Warum Annegret Kramp-Karrenbauers New Deal nicht ausreichen wird

Analyse

Wer auf ein baldiges Tauwetter in den transatlantischen Beziehungen gehofft hat, könnte schnell wieder enttäuscht werden. Denn es geht insbesondere bei Deutschland nicht nur um eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, sondern auch um eine neue Chinapolitik.

1997-05-27 Marshall Plan stamp 80 cent
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Offizielle niederländische Briefmarke, herausgegeben am 27. Mai 1997 zum Gedenken an die Verkündung des Marshallplans 50 Jahre zuvor

Kaum ein Land hofft nach dem Sieg Joe Bidens bei den US-Präsidentschaftswahlen so sehr auf eine Erneuerung der transatlantischen Beziehungen wie Deutschland. Stimmen aus Berlin erwarten verstärkte Zusammenarbeit in einem breiten Spektrum an politischen Themen – von der aktuellen COVID-19-Pandemie über den Kampf gegen den Klimawandel zu Herausforderungen in den Gebieten Digitalisierung, Handel und Verteidigung.

Annegret Kramp-Karrenbauer bietet dem Biden-Team gar einen "New Deal" an. Das Angebot der Bundesverteidigungsministerin umfasst eine Erhöhung der deutschen Militärausgaben, ein erneutes Bekenntnis zur nuklearen Teilhabe der NATO und ein neues Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU. Im Gegenzug sollte "Amerika weiter an der Verteidigung Europas interessiert" bleiben. Abgesehen von einem Verweis auf eine gemeinsame transatlantische Agenda, wo dies "mit [deutschen] Interessen vereinbar" ist, bleibt Kramp-Karrenbauers Angebot allerdings auffällig vage, wenn es um China geht.

Interessenskonflikt in den transatlantischen Beziehungen

Aus der Perspektive der ins Amt kommenden Biden-Regierung wird der vorgeschlagene New Deal nicht ausreichen. Deutschland und Europa haben die Bedeutung, die sie einst für die Vereinigten Staaten hatten, verloren. Getrieben von dem Wunsch, Chinas Einfluss einzudämmen, wird sich die neue US-Regierung nicht mit einem Ausbau deutscher Verteidigungsfähigkeiten, Vorschlägen für mehr Freihandel in den transatlantischen Beziehungen und einem Bekenntnis zur nuklearen Teilhabe zufriedengeben. Wenn Washington die Verteidigung Deutschlands als "gemeinsames Projekt" begreifen soll, wird Deutschland einen viel höheren Preis zahlen müssen, indem es seine Wirtschaftsbeziehungen zu China, Deutschlands größtem Handelspartner, überdenkt. Solange die Regierung nicht bereit ist, schmerzhafte wirtschaftliche Zugeständnisse zu machen, wird Kramp-Karrenbauers Angebot eines transatlantischen Reset nach der Ära Trump keine positive Antwort aus Washington erhalten.

Kramp-Karrenbauer hat Recht: Die transatlantische Partnerschaft bedarf einer Erneuerung ihrer strategischen Logik. Barack Obamas Ankündigung eines "pazifischen Jahrhunderts" Amerikas und die untergeordnete Rolle seiner Regierung in der militärischen Intervention in Libyen waren im Jahre 2011 die ersten Anzeichen für eine sanfte, aber entschlossene Neuausrichtung der US-Außenpolitik gen Ostasien. Donald Trumps anhaltende Kritik an der NATO und seine Infragestellung der amerikanischen Sicherheitsgarantien verschärften die wachsende Diskrepanz zwischen dem, was die USA von Europa erwarten und dem, was Europa zu leisten imstande ist.

Dies war nicht immer so. Von der Gründung der NATO bis zum Ende der Regierung George W. Bushs beruhten die transatlantischen Beziehungen auf einer klaren strategischen Abmachung. Während des Kalten Krieges gewährten die Vereinigten Staaten den Westeuropäern umfassende Sicherheitsgarantien, die durch ihren nuklearen Schutzschirm und Hunderttausende in Europa stationierte US-Soldaten untermauert wurden. Im Gegenzug bekannte sich Westeuropa zum Antikommunismus. Nach 1990 behielten die Vereinigten Staaten ihre Garantien bei und dehnten sie sogar auf neue NATO-Mitglieder aus. Im Gegenzug bot Europe den USA finanzielle und militärische Unterstützung bei einer ständig wachsenden Anzahl an militärischen Interventionen, den so genannten Out-of-area-Einsätzen.

Heute verspricht Joe Biden, einst ein prominenter Befürworter des Irakkriegs von 2003, "die endlosen Kriege“ Amerikas zu beenden. Ohne ein US-Interesse an militärischen Interventionen ist die Unterstützung Europas für Out-of-area-Operationen nicht mehr erforderlich. Beide Seiten des Atlantiks scheinen sich darin einig zu sein, dass es Zeit ist für eine Erneuerung der strategischen Logik der Zusammenarbeit, um die transatlantischen Beziehungen weiterhin relevant zu halten. Es gibt jedoch erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Bedingungen, die eine Erneuerung der transatlantischen Kooperation erfordern würde.

Multilateralismus der USA

Nehmen wir den Multilateralismus. Für die deutsche Regierung bedeutet der Begriff eine Rückkehr der USA als Vorreiter des Westens. Damit verbunden ist die Erwartung, dass die USA die internationale Freihandelsordnung, die der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten immens zugutegekommen ist, wieder schützen. Für die neue US-Regierung bedeutet Multilateralismus dagegen, eine "Einheitsfront" von Verbündeten gegen China aufzubauen. China als aufstrebende Weltmacht aus einer "Position der Stärke" heraus zu begegnen, wie Tony Blinken, Bidens Kandidat für das Amt des Außenministers, kürzlich forderte, birgt eine unvermeidliche Skepsis gegenüber neuen Handelsabkommen und einen Trump-mäßigen Wunsch nach "fairem Handel", nicht freiem Handel. Wenn Bidens eigene Berater argumentieren, dass es der liberalen internationalen Ordnung nicht gelungen ist, Peking wie erwartet "anzulocken oder zu binden", ist es keine Überraschung, dass die neue US-Regierung nur widerwillig zu dem Status quo vor Trump zurückkehren würde, den Deutschland so sehr vermisst.

Nicht nur der Vorschlag Kramp-Karrenbauers, ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA auszuhandeln, dürfte in Washington auf taube Ohren stoßen. Auch könnten ihre Forderungen nach höheren deutschen Verteidigungsausgaben und einem erneuten Bekenntnis zur nuklearen Teilhabe zwar als Versuch dienen, eine Position in der innerdeutschen Debatte abzustecken. Doch werden sie Washington wohl kaum überzeugen. Das nachlassende Interesse der USA an Europa wurde nicht durch Deutschlands Zögern verursacht, das oft zitierte Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen, sondern durch eine strategische Neuausrichtung der US-Außenpolitik. Eine Erhöhung deutscher Verteidigungsausgaben und ein erneutes Bekenntnis zur nuklearen Teilhabe können diesen Kurs nicht umkehren.

Es stimmt, dass Joe Biden der EU und der NATO grundsätzlich mehr Sympathie entgegenbringt, als Donald Trump es je tat. In einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte Biden, dass die transatlantische Zusammenarbeit zu einer Priorität seiner Außenpolitik gehören werde. In der Tat können schnelle Fortschritte im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie und den Klimawandel erwartet werden. Die Vertiefung der Zusammenarbeit wird jedoch von der Bereitschaft Deutschlands abhängen, unter US-Führung ein politisches und wirtschaftliches Gegengewicht zu China zu bilden. Der Fokus der USA auf die Eindämmung der aufstrebenden ostasiatischen Großmacht wird mit Biden nicht aufhören und ohne Trump werden es Deutschland und Europa schwerer haben, sich aus der aufkommenden USA-China-Konfrontation herauszuhalten. So sehr dies Berlin in eine unangenehme Lage bringt, führt der Weg einer Erneuerung der transatlantischen Beziehungen über China.