. Es sei wichtig zu verstehen, dass eine menschenähnliche, allgemeine KI zurzeit im Bereich der Science-Fiction anzusiedeln sei.

Bei klar eingegrenzten Anwendungsbereichen wie Sprachübersetzungen oder selbstfahrenden Autos sei die KI-Forschung hingegen weit fortgeschritten. Da es sich bei Programmen in spezifischen Anwendungsbereichen meist um lernbasierte KI-Systeme handle, müsse bei der Forschung und Entwicklung auf große Datenmengen zurückgegriffen werden. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass der Umgang mit der Erfassung und Speicherung großer Datenmengen ein Dilemma darstellt. Auf der einen Seite ist man auf die Verwertung großer Datenmengen angewiesen, um international in der KI-Forschung nicht abgehängt werden, und auf der anderen Seite stehen Bedenken bezüglich des Datenschutzes.

Es wurde eine koordinierte europäische Daten- und KI-Strategie gefordert, um ethische Standards einhalten zu können und dennoch nicht den Anschluss an die KI-Entwicklung zu verlieren. Gleichzeitig wurde die Forderung laut, dass die Daten der großen Datenunternehmen für KI-Forscher/innen frei zugänglich sein sollten, um einer weiteren Monopolbildung bei der KI-Forschung vorzubeugen.

Rahmenbedingungen der Digitalisierung

In der zweiten Debatte des Abends rückten Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit und den daraus resultierenden Strukturwandel ins Zentrum. Lisa Herzog, Professorin an der Technischen Universität München, stellte klar, dass es bei den Auswirkungen auf die Arbeitswelt keinen technologischen Determinismus gebe. Stattdessen interagieren technische Neuerungen immer mit sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen.

Herzog machte die Kontextabhängigkeit technischer Neuerungen anhand von zwei Beispielen deutlich. Im Silicon Valley könne man erkennen, dass nur einige wenige von der Digitalisierung profitierten, da man deren Gestaltung den dortigen Unternehmen überließe. In China hingegen werde die Technologie dazu verwendet, die Bevölkerung durch immer stärkere Überwachungsmaßnahmen zu kontrollieren.

Damit in Europa ein Kontrast zu diesen beiden Negativbeispielen geschaffen werden könne, müssten mehrere Voraussetzungen erfüllt werden. So müsse erstens das Dilemma der dezentralen versus der zentralen Datensammlung gelöst werden. Zweitens müsse ein Umbau der Sozialversicherungssysteme umgesetzt werden, da es zukünftig immer weniger lineare Lebensläufe gebe und die aktuellen Sicherungssysteme auf diese Situation nicht ausgelegt seien. Drittens brauche es Partizipationsstrukturen in der Arbeitswelt – nur durch Top Down Prozesse sollte der digitale Wandel nicht verordnet werden.

Zukunftskompetenzen einer digitalen Arbeitswelt

Marina Weisband, Bloggerin und ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, hob hervor, dass der digitale Wandel eine verstärkte Beschäftigung mit dem Sinn von Arbeit notwendig mache. Der in diesem Zusammenhang problematisierte Wegfall von einfachen Arbeitstätigkeiten, die wesentlich effizienter von Maschinen erledigt werden können, sei prinzipiell keine schlechte Entwicklung. Es müssten jedoch Strukturen geschaffen werden, die auf einen solchen Strukturwandel vorbereiten.

Zum einen erfordere dies eine Diskussion über die Frage, wie die Sozialsysteme organisiert sein sollen, da Erwerbsbiografien in Zukunft völlig anders aussehen werden. Zum anderen müsse sich Politik aber auch mit der Frage beschäftigen, welche Kompetenzen die kommende Arbeitswelt erfordere. Damit müsse geklärt werden, wie Kinder heute ausgebildet werden und wie Weiterbildung für zunehmend nicht-lineare Erwerbsbiografien organisiert werden könne.

Als wichtigste Zukunftskompetenzen, die schon in Ausbildung vermittelt werden müssen, sah Weisband Kommunikationsfähigkeit, die Fähigkeit, mit anderen Zusammenzuarbeiten, Kreativität, kritisches Denken sowie Persönlichkeitsentwicklung und soziale Verantwortungsübernahme.

Eine kontroverse Diskussion entspann sich in der Folge des Vortrags vor allem um Weisbands These, dass einfache Arbeitstätigkeiten keinen größeren Sinn vermittelten. In den Reihen der Akademiemitglieder überwog sehr klar die Position, dass das arbeitsame Bestreiten des eigenen Lebensunterhalts berechtigterweise vielen Menschen Anlass zu Stolz und Anerkennung gebe. Wichtig sei, dass einfache Arbeit nicht abgewertet werde. Es herrschte jedoch Uneinigkeit darüber, ob durch die Digitalisierung insgesamt weniger Arbeitsplätze vorhanden sein werden, indem beispielsweise Berufe wie der des Taxifahrers durch autonom fahrende Autos ersetzt werden, oder ob es lediglich eine Verlagerung in andere, teils neu entstehende, Berufsfelder geben werde.

Lisa Herzog stellte die gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit dar, indem sie die sozialen Aspekte betonte und fragte, was Menschen denn sonst so zusammenbringen sollte, wie die Arbeit. Gleichzeitig betonte sie ein durch den Wandel der Arbeitswelt nötig gewordenes Umdenken bei gesellschaftlicher Bewertung von Erfolg und Erwerbslosigkeit. Erfolg sei heute nicht unbedingt leistungsabhängig und für die Bewertungsdimension sollte vielmehr die Frage gestellt werden, wer die wirklich notwendigen Tätigkeiten ausübe.

Erwerbslosigkeit hingegen müsse generell entstigmatisiert werden. Zum Abschluss betonte Herzog, dass in der Debatte um Digitalisierung und Arbeit nicht aufgehört werden sollte, utopisch zu denken. Ansonsten könnte ein offenes Zeitfenster verpasst werden, um die Arbeitswelt der Zukunft positiv mitzugestalten.

Künstliche Intelligenz ausdifferenzieren

Tag zwei der Neujahrstagung stand im Zeichen von vier Workshops, in denen Fragen zum Umgang mit künstlicher Intelligenz von Mitgliedern der Grünen Akademie vertiefend behandelt wurden. Die Aufteilung der weiteren Diskussion in verschiedene Workshops orientierte sich dabei an der Forderung von Ole Meinefeld, Referent für Zeitdiagnose und Diskursanalyse der Heinrich-Böll-Stiftung, dass künstliche Intelligenz ausdifferenziert werden müsse. Damit war gemeint, dass die Entwicklungen zur künstlichen Intelligenz je nach spezifischem Themenbereich unterschiedliche Antworten erforderten.

Wem gehören die Algorithmen? Eigentumsverhältnisse im digitalen Kapitalismus

Im ersten Workshop wurde die Frage diskutiert, wer von der Wertschöpfung durch autonome Systeme, datenbasierten Algorithmen oder künstlicher Intelligenz profitiert. Es wurde klar, dass die Wertschöpfung zurzeit vor allem den großen Datenunternehmen zu Gute kommt und Gewinne nicht in der Breite erzielt werden. Es sei notwendig, die großen Digitalunternehmen angemessen zu besteuern, damit die Gewinne aus Digitalisierung und künstlicher Intelligenz der Allgemeinheit zu Gute kommen könnten.

Die Roboterisierung des Automobils: Was wird autonome Mobilität für uns bedeuten?

Ein öffentlich viel beachtetes Thema wurde im zweiten Workshop diskutiert: Die autonome Mobilität. Dass dieses Thema große gesellschaftliche Brisanz besitzt, wird allein dadurch deutlich, dass in Deutschland ca. 770.000 Menschen in der Automobilindustrie oder damit verbundenen Industriezweigen arbeiten. Es wurde deutlich, dass es in der Automobilindustrie im Vergleich zu anderen Industriebereichen eine „doppelte Disruption“ gebe. Neben dem autonomen Fahren sorge die Entwicklung und fortschreitende Verbreitung der Elektromobilität für starke Veränderungen des Individualverkehrs und der Automobilindustrie. Es ist daher in diesem Bereich mit einem starken Strukturwandel der Arbeit zu rechnen und betroffene Unternehmen sollten sich darauf vorbereiten.

Was kann Politik tun? Zur Regulierung der künstlichen Intelligenz

Im dritten Workshop ging es um Möglichkeiten der Regulierung von künstlicher Intelligenz. Dabei wurde kritisiert, dass die KI-Strategie der Bundesregierung einen stark wirtschaftsorientierten Fokus habe. Für Grüne sollte es hingegen entscheidend sein, ethische Standards durchzusetzen. Um aber überhaupt bei den Standards mitreden zu können, brauche es eine gemeinsame europäische Strategie und wettbewerbsfähige europäische Unternehmen im KI-Sektor. Um diese Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, benötige es weitere KI-Förderung. Es wurde kritisch gefragt, ob man sich zwangsläufig mit den Auswirkungen der KI-Entwicklung arrangieren müsse oder noch stärker regulierend eingegriffen werden sollte. Insbesondere in den Bereichen Datenschutz und Überwachung berühre die KI-Entwicklung fundamentale Freiheitsrechte.

Woher und wohin? Grünes Technologieverständnis revisited

Der letzte Workshop widmete sich der Frage, wie die rasanten Entwicklungen zur künstlichen Intelligenz und Big Data das Technologieverständnis der grünen Strömung beeinflusst hat. Ausgangspunkt für diese Fragestellung war die vergangene, kritische Positionierung zu Großtechnologien wie der Atomkraft oder der Gentechnologie. Es wurde herausgestellt, dass es bei der künstlichen Intelligenz keine einfache Analogie zu anderen Technologien gebe.

Es handle sich bei künstlicher Intelligenz weniger um eine Großtechnologie, als vielmehr um eine Querschnittstechnologie, die in vielen verschiedenen Bereichen auf jeweils individuelle Art und Weise entwickelt werde. Damit einhergehend könne der Einfluss der künstlichen Intelligenz nicht als Gesamtblock diskutiert werden, sondern man müsse sich die einzelnen Bereiche separat anschauen, um jeweils eine eigene grüne Positionierung zu entwickeln. Es wurde betont, dass grüne Politik künstliche Intelligenz nicht als sachzwanghafte Entwicklung betrachten, sondern einen Gestaltungsanspruch im Blick behalten sollte.

Fazit

Es wurde bei der Neujahrstagung insgesamt deutlich, dass drastische Veränderungen durch die fortschreitende Digitalisierung und die Entwicklung von künstlicher Intelligenz keinen Gesellschaftsbereich aussparen. Bei der Regulierung von KI erwächst aus dem Umstand, dass KI eine Querschnittstechnologie ist, die Herausforderung, spezifische Lösungen in einzelnen Anwendungsbereichen finden zu müssen. Eine einheitliche Lösung für die Gestaltung der digitalen Welt gibt es nicht.

Dennoch wurde deutlich, dass Fragen nach Regulierung und Standards anhand von freiheitlichen Grundwerten geklärt werden müssen. Um solche Standards umsetzen zu können, sollte sich europäische Politik auf gemeinsame politische Leitlinien einigen und gemeinsame Ziele zur künstlichen Intelligenz formulieren – sowohl zur Regulierung als auch zur Förderung. Viele der Tagungsteilnehmer/innen machten klar, dass eine komplette Ablehnung der Technologie nicht nur dazu führen würde, den wirtschaftlichen Anschluss an andere Länder zu verlieren, sondern auch zu einer Einschränkung der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten.

Ein grüner Gestaltungsanspruch ist aber umso wichtiger, da die technologische Entwicklung in Wechselwirkung mit der gesellschaftlichen Entwicklung steht. Denn die Transformationen, die durch die Digitalisierung und künstliche Intelligenz ausgelöst werden, betreffen die Arbeitswelt, Wertschöpfungsprozesse, soziale und ökologische Fragen, demokratische Meinungsbildung und grundlegende Freiheitsrechte. Die Risiken, Chancen und Unsicherheiten, die sich aus dieser technologisch-gesellschaftlichen Wechselwirkung ergeben, gelte es zu verstehen und zu gestalten.