Reinlassen nimmer, abschieben immer? Polnische NGOs blicken mit Sorge auf das neue EU Migrations- und Asylpaket

Hintergrund

Trotz ihrer harten öffentlichen Rhetorik könnte sich die polnische Regierung hinter verschlossenen Türen in Bezug auf das neue EU Migrations- und Asylpaket flexibel erweisen, um peinliche Niederlagen in innenpolitisch wichtigen Fragen wie der Rechtsstaatlichkeit zu verhindern.

Anti-Frontex-Demonstration am 6. Juni 2008 vor dem Frontex-Hauptquartier in Warschau, Polen.
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Anti-Frontex-Demonstration am 6. Juni 2008 vor dem Frontex-Hauptquartier in Warschau, Polen.

Polen war eines der Länder, die sich vor allem im Rahmen der zentraleuropäischen Visegrád-Gruppe seit 2015 konsequent und unnachgiebig einer europäisch gesteuerten Verteilungs- und Aufnahmepolitik widersetzt - und deswegen im Frühjahr 2020 vor dem Europäischen Gerichtshof eine Niederlage erlitten haben. Umso mehr wurde nun der Vorschlag der Europäischen Kommission mit Spannung erwartet. Premierminister Mateusz Morawiecki betonte in einer ersten Reaktion, dass die Position der Visegrád-Gruppe zur Migration unverändert bleibe.

So, wie die Visegrád-Gruppe zuvor aus ihrer Sicht zwangsweise erfolgende Umverteilungen (von Geflüchteten aus dem Süden Europas) strikt abgelehnt hatte, erinnerte sie jetzt mit Nachdruck an grundlegende Regeln, die unbedingt befolgt werden müssten. In erster Linie seien strengstmögliche Grenzkontrollen zu gewährleisten, und außerdem solle Hilfe an jenen Orten geleistet werden, von denen aus potenzielle Migranten nach Europa migrieren können.

Harte Rhetorik der polnischen Regierung

Die polnische Regierung scheint hier nach dem brutalen Motto zu agieren: „Wer nicht reinlässt, muss erst gar nicht abschieben.“ Weiter gesponnen hieße es dann: „Wir helfen gerne, aber Sinn macht das nur vor Ort, dort, wo die Probleme bestehen, und wenn das den Migrationsdruck nach Europa verringert.“ Wobei hier anklingt, dass Polen etwa hinsichtlich den im Vorschlag der Kommission erwähnten Potentialen von Migrationen im Bereich Demographie und Arbeitsmarkt (Stichwort: Blaue Karte EU) keine sonderlich optimistische Auffassung vertritt.

Staatspräsident Andrzej Duda formulierte seine Position im Staatsfernsehen dann allerdings viel weniger diplomatisch: „Wenn jemand zu uns kommen möchte, bitte schön. Wenn er Hilfe braucht, werden die Polen wohl bereit sein, ihm zu helfen. Ich bin jedoch niemals damit einverstanden, dass Menschen zwangsweise nach Polen gebracht werden, denn wenn sie zwangsweise gebracht werden und hier bleiben sollen, dann müssen sie inhaftiert werden müssen, und ich werde dem niemals zustimmen, dass freie Menschen nach Polen gebracht und wir dazu gezwungen würden, sie einzusperren”.

Der der Regierung nahestehende Think Tank „Institut für Internationale Angelegenheiten“ (PISM) suggerierte in einem ersten Kommentar, dass die Verstärkung der Anstrengungen zur Grenzkontrolle sicherlich den Forderungen Polens entgegenkomme. Gleichzeitig aber gebe der Mechanismus zur de facto zwangsweisen Aufnahme von Flüchtlingen, deren Asylverfahren nicht im vorgesehen Zeitraum (von 8 bzw. 4 Monaten im Krisenfall) abgeschlossen werden könne, Anlass zur Sorge. Es bleibt abzuwarten, wie sich die polnische Regierung letztendlich positionieren wird. Die „obligatorische Solidarität“, wie es Morawiecki nennt, gemäß der entweder Mitgliedsländer der EU Geflüchtete aufnehmen oder, wenn sie dies nicht wollen, sich mit der Abschiebung derjenigen Personen befassen müssen, die keinen Rechtsanspruch auf Asyl haben, dürfte auch ohne Umverteilung von Geflüchteten nach EU-Quoten nicht nach dem Geschmack der Regierungen der Visegrád-Gruppe sein.

Allerdings waren bisher keine Signale zu vernehmen, die auf eine kategorische Ablehnung schließen lassen würden. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass sich die polnische Regierung bei aller harten öffentlichen Rhetorik hinter verschlossenen Türen doch flexibler zeigen wird, um dadurch gegebenenfalls drohende schmerzliche Niederlagen an anderen, innenpolitisch viel wichtigeren Fronten (gerade bei der Rechtsstaatsfrage) abzuwenden.

Zudem sollte man auch nicht übersehen, dass die Migrations- und Asylfrage als politischer Hebel seit 2018 in Polen massiv an Bedeutung eingebüßt hat und die PiS derzeit zur Aufrechterhaltung ihrer Hegemonie im öffentlichen Diskurs eher auf weltanschaulich-gesellschaftspolitische Themen, wie etwa die Hetzkampagne gegen die LGBT-Community und Anti-Gender-Fragen setzt. 

Geringes Medienecho und verhaltene Reaktionen aus der Zivilgesellschaft

Das mediale Echo auf den neuen Vorschlag blieb bisher jedoch wie bereits in den Vorjahren nach dem Abebben der unmittelbaren sogenannten „Flüchtlingskrise“ in 2015/16 relativ verhalten. Es wird zwar in seriösen Medien immer wieder über die Situation auf den griechischen Inseln und zur Seenotrettung auf dem Mittelmeer berichtet – es sind allerdings vereinzelte Beiträge. Zuletzt war dies bei einem emotionalen Aufruf bekannter Nichtregierungsorganisationen in Zusammenarbeit mit der Union der polnischen Metropolen der Fall. Dieses Bündnis von mehreren Großstädten hat sich in der Vergangenheit bereits mehrmals für eine Aufnahme und Integration unter anderem syrischer Flüchtlinge ausgesprochen, was aber jeweils am Widerstand der Zentralregierung in Warschau gescheitert ist.

Auch die diesbezüglich positiven Signale, die von der Führung der katholischen Kirche kamen - sonst ein treuer Verbündeter der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) -halfen hier nicht weiter. Ultrakonservative Foren sind hingegen eher mit der Frage beschäftigt, ob die PiS nicht doch durch die Hintertür Muslime – die sie als Feindbild kreiert haben und damit Ängste in der Bevölkerung schüren - ins Land lasse.

Wie die Recherchen von NGOs, Medien und die des Ombudsmannes für Bürgerrechte bereits vor einiger Zeit offengelegt haben, nimmt die polnische Grenzpolizei z.B. an der Grenze zu Belarus - einer Transitroute für muslimische Geflüchtete u.a. aus dem Kaukasus - schon seit Jahren unter Missachtung internationalen Rechts kaum noch Asylanträge von dazu berechtigten Personen entgegen oder dokumentiert deren Anträge unzureichend.

Schutzsuchende sind daher gezwungen, wochenlang in einem Land auszuharren, das eng mit dem Staat (der Russischen Föderation), in dem sie Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, zusammenarbeitet. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 wurden insgesamt ca. 2900 Anträge auf Erteilung internationalen Schutzes (in der Mehrzahl eben von Bürgern der Russischen Föderation) gestellt, von denen lediglich 217 positiv entschieden wurden. Entsprechend verhalten bis besorgt fallen die Reaktionen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und sich für Flüchtlinge engagierenden Menschen im Lande auf den Vorschlag der Kommission aus, das Misstrauen gegenüber der eigenen Regierung ist seit der Anti-Asyl-Kampagne der PiS in den Jahren seit 2015 unverändert groß.

Zwar begrüßen sie die positive Rhetorik der Kommission hinsichtlich des zivilisatorischen Werts von Migration, doch missfällt vielen der Nachdruck, der im Dokument auf Effektivität und Beschränkung des Zugangs zu den EU-Außengrenzen gelegt wurde. Es herrscht, in Übereinstimmung mit der Argumentation des European Council on Refugees and Exiles, allgemein die Sorge, dass individuelle Rechte immer weniger berücksichtigt werden - und auch die Situation der sich bereits in der EU befindlichen und unter zum Teil menschenunwürdigen Verhältnissen untergebrachter Geflüchteter weiterhin vernachlässigt wird.

Polen wird unter keinen Umständen aufnehmen wollen, daher besteht angesichts der postulierten Beschleunigung des Verfahrens die Befürchtung, dass eine lange Liste mit sogenannten sicheren Drittstaaten den Zugang zum Asyl weiter einschränkt und sich Polen auf schnelle Abschiebungen spezialisieren wird, was eine ausreichend qualifizierte Einschätzung der individuellen Situation von Schutzsuchenden noch unwahrscheinlicher machen dürfte. Ohnehin ist es für Verfolgte, besonders wenn sie unter posttraumatischen Stressstörungen leiden, gegenüber Grenzbeamten und ggf. unter Lagerbedingungen oftmals enorm schwer, ihr Anliegen ausreichend umfassend darzulegen und zu dokumentieren. Umso gravierender wiegt die Sorge, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die polnische Regierung versucht sein könnte, ihr teilweise rechtswidriges Vorgehen mit Bezug auf EU-Regulierungen zu rechtfertigen.

Angesichts der vielfältigen und berechtigten Zweifel am Zustand der polnischen Rechtsstaatlichkeit wäre es aus Sicht polnischer NGOs zudem blauäugig, auf einen im Asyl- und Migrationspakt beschriebenen unabhängigen Kontrollmechanismus zu vertrauen. Zudem steht zu befürchten, dass eine restriktive Asylpolitik von der politischen Rechten dazu ausgenutzt werden könnte, erneut mit Anti-Ausländer-Parolen auf Stimmenfang zu gehen, ganz nach der Devise: wer als Ausländer nach Polen kommt, kann gar kein Asylsuchender sein und hat hier daher auch nichts zu suchen.

Keine Abwärtsspirale bei Standards

Mit Blick auf mögliche Verbesserungsvorschläge im laufenden Konsultationsprozess zum Pakt legen polnische Organisationen vor allem Wert auf verstärkte Integrationsanstrengungen – hier liegt Polen im europäischen Vergleich weit zurück – und die Notwendigkeit der Garantie menschenwürdiger Lebensbedingungen und des Ausübens international verbriefter Rechte für Geflüchtete während des Asylprozesses. Dies schließe einen Rechtsbeistand und umfassende Gesundheitsfürsorge ein. Eine Abwärtsspirale bei den Standards müsse unbedingt vermieden werden. Vor allem die Auslagerung von Asyl- und sogenannter Rückführverfahren an die Grenzen löst Befürchtungen hinsichtlich der Inhaftierung von Antragstellern (besonders hinsichtlich Minderjähriger) aus.

Zudem wird erwartet, dass die Seenotrettung auf dem Mittelmeer von der EU ausgeübt wird. Auch wird die Forderung laut, dass die EU darauf verzichten solle, andere EU-Politiken (etwa Entwicklung, Handel, Investitionen) als Druckmittel gegenüber Drittstaaten einzusetzen. Vielmehr sei die Möglichkeit legaler Einreise in die EU auszuweiten und transparent zu strukturieren.