Lea Rabe, Westfälische Wilhelms-Universität - Münster

Repräsentation in einer pluralistischen Gesellschaft – verfassungsrechtliche Zulässigkeit und Grenzen eines Paritéwahlsystems in Deutschland

Paritätsgesetze sollen der Unterrepräsentation von Frauen in politischen Ämtern entgegenwirken. Auf Länderebene, in Europa und weltweit existiert eine ganze Bandbreite von Wahlgesetzen, die die Partizipationschancen von Frauen und anderer von Diskriminierung betroffenen Gruppen stärken. Die deutsche Bundespolitik kennt jedoch nur die freiwilligen, uneinheitlichen Frauenquotenregelungen der jeweiligen Parteien.

Denn aus rechtswissenschaftlicher Perspektive wird mehrheitlich Kritik an einem deutschen Paritätsgesetz geübt. Die Abwägung der widerstreitenden Verfassungsbestimmungen – das Spannungsfeld baut sich zwischen den Art. 3 II, III 1 GG (Gleichstellungsgebot, Diskriminierungsverbot und Förderauftrag), Art. 20 I, II GG (Demokratieprinzip), Art. 21 I GG (Parteienfreiheit und innerparteiliche Demokratie) sowie Art. 38 I 1 GG (Freiheit, Gleichheit, z.T. auch Allgemeinheit der Wahl) auf – fällt die herrschende Auffassung in Rechtslehre und -praxis zugunsten des status quo, geht also von einer Unvereinbarkeit eines Paritätsgesetzes mit dem Grundgesetz aus.

Die Dissertation kommt hier dem Bedürfnis einer Neubearbeitung nach: Maßgebliche Argumente werden aus Verweisen auf ältere Aufsätze generiert. Ein beachtlicher Teil der Literatur stammt aus der Zeit vor Textänderung und Einführung des Frauenförderauftrags aus Art. 3 II 2 GG. Neben international rechtsvergleichender Arbeit werden zudem Methoden der feministischen Rechts- und Repräsentationskritik in die rechtsdogmatische Diskussion eingebunden:

Die Entwicklung des Meinungsstandes wird diskursanalytisch aufgearbeitet. Forschungshypothese ist die doppelten Exklusion von Frauen, aus der wissenschaftlichen Debatte einerseits, aus dem Repräsentationskonzept des Art. 38 I 2 GG andererseits. So werden die verfassungstheoretischen Grundlagen mit Ansätzen relationaler Demokratie konfrontiert. Aus dem soziologisch-historischen Blickwinkel spielen die Verdrängung der Frau aus der öffentlichen Sphäre und die Mehrbelastung durch mehrheitliche Übernahme von schlecht oder nicht bezahlter Erziehungs-, Pflege- und Haushaltsarbeit eine Rolle.

Zwangsläufig muss mit dem machtkritischen Ansatz auch auf die parallele Entmachtung anderer Personen (-gruppen) eingegangen werden: Ein Paritätsgesetzes, das nur an das Merkmal des weibliches Geschlechts anknüpft, wird, ausgehend von einem intersektionalen Ansatz, kritisch betrachtet. Die Arbeit analysiert Forschungsergebnisse zur Repräsentation anderer Gruppen, kategorisiert nach Sexualität, sozialer Herkunft, Religion, körperlicher Gesundheit und rassistischen Zuschreibungen und bindet diverse Geschlechtsidentitäten, denen in der Paritätsdebatte – trotz personenstandsrechtlicher Anerkennung und bundesverfassungsgerichtlich bestätigtem Anspruch auf Diskriminierungsschutz – bisher lediglich eine Randposition zugeordnet wird, in den Entwurf eines verfassungsgemäßen, intersektionalen Paritätsgesetzes ein.