Was ist die grüne Erzählung vom öffentlichen Raum?

Veranstaltungsbericht

Wem gehört die Straße, die Schule, die Theaterbühne? Wie lässt sich soziale Teilhabe organisieren, auch in abgelegenen Regionen? Wie kommt die Politik raus aus der Filterblase? Und kann die Stärkung von öffentlichen Räumen und Netzen eine politische Antwort auf diese Fragen sein? Solche und ähnliche Fragen stellten sich über 400 Konferenzteilnehmer/innen am 14./15. Juni in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.

"Was ist die grüne Erzählung vom öffentlichen Raum?" hieß die Veranstaltung, bei der zwei Tage lang Rezepte gegen das Auseinanderdriften von Stadt und Land, von Milieus der Bildungsprivilegierten und Benachteiligten, aber auch von verschiedenen Schichten der Gesellschaft gesucht wurden.

Den Auftakt machte Peter Siller, Leiter politische Bildung Inland der Heinrich-Böll-Stiftung. Er verwies darauf, dass sich hinter dem Begriff "öffentlicher Raum" nicht nur Parks und öffentliche Plätze verbergen. Vielmehr geht es hier um alle Räume, an denen Gesellschaft zusammenkommt – quer durch die sozialen und kulturellen Milieus. Der erste öffentliche Raum, den Menschen in ihren Biographien durchlaufen, seien daher Kitas und Schulen. Hinzu kämen etwa Räume der Mobilität, der Kultur und des Sports. Öffentlichkeit sei dabei immer eine Zumutung. Zugleich sei sie aber auch entscheidend für die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe und Demokratie. Im Zuge einer Strategie des öffentlichen Raums gehe es immer darum, Inklusivität mit hoher Qualität zu verbinden. Nur wenn beides zusammenkomme, finde öffentlicher Raum die notwendige gesellschaftliche Unterstützung.

In einem ersten Panel analysierten die Autorinnen Sabine Rennefanz und Daniela Dröscher mit Grünenchef Robert Habeck, wie sogenannte abgehängte Regionen wieder Anschluss gewinnen können. Die Moderation übernahm die Autorin Nora Bossong, die das Gespräch mit der Frage nach einer gemeinsamen Sprache eröffnete. Rennefanz, aufgewachsen im brandenburgischen Eisenhüttenstadt, wehrte sich gegen den Begriff "abgehängt". Darin spiegle sich "eine gewisse Arroganz". Es entwickelte sich ein Ost-West-Disput, bei dem Habeck betonte, auch in strukturschwachen Gegenden sei kreative, optimistische Gestaltung möglich." Selbst wenn die Leute sich Mühe geben, fröhlich zu sein - sie sind so abhängig von Entscheidungen, die anderswo getroffen werden", hielt Rennefanz dagegen. Oft sei die Resignation in Ostdeutschland kaum noch zu durchbrechen. Nicht wenige ihrer ostdeutschen Altersgenossen gehörten zu einer "verlorenen Generation". Habeck wollte das so nicht stehen lassen. Man wurde sich nicht wirklich einig. Die Autorin Daniela Dröscher wiederum plädierte im Umgang mit benachteiligten Regionen und Orten vor allem für die Arbeit an jener „gemeinsamen Sprache“, die auch Nora Bossong angemahnt hatte, um mehr wechselseitiges Verständnis zu erreichen. Welche „Sprache“ dies sein könnte, blieb offen.

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Im zweiten, von der Journalistin Cordula Eubel moderierten Panel wurde darüber diskutiert, wie viel staatliche Unterstützung erwünscht und nötig sei, um eine gelingendes Zusammenleben zu ermöglichen und das Vertrauen in öffentliche Institutionen zu stärken. Es herrschte in der Gesprächsrunde große Einigkeit darüber, dass in Deutschland wieder mehr investiert werden müsse. Wer die öffentliche Infrastruktur verrotten lasse, tue das auf Kosten der nächsten Generation, sagte Berlins grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Der ökologische und digitale Umbau aber koste allein in Berlin viele Millionen. Freies Schulessen, gebührenfreie Kitas eröffneten freie Wege zu mehr Teilhabe. An dieser Stelle wurde allerdings auch ein wichtiger Unterschied deutlich: Während sich höhere Individualtransfers, wie etwa beim Kindergeld, vergleichsweise zügig umsetzen ließen, bräuchten Investitionen in Infrastrukturen längere Anlaufzeiten. Mark Schieritz, Wirtschaftskorrespondent bei der ZEIT, stellte zur Diskussion, inwieweit dies zu Fehlanreizen für eine Politik führe, die rasche Erfolge vorweisen müsse. Der auf dem Podium unbestrittenen Bedeutung von Infrastruktur-Ausgaben stand die Analyse eines jahrzehntelangen Sparens in diesem Bereich gegenüber.

So sitze beispielsweise die Digitalwirtschaft in Berlin-Mitte, wie Ramona Pop anführte, noch auf Kupferkabeln der 1990er Jahre. Der Ausbau der U-Bahn, die Anschaffung neuer Züge, ein energie-effizienter Wohnungsbau – "das kann keine Kommune allein leisten". Für Mark Schieritz stand in Anbetracht der konjunkturellen Lage allerdings fest: „Das Geld ist ja da.“ – die Probleme lägen woanders. Auch für den Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter sind solche Investitionen in erster Linie eine Frage des politischen Willens. DIW-Chef Marcel Fratzscher mahnte jedoch, die Frage nach den Prioritäten in den öffentlichen Haushalten nicht zu unterschätzen. Neben der Finanzierung stünden zudem erhebliche Konflikte um Infrastrukturen ins Haus: Es müsse auch an Orten gebaut werden, wo es unpopulär sei. Wohnungsbau, so die Botschaft, kostet eine Stadt wie Berlin sicher manche liebgewonnene Nische.

An dieser Stelle wurde ein Perspektivwechel in der grünen Erzählung deutlich. Wo die grüne Bewegung sich früher den öffentlichen Raum einfach aneignete, z.B. durch Protestaktionen und Besetzungen, steht heute eher die Frage im Vordergrund, wie öffentlicher Raum aus einer Regierungsposition heraus sinnvoll gestaltet und finanziert werden kann. Darin kommt eine andere Haltung zum Ausdruck. Immer wieder wurde aus dem Publikum in der Heinrich-Böll-Stiftung auch die Forderung nach mehr Rücksichtnahme laut – Lärm, raumgreifendes Verhalten, umkämpfte Plätze waren ein Thema. Werden hier, so darf gefragt werden, nur faire Spielregeln eingefordert, bei knappem Platz in urbanen Zentren und Transportmitteln? Oder verteidigt hier auch eine vergleichsweise wohl situierte grüne Klientel ihre Privilegien gegen Menschen aus Generationen und Milieus, mit denen sie normalweise gar nicht mehr in Berührung kommt? Und: Wie verlassen Leute eigentlich die eigene Blase?

Zusammenleben in der segregierten Gesellschaft war das Thema des dritten Panels der Konferenz in Berlin. Die Moderation übernahm die Journalistin Simone von Stosch. Gefragt nach der Entwicklung von Öffentlichkeit, wies die Autorin und Journalistin Elisabeth von Thadden darauf hin, wie ungleich Wohnraum verteilt sei: Die einen lebten in der 100-Quadratmeter-Altbauwohnung allein, andere mit Eltern und vielen Geschwistern auf bedrückend engem Raum im Flüchtlingsheim. Unterschiedliche Milieus träfen da eher selten aufeinander, das geschehe bestenfalls mal im Park oder in der U-Bahn.

Öffentliche Räume, das sind auch Lernräume des Streits, sagte der Soziologe Stephan Lessenich – und erinnerte daran, dass die Aneignung öffentlichen Raums noch nie konfliktfrei abgelaufen sei. "In der kapitalistischen Gesellschaft gilt es, öffentliche Räume immer zu erkämpfen gegen private, kapitalisierbare, verwertbare Räume", sagte er. Menschen müssten den privaten Raum auch gegen den Staat verteidigen. Gleichzeitig etabliere sich ein "knallhartes Containermanagement": in Schulen, Wohnvierteln, zwischen Stadt und Land. Auch Lessenich hielt hierbei die Stärkung der öffentlichen Räume und Netze für einen zentralen Ansatz. Peter Siller brachte als eine begriffliche Alternative zum „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ den Begriff des „Zusammen-Lebens“ ins Spiel, mit dem gesellschaftlich in Zeiten der Verstärkung von Milieublasen schon viel erreicht sei. Der Anspruch des öffentlichen Zusammenlebens bringe die Unterschiedlichkeit besser zum Ausdruck – und gerade das Sichtbarmachen von Unterschieden ermögliche etwa Solidarität und demokratische Auseinandersetzung erst. Wenn soziale Umgebungen zu Räumen der Begegnung werden, kann sich politisch etwas ereignen, wie Elisabeth von Thadden am Beispiel der Gelbwesten-Bewegung erläuterte. Diese habe die Verwüstung französischer Vorstädte sichtbar gemacht und öffentlichen Raum eingenommen, der eigentlich anderen zugedacht sei.

Für ein Finale furioso sorgten bei der Konferenz die Protagonist/innen des letzten Panels, das von Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, moderiert wurde. Unter dem Motto "Für wen? Von wem? Eine Erzählung von der kulturellen Teilhabe" diskutierte die Intendantin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters Shermin Langhoff mit dem Fernsehmoderatoren Max Moor, dem Intendanten des Berliner Ensembles, Oliver Reese, und Kathrin Röggla, Vize-Präsidentin der Berliner Akademie der Künste. Wer hineinfinde in den Kulturbetrieb und wer draußen vor der Tür bleibe, etwa wegen intransparenter Förderregeln, wurde da gefragt. Aber auch die Vernachlässigung von Diversität auf den Bühnen kam zur Sprache. "Nicht eine schwarze Protagonistin an Berliner Theatern", sagt Shermin Langhoff. "Das geht nicht." Dabei war sich die Runde über das inklusive Potenzial von Kunst und Kultureinrichtungen einig. Aus diesem Grund stellte Oliver Reese auch die Rückfrage, warum sich Kultur zwar im Feuilleton wiederfinde, aber kaum in den Hauptnachrichten vorkomme und äußerst selten von Politiker/innen aufgegriffen werde. In der weiteren Diskussion wurde aus dem Publikum heraus der Anspruch deutlich, das Zusammenspiel von Kultureinrichtungen und freier Szene zu stärken.

In den Gesprächen der Konferenz wurde insgesamt deutlich, wie Wissenschaft, Politik und Journalismus versuchen, aus ihrer je eigenen Blase herauszukommen. Diesen Kontakt zu Milieus herzustellen, die weniger an intellektuellen Diskursen interessiert sind, fordert heraus. Eben diese Herausforderung gilt es anzunehmen, wenn Politik, Stiftungsarbeit, Wissenschaft und Journalismus den Teilhabe-Anspruch auf die Breite der gesamten Gesellschaft beziehen. Die Figur des öffentlichen Raums kann als ein Suchbegriff fungieren, um letztlich – nicht nur metaphorische – Brücken zu bauen in bestimmte Milieus und Regionen. Im Zuge dieser Verständigung gilt es, Ressentiments und Berührungsängste abzubauen. Dafür sind strukturelle Ansätze erforderlich, um öffentliche Räume und Netze in den verschiedenen Bereichen allgemein zugänglich und qualitativ hochwertig zu gestalten. Keine leichte Aufgabe in einer Zeit ökologischer und digitaler Transformation. Die Debatte in der Heinrich-Böll-Stiftung – so viel stand am Ende der Konferenz fest – wird fortgesetzt.