Fabio De Gregorio, Technische Universität Berlin

Latin-into-Hebrew: Medieval Natural Science Across Linguistic Boundaries

Die mittelalterlichen Text- und Wissenstransfers vom Griechischen ins Arabische bzw. vom Arabischen ins Lateinische und Hebräische sind bereits in großem Umfang erforscht worden. Übersetzungen und Übertragungen von lateinischen Texten ins Hebräische indes wurden bisher kaum untersucht – und das obwohl sich die hebräische Wissenstradition in Europa spätestens ab dem 15. Jahrhundert fast vollständig von ihren arabischen Quellen gelöst und mehrheitlich lateinischen Quellen zugewendet hatte. Text- und Wissenstransfers aus dem Lateinischen stellen somit eine bedeutsame Wende und Neuausrichtung der hebräischen Wissenschaftstradition im mittelalterlichen Europa dar.

Doch nicht nur das: Transkulturelle, multilinguale Transfers wie diese sind ein essentieller Bestandteil der gesamten europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Bis heute jedoch dominiert ein eurozentrisches, teleologisches Narrativ, das von einer separaten Entwicklung getrennter, mono-kultureller Blocks ausgeht: von einem arabisch-muslimischen, einem lateinisch-christlichen und einem hebräisch-jüdischen. Eine Erforschung des intellektuellen Austauschs zwischen hebräischen und lateinischen Gelehrten des Mittelalters stellt dieses Narrativ innerhalb der europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte infrage. Sichtbar werden hybride, heteronome Wissensnetzwerke – ein inklusiver wie offener shared cultural space des europäischen Mittelalters.

Solche transkulturellen Netzwerke erzählen die europäische Kultur- und Wissenschaftsgeschichte nicht mehr entlang eines veralteten historiographischen Narratives unabhängiger, homogener Identitäten. Im Fokus steht vielmehr das persönliche Profil des wissenschaftlichen Denkens und Handelns einzelner historischer Akteure sowie deren eigenständige Interaktion mit anderen Akteuren ihrer lokalen sozio-kulturellen Umwelt. Vor dem Hintergrund des individuellen Wirkens solcher Akteure – in meinem Fall Albertus Magnus (1200–1280) und Judah Romano (1293–1330) – kann das europäische Mittelalter und dessen scientiae als eine entscheidende Phase der europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte neu und anders verstanden werden: Denn als shared cultural space war diese Phase für kontinuierlichen Wandel und hybride Formen der Kooperation jeher offen, seine historischen Akteure waren weder rigide an gesellschaftlich vorgegebene Normen und Rollenmuster noch an Zuschreibungen und Grenzen innerhalb von Mehrheits- bzw. Minderheitskultur gebunden. Eine wissenschaftshistorische Erforschung der transkulturellen, multilingualen Wissensnetzwerke des Mittelalters ist damit nicht zuletzt anschlussfähig an aktuelle Debatten um die Identität, Geschichte, Bedeutung und Zukunft Europas.

 

Stichworte: History of science, latin-into-hebrew, medieval philosophy, cross-cultural exchange of knowledge, translation movement, Albertus Magnus, Judah Romano