Geschichte: Wie billiger Kunststoff die Welt eroberte

Plastikatlas

Die ersten Kunststoffe imitierten Elfenbein und Seide und besetzten zunächst nur eine Marktnische. Der Boom begann erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit PVC. Danach eroberte billiger Kunststoff die Welt.

Plastikatlas - Infografik: Anteile verschiedener Kunststofftypen in Deutschland 2017
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Geschichte der Kunststoffe: Die verschiedenen Kunststofftypen

Plastik ist im Alltag von Milliarden von Menschen omnipräsent und wird auch in der Industrie umfangreich genutzt. Jährlich werden weltweit über 400 Millionen Tonnen hergestellt. Aber was genau ist Plastik überhaupt? Der Begriff bezeichnet umgangssprachlich eine Gruppe von Materialien synthetischen Ursprungs, die sogenannten Kunststoffe. Sie entstehen durch eine als Polymerisation bezeichnete Abfolge chemischer Reaktionen aus organischen Rohstoffen, hauptsächlich aus Erdgas und Erdöl. Durch verschiedene Formen der Polymerisation lassen sich Kunststoffe mit variablen Eigenschaften herstellen: weich oder hart, transparent oder undurchsichtig, fest oder flexibel.

Seit wann gibt es Plastik?

Der erste Kunststoff wurde auf der Weltausstellung im Jahr 1862 in London präsentiert. Er hieß „Parkesine“ – nach seinem Erfinder Alexander Parkes, der ihn aus Zellulose ableitete. Dieses organische Material ließ sich formen, während es erhitzt wurde, und behielt seine Form nach dem Abkühlen bei. Wenige Jahre später entwickelte John Wesley Hyatt Zelluloid, indem er Nitrozellulose unter Hitze und Druck und Beigabe von Kampfer und Alkohol in einen verformbaren Kunststoff verwandelte. Er ersetzte Elfenbein und Schildpatt in Billardkugeln oder Kämmen und machte in der Film- und Foto-Industrie Karriere. 1884 patentierte der Chemiker Hilaire de Chardonnet eine als Chardonnet-Seide bekannte Kunstseide. Rayon, heute Viskose genannt, ist ein halbsynthetischer Kunststoff aus chemisch behandelter Zellulose – die günstigere Alternative zu Naturprodukten wie Seide.

Frühe Kunststoffe aus natürlichen Materialien

Diese und andere frühe Kunststoffe wurden aus natürlichen Materialien hergestellt. Es sollte noch 40 Jahre dauern, bis ein vollständig synthetischer Kunststoff entwickelt wurde. Im Jahr 1907 verbesserte Leo Hendrik Baekeland die Phenol-Formaldehyd-Reaktionstechniken und erfand Bakelit – den ersten Kunststoff, der keine in der Natur bekannten Moleküle mehr enthielt. Bakelit wurde als guter Isolator und langlebiges wie hitzebeständiges Material vermarktet.

 

Geschichte der Kunststoffe: Die Erfindungen der wichtigsten Kunststoffe liegen in der Zeit zwischen 1850 und 1950...

Fünf Jahre später patentierte Fritz Klatte einen Kunststoff namens Polyvinylchlorid. Besser bekannt als PVC oder Vinyl. Bis etwa zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts besetzten Kunststoffe jedoch nur eine überschaubare Marktnische. Die Initialzündung für die massenhafte Verbreitung von PVC war die Entdeckung, dass ein Abfallprodukt der chemischen Industrie genutzt werden kann, um es herzustellen. Das bei der Produktion von Natronlauge anfallende Chlor ließ sich als günstiger Ausgangsstoff verwenden.

Der Aufstieg von PVC

Damit begann der rasante und bis heute ungebrochene Aufstieg von PVC. Im Zweiten Weltkrieg stieg die Nachfrage deutlich, weil mit dem Stoff die Kabel auf Militärschiffen isoliert wurden. Obwohl immer bekannter wurde, dass die PVC-Produktion sowohl der Umwelt wie auch der Gesundheit schadet, nutzte die petrochemische Industrie die neu entdeckten Möglichkeiten, um ein Abfallprodukt in Profit zu verwandeln. PVC avancierte zum wichtigsten Kunststoff in einer Vielzahl von Haushalts- und Industrieprodukten.

Neben PVC setzte sich Polyethylen durch. Es wurde in den 1930er Jahren erfunden und benutzt, um Getränkeflaschen, Einkaufstüten und Lebensmittelbehälter herzustellen. Einen weiteren Kunststoff mit den Eigenschaften von Polyethylen entdeckte 1954 der Chemiker Guilio Natta: Polypropylen wurde in den fünfziger Jahren populär und wird bis heute für eine Reihe von Alltagsprodukten wie zum Beispiel Verpackungen, Kindersitze oder Rohre verwendet.

 

... Seit 1950 wurden die Produkte weiter verfeinert, meist aber mit giftigen Zusätzen.

Nicht zuletzt trug auch das damalige Image des Materials zum Kunststoff-Boom bei. Plastik galt als schick, sauber und modern. Es verdrängte herkömmliche Produkte und drang nach und nach in nahezu alle Bereiche des Lebens vor. Heute zählen PVC, Polyethylen und Polypropylen zu den weltweit am häufigsten eingesetzten Kunststoffen.

Zur Verbesserung seiner Eigenschaften wird Plastik mit chemischen Zusätzen wie Weichmachern, Flammschutzmitteln oder Farbstoffen versetzt. Viele dieser Additive machen Plastik zwar flexibel oder langlebig. Sie schaden aber der Umwelt genauso wie der Gesundheit. Denn sie können aus dem Material austreten, in Wasser oder Luft übergehen und letztlich in unsere Lebensmittel gelangen. Zudem können sie beim Recycling von Plastik freigesetzt werden.

 

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Eine neue Generation von Kunststoffen lässt sich aus Biopolymeren wie Maisstärke gewinnen. Darüber hinaus gelang es, aus den Schalen von Krebstieren ein völlig neues Herstellungsverfahren für einen biologisch abbaubaren Kunststoff zu entwickeln. Chitin aus Krustentierschalen wurde zu einem Polymer namens Chitosan modifiziert. Die Entwickler der McGill University in Kanada hoffen auf eine glänzende Zukunft, da jährlich sechs bis acht Millionen Tonnen Krustentierabfall anfällt. Solche und andere Kunststoffe auf Basis natürlicher Ausgangsstoffe werden bereits in Strohhalmen, Einweggeschirr, Plastiktüten und Lebensmittelverpackungen eingesetzt. Ihr Beitrag zur Lösung der Plastikkrise ist allerdings zweifelhaft.

Ein Beitrag aus dem Plastikatlas.