Uns geht es um die Machtfrage

Portrait

Wir brauchen eine feministische Friedens- und Sicherheitspolitik. – Eine Gespräch mit Gitti Hentschel und Monika Hauser.

Portraits Gitti Hentschel -Monika Hauser

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers "No Women - No Peace: 20 Jahre UNSR Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit"

Die Sozialpädagogin und Publizistin Gitti Hentschel, geboren 1950 in Essen, war Mitbegründerin der taz, Mitherausgeberin des Freitag und ab 2000 Geschäftsführerin des Feministischen Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung, später umbenannt in Gunda-Werner-Institut. Dort engagierte sie sich bis zu ihrem Ruhestand 2015 für feministische Friedens- und Sicherheitspolitik und Strategien gegen sexualisierte Gewalt.

Die Frauenärztin Monika Hauser, 1959 als Tochter Südtiroler Eltern in der Schweiz geboren, ist Gründerin und geschäftsführende Vorstandsfrau der internationalen Frauenrechtsorganisation medica mondiale mit Hauptsitz in Köln. medica mondiale unterstützt weltweit Frauen und Mädchen, die in Konfliktregionen sexualisierte Gewalt erlebt haben. Hauser erhielt für ihren Einsatz zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2008 den Alternativen Nobelpreis.

 

Was war euer biografischer Weg zum Thema Frauen, Frieden und Sicherheit?

Gitti Hentschel: Zu sexualisierter Gewalt an Frauen hatte ich schon in den 1980er Jahren als feministische Journalistin gearbeitet. Mein „Erweckungserlebnis“ waren die Anschläge vom 11.September 2001 und die militarisierte Männlichkeit in den USA. Die US-Intervention in Afghanistan wurde verlogenerweise mit Frauenrechten gerechtfertigt. Deshalb war für mich klar: Wir brauchen eine feministische Friedens- und Sicherheitspolitik.

Monika Hauser: Mit sexualisierter Gewalt habe ich mich schon als junge Gynäkologin beschäftigt. Als ich von den massenhaften Vergewaltigungen im Bosnienkrieg hörte, fuhr ich Ende 1992 dorthin, erlebte die Kriegsblockade in der Stadt Zenica und gründete Medica Zenica. Kurze Zeit später entstand in Köln der Verein medica mondiale. Parallel zu unserem Projektaufbau bestätigte die UN-Menschenrechtskonferenz in Wien endlich: Frauenrechte sind Menschenrechte. Ihr folgte 1995 die UN-Frauenkonferenz in Peking – wohin wir eine bosnische Kollegin schickten, die voller Schwung und neuem theoretischen Wissen zurückkam. Resolution 1325 war ein Ergebnis der Konferenzen von Wien und Peking. Allerdings gab es in den ersten Jahren danach praktisch kaum Umsetzung.

Hentschel: Da die UNO bezüglich Frauenrechten jahrelang versagte, haben wir zusammen mit der Frauenfriedensgruppe Scheherazade 2002 die Konferenz „Brauchen wir einen Weltfrauensicherheitsrat?“ organisiert. Daraus entstand 2003, während der US-Intervention im Irak, der deutsche „Frauensicherheitsrat“. Wir verstanden als Lobbygruppe zugunsten von 1325. Später initierten wir das immer noch bestehende „Bündnis 1325“ von verschiedenen NGOs, darunter auch medica mondiale.

Welche praktische Bedeutung hatte die Resolution für eure Arbeit?

Hentschel: Sie war ein zentrales Instrument. Frieden- und Sicherheitspolitik war damals eine absolute Männerdomäne. Der Sicherheitsbegriff war militärisch ausgerichtet, auf die Sicherheit von Staaten, nicht von Menschen. Die Resolution aber forderte die Prävention von Kriegen statt Kriegsbeteiligung. 1325 war der Hebel, um die Zusammenhänge ins Bewusstsein zu heben.

Hauser: Mit diesem Hebel konnten wir Lobbyarbeit machen zu sexualisierter Kriegsgewalt und Beteiligung von Frauen in Friedensverhandlungen. Die Direktorin von medica Afghanistan kann gegenüber ihrer Regierung und der UNO das Dokument hochhalten: Hier stehen unsere Rechte schwarz auf weiß! In Liberia wurde die Resolution viel früher und konsequenter umgesetzt als in Deutschland, im Irak gibt es einen sehr guten Aktionsplan. Den politischen Willen müssen wir immer wieder einklagen. Auch der diplomatische Schutz für Frauenrechts-Verteidigerinnen müsste viel besser sein. Im kurdischen Erbil erlebten Frauenrechts-Verteidigerinnen viel Unterstützung, in anderen Ländern sind die deutschen Botschaften eher desinteressiert. Diplomatischer Schutz und Unterstützung für diese Frauen darf aber nicht von den zufälligen Mitarbeitenden in den Botschaften vor Ort abhängen. Deshalb fordern wir, dass in allen Botschaften Focal Points zu 1325 eingerichtet werden, damit Frauen dort verlässliche Ansprechpersonen vorfinden. Wenn Aktivistinnen in deutsche Auslandsvertretungen eingeladen werden, können ihre Regierungen sie nicht einfach verschwinden lassen.

Hentschel: Wir haben durchaus einiges erreicht, auch auf theoretischer Ebene. Wir forderten ein anderes Sicherheitsverständnis, das nicht mehr vom Staat ausgeht, sondern vom Schutz der Menschen und der Frauen, die ein Kontinuum der Gewalt von den eigenen vier Wänden bis zum Krieg erleben. Wir fragten: Was verstehen wir unter menschlicher Sicherheit, unter human security und women security? Mit 1325 im Rücken organisierten wir 2003 eine Konferenz zu dieser Frage.

Da wart ihr der Zeit weit voraus.

Hentschel: Ja, und viele sprachen uns das Recht ab, zum Thema Sicherheitspolitik zu reden. Damals war Joschka Fischer Außenminister, und zu den internationalen Veranstaltungen der Stiftung kamen auch Vertreter der Regierung, zu unseren feministischen Events kamen eher Frauen aus unteren Ebenen. Es gab also viele Widerstände. Es dauerte bis 2012, bis die Bundesregierung den ersten Nationalen Aktionsplan vorlegte. Vorher hieß es immer, auch unter Rot-Grün: Sowas brauchen wir nicht, wir haben doch schon den Aktionsplan gegen häusliche Gewalt. Dennoch haben wir es letztlich geschafft, auch in die Ministerien hineinzuwirken, vor allem ins Auswärtige Amt. Halbjährliche Konsultationen mit Aktivistinnen sind inzwischen üblich.

Hauser: Wir müssen weiter den „shift of money“ fordern: weg von riesigen Militärbudgets hin zu Gesundheit, Bildung und der Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse. Mit der Ebola-Krise rächte sich 2014, dass dem Gesundheitssystem etwa in Liberia nie Priorität eingeräumt wurde. Gesundheitspersonal muss zudem in Trauma-Sensibilität geschult werden. Vor fünf Jahren bat uns die kurdische Regierung im Nordirak als erste Regierung weltweit, dass wir entsprechende Schulungen machen. Wenn 1325 ernst genommen würde, hätten wir überall eine deeskalierende feministische Außen- und Innenpolitik.

Feministische Außenpolitik – den Begriff hat 2014 die damalige schwedische Außenministerin Margot Wallström eingeführt. Ähnlich wie die Resolution 1325 formulierte sie vier „R“: Rechte für Frauen, Repräsentation, Ressourcen und ein Realitätscheck der Politik durch Recherche.

Hauser: Wallström forderte: Frauen müssen sich selbst repräsentieren. Ihr ist viel Fortschritt zu verdanken. Anfangs verspürte sie viel Widerstand, schließlich aber zog ihre Regierung mit. Sie kritisierte die Lage der Frauen in Saudi-Arabien, daraufhin gab es einen diplomatischen Eklat, die Saudis zogen ihren Botschafter aus Schweden ab.

2018/19 stand die saudi-arabische Menschenrechtlerin Isra al-Ghomgham in Gefahr, enthauptet zu werden. Heiko Maas tat wenig dafür, sie zu schützen.

Hauser: Das stimmt. Aber Maas und sein Staatsminister Niels Annen setzen wenigstens Akzente für feministische Außenpolitik und wollen den geringen Frauenanteil in ihrer Behörde erhöhen. Insgesamt sehe ich auch dank unserer jahrelangen hartnäckigen Anstrengungen ein höheres Bewusstsein in der Politik, auch wenn das in den Parteien unterschiedlich gefärbt ist.

Wenig sensibel schien auch Maas´ Vorgehen im Frühjahr 2019 im UN-Sicherheitsrat. Er wollte partout eine neue Resolution zum Thema Frauen, Frieden, Sicherheit durchsetzen.

Hauser: medica mondiale hat im Vorfeld zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen die Regierung gewarnt: Lieber keine weitere Resolution als eine schwache. Doch so kam es: Auf Druck der USA und anderen wurden die Reproduktionsrechte von Frauen aus dem Resolutionsentwurf herausgestrichen. Ein politischer Rückschritt. Die Bundesregierung hätte die Resolution 2467 zurückziehen müssen.

Und was ist „feministische Innenpolitik“?

Hentschel: Zum Beispiel die Anerkennung von sexualisierter Kriegsgewalt als Asylgrund. Die Zahl der Anerkannten liegt im einstelligen Bereich. Für sie gibt es keine Schutzeinrichtungen, keine psychosoziale Traumabearbeitung. Das ist ein Skandal. Zudem sollte sich das Bundesinnenministerium mit toxischer Männlichkeit auseinandersetzen.

Hauser: Wir brauchen ein flächendeckendes Gewaltschutzkonzept, wie wir es in Nordrhein-Westfalen erreichen konnten. Skandalös finde ich auch, dass der Straftatbestand sexualisierte Gewalt in Gerichtsverfahren weiter kaum vorkommt, weder im laufenden IS-Prozess noch in dem gegen einen syrischen Folterer in Koblenz.

Wie lautet eure Bilanz nach 20 Jahren: Dreht sich politisch alles im Kreis?

Hentschel: Ein Stück weit. Schon 2003 haben wir die Forderung gestellt, dass die Umsetzung der Resolution einer kohärenten Strategie und Finanzierung bedarf. Wir brauchen ein umfassendes Monitoring und Gender Mainstreaming in allen Ministerien.

Hauser: Der erste Nationale Aktionsplan wurde erst 2012 verabschiedet. Es gab viele politische Absichtserklärungen, aber keine Kontrollmechanismen, keine Fortschritts-Indikatoren, keine Transparenz, keine Finanzierung. Diese Mängel wurden auch im zweiten Aktionsplan nicht behoben. Es gab nie eine kohärente Umsetzung, weder bei der Prävention noch bei der Behebung von Fluchtursachen. Da baue ich auf deutliche Besserung im dritten Aktionsplan für den Zeitraum 2020-24. Wir fordern auch, dass die Verbindung zwischen Waffenexporten und sexualisierter Kriegsgewalt endlich anerkannt wird, und dass mittelfristig ein Exportstopp verhängt wird.

Hentschel: Die Anhörung zu 1325, die der Unterausschuss Zivile Krisenprävention des Bundestags im Frühjahr 2020 veranstaltete, war ein Dejà vu. Es stimmt einfach nicht, dass irgendwas Substantielles zur Prävention gemacht wird, im Gegenteil: Deutschland exportiert nochmals zehn Prozent mehr Waffen. Der Unterausschuss ist schön und gut, aber das Thema gehört in den Verteidigungsausschuss.

Immerhin hat die Kanzlerin, nachdem sie die Wichtigkeit des Themas jahrelang ignorierte, 2017 doch eine Rede zum Thema „Vergewaltigung ist eine Kriegswaffe“ gehalten?

Hauser: Das war auf dem Fachtag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu den vergewaltigten irakischen Jesidinnen. Dazu ist keine feministische Organisation eingeladen worden. Baden-Württemberg hat ein Teil der Jesidinnen aufgenommen, aber was ist für sie erreicht worden?

Hentschel: Die Union hat nur jenen Teil der Resolution aufgegriffen, in der es um Frauen als Opfer geht – das ist immer die nächstliegende Erzählung. Als Aktivistinnen und Expertinnen kommen sie nicht vor.

Hauser: Auch darauf haben wir immer wieder hingewiesen, dass Frauen nicht instrumentalisiert und nicht viktimisiert werden dürfen. Für die früheren Außenminister Fischer, Westerwelle und Steinmeier war das kein Thema. Auf internationaler Ebene hat sich das etwas verbessert, der UN-Sicherheitsrat lädt Expertinnen ein. Aber im Grunde bräuchten wir ein jährliches feministisches Friedensgutachten. Positiv erwähnen möchte ich auch die Istanbul-Konvention des Europarats zu Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, damit können wir konkret arbeiten.

Hentschel: Einzelne Frauen auf hohen Posten bringen uns nicht weiter. Das sah man an den Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer. Mehr Frauen ins Militär, das kann es doch nicht sein, auch wenn ich die Gleichstellung befürworte. Frauen sind nicht automatisch die besseren Menschen.

Hauser: Wir brauchen eine kritische Masse von Frauen. Und strukturell fest verankerte Sonderbeauftragte zum Thema Frauen, Frieden, Sicherheit im Auswärtigen Amt. Hochrangige Focal Points zu 1325 in allen deutschen Auslandsvertretungen und entsprechende Referate in allen zuständigen Ministerien.

Hentschel: Und wir müssen erreichen, dass das Rollenmodell der militarisierten oder toxischen Männlichkeit infrage gestellt wird. Im Zeichen der Coronakrise vermännlicht sich die Gesellschaft erneut, die Frauen bleiben zu Hause, um Kinder zu betreuen. Und auch die Rechtspopulisten stehen für ein Backlash.

Die mit „Me too“ neu erstarkte Frauenbewegung und die Rechtspopulisten könnte man auch als kommunzierende Röhren sehen. Ist das wirklich ein Backlash?

Hentschel: Ich bin halt besorgt.

Hauser: Die Besorgnis teile ich, es gibt derzeit eine seltsame Melange von Aufbruch und Stillstand. Dennoch spielten „Me too“ und #Aufschrei eine sehr positive Rolle. Es gibt Netz-Feministinnen und junge Aktivistinnen, die mit einem intersektoralen und postkolonialen Blick vieles hinterfragen.

Allerdings gibt es zu wenig profeministische Experten wie etwa den pensionierten Sozialpsychologie-Professor Rolf Pohl. Er redet von der „Re-Souveränisierung der Männer bei der AfD“. Wir bräuchten eine interdisziplinäre intergenerationelle Belebung. Und eine transformative Politik. Bisher gilt Resolution 1325 vielen in der Bundesregierung vornehmlich als Frauenförderinstrument, dabei geht es um Geschlechtergerechtigkeit. Fünf Frauen mehr bei Friedensverhandlungen in Genf ist Symptombehandlung. Uns geht es um die Machtfrage.

Wie erklärt ihr euch, dass Friedensabkommen so viel besser ausfallen und länger halten, wenn Frauen mitverhandeln? Die Wahrscheinlichkeit, dass sie mindestens 15 Jahre halten, steigt dann um über ein Drittel an.

Hentschel: Frauen bringen andere Themen in die Verhandlungen ein, zum Beispiel die Gesundheitsversorgung...

Hauser: ... und soziale Themen. Im frauenfrei ausgehandelten Abkommen von Dayton nach dem Krieg in Ex-Jugoslawien ist nichts enthalten zu psychosozialer Versorgung oder Anerkennung als Kriegsopfer. Die US-Friedensforscherin Mary Caprioli wies zudem darauf hin, dass die Korruption sinkt, je mehr Frauen in Friedensprozessen beteiligt sind.

Die Resolution 1325 wird jetzt 20 Jahre alt, habt ihr für sie Geburtstagswünsche?

Hauser: Dass sie endlich umfassend umgesetzt wird. Ich wünsche mir eine strukturelle Verankerung der Resolution durch Focal Points zu 1325, Sonderbeauftragte und Referate in allen Ministerien. Und die Einladung von lokalen Expertinnen zu Anhörungen nach Berlin zu den üblichen Honorarsätzen.

Hentschel: Ich wünsche mir, dass den schönen Worten endlich Taten folgen. Und mal einen rein weiblich besetzten UN-Sicherheitsrat, der eine andere Art von Debatte führt.