Ein grünes Programm für Kosovo – was kann die neue Regierung Kurti / Osmani leisten?

Analyse

Zum Auftakt der von der Partei Vetëvendosje! angeführten Koalitionsregierung, steht der neue Staat vor großen Herausforderungen – doch die Umstände lassen hoffen. Viel wird davon abhängen, ob die neue Regierung den politischen Willen aufbringt, die Grüne Agenda für den Westbalkan umzusetzen, und wie tatkräftig sie ihre Regierungsgeschäfte angeht.

Kohlekraftwerk Kosovo B, Nachbarschaft der Roma-Gemeinschaft und ein paar Fahrradfahrer/innen aus ganz Europa

Mehr Gas für weniger Kohle

Kosovo wird fast komplett mit Strom aus zwei überalterten Steinkohlekraftwerken versorgt. Im Jahr 2020 wurde das Projekt „Kosovo e Re“ für den Bau eines neuen Kohlekraftwerks abgeblasen, denn die Weltbank, die sich aus der Kohlewirtschaft zurückziehen will, hatte die Mittel gestrichen. Der neugewählte Ministerpräsident Albin Kurti hatte sich gegen „Kosovo e Re“ gestellt, sich jedoch nie ausdrücklich gegen die Nutzung von Kohle ausgesprochen, weshalb unklar bleibt, ob seine Regierung die Erklärung von Sofia, das heißt, die „Grüne Agenda für den Westbalkan“ unterstützt.

In ihrem recht diffusen Planwerk drückt die Regierung den Wunsch aus, Energie aus unterschiedlichen Quellen zu nutzen und die staatlichen Unternehmen in die Gewinnzone zu bringen. Etwas konkreter ist davon die Rede, die nicht funktionsfähigen Betriebsteile des Kraftwerks Kosovo A endgültig stillzulegen, und im Kraftwerk Kosovo B weitere Umweltschutzmaßnahmen durchzuführen. Einen Zeitrahmen dafür gibt es bislang allerdings nicht. Auf die sozialen Folgen, sollte ein Teil der aktuell 3.500 Stellen in der „Kohlebranche“ verloren gehen, wird ebenso wenig eingegangen, wie auf die Frage, für welche Gesundheitsschäden die Kohleverstromung verantwortlich ist.

Die Regierung scheint jedoch Mittel für bessere Rahmenbedingungen bereitstellen zu wollen, durch welche die Energieversorgung sowohl nachhaltiger wie auch bezahlbar wird. Schwerpunktmäßig soll die Energieeffizienz gesteigert, die Zahl der Energiequellen vermehrt und bestehende Erzeugungskapazitäten effektiver verwaltet werden – um so die Energiesicherheit des Landes zu verbessern. Will sich Kosovo für die „Grüne Agenda für den Westbalkan“ engagieren, müssen konkrete Pläne für einen Kohleausstieg entwickelt werden. Die Regierung hat begonnen, eine neue Energiepolitik zu entwickeln – was für die Wirtschaft des Landes spürbare Folgen haben wird.

Einem nachhaltigen Kohleausstieg steht vor allem eines im Weg: die Energiepreise. Um sie niedrig zu halten, schießt die Regierung in großem Stil Mittel zu. Für notwendige Investitionen fehlt das Geld. Da die Europäische Energiegemeinschaft wiederholt klargestellt hat, dass Subventionen von Kohle ihren Regeln widersprechen, scheint die neue Regierung des Kosovo neben erneuerbaren Energien vor allem auf Erdgas zu setzen. Kurzfristig könnte Erdgas nachteilige Folgen eines schnellen Kohleausstiegs für Wirtschaft und Energiesicherheit abfedern.

Allerdings gibt es derzeit keine Erdgaspipeline nach Kosovo. Man geht davon aus, dass ein Anschluss nach Nordmazedonien die günstigste Lösung für den Import jenes Erdgases wäre, das Kohle als Energieträger ablösen soll. Der Kosovo hat eine Machbarkeitsstudie für einen Anschluss nach Nordmazedonien beauftragt – und zwar als Alternative zu der Lösung, der man den Vorzug gibt, einem Anschluss an das Gasnetz Albaniens. Die Pipeline Nordmazedonien – Kosovo erhält also Auftrieb, und sie könnte durch internationale Gelder mitfinanziert werden.

Neustart für Erneuerbare Energien

Die Energieintensität von Kosovos Wirtschaft liegt um das Vierfache über dem Mittel der EU, und der Anteil von Wind- und Sonnenenergie fällt im Vergleich niedrig aus. Der Anteil der Erneuerbaren am Primärenergieverbrauch Kosovos belief sich 2018 auf 24,9 Prozent und entspricht damit der Zielvorgabe von 25 Prozent für 2020.

Einspeisetarife für erneuerbare Energien werden bisher freihändig vergeben. Das Sekretariat der Europäischen Energiegemeinschaft sieht Ausschreibungen vor, die für Wettbewerb und Transparenz sorgen. Die nach wie vor freihändige Vergabe im Kosovo lässt bezweifeln, ob hier immer alles mit rechten Dingen zugeht. Es ist zu hoffen, dass das neue Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz mit seinen Durchführungsbestimmungen diese Praxis beendet. Um die Abläufe transparenter zu gestalten, sieht das neue Gesetz zudem die Schaffung eines unabhängigen Fonds für Energieeffizienz vor.

Der Entwurf eines Gesetzes zum Klimawandel liegt vor, wie auch eine nationale Treibhausgas-Bilanz und eine Strategie für Maßnahmen gegen den Klimawandel (2019-2028). Wird dies wie geplant umgesetzt, hätte man eine solide Basis für klimagerechte Politik. Auch einen Aktionsplan gegen den Klimawandel hat die Regierung abgesegnet. Die Arbeiten am nationalen Klima- und Energieplan stehen noch am Anfang, doch auch hier gibt es Fortschritte. Die Luftschadstoff-Emissionen großer Verbrennungsanlagen hat Kosovo eigentlich in einem Nationalen Emissionssenkungsplan geregelt. Weil dieser Plan aber nicht umgesetzt wird und Stickoxid- und Staubemissionen noch immer viel zu hoch sind, hat die Energiegemeinschaft dieses Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

In den letzten Jahren haben zivilgesellschaftliche Organisationen Dutzende umweltrechtliche Genehmigungen geprüft, welche die Regierung kleinen Wasserkraftanlagen erteilt hatte. Aktuell sind fünf Klagen gegen die kosovarische Regierung anhängig, bei denen es vor allem um die mangelnde Bürgerbeteiligung bei Genehmigungsverfahren geht – was gegen Grundrechte verstößt. Ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen hat der neuen Regierung ihre Positionen vorgelegt. Eine Hauptforderung ist ein Moratorium für alle wasserbaulichen Projekte im Kosovo, das so lange gelten soll, bis landesweit alle Wasserressourcen geprüft sind. Das Ministerium für Umwelt, Raumplanung und Infrastruktur hat reagiert und erklärt, man werde die Genehmigungen und Konzessionen aller Wasserkraftanlagen im Kosovo prüfen und, so erforderlich, ein Moratorium verkünden.

Kosovo gehört nicht zu den Unterzeichnern der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, und entsprechend gibt es für das Land keine rechtlich verankerten „national festgelegten Beiträge“ (NDCs) zum Pariser Klimaabkommen und keine Zielvorgaben für 2030. Kosovo hat jedoch eine Treibhausgas-Bilanz für 2008 bis 2017 erstellt, und ein entsprechender Bericht für 2018 sollte Ende 2020 erscheinen. Geregelt wird der Klimaschutz bislang nur im Gesetz gegen Luftverschmutzung. Weitere Regelungen sollen in das Gesetz zum Klimawandel einfließen, das 2021 verabschiedet werden soll. Darüber hinaus wird viel davon abhängen, ob und in welcher Form Ziele zur Senkung von Emissionen und damit einhergehende Umsetzungsmaßnahmen in den Nationalen Energie- und Klimaplan (NECP) einfließen. Für den politischen Willen der neuen Regierung ist dies ein erster Härtetest.

Eine 2019 durchgeführte Online-Umfrage unter jungen Menschen ergab, 48 Prozent halten die Umweltprobleme im Kosovo für extrem ernst, während weitere 30 Prozent sie als sehr ernst einschätzen. Fragt man, welche Probleme am schwersten wiegen, nennen 66 Prozent die Luftverschmutzung, 52 Prozent die Abfallwirtschaft. Da es in den vergangenen Jahren gravierende Probleme mit der Luftqualität gab, wundert nicht, dass dieses Thema ganz oben steht.

Den Klimawandel nannten überraschenderweise nur 3,2 Prozent der Befragten, was zeigt, wie wenig das Thema in der Öffentlichkeit präsent ist. Eine Initiative, die dem entgegenwirken kann, ist die von der Balkan Green Foundation, einer Partnerorganisation der Heinrich-Böll-Stiftung, durchgeführte Reihe „Green Talk“, bei der im Juni diesen Jahres Präsident Osmani zu Gast war.

Obgleich die Regierung mit ihrer annähernd absoluten Mehrheit, die notwendigen Reformen durchführen könnte, fehlt der Druck von unten – und so ist zu befürchten, dass die meisten dieser Fragen nur auf dem Verwaltungswege angegangen werden. Die derzeit größte Herausforderung für die Regierung scheint die Frage zu sein, wie die nötigen Umweltreformen in einer labilen Wirtschaft und Gesellschaft umgesetzt werden können – die beide fast vollständig von Kohle abhängig sind.  Sollte der neuen Regierung dies dennoch gelingen, würde sie eines der wichtigsten Versprechen einlösen, welches man während des Wahlkampfes gemacht hatte.

Granit Gashi, Programmassistent Heinrich-Böll-Stiftung Regionalbüro Belgrad