«Direkt #umschalten»

Als Politischer Geschäftsführer organisiert Michael Kellner seit vielen Jahren die Parteitage und Wahlkämpfe der Grünen. Im Gegensatz zu früher muss die Partei heute auch Menschen über ihre Kernklientel hinaus ansprechen. Aber was bedeutet das?

Portrait Illustration Michael Kellner

Herr Kellner, was ist Ihr liebstes Grünen-Plakat aus der 40-jährigen Geschichte der Partei?

Eins meiner Lieblingsplakate ist aus dem letzten Europa Wahlkampf: «Klimaschutz kennt keine Grenzen». Bebildert ist es mit einem Gartenrotschwänzchen, ein zwar kleiner Singvogel, der aber jedes Jahr tausende Kilometer in seine Überwinterungsgebiete südlich der Sahara zieht.

Was hat sich in 40 Jahren beim Wahlkampf der Grünen am stärksten verändert?

Wir sprechen heute viel mehr Menschen an als noch vor einigen Jahren. Wir versuchen über 20 Prozent der Bevölkerung von unseren Positionen zu überzeugen, dafür müssen wir Menschen weit über unsere Kernklientel hinaus erreichen. Und natürlich setzen wir im Wahlkampf dabei auch mehr auf Personalisierung als früher.

Was hat es denn für Konsequenzen, dass die Grünen nicht mehr nur Nischen erreichen wollen? Müssen sie weniger radikal in den Wahlkampf ziehen als früher?

Wir müssen vor allem klar und verständlich kommunizieren. Das heißt nicht, dass wir nicht mehr zuspitzen sollen. Unsere Ecken und Kanten wollen wir behalten, sie zeichnen uns aus. Es bleibt dabei: Wir wollen was verändern, aber: Radikal ist das neue Realistisch. Das war in den Anfangsjahren der Grünen sicherlich anders. 

Wo früher markige Sprüche neben der Sonnenblume standen, sieht man heute meist Köpfe auf den Plakaten. Sind Köpfe für die Grünen wichtiger geworden als Inhalte?

Nein. Der Unterschied ist jedoch, dass wir heute um Platz 1 kämpfen, um Bürgermeisterinnen- und Ministerpräsidentenposten. Da bleiben die Themen wichtig, man muss sie jedoch mit Personen verbinden.

Konnte man mit Plakaten früher einfacher Wählerinnen und Wähler erreichen als heute?

Plakate bleiben das urdemokratischste Medium, weil sie alle erreichen. Digitalisierung heißt für die Wahlkampfleitung vor allem: Es wird noch zielgruppenspezifischer kommuniziert. Wir haben ja überall die gleichen Botschaften, aber die Formate, mit denen wir unsere Botschaft setzen, passen wir je nach Kanal an. 

Vor Wahlen hat man im Osten das Gefühl, die etablierten Parteien hätten ganze Landstriche vergessen. Keine Plakate, keine Wahlkampfauftritte. 

Ich habe selbst lange in Brandenburg Politik gemacht und weiß, wie schwierig es ist, Wahlkampfhelfer*innen zu finden. Mich nervt es auch total, wenn da überall nur Plakate von Rechtsextremen hängen. Deswegen haben wir uns 2019 stark auf die ostdeutschen Landtagswahlen konzentriert. Parteifreund*innen aus anderen Landesverbänden haben Wahlkampfurlaub gemacht oder für Plakate gespendet. Das war sehr wichtig. 

Als Partei muss man stets auf aktuelle Krisen reagieren, derzeit etwa auf Corona. Wie funktioniert politische Kommunikation in der Corona-Zeit?

Politik ist noch aufwendiger geworden. Man muss noch mehr kommunizieren. Ich bin froh, dass wir als Partei schon vorher vieles digitalisiert hatten. So konnten wir direkt #umschalten, etwa mit Online-Veranstaltungen auf Sendung gehen und den ersten bundesweiten digitalen Parteitag organisieren. 

Sie sind seit 2013 politischer Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter. Was war Ihr größter Erfolg? 

Die Europawahl 2019, als wir 20 Prozent erreicht haben. Es war ein toller Wahlkampf mit guter Stimmung  – wir haben auf die richtigen Themen gesetzt und wurden belohnt.

Was war Ihr größter Misserfolg?

Meine größte Enttäuschung war schon die Bundestagswahl 2017. Wir haben hart und leidenschaftlich gekämpft. Am Ende haben wir unser Ziel, ein zweistelliges Ergebnis zu bekommen, nicht erreicht und wir waren wieder die kleinste Fraktion im Bundestag.

2013 wurde der Wahlkampf durch die Diskussion um Veggieday und die Pädophilie-Debatte gewissermaßen torpediert. Wie kann man als Wahlkampfmanager auf solche Dinge reagieren?

Verhindern kann man das nicht. Das Wichtigste ist: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Und versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber es ist verdammt schwierig, den Kopf oben zu behalten, wenn man sich mitten in einem Shitstorm befindet.


Michael Kellner ist seit 2013 Politischer Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/ Die Grünen. 

Paul Wrusch ist Redakteur der Tageszeitung taz.

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