Transformationspaket statt Konjunkturpaket: Bremsen, Lenken, Beschleunigen – die Formel für den Powerslide

Kommentar

Mit vielen Milliarden will die Bundesregierung den Konjunkturmotor neu starten. Doch das Navi ist weiter auf Klimacrash eingestellt.

Tires Shredded, Denver United States

Im Motorsport gibt es eine Kurventechnik namens Powerslide, bei der man vor der Haarnadelkurve bremst, das Lenkrad einschlägt, so dass das Heck herumschwenkt – und dann sogleich wieder gefühlvoll aufs Gaspedal drückt und aus der Kurve heraus beschleunigt. Man verzeihe mir die Metapher mit Benzingeruch – aber für die notwendige ökologisch-ökonomische Wende in der aktuellen Systemkrise ist es vielleicht dennoch ein brauchbares Bild. Denn wir rasen mit hoher Geschwindigkeit auf eine Haarnadelkurve zu, hinter der eine Betonwand lauert: der Klimacrash. Um die jetzt anstehende 180-Grad Kurve gut und schnell zu bewältigen, brauchen wir wie beim Powerslide die kluge Kombination von drei Aktivitäten: Bremsen, Lenken, und Beschleunigen.

Durch die Corona-Krise ist der Wirtschaftsmotor abrupt zum Halten gekommen. Nun tritt die Bundesregierung kräftig aufs Gaspedal. Viele Milliarden sollen den Konjunkturmotor neu starten. Da hat die Bundesregierung – spät aber doch – die Lektionen der letzten großen Wirtschaftskrise 2008 gelernt, als die deutsche Wirtschaft nur deshalb florieren konnte, weil anderswo – in China und den USA – weniger gespart und stattdessen die Konjunktur angekurbelt wurde.

Doch mit Vollgas allein kommt man nicht um eine scharfe Kurve, sondern landet in den planetarischen Leitplanken. Nur aufgrund der Corona-bedingten Einmaleffekte wird vielleicht das Klimaziel für 2020 wider alle Erwartungen erreicht. Doch auf dem richtigen Kurs ist man damit noch lange nicht: alle Prognosen lassen erwarten, dass die Bundesregierung ihr eigenes, zu schwaches Ziel für 2030 mit den bisherigen Maßnahmen weit verfehlen wird.

Das Navi ist weiter auf Klimacrash eingestellt

Womit wir schon beim Lenken wären. Im Auto hat man heutzutage ein Navigationsgerät, in das man das Ziel der Reise eingeben kann. Ausreichend ambitionierte Ziele helfen dann auch beim Umsteuern der Wirtschaft. Doch das Ziel der Bundesregierung von 40% Emissionsminderung bis 2030 ist viel zu schwach, um einen fairen und hinreichenden Beitrag zu den völkerrechtlich vereinbarten und wissenschaftlich gebotenen Klimazielen des Pariser Abkommens zu erbringen: den Temperaturanstieg möglichst auf eineinhalb, auf jeden Fall aber deutlich unter zwei Grad zu begrenzen.

Das deutsche und das damit eng verbundene EU-Ziel sind aber auch viel zu zaghaft, um vor der entscheidenden, nun auf 2021 verschobenen Klimakonferenz von Glasgow einen kräftigen Anstoß für eine weltweite Runde verstärkter Klimaanstrengungen auszulösen. Angela Merkel hat neulich beim Petersberger Dialog ihre Unterstützung für eine Anhebung des EU-Ziels für 2030 von 40 auf 50-55 Prozent Minderung verkündet. Selbst das wäre zu wenig – Klimaschützer fordern 65 Prozent –, doch schlimmer noch: Merkels Ankündigung wurde anschließend gleich wieder von der eigenen Fraktion in Frage gestellt. Derweil sind im Verkehrs- und Wirtschaftsministerium offenkundig Saboteure am Werk, die die Zielerreichung untergraben. Merkels Regierung fährt also mit widersprüchlichen Signalen weiter mit Kurs auf den Klimacrash. Die Kanzlerin will das Steuerrad etwas einschlagen, aber andere greifen ihr immer wieder ins Lenkrad. Ein klares Ansteuern der Kurve entsteht so nicht, sondern ein gefährlicher Schlingerkurs.

Die Bundesregierung hat sich mit dem Klimaschutzgesetz ein Instrumentarium zum Lenken gegeben. Damit kann sie in den kommenden Jahren überprüfen, welche Fortschritte es in den einzelnen Sektoren gibt. Doch wenn man am Beginn der Kurve das Lenkrad nicht stark genug einschlägt, dann kann man das Steuer später, mitten in der Kurve, kaum mehr herumreißen, ohne den Crash zu riskieren. Lenken könnte die Bundesregierung zum Beispiel über einen ausreichend hohen CO2-Preis. Doch hier herrscht Zaghaftigkeit: In den bisher vom Emissionshandel abgedeckten Sektoren fehlt ein Mindestpreis, in den neuen Plänen für die übrigen Sektoren wird ein viel zu niedriger Preis angesetzt. So kommt man nicht um die Kurve.

An der falschen Stelle auf der Bremse

Damit kommen wir neben dem Lenken zum zweiten Element für einen gelungenen Powerslide: Bremsen. Scharf bremsen müssten wir bei der Kohleverstromung, doch die Koalition schafft es doch tatsächlich, aus einem angekündigten „Kohleausstiegsgesetz“ eine Überlebenssicherung für zunehmend unrentable, klimaschädliche Kohleverbrennung über fast zwei Jahrzehnte bis 2038 zu stricken.

Bremsen müssen wir auch bei der Verbrennung von klimaschädlichem Erdgas. Immer klarer wird inzwischen der wissenschaftliche Erkenntnisstand über die hoch klimaschädlichen Methanemissionen, die mit Fracking, mit Förderung und Transport von fossilem Gas verbunden sind. Doch die Bundesregierung fördert überholte Gasheizungen, und will gigantische Terminals für Fracking-Gas an der deutschen Küste mit Steuergeldern subventionieren.

Bremsen muss man beim Autoverkehr. Der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat es vorgemacht: In der Corona-Krise hat er rasch zahlreiche Autospuren zu Pop-Up-Fahrradspuren umgewidmet und so Verkehrssicherheit, Gesundheit und Klimaschutz mit einem Schlag verbessert.

Auch beim Flugverkehr ist rasches Bremsen angesagt, doch die Bundesregierung hat den Einstieg bei Lufthansa nicht mit einem Ende der Kurzstreckenflüge und der Vereinbarung einer ambitionierten Strategie zu Nullemissionen im Flugverkehr verbunden.

Stattdessen steht die Bundesregierung an der falschen Stelle auf der Bremse. Zum Beispiel mit ihren Blockaden beim Ausbau Erneuerbarer Energien. Zehntausende Arbeitsplätze gingen in den vergangenen Jahren in der deutschen Solarindustrie verloren, und die in der Windindustrie sind massiv bedroht. Die jüngste Einigung im Koalitionsstreit um die Erneuerbaren kam spät, die Aufhebung des 52GW-Deckels der Photovoltaik wurde jetzt erst umgesetzt, und schnelle Genehmigungsverfahren und eine klare Perspektive für den weiteren Ausbau haben weder Wind- noch Sonnenenergie.

Beschleunigung ohne klaren Kurs

Kommen wir zum Beschleunigen: Allein 20 Milliarden Euro des Konjunkturprogramms veranschlagt die Bundesregierung für die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer. Das „graue Gaspedal“ wird kräftig durchgedrückt, der Konsum soll angekurbelt werden. Gerade beim Kauf langlebiger Konsumgüter wie Autos machen drei Prozent schon Einiges aus: Ein Porsche Cayenne Turbo mit schlappen 550 PS und 260 g CO2 Emissionen pro Kilometer wird dadurch immerhin 4.200 Euro billiger.

Im großen Paket gibt es auch Geld für das „grüne Gaspedal“. Die Förderung der Gebäudesanierung wird aufgestockt, Wasserstoff und Batteriezellenfertigung werden unterstützt. Ladeinfrastruktur und Elektroautos werden gefördert. Zu den letzteren zählen allerdings auch Hybrid-Fahrzeuge wie der 2,5 Tonnen schwere Audi Q7 TFSI e quattro, der neben einer gesenkten Mehrwertsteuer (2.400 Euro) noch eine staatliche Förderung von 6.000 Euro erhalten soll. Grau – grün – oder doch wieder grau? Ein klarer Kurs sieht anders aus.

Haarnadelkurve voraus

Bremsen, Lenken, und mit dem grünen Gaspedal Beschleunigen: Mit dieser Trias könnten Geldpolitik und Fiskalpolitik, Regulieren und Fördern, eng abgestimmt agieren, und aus dem Konjunkturprogramm ein Transformationsprogramm werden. Nur mit einer produktiven Synthese aus Elementen von Degrowth, Ordnungspolitik und keynesianischem Gedankengut kann der Klima-Crash vermieden, die ökologisch-ökonomische Wende gelingen und das alte Wachstumsdilemma vermieden werden.

Doch schauen wir uns Deutschland 2020 an: Das Navi ist falsch programmiert, der rechte Fuß pendelt zwischen grünem und braunen Gaspedal, auf dem Fahrersitz ein Kampf ums Lenkrad, das Fahrzeug schlingert gefährlich. Am Straßenrand halten Wissenschaftler immer eindringlicher die Schilder hoch: Haarnadelkurve voraus! Doch anders als bei Corona hört die Bundesregierung in Sachen Klima nicht auf den Rat der Wissenschaft. Und auf der Rückbank des Fahrzeugs sieht es die Jugend von Fridays for Future mit Grausen und reicht Berichte des Weltklimarats nach vorn. Höchste Zeit für ein Transformationspaket, das den Namen verdient.

Der Beitrag erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin Makronom.


Veranstaltungstipp:
Wie ein Transformationspaket aussehen könnte, diskutieren Maja Göpel und Tom Krebs

22. Juni 2020
Zwischen Konjunkturprogramm und großer Transformation: Welcher Weg führt aus der Krise?