Nach dem Brexit ist vor dem Handelsabkommen: Wie steht es um einen neuen US-UK Handelsvertrag?

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Um den vollzogenen Brexit nun als Erfolg zu verzeichnen, braucht das Vereinigte Königreich jetzt schnell ein neues Handelsabkommen mit den USA. Ist dies nach Bidens Sieg eine Chance für das Klima?

Bruderkuss Donald Trump Boris Johnson
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Der populistische Bruderkuss: dieses Street Art-Bild machte zur Zeit des EU-Referendums die Runden im Internet.

Man mag es fast glauben: der Brexit ist vollzogen, die Brexiteers feiern die vermeintlich neue Unabhängigkeit des Vereinigte Königreichs. Doch das Ende der EU-Mitgliedschaft ist zugleich auch der Anfang neuer Handelsverträge. Oder so zumindest behaupten es die Brexiteers. Denn eins ihrer Hauptversprechen war die neugewonnene Freiheit, selbstständig neue Handelsabkommen mit Ländern „der ganzen Welt“ abschließen zu können. 

Dabei machen die Tories schon lange kein Geheimnis daraus, dass sie sich ganz besonders ein Handelsabkommen mit ihrem best friend, den USA, wünschen. So war die damalige Premierministerin Theresa May eine der ersten westlichen demokratischen Regierungschef/innen, die Trump zu seinem kontroversen Wahlerfolg gratulierte. Wenige Tage später entstand der von der britischen Presse als awkward beschriebene Moment, in dem die britische Premierministerin mit dem neuen US-Präsidenten Händchen hielt. Selbst für die Tories, die bekanntlich vor wenig zurückschrecken, war das ein neuer Tiefpunkt: Trump war zu der Zeit noch unbeliebter bei den Brit/innen als jetzt. So wie die Bürger/innen vieler anderer westeuropäischer Länder betrachteten sie ihn sexistischen Rüpel, Despot und eigennützigen Lügner. Doch mit dem Brexit auf dem Weg brauchte das Land die Unterstützung der USA vielleicht mehr denn je (oder zumindest seit 1945).

Auch unter Theresa Mays Nachfolger florierten die britisch-amerikanischen Beziehungen. Trump und Johnson vertrugen sich prächtig, man vergaß, dass Johnson ihn zuvor öffentlich beleidigt hatte und Trump versprach wiederholt ein „phänomenales“ Abkommen mit den Brit/innen.

Doch dann kam die Präsidentschaftswahl und der Sieg Bidens. 
 

Bidens Sieg hat Johnson einen Strich durch die Rechnung gemacht

Mit einem Mal sieht die Zukunft des special relationship gar nicht mehr so special aus. Denn solange nichts Unerwartetes passiert, verlässt Trump am 20. Januar 2021 das Amt und wird von Joe Biden abgelöst. Und während Trump den Brexit noch als „beautiful, beautiful thing“ beschrieb, so liegen die Loyalitäten des President-elect woanders. 

Biden ist stolz auf seine irischen Wurzeln, besuchte schon oft das motherland und wird aller Wahrscheinlichkeit auch seinen ersten präsidentiellen Staatsbesuch dorthin verlegen. Vom britischen Premier hingegen hält er wenig, beschrieb ihn zuletzt als Donald Trump’s „physical and emotional clone“. Und auch beim Brexit macht Biden seine Loyalitäten öffentlich erkennbar: sollte das Vereinigte Königreich das Karfreitagsabkommen aufs Spiel setzen, so warnte er im September 2020, könne sich die USA auch auf nicht auf einen Handelsvertrag mit den Brit/innen einlassen. Und als die BBC im Januar 2020 um ein quick word bat, witzelte Biden: „Die BBC? Ich bin Ire!“. Auch wenn Bemerkungen wie diese natürlich humorvoll gemeint sind, so unterstreichen sie dennoch, dass die Prioritäten Bidens nicht bei Brexit Britain, sondern bei the island of Ireland liegen.

 

Joe Biden und Taoiseach Enda Kenny in Ballina, Irland am 22. Juni 2016
Biden besuchte die Republik Irland zuletzt 2016, damals noch als Vizepräsident

 

Doch was für Johnson und seine Brexiteers erstmal schlecht ist, könnte sich günstig aufs Klima auswirken. Denn Biden wird schon jetzt als Klima-Präsident gehandelt: nur zwei Wochen nach seiner Wahl präsentierte er sein Klimateam, und stellte dabei den prominenten Ex-Außenminister John Kerry an die Spitze. Auch Trumps Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen wolle er schon am ersten Amtstag umkehren. Der britischen Regierung scheint Bidens Bemühen ums Klima bewusst zu sein, denn Johnson nutzte seinen Gratulationsanruf wohl auch dazu, den neuen Präsidenten zur diesjährigen UN-Klimakonferenz einzuladen.

So viel scheint klar: will die britische Regierung eine Audienz bei President Biden bekommen, so müssen sie nicht nur ihre Bemühungen um Frieden für Irland, sondern auch ihre guten Absichten fürs Klima unter Beweis stellen.
 

Beißt Biden bei Johnsons Klimapaket an?

Vielleicht war es daher ein Zufall, vielleicht aber auch einfach kaltes Kalkül, dass Premier Johnson nur wenige Tage nach Bidens Wahl ein (vermeintlich) neues Klimapaket ankündigte. Auf zwölf Milliarden Pfund (ca. 13,3 Mrd. Euro) würde er die Klimaausgaben erhöhen, wovon 8 Milliarden Pfund neu investiert seien. Die oppositionelle Labour-Partei hingegen schätzt die Neuinvestitionskosten auf nur etwa 4 Millionen ein. 

Laut Johnson werde die britische Regierung dabei unter anderem die Kapazitäten britischer Offshore-Windenergie innerhalb der nächsten zehn Jahre vervierfachen. Immerhin genug, um alle Haushälter im Land mit Strom zu versorgen. Auch der Verkauf von Diesel- und Benzinautos solle nun schon ab 2030 statt 2040 verboten werden, während Ladestationen und die Anschaffung neuer E-Autos bezuschusst werden sollen. Eine weitere Milliarde Pfund solle in die Isolierung britischer Gebäude fließen. So weit, so grün.

Doch wird Biden auf dieses politische Kalkül eingehen? Immerhin hat sich die Kapazität britischer Offshore-Windenergie innerhalb der letzten zehn Jahre ohnehin bereits verzehnfacht. Dagegen wirkt eine weitere Vervierfachung vielleicht nicht mehr so eindrucksvoll. Besonders nicht, wenn man einberechnet, dass die Baukosten für Offshore-Windparks in den letzten zehn Jahren um etwa zwei Drittel gesunken sind und Offshore-Windenergie wohl bereits 2023 weniger als herkömmliche Gaskraftwerkenergie kosten wird. Johnsons Versprechen kostet daher vergleichsweise weniger als noch in den Anfangsjahren der Windenergie, und das Versprechen lässt sich wohl fast von selbst erfüllen.

 

Ein Boot hält vor dem Offshore Windpark Teesside

Ein Boot hält vor dem Offshore Windpark Teesside. Das Vereinigte Königreicht gilt als der zweitgrößte potenzielle Markt für Offshore-Energie in Europa[1]
 

Eventuell hat Johnson es sich zu leicht gemacht mit diesem Klimadeal. Denn auch seine Ansage, dass London das neue „global centre of green finance“ oder, dass Fahrrad-, Fußwege und öffentlicher Verkehr landesweit ausgebaut werden sollen, wurden in seinem Paket nicht mit weiteren Zahlen oder Zeitplänen festgenagelt. Damit sind diese Versprechen erstmal nichts außer heiße Luft ­– aber gerade die soll ja in den nächsten Jahren weltweit gesenkt werden.
 

Johnsons Klimapaket wird von manchen jedoch als Mogelpackung betrachtet

Auch im Kontext anderer Pakete wirkt das britische Klimapaket etwas bescheiden: natürlich ist ein direkter Vergleich mit dem Europäischen Green New Deal aufgrund des Größenunterschieds nicht unbedingt fair. Eine proportionale Umrechnung der Investitionskosten auf individuelle Einwohner (ca. £181/€202 pro Person in UK; ca. €2.237 pro Person in der EU[2], also etwa zehn Mal so viel) ist zu vereinfacht, denn die Pakete beinhalten verschiedene Inhalte, Ziele und Laufzeiten und bauen zudem auf unterschiedlichen Finanzierungsplänen auf. 

Ein inländischer Ausgabenvergleich ist da vielleicht etwas fairer, aber er lässt Johnson auch nicht unbedingt besser dastehen. Denn nur wenige Tage nach seinem (in vielen Hinsichten recycelten) Klimapaket kündigte Johnson auch eine Finanzspritze für das britische Militär an: zusätzliche 15 Milliarden Pfund solle es in den nächsten Jahren erhalten. Damit ist diese Aufstockung alleine größer als das gesamte britische Klimapaket – das sollte auch dem zukünftigen amerikanischen Präsidenten nicht entgangen sein. Einerseits könnte das ein Segen sein, denn bereits die Obama/Biden-Administration verlangte mehr Investition von ihren Nato-Partnern.

Trotz dieser Bemühungen hat Biden jedoch angekündigt, sich zuerst auf inländische Themen zu fokussieren, um den Aufschwung nach Covid-10 sicherzustellen. Es scheint also, als wäre Biden weiterhin nicht an einem Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich interessiert.
 

Die Hoffnung auf ein Handelsabkommen stirbt zuletzt

Die britische Regierung scheint dennoch nicht die Hoffnung aufzugeben. Immerhin hat das Vereinigte Königreich das Glück im Unglück, dass sie die pandemiebedingt-verschobene UN-Klimakonferenz nächstes Jahr ausrichtet. Ob COP 26 in Glasgow wohl die Gelegenheit bieten wird, sowohl den britischen Ruf bei Biden wiedergutzumachen als auch die Aussicht auf ein britisch-amerikanisches Handelsabkommen zu verbessern?

Oder wird Biden sich, wie angekündigt, erst auf den Wiederaufbau der eigenen Wirtschaft und der amerikanisch-europäischen Beziehungen bemühen? Immerhin leiden die USA besonders stark unter den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Covid-19 Pandemie, und mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs haben sie zudem soeben ihren engsten Verbündeten in der EU verloren. Auch die vierjährige Präsidentschaft Trumps wird in der internationalen Arena ihre Narben hinterlassen haben, die der neue Präsident nun erstmal gesund pflegen muss. Und dabei werden die Beziehungen zur drittgrößten Wirtschaft der Welt wohl Vorrang vor dem Vereinigten Königreich haben. 

Vielleicht schafft Johnson es ja, den neuen amerikanischen Präsidenten zu überzeugen. Immerhin ist Biden wohl nicht besonders nachtragend, und sein britisches Pendant sehr charmant (wenn er nur will). Und wenn es dem britischen Premier gelingt, einen zukünftigen Handelsvertrag sowohl als Klima- als auch Corona-Aufschwungspaket zu verkaufen, dann könnte es wohl vielleicht doch noch vor 2022 klappen. Doch das steht noch in den Sternen geschrieben. 

 


[1] Siehe Seite 20: https://www.energy.eu/publications/a07.pdf


[2] Die Ausgaben für den Green New Deal werden auf ca. 1 Billion Euro geschätzt, UK’s Klimapaket auf ca. £12 Milliarden. Die Bevölkerung der EU beträgt aktuell ca 447 Millionen, während im Vereinigten Königreich etwa 66 Millionen Menschen leben.