„Build Back Greener?“ – Bidens Plan für Amerikas Internationales Klimaschutz-Engagement

Analyse

„Build back better“ hatte Joe Biden zu seinem Wahlkampfversprechen gemacht. Jetzt geht es für den designierten Präsident um die ambitionierte Umsetzung in einer Phase, in der nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch die Weltgemeinschaft von multiplen Krisen erschüttert werden und mehr denn je von Solidarität, Wohlwollen, Vertrauen und gemeinsamem beherzten Handeln abhängig sind. Klimapolitik ist dabei zentral, innenpolitisch wie außenpolitisch. Dabei geht es auch um die Frage, ob es der Biden-Regierung gelingen kann, verlorengegangene Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Parkett zurückzugewinnen.

Während Vizepräsident Joe Biden zuschaut, hält US-Außenminister John Kerry eine Rede zum Start der Partnerschaft "100.000 Strong in the Americas" im US-Außenministerium in Washington, D.C.

Vor allem im Rahmen des Pariser Klimaabkommens, dem die USA unter Biden wieder beitreten werden, wird sich beweisen, ob die USA wieder ein verantwortlicher globaler Teamspieler sein wollen und können. Um dem Anspruch auf eine neue internationale Führungsrolle gerecht zu werden, wird es notwendig sein, dass die USA ihren bestehenden Pflichten entsprechend der vor fünf Jahren in Paris getroffenen Vereinbarungen im eigenen Land nicht nur ohne weitere Verzögerung nachkommen, als auch, dass sie ihre Zusagen bis zur nächsten Klimakonferenz in Glasgow deutlich erhöhen werden.

Klimaschutz als Querschnittsthema

Dass der Klimaschutz für die neue US-Regierung, wie von vielen Umweltschützer*innen und progressiven Kräften gefordert, eine Schlüsselrolle als regierungsweiter Ansatz einnehmen wird, haben in den vergangenen Wochen bereits die Vorbereitungsplanungen für den Biden-Amtsantritt und wichtige Kabinettsentscheidungen gezeigt. Ein mit Klimaexpert*innen bestücktes Übergangsteam soll sicherstellen, dass Klimaschutz als Querschnittsthema in Personalbestellungen und Prioritätensetzungen für ein breites Spektrum von Ministerien und Fachagenturen berücksichtigt wird. Das gilt für offensichtliche Ministerien wie die für Energie, Außenpolitik, Inneres, Wirtschaft und Landwirtschaft zuständigen oder für die US-Umweltbehörde EPA, die unter der Trump-Regierung einen alarmierenden Expert*innenschwund zu bekagen hatte. Es gilt auch für bislang eher nicht durch ihre Klimaexpertise auffallende Ressorts wie die Finanz-, Verkehrs-, Verteidigungs- oder Justizministerien, oder die amerikanische Finanzaufsicht. Das reflektiert auch eine Grund-Annahme des progressiven „Green New Deals“ – ein Label, dass Biden zwar offiziell ablehnte, dessen Elemente aber zum Großteil in sein US$ 2 Billionen umfassendes Klimaschutzumsetzungsprogramm eingeflossen sind. Es geht um eine Priorisierung der Klimakrise und dabei um die Involvierung der gesamten US-Regierung und der amerikanischen Gesamtwirtschaft .

Eine erste Ahnung davon, wie hoch Klimapolitik unter Biden außenpolitisch als bislang nicht dagewesener diplomatischer Fokus aufgehängt werden könnte, illustrieren erste Berichte seines Übergangsteams von mehr als einem Dutzend Telefongesprächen, die der designierte Präsident mit Regierungschef*innen weltweit abgehalten und in denen die Bekämpfung des Klimawandels eine Rolle gespielt hat, darunter Frankreich, Chile, Südafrika und Kanada. Das ist auch eine Anerkenntnis, dass die USA in Sachen Klimapolitik ein seit langem bestehendes Glaubwürdigkeitsproblem hat, gerade unter Partnerländern, das nicht erst während der Trump-Jahre entstand, wenngleich es unter einem Klimawandel-leugnenden amerikanischen Präsidenten zweifelsohne exponentiell gewachsen ist. Den Ruf eines unzuverlässigen Wiederholungstäters haben sich die USA mit dem Kyoto Protokoll 1997, dem Pariser Klimabkommen 2015 oder der Kigali Vereinbarung zum Montreal Protokoll 2016 erworben, in denen von Demokratischen US-Regierungen US-freundliche Kompromisse in internationalen Klimaabkommen erreicht wurden, nur um die amerikanische Beteiligung und nationale Umsetzung unter Republikanischen Folgeregierungen prompt auf Eis zu legen. Angesichts dieser Vorgeschichte müssen Biden und seine Mitstreiter*innen anerkennen, dass amerikanische Reparaturmaßnahmen schnell, bestimmt und überzeugend nicht nur verkündet sondern auch umgesetzt werden müssen.

Die rasche Ernennung eines klima-fokussierten außenpolitischen Führungsteams, das bereits eine zentrale Rolle in der Aushandlung des Pariser Klimaabkommens hatte, mit dem langjährigen Biden-Vertrauten Anthony Blinken als neuem Außenminister und dem ehemaligen Außenminister John Kerry als Sondergesandter des Präsidenten für den Klimawandel, hat  die ersten personellen Voraussetzungen für die Implementierung einer weitreichenden amerikanischen Klima-Außenpolitik geschaffen. Als hochrangiger Diplomat, dem das Ohr des Präsidenten gewiss ist, auch wenn er formal einem Außenminister Blinken untersteht, wird Kerry mit dem Antritt seines neuen Amtes, das auf Kabinettebene angesiedelt ist, aber keine Bestätigung durch den Senat braucht, der ranghöchste US-Beamte, der je ein ausschließlich dem Klimawandel gewidmetes Ressort inne hatte.  Er wird zudem der erste Klimafunktionär überhaupt mit einem Sitz im Nationalen Sicherheitsrat sein.  All das spricht für die Intention eines designierten Präsidenten Biden, der die Klimakrise als  "das Thema Nummer eins der Menschheit" bezeichnet hat, den Klimawandel mit der gleichen Dringlichkeit wie andere Bedrohungen nationaler Sicherheit der USA, etwa Terrorismus oder nukleare Proliferation zu behandeln.

Keine Rückkehr zur Obama Klima-Diplomatie

Zwar ist noch nicht klar wie die Arbeitsteilung zwischen einem Außenminister Blinken und einem Klimasondergesandten Kerry aussehen  wird, aber bereits jetzt ist deutlich, dass mit dem Wiedereinstieg ins Pariser Abkommen im Januar 2021 der Schwerpunkt der US-Klimadiplomatie auf der Überarbeitung und Neuausrichtung des amerikanischen erklärten Beitrags zur Implementierung des Abkommens (nationally determined contribution, NDC) bis zur COP 26 in Glasgow und zur Förderung weltweit höherer konzertierter Klimaschutzmaßnahmen liegen muss. Der jüngste Emissionslückenreport der Vereinten Nationen warnt eindrücklich, dass Staaten ihre Reduzierungsbemühungen verdreifachen müssen, um das Pariser Ziel noch zu erreichen – das macht den Druck auf einen entsprechenden Beitrag der USA noch höher.  Die Kontinuität beider Top-Diplomaten im Klimaprozess darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der US-Wiedereinstieg ins Pariser Abkommen keine Rückkehr zu alten amerikanischen Verhandlungstaktiken der Obama-Ära und einer internationalen Klimapolitik des amerikanischen Selbstinteresses sein kann, sondern eine Weiterentwicklung eines menschenrechts-zentrierten und geschlechtergerechten neuen US-Klimaansatzes sein muss, in dem globale Verantwortungsübernahme, Gerechtigkeit und Fairness dominieren, und die nach mehr als 30 Jahren US-amerikanischen suboptimalem Einsatzes im Klimaprozess jetzt endlich im Einklang mit der Rolle der USA als historisch größter Emittent von Treibhausgasen, als weiterhin zweitgrößter Verschmutzter nach China (mit einer viermal höheren Bevölkerungszahl) und als gegenwärtiger Weltführer in der Erdöl- und Erdgasproduktion stehen müssen. Das wird sich vor allem darin zeigen, welche Reduktionsziele sich die USA in ihrem überarbeiteten NDC setzen und wie solidarisch sie sich in der Finanzunterstützung für die Klimamaßnahmen der Entwicklungsländer zeigen.  

Eine solche wertebezogene Ausrichtung einer US-Klimaaußenpolitik auf Gerechtigkeit und den Schutz  der Rechte und die geschlechtergerechte Unterstützung der vom Klimawandel  bereits jetzt am meisten betroffenen Länder und Bevölkerungsgruppen wäre zudem politik-kohärent für eine Biden-Regierung, die Umweltgerechtigkeit auf heimischen Boden zu einem Hauptziel ihrer Klima-Innenpolitik erklärt hat, um systemischen Umwelt-Rassismus zu bekämpfen. So hat Biden nach seiner Wahl sein Versprechen erneuert, 40 Prozent der Mittel unter seinem US$ 2 Billionen umfassenden Klimaplan für saubere Energieressourcen und neugeschaffene Arbeitsplätze der Zukunft in Gemeinden und Bevölkerungsgruppen von farbigen Minderheiten investieren zu wollen, die überdurchschnittlich unter der Verschmutzung durch fossile Brennstoffe, zum Beispiel in der Cancer Alley im Bundesstaat Lousiana, gelitten haben. Die Umsetzung von nationaler Umweltgerechtigkeit gilt auch als eine Hauptaufgabe einer potentiellen neuen Stelle eines Klimawandel-Koordinators im Weißen Haus, der als national-fokussierter Klima-Zar dann das einheimische Pendant zu Kerry wäre.

Neuer Nationaler Klimabeitrag

Die Nationale Klimabeitrag der Obama-Regierung für Emissionsreduzierung unter dem Pariser Abkommen von 2015, nämlich bis 2025 die Emissionen um 26-28 Prozent unter den Wert von 2005 senken zu wollen, werden nach aktuellen Analysen zwar dank der Coronavirus-Pandemie vielleicht gerade noch erreicht, sind aber völlig ungenügend und machten 2015 nicht einmal ein Fünftel eines fairen Anteils der USA an damals prognostizierten notwendigen globalen Klimaschutzbemühungen aus.

Kandidat Biden hat erklärt, den US-Kraftwerkspark bis 2035 klimaneutral zu machen und die USA auf den Pfad zu Netto-Null-Emissionen bis 2050 bringen zu wollen.  Der Entwurf des neuen US-NDCs sollte diese Ambition in konkreten Emissionsreduktionszielen bereits bis 2030 wiederspiegeln. Mehrere Umwelt Think Tanks in den USA haben kalkuliert, dass landesweit eine Emissionsreduzierung zwischen 45-50 Prozent machbar ist, die nötig wäre, um US-Treibhausgasemissionen kompatibel mit dem IPCC-Ziel, die globale Erwärmung auf 1.5 Grad Celsius zu beschränken, zu machen. Dies ist aber weit von den Anstrengungen entfernt, die zum Beispiel US-Umweltgruppen im amerikanischen Klimaaktionsnetzwerk als fairen Anteil der USA an globalen Klimaschutzbemühungen ausgerechnet haben, wonach US-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 195 Prozent gegenüber den Werten von 2005 reduziert werden müssten, davon 70 Prozent als einheimischer Anteil, und der Rest als Technologie- und Finanzunterstützung der Klimabemühungen in Entwicklungsländern.

Auch im Klimafinanzierungsbereich muss sich zeigen, ob eine Rückkehr zu den Klimadiplomat*innen der Obama-Regierung unter einem Präsident Biden im internationale Klimaprozess eine Abkehr von langjährigen Blockadehandlungen für großzügigere Finanztransfers an Entwicklungsländer und die unzureichende Unterstützung für die Klimafonds unter der Klimarahmenkonvention, wie der Globalen Umweltfazilität, dem Anpassungsfonds, oder dem Grünen Klimafonds, sein kann. Zwar hatte das Pariser Klimaabkommen 2015 erstmals den Verhandlungsbereich Verlust und Schaden (Loss and Damage) als separat von Anpassungsbemühungen in einem eigenen Artikel im Vertragswerk anerkannt hat. Allerdings waren es die USA unter ihrem Verhandlungsführer John Kerry, die verhindert hatten, dass die Industrieländer für die durch die Klimaauswirkungen verursachten Schäden haftbar gemacht und zur Zahlungsunterstützung gefährdeter Länder verpflichtet werden konnten. Bei der COP26 in Glasgow wird die finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer für bleibende Klimaschäden wieder auf der Tagesordnung stehen – mit der Option für die USA, von ihrer einstigen Blockade-Position abzurücken.

„Build back better“ der US-Klimafinanzierung

Wünschenswert wäre auch ein „build back better“ der US-Klimafinanzierung unter Biden. Die schnelle Begleichung der US$ 2 Milliarden, welche die USA von der unter der Obama-Regierung gemachten Zusage von US$ 3 Milliardendem Grünen Klimafonds noch schulden, kann nur ein erster Schritt sein. Die USA müssten eigentlich auch eine Finanzierungszusage für die bereits seit einem Jahr laufende erste Widerauffüllungsphase machen, die als Minimum mit der Verdoppelung der Zusagen anderer Industrieländer wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien Schritt hält, also insgesamt zwischen US$ 6 und 8 Milliarden. Ein fairer Anteil an den Finanzierungsinstrumenten zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, wie ihn zum Beispiel Bidens Vorwahlkonkurrent Bernie Sanders als Teil seines Programmes für einen Green New Deal, der auch internationale Verpflichtungen anerkennt, kalkuliert hatte, wäre mit einem US$ 200 Milliarden Klimafinanzierungsbeitrag für den Grünen Klimafonds für dessen laufende vierjährige Wiederauffüllphase um ein Vielfaches höher. Auch die Zahlungen für die Globale Umweltfazilität sollten deutlich angehoben werden. Und die USA unter Biden sollten sich erstmals auch bereit erklären, den Anpassungsfonds, der kleinere Anpassungsprojekte finanziert und seit 2019 dem Pariser Abkommen dient, zu unterstützen. Zusätzlich sollte eine Biden-Regierung auch bilaterale Klimafinanzierung, zum Beispiel durch die US Entwicklungsbehörde USAID, speziell für Anpassungsbemühungen ausweiten.

Um die Klimaverhandlungen bei der COP 26 voranzubringen, sind Erstens höhere Finanzzusagen der Industrieländer, Zweitens deutliche Signale, dass das langfristige Klimafinanzierungsziel von 2009 in Kopenhagen, bis 2020 jährlich US$ 100 Milliarden bereitzustellen, erfüllt werden kann und Drittens die Bereitschaft, den Prozess für ein neues, weit höheres kollektives Klimafinanzierungsziel in Glasgow anzustoßen, notwendig.  Auf allen drei Ebenen können die USA unter einem Präsidenten Biden beweisen, dass sie ihrer internationalen Klimaverantwortung in vollem Umfang nachkommen wollen und ein positives Signal setzen.

Mit der politischen Mehrheit im US-Senat in der Schwebe, bis es zur Stichwahl für zwei Senator*innenposten in Georgia Anfang Januar kommt, ist noch nicht klar, ob ein Präsident Biden in seinen ersten beiden Amtsjahren auf die Unterstützung seiner Klima-Agenda im US-Kongress zählen kann. In einem mehrheitlich Republikanischen, weitestgehend klimapolitisch-feindlichen Senat und gespaltenem Kongress wäre eine Ausweitung der Finanzunterstützung für Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern praktisch undenkbar, und eine Gesetzgebung zur Umsetzung der ambitionierten Dekarbonisierungsstrategie Bidens darauf begrenzt, Finanzierung für Anpassung und Emissionsreduzierung geschickt in Gesetzesvorhaben zu Infrastruktur, Landwirtschaft oder Wohnraum zu verstecken. Allerdings gibt es auch Bereiche, gerade für Forschung und Technologie-Entwicklung, in denen eine Biden-Regierung möglicherweise auf Unterstützung der Republikaner zählen könnte, beispielsweise für die Weiterentwicklung neuer Nuklearreaktor-Technologien und Verfahren zur Kohlenstoffabscheidung- und –speicherung (carbon capture and storage, CCS), beides Ansätze, die von Umweltaktivist*innen kritisiert, die von Biden als Kandidat im demokratischen Vorwahlkampf aber aktiv als Mittel zur Emissionsreduzierung und zur Erreichung amerikanischer Klimaneutralität bis 2050 propagiert wurden, und die er als Umsetzungselemente seiner Klimaagenda einsetzen könnte.

Umsetzung mit oder trotz dem US-Kongress

Bidens erste und beste Möglichkeit mit einem Republikanischen Senat voranzukommen, liegt in einem neuen dringend benötigten Coronavirus-Pandemie-Stimuluspaket im Frühjahr 2021, in dem Klimaschutzmaßnahmen wie die Modernisierung des Elektrizitätsnetzes, die Schaffung von Jobs im Erneuerbaren Energiesektor sowie Wirtschaftsforschung für grüne Innovation in andere Sozial- und Wirtschaftsfördermaßnahmen eingebettet werden kann. Dies wäre umso wichtiger, weil das erste Pandemie-Konjunkturprogramm, der CARES Act  vom Frühjahr 2020, mit massiven Summen US-Produzenten von fossilen Brennstoffen unterstützt hat. Zudem hat das künftige Weiße Haus mit der neuen Vorsitzenden des Haushaltsbewilligungsausschusses im Repräsentantenhaus, Rosa DeLauro, eine umsetzungsstarke Klimaverbündete, welche die jährlich rund US$ 1,4 Billionen an Ausgaben für die US-Bundesbehörden kontrolliert. Und einmal verabschiedete klima-relevante Ausgaben können in der Regel weder vor Gericht angefochten werden (eine Gefahr, weil das amerikanische Bundesgerichtssystem durch die Ernennung hunderter konservativer Richter unter Trump dramatisch nach rechts gerückt ist), noch von einer Nachfolgeregierung rückgängig gemacht werden.

Mit oder ohne Demokratische Senatsmehrheit ist die neue Regierung für ihre umfangreiche Klimaagenda vor allem auf die Umsetzung durch die Bundesbehörden regierungsweit angewiesen; dies wird bei einem gespaltenen Kongress nur umso wichtiger.  Die rasche Wiederherstellung, gezielte Verbesserung  oder kluge Ausweitung der über 100 Klima- und Umweltvorschriften aus der Obama--Zeit, die von der Trump-Regierung ausgesetzt, geschwächt oder abgeschafft wurden, wie beispielsweise die Regulierung der CO2-Emissionen von Kraftwerken oder von Methanentweichungen aus Öl- und Gasförderfeldern oder von bestehenden Luft-und Wasserreinhaltungsrichtlinien ist dabei das Fundament, mit einer revitalisierten Umweltbehörde EPA als Leitagentur. Darüberhinaus hat ein Präsident Biden, wie im Wahlkampf angekündigt, die Möglichkeit, über präsidentielle Ausführungsverordnungen (executive orders) quasi per Federstrich seine Behörden zu verpflichten, regulative Kurskorrekturen in der US-Wirtschaft hin zu einer dauerhaften Energiewende anzustoßen, zum Beispiel durch Exekutiverlasse, die Naturschutzgebiete auf 30 Prozent der amerikanischen Landfläche und Hoheitsgewässer auszuweiten und das arktische Naturschutzgebiet vor Ölbohrungen zu schützen, die Vorschriften für den sparsamen Umgang mit Treibstoff zu verschärfen, indem Kaliforniens progressive Standards zu Bundesstandards erhoben werden, die Effizienz von US-Regierungsgebäuden zu steigern und die Effizienzstandards für Geräte und Gebäude zu erhöhen.

Unter Bidens Präsidentschaft könnte die designierte US-Finanzministerin Janet Yellen, ehemalige Leiterin der amerikanischen Notenbank, angesichts der zentralen Rolle der USA für das internationale Finanzsystem eine der wichtigsten Lenkungsstellen der US-Klimapolitik besetzen, um die US-amerikanische und die Weltwirtschaft auf die kohlenstoffarme Zielgerade zu bringen, mit enormen Auswirkungen für die Realisierung des Pariser Abkommens und insbesondere des oft vergessenen Mandats, alle Finanzflüsse kompatibel mit den Pariser Klimazielen zu machen.

Schlüsselrolle für US-Finanzministerium

Als Leiterin der Finanzaufsichtsbehörden und insbesondere des Rats für die Überwachung der Finanzstabilität (Financial Stability Oversight Council, FSOC), der 2008 als Folge der Finanz- und Immobilienkrise in den USA eingerichtet wurde und dem die führenden Vertreter der US-Notenbank, der Börsenaufsicht (Securities and Exchange Commission, SEC) und anderer Bankenaufsichtsbehörden angehören, kann sie amerikanische Banken und Unternehmen dazu drängen, die Finanzrisiken, die der Klimawandel mit steigenden Temperaturen für ihre Geschäftsbilanzen bedeutet, einzukalkulieren und inkompatible Geschäftspraktiken zu ändern. US-Klimaaktivist*innen hoffen darauf, dass die FSOC, ähnlich wie nach der geplatzten US-Immobilienblase, die US-Kohlenstoffblase von unregulierten Investitionen in fossile Brennstoffe adressiert. Eine Koalition grünnaher Gruppen fordert die designierte Finanzministerin daher auf, die Möglichkeit von US-Banken einzuschränken, mit Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten, Geschäfte zu machen. Darüberhinaus könnten Banken verpflichtet werden, für die Kreditvergabe für Öl und Gas ihre Kapitalreserve zu erhöhen.

Als wichtigster Steuereintreiber des Landes ist das Finanzministerium auch für Steuererleichterungen für einheimische Erneuerbare Energien-Unternehmen verantwortlich und könnte diese in Direktförderungen im Rahmen eines zweiten Stimuluspakets verwandeln und umgekehrt das Kampagnenversprechen von Biden, die Subventionen für Öl-, Gas- und Kohleunternehmen zu beenden, durch die Reevaluierung existierender Steuervorteile für diese Unternehmen einlösen.  Yellen in ihrer Rolle als erste Wirtschafts-diplomatin der USA wird auch eine führende Stimme in der G20 und der G7, bei IWF und Weltbank und im Internationalen Rat für Finanzstabilität haben und könnte verstärkten Druck auf internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank ausüben, aus der Finanzierung von fossilen Brennstoffen ganz auszusteigen. Zu erwarten ist auch, dass sie als Teil ihrer internationalen wie nationalen Klimafinanzpolitk ihre langjährige Fürsprache für eine Kohlenstoffsteuer, die sie als "Lehrbuchlösung" für die globale Klimakrise bezeichnet hat, fortführt. Als  Gründungsmitglied des überparteilichen Climate Leadership Council, dem Unternehmen wie Ford Motor Co., Exxon Mobil Corp. und BP PLC angehören, sowie als ehemalige Ko-Vorsitzende zusammen mit Mark Carney in der Gruppe der 30 und ihrer überparteilichen Appelle amerikanischer Ökonomen hat sie sich wiederholt für eine Kohlenstoffabgabe eingesetzt.

Die Begeisterung für eine Bepreisung für Kohlenstoff teilt sie im Übrigen auch mit John Kerry, dem neuen Klima-Sonderbeauftragten des Präsidenten, der als Verfechter von Kohlenstoffmärkten gilt, worauf amerikanische Klima-Aktivist*innen mit Skepsis reagieren und argumentieren, dass die Erhebung einer Steuer auf und der Handel mit Kohlenstoff nicht ausreichend ist, um die globale Erwärmung zu verlangsamen.

Klima-kompatible Handelspolitik

Auch eine Grenzausgleichssteuer auf Importe, die kohlenstoffintensive Produkte benachteiligen und energieeffiziente Unternehmen belohnen würden, ist von Yellen in der Vergangenheit befürwortet worden. Eine solche Steuer könnte unter Biden, der den Einsatz aller nötigen außenpolitischen Instrumente der US angekündigt hat, um Klimaambitionen global zu erhöhen, auch Teil einer US-amerikanischen klima-kompatiblen Handelspolitik werden. Bidens Handelsagenda sieht daneben auch ein weltweites Verbot von Subventionen für fossile Brennstoffe und die Integration von Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung in Handelsabkommen vor, und kann sich dafür der Unterstützung Demokratischer Handelsexpert*innen im Kongress sicher sein. Dies könnte zum Beispiel in den Handelsbeziehungen mit China zum Tragen kommen, etwa als ein Versuch, China davon zu überzeugen, seine ausländische Unterstützung für den Bau neuer Kohlekraftwerke einzustellen. Eine Biden-Regierung würde damit dem Vorbild von Regierungen in der EU folgen, die erst 2018 Verhandlungsfortschritte über Zugang zum EU-Markt mit Druck auf die Regierungen in Australien und Brasilien verknüpft hatte, im Pariser Abkommen zu bleiben, nachdem diese einen Austritt angedroht hatten. Die EU hatten noch 2019 auch den USA unter Präsident Trump im transatlantischen Handelskrieg mit einer Grenzausgleichsteuer für amerikanische Importe gedroht.

Bidens Klimasonderbeauftragter John Kerry wird sich außerhalb der Klimarahmenkonvention und dem Pariser Abkommen auch in anderen internationalen Verhandlungsforen um Fortschritte im Kampf gegen die Klimakrise bemühen. Er wird dabei versuchen, auf seine Erfahrungen mit der Aushandlung der Kigali-Zusatz-Vereinbarung zum Montreal Protokoll aufzubauen, das die globale Nutzung von Fluorkohlenwasserstoffen als potenten Treibhausgasen reduzieren will. Eine US-Ratifizierung ist mit überparteilicher Unterstützung im US-Senat in erreichbare Nähe gerückt. Kerry könnte als Teil seiner globalen Klimaschutzdiplomatie auch versuchen, ähnliche Vereinbarungen in anderen Sektoren der Weltwirtschaft zu schmieden, beispielsweise in der Meeresschifffahrt mit Hilfe der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO oder dem zivilen Flugverkehr im Rahmen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation ICAO. Ein verstärktes amerikanisches Engagement für schnelle Fortschritte in der Bewältigung der Klimakrise wäre letztlich auch in der seit 2012 bestehenden Climate and Clean Air Coalition zur Reduktion kurzlebiger klimawirksamer Schadstoffe denkbar.

Ob und wie schnell die USA unter einem Präsident Biden in der globalen Gemeinschaft wieder anerkanntes Mitglied einer internationalen Klimaschutz-Führungsriege werden können, bleibt abzuwarten. Der Anspruch, die Ambition und auch das Potential sind in der neuen Regierung definitiv vorhanden, die amerikanische klimapolitische Glaubwürdigkeit nicht nur zu reparieren, sondern neu und besser zu fundieren, „build back better“ eben. Jetzt müssen den Versprechungen und Plänen massive Umsetzungsanstrengungen folgen. Die Weltgemeinschaft kann zum Wohle aller nur hoffen, dass es klappt.