Die einflussreiche Rolle der Minderheitenparteien bei den Wahlen in Myanmar

Analyse

Die National League for Democracy (NLD) wird durch die Parteien der ethnischen Minderheiten Myanmars vor enorme Herausforderungen gestellt - politische Fehler der Regierung haben den Minderheitenparteien in den vergangenen fünf Jahren neuen Aufwind verliehen.

SNLD Kampagne

Myanmar wird am 8. November 2020 Parlamentswahlen abhalten. Dies wird die dritte große nationale Parlamentswahl seit 2010 sein (abgesehen von drei Nachwahlen) als das Militärregime auf der Grundlage der Verfassung von 2008 Platz für nationale Wahlen machte.

2010 gewann die mit dem Militär verbündete Union Solidarity and Development Party (USDP) die erste Wahlrunde nach 22 Jahren Militärregierung. Dieser Sieg geht sehr wahrscheinlich auf die Teilnahmeverweigerung der oppositionellen National League for Democracy (NLD) im selben Jahr zurück, die damals die Verfassung von 2008 scharf dafür kritisierte, militärische Befugnisse festzuschreiben. Doch fünf Jahre später, 2015, nahm die NLD nicht nur an der Wahl teil, sondern gewann auch die Mehrheit der Sitze. So übernahm die NLD Anfang 2016 die Macht, während die USDP auf die Oppositionsbank verbannt wurde.

Myanmar hat ungefähr 54 Millionen Einwohner und zwei Drittel der Bevölkerung Myanmars gehören der ethnischen Gruppe der Bamar (Burma) an. Ethnische Minderheiten machen das verbleibende Drittel aus. Angesichts der Zweidrittelmehrheit der Bamar fanden alle wichtigen Wahlkämpfe in den vergangenen zwei Wahlen in den Jahren 2010 und 2015 zwischen der USDP und der NLD statt. Diese beiden Parteien sind im ganzen Land allgegenwärtig und haben in den vergangenen 10 Jahren sozusagen im Wechsel das Ruder über Myanmars Regierung übernommen.

In dieser Zeit haben sich die Minderheitenparteien nicht so gut entwickelt. Obwohl ethnische Minderheiten ein Drittel der Bevölkerung stellen, gewannen sie 2010 nur knapp 15% der Sitze im Zweikammerparlament der Union. Bei den Wahlen von 2015 schnitten sie weitaus schlechter ab und gewannen nur knapp über 11%, vor allem gingen die Stimmen damals an die Arakan National Party (ANP) und die Shan Nationalities League for Democracy (SNLD).

55 ethnisch-politische Parteien

In Myanmar gibt es insgesamt 92 politische Parteien. Von diesen vertreten 55 Parteien ethnische Minderheiten. Allerdings haben sie im Vergleich zu ihrer Gesamtbevölkerung bei den vergangenen Wahlen weit weniger Stimmen gewonnen. Aber der Weckruf stand gerade erst bevor. Ein bedeutendes Ereignis könnte die Wahllandschaft 2020 verändern.

Über einen langen Zeitraum hinweg haben Analysten vorausgesagt, dass Minderheitenparteien potentiell zu Königsmachern im Wettbewerb zwischen den großen Bamar-Parteien in Myanmars Wahldemokratie werden könnten. Auf diese Weise könnten sie über ihre Rechte in der Union verhandeln. Dies muss jedoch erst noch in die Realität umgesetzt werden.

Die unerwartete Wahlniederlage gegen die NLD in vielen Minderheitengebieten in 2015 war wie ein Weckruf und rüttelte die Minderheitenparteien auf. Als die Niederlage feststand, begannen sie, nach Antworten zu suchen.

Schuld am Stimmenverlust war in ihren Augen ihre eigene Uneinigkeit. Die ethnischen Gemeinschaften sind zersplittert. Zwar haben alle größeren ethnischen Minderheitengruppen repräsentative politische Parteien, aber es gibt auch Gruppen, die seit 70 Jahren mit Waffengewalt gegen die Zentralregierung um mehr Autonomie kämpfen. Einige von ihnen, wie die Shan und Rakhine, stellen mehrere bewaffnete Gruppen. In Wahlen gab es zwei oder manchmal drei politische Parteien, die dieselbe ethnische Minderheit vertraten. Sie kamen auf keinen gemeinsamen Nenner und zerstritten sich. Auch die Fragmentierung ethnischer Minderheiten in zahlreiche Untergruppen in einigen der ethnischen Minderheitengebieten machen die Sache nicht einfacher.

Nichtsdestotrotz kamen die Minderheitenparteien zu dem Schluss, dass der Wettbewerb innerhalb der ethnischen Gruppen bei ihren Wählern Verwirrung stiftete, wodurch sich die Wahlstimmen spalteten und sie so der NLD oder der USDP zum Sieg in ihren Regionen verhalfen.

Politische Zusammenschlüsse

Bereits 2016 begannen sie daher Fusionsgespräche als Gegenmittel zu den enttäuschenden Ergebnissen der Wahlen von 2015.

Angesichts der tiefen Spaltungen zwischen den ethnischen Minderheitenparteien war die Skepsis groß, dass die Zusammenschlüsse gelingen würden. Zur großen Überraschung vieler Beobachter wurde aber in vielen ethnischen Minderheitengebieten dieser scheinbar unmögliche Kraftakt erreicht. Obwohl die politischen Fusionen immer noch vielen Hürden ausgesetzt sind, haben es die Mon, die Kachin, die Chin, die Karen, die Wa und die Kayah geschafft, ihre Ressourcen zu bündeln und sich einheitlich für ihre jeweiligen ethnischen Gruppen aufzustellen.

Darüber hinaus haben sich einige ethnische Minderheitenparteien quer durch die Staats-/Regionslinien darauf geeinigt, nicht mehr gegeneinander zu konkurrieren. Stattdessen wollen sie ihre eigenen ethnischen Gruppen dazu ermutigen, für Kandidaten verschiedener ethnischer Gruppen zu stimmen und erhoffen sich im Gegenzug in den Gebieten, in denen mehrere ethnische Bevölkerungsgruppen untereinander leben, eine ähnliche Unterstützung zu erhalten, mit der sich die Chancen auf weitere Sitze erhöhen würden.

Bei den Parteizusammenschlüssen gibt es Ausnahmen. Obwohl sich zwei große Shan-Parteien in den letzten Jahren mehrmals zu Gesprächen getroffen haben, sind sie nach wie vor unversöhnlich und werden die Wahlen im Jahr 2020 unter unterschiedlichen Vorzeichen bestreiten. Auch die Rakhine sind nach wie vor in drei Parteien gespalten.

Beobachter sind der Ansicht, dass es nicht nur an der Zerrissenheit liegt, dass den ethnischen Minderheitenparteien bei den vergangenen Wahlen der faire Anteil der Sitze bei den Wahlen vorenthalten wurde. Neben der Uneinigkeit mangelt es ihnen auch an Kapazitäten und einer tragfähigen Strategie. Sie waren auch nicht in der Lage, universelle Anreize zu schaffen, sowohl für ihre Bevölkerung, als auch für die in den Minderheitengebieten lebenden Bamar. Aus diesem Grund gab sich die neu fusionierte Kachin-Partei sogar den Namen "Kachin State People's Party", um alle im Kachin-Staat ansässigen Gruppen anzusprechen.

Unterstützung für den Zusammenschluss der ethnischen Minderheiten kam unerwarteter Weise auch von der NLD und Aung San Suu Kyi.

Die Patzer der NLD

Während der Wahl 2015 genoss die NLD die Unterstützung ethnischer Minderheiten. Die Parteivorsitzende der NLD, Aung San Suu Kyi, war charismatisch und galt sowohl als Vorkämpferin des unterdrückten Volkes von Myanmar, als auch der ethnischen Minderheiten gegen die Militärregierung. Während der vergangenen fünf Jahre hat sie jedoch eine Reihe von Fehlern begangen.

Ihr erster Fehler war die Ernennung der Ministerpräsidenten aller Staaten und Regionen mit Vertretern ihrer eigenen Partei, nachdem die NLD als Regierung eingesetzt worden war. Die Regionen mit Bamar-Mehrheit hatten hiergegen natürlich keine Einwände, denn sie hatte einen erdrutschartigen Wahlsieg errungen; jedoch wurde ethnischen Minderheitenparteien, die bei den Regionalwahlen mehr Sitze als die NLD gewonnen hatten, hierdurch ein vernichtender Schlag versetzt. Dies wurde nirgendwo deutlicher als in Rakhine, wo die NLD nur 8 Sitze und die lokale Rakhine Partei 23 Sitze gewonnen hatte. Da der Präsident das verfassungsmäßige Recht hat, die Ministerpräsidentenposten zu besetzen, ernannte Aung San Suu Kyis Partei ordnungsgemäß eine Person aus der NLD-Riege zum Ministerpräsidenten des Staates Rakhine. Das war verfassungsrechtlich zwar erlaubt, aber in seinem Kern demokratisch falsch.

Im Mon-Staat schwieg sie, als Mitte 2017 die örtliche Bevölkerung der Mon gegen die Benennung einer Brücke nach ihrem Vater "General Aung San" demonstrierte. Sie schwieg auch, als ihr Parteikandidat die Nachwahl in derselben Stadt verlor. Von da an wurden im ganzen Land General Aung San Statuen errichtet. Während die Bamar-Regionen kein Problem mit den General Aung San Statuen haben, waren die ethnische Gruppen gegen diesen Plan der NLD.

Die junge Bevölkerung des Bundesstaates Kayah, der an Thailand grenzt, protestierte am lautesten. Ihr Widerstand gegen den Bau einer General Aung San Statue in ihrer Hauptstadt war so stark, dass die Regierung Mitte 2018 Gewalt anwandte und eine große Zahl von Aktivisten inhaftierte.

Obwohl Aung San Suu Kyi in der Position gewesen wäre, diese politischen Übergriffe zu stoppen, unternahm sie dagegen nichts.

Letzten Endes sind die NLD und Aung San Suu Kyi für die ethnische Minderheit nur eine weitere Bamar-Partei, die ihre Wahlversprechen von 2015 nicht eingehalten hat. Für sie hat sich Aung San Suu Kyi als eine "chauvinististische Bamar” entpuppt, die “darauf aus ist, die ethnischen Gruppen zu kontrollieren und zu bevormunden". Sie steht in den Wahlen nicht für die Gleichberechtigung der ethnischen Minderheiten, sondern für die fortgesetzte Kontrolle der ethnischen Staaten. Selbst zum Zeitpunkt wo ich diese Text verfasse, also nur wenige Wochen vor der Wahl, bleiben der Ton und die Politik der NLD in Bezug auf ihre Minderheitenpolitik unverändert.

Die Fehler der NLD, wie z.B. der stockende Friedensprozess, das Ausbleiben eines wirklichen Friedens und die eher abnehmende Versöhnung unter der Herrschaft von Daw Aung San Suu Kyi haben die neuen ethnisch-politischen Zusammenschlüsse erst möglich gemacht. In denjenigen Minderheitenregionen, in denen solche Fusionen nicht gelangen, haben die Minderheitenparteien Nutzen aus den Fehlern und falschen Versprechungen der NLD gezogen. Ihre Kampagnen haben jetzt einen ethno-nationalistischen Ton eingeschlagen. Sie müssen sich demnach das zurückholen, was ihnen rechtmäßig zusteht. Nur die in ihrer Hand gesicherte Macht kann ihnen ihre Rechte garantieren, und Außenstehenden darf man nicht trauen - weder dem Militär noch einer zivilen Partei, die vorgibt, die ethnischen Minderheiten zu unterstützen.

Die Wahlen 2020 stehen vor der Tür. Es wird allgemein angenommen, dass die NLD eine beträchtliche Anzahl von Sitzen gewinnen wird. Es steht aber auch zu erwarten, dass die NLD in den Minderheitenregionen wahrscheinlich verlieren wird oder sich zumindest schweren Herausforderungen durch die ethnischen Parteien gegenübersehen wird. Es wird sich bald zeigen, ob die Wahl 2020 der Beginn einer Veränderung für die ethnischen Minderheitenparteien in der politischen Landschaft Myanmars ist.

Übersetzung aus dem Englischen: Caroline Bertram