Kambodscha: Abtreibungen zwar legal, aber unsicher

Interview

In Kambodscha haben Frauen in den letzten Jahren einen langen Weg in Richtung Gleichberechtigung zurückgelegt, stehen aber weiterhin vor zahlreichen Herausforderungen. Interview mit Bunn Rachana.

Klaahan - Abortion is healthcare

Bunn Rachana ist Leiterin und Mitbegründerin der Frauenrechtsorganisation Klahaan und hat mit uns über reproduktive Rechte in Kambodscha gesprochen.

Chamrong Chuon: Was sind die wichtigsten Gender-Themen in Kambodscha?

Bunn Rachana: In Kambodscha haben Frauen in den letzten Jahren einen langen Weg in Richtung Gleichberechtigung zurückgelegt, stehen aber weiterhin vor zahlreichen Herausforderungen. Trotz laufender Bemühungen der Regierung und zivilgesellschaftlicher Akteure bestehen immer noch erhebliche geschlechtsspezifische Ungleichheiten. Dazu gehören der erschwerte Zugang zu Hochschulbildung, vor allem in den Bereichen Jura und Wissenschaft, und die extreme Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen in allen Arbeitsbereichen. 

Bunn Rachana, Feministin, Leiterin und Mitbegründerin von Klahaan
Bunn Rachana, Feministin, Leiterin und Mitbegründerin von Klahaan

Die Einschränkung der "Rechte von Frauen auf Selbstbestimmung, Meinungsäußerung und körperliche Unversehrtheit" ist kein neues Thema in der kambodschanischen Gesellschaft. Dieses Spannungsverhältnis hat sich in den letzten Jahrzehnten auf vielfältige Weise manifestiert und zeigt sich zum Beispiel daran, wie schwer es für kambodschanische Frauen ist, eine Scheidung zu erwirken; oft trotz heftiger anhaltender häuslicher Gewalt, oder indem ihnen der Zugang zu erschwinglichen und sicheren Abtreibungen erschwert wird. 

Wie steht es um die sexuellen und reproduktiven Gesundheitsrechte in Kambodscha?  

Viele kambodschanische Mädchen und Frauen aller sozialen Schichten leben in Angst und sind von geschlechtsspezifischer Gewalt bedroht, insbesondere von Gewalt in der Partnerschaft und häuslicher Gewalt. Fälle von Vergewaltigung, Gruppenvergewaltigung und/oder Mord an Frauen werden sowohl auf traditionellen als auch auf sozialen Medienplattformen mit alarmierender Häufigkeit berichtet.

Nach den Ergebnissen einer nationalen Umfrage zur Gesundheit und Lebenserfahrung von Frauen in Kambodscha, die 2014 durchgeführt wurde, hat

"eine von fünf kambodschanischen Frauen (19,6 %) berichtet, dass sie in ihrem Leben mindestens einen Vorfall von Gewalt in der Partnerschaft erlebt hat". 

Darüber hinaus versäumen es staatliche Stellen, weibliche Überlebende beim Aufbau ihrer sozioökonomischen Unabhängigkeit zu unterstützen und drängen sie dazu, bei ihren gewalttätigen Ehepartnern/Partnern durch Mediations- und Versöhnungsverfahren auf lokaler Ebene zu bleiben. Das Ministerium für Frauenangelegenheiten (MoWA) und das Ministerium für Kultur und Kunst (MCFA) werden von der Öffentlichkeit oft so wahrgenommen, als läge ihnen mehr daran, Frauen vorzuschreiben, was sie zu tun und welche Kleidung sie zu tragen haben, als sich gegen Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt einzusetzen. Ebenso wird das Justizministerium in der Bereitstellung von juristischen Mitteln für Überlebende und Opfern von geschlechtsspezifischer Gewalt als untätig wahrgenommen.

Was ist die aktuelle Gesetzeslage zur sicheren Abtreibung in Kambodscha?

Abtreibung ist in Kambodscha legal - das Kambodschanische Königreich verabschiedete das Gesetz bereits 1997, es trat jedoch erst 2002 in Kraft, nachdem das Gesundheitsministerium es für wirksam erklärte. Das Gesetz ist jedoch von konservativen Werten durchzogen und hat patriarchalische Grundzüge; es ermächtigt die männlich dominierte Regierung, über den Körper von Frauen zu bestimmen. So ist nach dem Gesetz ein Schwangerschaftsabbruch nur im ersten Trimester der Schwangerschaft legal. Nach Ablauf von 12 Wochen ist eine Abtreibung nur unter den folgenden Umständen zulässig: (a) wenn die Wahrscheinlichkeit einer Missbildung des Fötus besteht oder wenn die Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben der Mutter darstellt; (b) wenn das Baby an einer unheilbaren Krankheit erkrankt; oder (c) wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung verursacht wurde. Nur unter solchen Umständen kann ein Schwangerschaftsabbruch erlaubt werden, der von einer Gruppe von "2 oder 3 medizinischen Fachkräften" genehmigt werden muss. 

Diese Bestimmungen untergraben die bewährte Grundvorstellung, dass Frauen das Recht über ihren eigenen Körper haben. Das kambodschanische Strafgesetzbuch erkennt Mädchen und Jungen im Alter von 15 Jahren das Recht zu, sexuell aktiv zu sein und Entscheidungen über ihren Körper zu treffen. Besonders besorgniserregend ist, dass die Regelung um einen Schwangerschaftsabbruch auf dem Schwangerschaftsstadium basiert. Das verweigert Frauen die Kontrolle über ihren Körper und Zugang zu sicheren medizinischen Verfahren und erfahrenen Ärzte*innen. Die Entscheidungsfreiheit von Frauen wird dadurch unterwandert und lässt ihnen keine andere Wahl, als unsichere Abtreibungsdienste in dubiosen Kliniken in Anspruch zu nehmen, die ihr Leben in Gefahr bringen können.

Warum gibt es weiterhin eine schätzungsweise hohe Anzahl an unsicheren Abtreibungen, obwohl sie gesetzlich erlaubt sind? Welche systemischen, soziokulturellen Faktoren stehend der Autonomie und Kontrolle von Frauen im Weg, über einen sicheren Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden?

Obwohl Abtreibungen in Kambodscha seit 1997 erlaubt sind, zeigen Untersuchungen, dass Frauen  oft zögern, bevor sie eine Abtreibung in Anspruch nehmen, und dass sie nach einer Abtreibung oft mit einer heftigen Stigmatisierung in der Gesellschaft konfrontiert sind. 

Über 95 Prozent der Kambodschaner*innen identifizieren sich als Theravada-Buddhisten. Kambodschaner*innen, die dem Theravada-Buddhismus folgen, sind angewiesen, ihr Leben nach den fünf Geboten des Buddhismus zu führen, von denen eines lautet, keine Lebewesen zu verletzen und Nächstenliebe zu praktizieren. Nach dieser Lehre ist Abtreibung eine Sünde und muss bestraft werden. Viele Ärzt*innen entscheiden sich daher, erst keine Abtreibungen vorzunehmen, um den moralischen Konflikt zu vermeiden, ob sie ein guter Buddhist oder ein guter Arzt sind. 

Ein weiteres Problem ist die so genannte "Jungfräulichkeitskultur". Da Kambodscha ein konservatives Land ist und die Regierung hauptsächlich von Männern dominiert wird, gibt es eine aktive Bewegung, die die sexuelle Autonomie der Frauen unterdrücken will und stattdessen ein idealisiertes Bild einer jungfräulichen, unterwürfigen Frau schaffen will. Dies hat besonders bei jungen und/oder unverheirateten Frauen Ängste ausgelöst und sie davon abgehalten, über ihre ungewollte Schwangerschaft zu reden oder offen Informationen und/oder Abtreibungsdienste im Krankenhaus oder in der Klinik zu suchen, aus Angst, als “unangemessene” Frau verurteilt zu werden, die als “ungeeignete Ehefrau” abgetan wird. Das hat viele junge und/oder unverheiratete Frauen dazu gebracht, eine Abtreibung bei einem nicht lizenzierten Arzt oder einer Ärztin zu suchen. 

Nach Angaben des National Maternal and Child Health Center wurden in den letzten fünf Jahren ca. 40% aller Abtreibungen von nicht lizenzierten Ärzt*innen durchgeführt. 

Wie hat sich die Pandemie auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit, das Recht und den Zugang zu Abtreibung ausgewirkt?

In Kambodscha kam es nicht zu einem Lockdown wie in anderen Ländern. Trotz der neuesten Ausbreitung von Covid-19 in einigen Teilen des Landes (Stand: Februar 2021!) können die Kambodschaner*innen ihrem Alltag wie gewohnt nachgehen und auch medizinische und soziale Dienstleister besuchen. Wir wissen jedoch, dass, sobald wirtschaftliche Stressfaktoren das Haushaltseinkommen beeinträchtigen, häusliche Gewalt zunimmt; dadurch wird die Fähigkeit der Frauen, soziale Dienste und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, wahrscheinlich noch mehr beeinträchtigt. 

Wie können wir den Zugang zu sicheren Abtreibungsdiensten stärken? Wie könnte die Regierung sicherstellen, dass der Zugang zu Abtreibungsdiensten für Frauen während der Covid-Pandemie verfügbar war? Was muss getan werden, um sich für Krisen dieser Art zu wappnen?

Als Feministin glaube ich, dass das Persönliche politisch ist und umgekehrt; ich glaube auch an die Macht, unsere Stimme kollektiv zu nutzen, um positive Veränderungen in unserer Gesellschaft herbeizuführen. Vor allem um ein Umfeld zu schaffen, in dem Frauen aller sozialen Schichten ihre Menschenrechte voll genießen können, insbesondere die Rechte auf sexuelle und produktive Gesundheit. Die Botschaft ist also laut und deutlich: Es geht um unsere Körper und somit ist es unsere Entscheidung.  #OurBodiesOurChoices, egal ob es sich um Abtreibung oder etwas anderes handelt. 

Es ist daher wichtig, dass die Regierung aufhört, sich in unser Sexualleben und unser reproduktives System einzumischen; dass sie dringende notwendige Maßnahmen ergreift, um dieses und andere konservative Gesetze zu ändern; dass sie proaktiver an der Bekämpfung von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen arbeitet, anstatt sich darauf zu konzentrieren, was wir tragen oder mit unseren Körpern machen. 

Die Regierung sollte in die Ausbildung medizinischen Personals und in medizinisches Know-How, sowie in eine bessere Infrastruktur investieren, um sicherzustellen, dass sichere und legale Abtreibungsdienste auch in abgelegenen Regionen zugänglich, erschwinglich und sicher sind und die Frauen auch erreichen. 

Darüber hinaus sollte die Regierung in die Aufklärung der Öffentlichkeit über den rechtlichen Zugang zum Schwangerschaftsabbruch und die Rechte der sexuellen und reproduktiven Gesundheit investieren sowie umfassende Sexualerziehung in den Lehrplan der Schulen integrieren, angefangen von der Sekundarstufe bis hin zur Hochschulbildung. Die kambodschanische Jugend sollte aufgeklärt werden und Zugang zu qualitativ hochwertigen und verlässlichen Informationen haben, wie z.B. 1) durch den Präventionsansatz, der das gesetzliche Schutzalter und ihre sexuellen Rechte und Verhütung einschließt; und 2) durch den Milderungsansatz, der die Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten, sichere Abtreibungsdienste und Mechanismen zur Abhilfe nach sexuellem Missbrauch usw. umfasst. 

Deutsche Übersetzung von Caroline Bertram.