Was ist progressiv? Was konservativ?

Demo-Plakate auf der Wiese vorm Bundestag

Neue Beiträge zum Verhältnis von Verändern und Bewahren

„Progressiv“ und „konservativ“ sind Grundbegriffe, die fest im politischen Raum verankert sind und ihm Orientierung geben. Dabei werden sie in der Regel als gegensätzlich verstanden und scheinen oft kaum der Erklärung zu bedürfen. Verändern steht gegen Bewahren.

Aber ist zum Beispiel „…zu achten und zu schützen…“ eine konservative Maxime oder eine progressive? Im November 2020 haben sich Bündnis 90/Die Grünen ein neues Grundsatzprogramm gegeben und es unter diesen Titel gestellt. Das Zitat aus Artikel 1 des Grundgesetzes verdeutlicht, einerseits, eine Lerngeschichte der bündnisgrünen Bewegung und Partei im Hinblick auf die Rolle „staatlicher Gewalt“ in der Demokratie. Hatte das Bewahrende in der grünen Ideengeschichte seinen Ort bisher vor allem im ökologischen Denken, so gilt dies zunehmend auch für die Bewertung der repräsentativen Demokratie und ihrer Institutionen. Denn der Titel des neuen Grundsatzprogramms ist, andererseits, Ausdruck einer Krisenwahrnehmung. Normativ betrachtet macht es einen Unterschied ums Ganze, ob etwa im Namen der „hergebrachten Ordnung“ Veränderung abgewehrt und eine diskriminierende Praxis bewahrt werden soll – oder ob sich das Bewahren auf den Schutz errungener Freiheiten und deren institutionelle Absicherung bezieht. Der Blick zurück in die Geschichte und stärker noch „seitwärts“ auf die Shrinking Spaces in anderen Ländern, hat die Einsicht wachsen lassen, wie viel „Achtens- und Schützenswertes“ es in diesem Land gibt, und wie entscheidend es zu seinem Erhalt gerade auch auf das bewahrende Engagement der Veränderungswilligen ankommt.

Zur politischen Orientierung taugt die Doppelfigur von „Verändern/Bewahren“ und „progressiv/konservativ“ also nur dann, wenn sie im Verhältnis zu ihrer Zeit und dem jeweiligen politischen Kontext betrachtet wird. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat dazu in den vergangenen zwei Jahren in loser Folge den Dialog zwischen Ideengeschichte und politischer Praxis angeregt. Den Auftakt bildete Peter Sillers böll.brief „Politische Orientierung in der Zeit: Zum Verständnis einer politischen Erzählung“. Der Ausbruch der Covid19-Pandemie hat den direkten Austausch über die Grundbegriffe der politischen Orientierung dann vorübergehend suspendiert, lässt ihn inzwischen gleichwohl umso dringlicher erscheinen. Einen Teil der bisherigen Beiträge dokumentiert jetzt die Publikation „Das Progressiv-Konservativ-Paradox“, mit Texten von Franziska Meifort, Thomas Biebricher, Jens Hacke und Grit Straßenberger. Fortsetzung folgt.