Trotz Kongressmehrheiten könnten wichtige Reformvorhaben der US-Demokraten scheitern

Analyse

Neben der US-Präsidentschaftswahl werden am 3. November auch die Senatswahlen abgehalten. Mit demokratischer Mehrheit wäre der Senat ein zentraler Baustein für die Verabschiedung von Reformen unter einem Präsidenten Biden. Wie gut stehen die Chancen darauf, und mit welchen Hindernissen im Kongress müssten die Demokraten rechnen?

Kapitol in Washington D.C.
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Das Kapitol in Washington, D.C. ist auch der Sitz des US-Senats.

Bei den anstehenden Wahlen werden 35 von 100 Senatssitze vergeben. Bisher halten die Republikaner eine Mehrheit mit 53 Sitzen; allerdings müssen davon dieses Jahr 23 Mandate verteidigt werden. Gleichzeitig werden alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses, der zweiten Kammer des US-Kongresses, gewählt. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus, die sie 2018 gewonnen haben, dieses Jahr nicht nur halten, sondern weiter ausbauen.

Vier Szenarien für die politische Machtkonstellation nach den Wahlen

So gibt es vier mögliche Szenarien für die politische Machtkonstellation nach den Wahlen:

  1. Die Republikaner verteidigen ihre Mehrheit im Senat und Donald Trump gewinnt die Wiederwahl. Dann bleibt alles wie bisher und das Repräsentantenhaus verbleibt unter Führung der Mehrheitsführerin Nancy Pelosi die entscheidende politische Opposition gegenüber der Trump-Regierung.
     
  2. Trump gewinnt die Wahl und die Demokraten erlangen die Mehrheit im Senat. Da die Verabschiedung von Gesetzespaketen durch den Kongress oder durch Trump (durch präsidentielles Veto) wahrscheinlich mehrheitlich blockiert würde, könnte Trump vor allem mithilfe von Dekreten (executive orders) regieren.
     
  3. Die Republikaner verteidigen ihre Senatsmehrheit mit mindestens 51 Stimmen, und Biden gewinnt die Wahl. In diesem Fall würde der Senat unter dem republikanischen Mehrheitsführer Mitch McConnell die Regierung, wie schon zwischen 2010 und 2016 während der Amtszeit Barack Obamas, an der Durchsetzung ihrer zentralen Politikvorhaben hindern, und auch Biden könnte nur durch Dekrete regieren.
     
  4. Die Demokraten gewinnen sowohl die Präsidentschaft als auch die Mehrheit im Senat.

Demokraten mit guten Chancen, die Mehrheit im Senat zu stellen

Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass die Demokraten einige Mandate im Senat hinzugewinnen werden – die entscheidende Frage ist, wie viele Sitze. Für eine Mehrheit müssten die Demokraten einen Nettogewinn von drei oder vier Senatssitzen erzielen, je nachdem wie die Präsidentschaftswahl ausgeht. Denn bei einem Patt im Senat kann der US-Vizepräsident als Senatsvorsitzender die entscheidende Stimme geben. Von den 23 zu verteidigenden Senatssitzen der Republikaner stuft der Cook Political Report ganze zehn als stark umkämpft ein. Einigen republikanischen Amtsinhabern wird ihre Nähe zu Trump nun zum Verhängnis. Zuletzt stufte die Statistik-Website FiveThirtyEight die Chancen der Demokraten, die Mehrheit im Senat zu gewinnen, mit 75 Prozent ein. Gerade bei engen Wahlen in Staaten wie North Carolina, Maine oder Iowa kann im Schlussspurt des Wahlkampfs aber noch einiges passieren. Die Ernennung von Amy Coney Barrett zur neuen Verfassungsrichterin könnte einige entscheidende republikanische Stammwähler/innen, die Trump ablehnen, zum Wahlgang und zur Stimmabgabe für den republikanischen Senatskandidaten bewegen.

Demokraten werden sich vor allem auf innenpolitische Projekte konzentrieren

Falls die Demokraten die Präsidentschaft und eine Senatsmehrheit gewinnen, wird die Verabschiedung von weiteren Maßnahmen zur Linderung der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Priorität haben. Wichtige weitere Projekte sind eine Wahlrechtsreform, Antikorruptionsgesetze, strengere Umweltauflagen, eine Verbesserung der Gesundheitsreform von 2009 („Obamacare“), sowie eine Entscheidung über die Zulassung von Washington, D.C.  (und vielleicht Puerto Rico) als Bundesstaat. Viele Maßnahmen sollen gleichzeitig zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen. In der Außenpolitik, in der der Präsident weniger Rücksicht auf den Kongress nehmen muss, wird es der Biden-Administration vorerst darum gehen, das Vertrauen der engsten Verbündeten in die USA zurückzugewinnen und wichtigen multilateralen Abkommen, wie dem Pariser Klimaschutzabkommen, wieder beizutreten. Die größte Aufmerksamkeit richtet sich aber auf innenpolitische Probleme.

Bei den innerparteilichen Debatten um die Reichweite der Reformen ist davon auszugehen, dass es zu Auseinandersetzungen zwischen den konservativ-gemäßigten und den progressiven Abgeordneten, insbesondere im Repräsentantenhaus, kommt. Denn viele Abgeordnete aus „swing districts“, also Wahlkreisen mit schwankenden Mehrheiten zwischen Republikanern und Demokraten, wollen ihre Wiederwahl in zwei Jahren nicht gefährden, indem sie Maßnahmen zustimmen, die viele Wähler/innen als zu radikal empfinden. Daneben würden im demokratisch dominierten Senat die oppositionellen Republikaner alles daransetzen, Gesetzesvorhaben zu blockieren.

Wichtige Gesetzesvorhaben können am Filibuster scheitern

Ein bewährtes Instrument dabei sind Filibuster, durch die oppositionelle Senator/innen die Abstimmung über einen Gesetzesentwurf verzögern und damit behindern können. Dabei wird die Debatte über das Gesetz verlängert, und Senator/innen können so lange sprechen, wie sie es für notwendig halten. Ein Filibuster kann gewöhnlich nur mit 60 Stimmen im Senat beendet werden (cloture). In der Praxis genügt es meistens, dass die Oppositionspartei Filibuster ankündigen, um Gesetzesvorhaben zu blockieren. Damit kann sie zumindest ein Vorhaben verwässern oder eigene Anliegen im Gesetzespaket mit unterbringen. Diese Praxis hat den Senat zunehmend lahmgelegt und ist für ein demokratisches System problematisch. Denn wenn politische Entscheidungen mehrheitlich nur mit 60 Prozent Zustimmung des Senats möglich sind – und das auch nur solange auch das Repräsentantenhaus und der Präsident mitspielen – spielt die Durchsetzung des Wählerwillens nur eine untergeordnete Rolle.

Filibuster können allerdings nicht bei Entscheidungen angewandt werden, für die ein klarer Zeitraum für Senatsdebatten vorgesehen ist, zum Beispiel bei Budgetabstimmungen. Daneben kann der Senat seit einer Verfahrensänderung von 2013, damals unter demokratischer Senatsmehrheit, Bundesrichter/innen (mit Ausnahme von Verfassungsrichter/innen) und politischen Regierungsvertreter/innen faktisch mit einfacher Mehrheit ernennen. Sobald die Republikaner wieder eine Senatsmehrheit erlangten, revanchierten sie sich 2017 mit einer weiteren Verfahrensänderung, durch die auch Bundesverfassungsrichter/innen mit einfacher Mehrheit ernannt werden können. Auf dieser Grundlage ist auch die Ernennung von Coney Barrett relativ unkompliziert.

Abschaffung des Filibuster könnte nach den Wahlen entscheidend sein

Da eine demokratische Mehrheit mit 60 Stimmen im Senat sehr unwahrscheinlich ist, wäre für die künftige Verabschiedung der meisten Gesetzespakete eine parteiübergreifende Zusammenarbeit, von der Joe Biden so oft spricht, notwendig. Trotz der extremen Polarisierung in den USA hofft Biden noch darauf, dass sich die Republikaner nach einer krachenden Niederlage im November und einer Abkehr von Trump kompromissoffener zeigen. Dann könnten sich beide Parteien vielleicht auf weniger strittige Maßnahmen wie ein Infrastrukturpaket einigen, das seit langem diskutiert wird. Ambitionierte Projekte der Demokraten blieben aber unwahrscheinlich.

Eine andere Option wäre die Abschaffung des Filibusters, die so genannte „nuclear option“, die insbesondere von progressiven Stimmen der Demokraten gefordert wird. Kürzlich sprach sich auch Barack Obama für diesen Schritt aus, sollten die Republikaner eine Wahlrechtsreform blockieren. Die Abschaffung ist zwar durch eine Verfahrensänderung im Senat möglich, ist politisch aber riskant. Noch sind auch viele Demokraten, darunter vor allem Senator/innen, skeptisch; auch deshalb, weil sie befürchten, damit ein mächtiges Mittel aus den Händen zu geben für den Fall, dass sie künftig wieder in der Minderheit sind. Sollten sich die Republikaner im nächsten Jahr aber wieder für eine Fundamentalopposition entscheiden, könnten die Demokraten am Ende aber doch die „Nuklearoption“ ziehen.

Eine kürzere Version des Artikels ist am 27.10. in der taz unter dem Titel "Die Macht der Senatoren" erschienen.