Weniger Fleischverbrauch, bessere Tierhaltung: Aufgaben für die Politik

Fleischatlas 2021

Längst haben zivilgesellschaftliche Organisationen Vorschläge für eine klima- und umweltfreundliche Tierhaltung ausgearbeitet. Doch Fortschritte zeichnen sich nur bei den Haltungssystemen ab.

Fleischatlas Infografik: Folgen einer Reduktion des Fleischverzehrs auf durchschnittlich 600 Gramm pro Person und Woche gemäß Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und daher Senkung um 48 Prozent, für 2017 berechnet
Teaser Bild Untertitel
Wer sich im Fleischverbrauch an den empfohlenen 600 Gramm orientiert, lebt gesünder und ökologischer zugleich

Der gesellschaftliche Wunsch nach einer klima- und umweltfreundlichen sowie artgerechten Tierhaltung erfordert eine weitreichende politische Neuausrichtung der Agrarpolitik. Die derzeitigen niedrigen Preise machen es den Bäuerinnen und Bauern schwer, auf die gestiegenen nationalen Anforderungen nach mehr Umweltschutz und mehr Tierwohl zu reagieren. Der Umbau muss sowohl beim Konsum als auch bei der Produktion ansetzen und bedarf einer umfassenden politischen Strategie.

Als wichtigste Maßnahme schlagen Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaft vor, den Konsum tierischer Produkte bis 2050 zu halbieren. Würde der Fleischverbrauch von etwa 1,1 Kilogramm auf 600 Gramm pro Woche reduziert, könnten die Schweine- und Mastgeflügelbestände um mehr als 40 Prozent verringert werden. Zwar geht der Konsum seit Jahren leicht zurück, doch derart massive Verhaltensänderungen in der Bevölkerung müssten wohl gezielt gesteuert werden.

Fleischatlas Infografik: Preisnachteile für höherwertige Produkte, wenn die Mehrwertsteuer auf Fleisch von 7 auf 19 Prozent erhöht würde
Preiserhöhungen in Prozent benachteiligen die Qualität, Preiserhöhungen in festen Beträgen belasten die Billigkäufe

Die Bundesregierung hätte verschiedene politische Instrumente zur Verfügung. Sie könnte zielgruppenspezifische Informationskampagnen entwickeln, die Mehrwertsteuer erhöhen und pflanzliche Ernährung in Kitas, Schulen und Krankenhäusern fördern. Die derzeitige Strategie bewirkt das Gegenteil: Tierische Lebensmittel werden wie fast alle Lebensmittel mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent belegt. Doch eine Vergünstigung von Fleisch und Wurst ist sinnlos, wenn ohnehin zu viel davon konsumiert wird. Eine Anhebung der Mehrwertsteuer würde einen leichten Rückgang des Konsums bewirken. Der Gewinn für die Umwelt wäre allerdings sehr begrenzt, weil diese Maßnahme die Qualität der Produktion nicht beeinflusst. Im Gegenteil: Der Preisunterschied zwischen konventionell und ökologisch produziertem Fleisch würde sich weiter vergrößern und die billigere – aber weniger nachhaltige – Variante attraktiver machen. Anstatt tierische Produkte mit einer reduzierten Mehrwertsteuer zu belegen, könnte sie für pflanzliche Produkte wie Hafermilch reduziert werden und so einen Anreiz für eine pflanzenbasierte Ernährung schaffen.

Um die Tierhaltung ökologischer zu gestalten, fordern Nichtregierungsorganisationen als eines der wichtigsten Instrumente, die Tierhaltung an die Fläche zu binden. Ein landwirtschaftlicher Betrieb müsste also genug Flächen nachweisen, auf denen er seine Tiere ernähren und den Dung ausbringen kann. Nicht mehr als zwei Großvieheinheiten (GVE) sollten pro Hektar erlaubt sein, auf besonders mageren Standorten noch weniger. Eine Großvieheinheit entspricht einem Rind, etwa sechs Schweinen oder zehn Schafen.

Die Flächenbindung wurde erst 2006 aufgehoben. Das hat in einigen Regionen Deutschlands dazu geführt, dass die Tierzahlen massiv angestiegen sind. Neben der schrittweisen Wiedereinführung dieser Flächenbindung sollten landwirtschaftliche Betriebe auch dabei unterstützt werden, ihre Tierhaltung zu ändern – mit weniger Tieren und einer Ausrichtung auf besseres Tierwohl. Obwohl auch viele Agrarfachleute verschiedener Parteien die Flächenbindung als einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Umwelt- und Klimakrise sehen, hat die Politik dafür bisher noch keine konkreten Pläne vorgelegt.

Der Ökolandbau sieht derzeit 1,5 GVE pro Hektar vor. In den Landkreisen mit zu hohen Tierzahlen würde eine derartige Reduktion zu 13 Prozent weniger Schweinen und 9 Prozent weniger Rindern führen. Produktion und Verbrauch im Land würden sich annähern, und das Ziel, sich zu 100 Prozent selbst zu versorgen, geriete in Sichtweite. Gegenwärtig werden für Fleisch 114 Prozent gemeldet, für Schweinefleisch sogar 119 Prozent.

Die Möglichkeiten der Flächenbindung können aber nur dann ausgeschöpft werden, wenn sich auch die Konsumgewohnheiten ändern. Denn ein signifikanter Anteil der exportierten Erzeugnisse sind sogenannte Kuppelprodukte von Gütern, die für den Inlandsmarkt erzeugt werden. So gehen kaum Schweinefilets in den Export, sondern beispielsweise Schweinsköpfe und -füße, die in Deutschland nicht mehr gegessen werden.

Fleischatlas Infografik: Ergebnisse der Jugendumfrage
Fleisch soll teurer und Vegetarisches sichtbarer werden, finden junge Menschen. Was für Zigaretten gilt, ist für Fleisch wenig erwünscht: ein Werbeverbot

Die ökologischen Aspekte der Tierhaltung machen keine großen Fortschritte. Dafür gibt es aber inzwischen konkrete Pläne für Haltungssysteme, die dem Tierwohl gerechter werden. Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, bestehend aus Fachleuten, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen sowie Branchenvertretern und -vertreterinnen, erarbeitete ein Jahr lang ein gemeinsames Konzept. Es sieht vor, dass die Standards bei der Haltung bis 2040 schrittweise verbessert werden. Viele der heute üblichen Tierhaltungsanlagen werden unter dem vereinbarten Kompromiss nicht mehr existieren. Finanziert werden soll der Umbau durch eine Verbrauchssteuer auf tierische Produkte von etwa 40 Cent pro Kilogramm Fleisch. Der Bundestag hat diesem Vorschlag im Sommer 2020 zugestimmt.

Viele zivilgesellschaftliche Organisationen fordern zusätzlich eine verbindliche staatliche Kennzeichnung von Fleisch, die anzeigt, wie die Tiere gehalten wurden. Wie bei Eiern sollen die Kriterien so ausgestaltet sein, dass sie Anreize schaffen, das Wohl der Tiere stärker zu berücksichtigen. Für die Kundschaft im Einzelhandel wäre diese Kennzeichnung wichtig, weil sie mit ihrer Hilfe Fleisch aus artgerechter Haltung erkennen und die Entscheidung für eine bessere Haltung treffen könnte.