„Die Taliban sind eine Realität vor Ort“

Interview

Der Abzug der Bundeswehr und ihrer Nato-Verbündeten stürzte Afghanistan Mitte August ins Chaos. Die Taliban haben seitdem die Macht übernommen. Nach wie vor ist die Lage im Land unübersichtlich. Stiftungsvorstand Barbara Unmüßig spricht mit dem Gründungsmitglied einer afghanischen Nichtregierungsorganisation über die humanitäre, wirtschaftliche und politische Situation vor Ort.

Menschen sind am frühen Morgen auf den Straßen Kabuls unterwegs
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Morgens in Kabul: In Afghanistan haben die Taliban die Macht übernommen.

Masood Karokhail ist Gründungsmitglied der afghanischen Nichtregierungsorganisation „The Liaison Office TLO“, der engsten Partnerorganisation der Heinrich-Böll-Stiftung in Afghanistan. Karokhail, der Ende Oktober zu Gesprächen in Berlin war, konnte zwei Wochen nach dem Fall von Kabul Afghanistan über Usbekistan verlassen, und lebt nun vorübergehend in Dubai. Im Gespräch mit Stiftungsvorstand Barbara Unmüßig spricht er sich - auch angesichts der wirtschaftlichen und drohenden Hunger-Krise in Afghanistan - dafür aus, einen Umgang mit dem neu/alten Taliban-Regime zu finden.

Barbara Unmüßig und Masood Karokhail

Barbara Unmüßig: Masood, Sie haben das Land nach der Machtübernahme durch die Taliban zwar verlassen, aber Sie stehen immer noch in engem Kontakt mit Kolleg/innen, Freund/innen, der Familie und Ihren Mitarbeitenden. Könnten Sie uns einen kurzen Einblick in die aktuelle humanitäre, wirtschaftliche und politische Situation vor Ort in Afghanistan geben?

Masood Karokhail: Danke, Barbara. Die humanitäre Lage ist sehr kritisch. In Afghanistan gibt es dafür ein Sprichwort: „Die Klinge hat den Knochen erreicht“, was bedeutet, dass die Menschen sehr stark leiden. Das trifft für das ganze Land zu. In diesem Winter wird die Situation vor Ort aufgrund der sehr schlechten Wirtschaftslage, der hohen Lebensmittelpreise, ausbleibender Gehälter und einem Bankensektor, der die Menschen nicht mehr mit dem dringend benötigten Bargeld versorgt, sehr, sehr schwierig.

Könnten Sie konkret beschreiben, was es für eine Familie bedeutet, in diesen Tagen in Afghanistan zu leben?

In der Stadt wie auf dem Land sieht die Situation für eine Familie nicht sehr vielversprechend aus. In der Stadt ist man natürlich auf ein Gehalt aus einem staatlichen Job oder einer Organisation oder irgendein monatliches Einkommen angewiesen. Da es an Arbeitsplätzen mangelt, es keine klaren Aussichten für die nahe Zukunft gibt und keine landwirtschaftlichen Flächen vorhanden sind, von denen man leben kann, ist die Lage in den Städten noch viel problematischer als in den ländlichen Gebieten. Das ländliche Afghanistan war in diesem Jahr stark von der Dürre betroffen, da es in vielen Provinzen nur sehr wenig geregnet hat. Die Menschen leiden also sowohl in den Städten als auch in den ländlichen Gebieten unter dieser Situation. Für eine Familie gibt es letztendlich keine Perspektive für eine Verbesserung ihrer prekären Lebenssituation. Auch die internationale Gemeinschaft reagiert nur sehr langsam auf die Situation.

Kommen wir zu der Frage, wie in dieser angespannten humanitären Situation der Umgang mit den Taliban gestaltet werden sollte.  Die Taliban werden manchmal als ein sehr einheitlicher Block beschrieben. Doch das stimmt so nicht: Innerhalb der Taliban zeigen sich unterschiedliche Fraktionen und viele verschiedene ethnische Zugehörigkeiten. Die Taliban schienen selbst überrascht, als sie an die Macht kamen. Inwiefern sind sie darauf eingerichtet, jetzt das Land zu führen, und wie sehen die internen Aushandlungsprozesse des neuen Regimes aus?

Die Taliban haben sogar in einigen früheren Erklärungen öffentlich gesagt, dass sie von dem Zusammenbruch der Regierung von Präsident Ghani überrascht wurden und dass der Einmarsch in Kabul anders geplant war. Aber sie haben die Macht übernommen, damit im ganzen Land keine Anarchie herrscht. Dazu kam es auch nicht. Massive Kämpfe und Blutvergießen wurde vermieden, was dazu führte, dass nur wenige Menschen ums Leben kamen.

Nun arbeiten die Taliban auf eine Machtkonsolidierung und Besetzung der Ministerien und Regierungsverwaltung hin. Ich denke jedoch, dass dies angesichts der schlechten Wirtschaftslage, der fehlenden finanziellen Mittel und internationalen Anerkennung sowie der brutalen Angriffe auf die schiitische Minderheit durch die ISK-Terrorgruppe eine noch größere Herausforderung darstellen wird. Es gibt also eine Menge Probleme auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene sowie Bedingungen, an die sich die Taliban kurz- und langfristig anpassen müssen.

Hier in Deutschland wird viel darüber diskutiert, ob die Taliban noch dieselben wie in den neunziger Jahren sind oder nicht. Was ist Ihr Standpunkt dazu?

Ich würde sagen, sie sind noch dieselben, aber gleichzeitig haben sie sich auch verändert. Vor allem hat sich Afghanistan im Laufe der letzten 20 Jahre stark verändert. Natürlich besteht die Führung der Taliban jetzt aus einer neuen Generation von Mitgliedern. Aber es sind auch noch Leute aus der alten Generation dabei. Vor Ort kann man eindeutig Veränderungen beobachten. Unter dem früheren Taliban-Regime gab es nur einen einzigen Radiosender, nämlich den staatlich geführten. Jetzt gibt es viele private FM-Radiosender. Auch gibt es um die 10 bis 20 Fernsehsender. Die sozialen Medien sind im ganzen Land sehr aktiv, und Afghanistan ist viel stärker mit der Welt verbunden als je zuvor. 

Wenn man also das heutige Afghanistan unter dem derzeitigen Taliban-Regime mit dem der neunziger Jahren vergleicht, kann man viele Unterschiede feststellen. Das liegt sowohl am sozialen Wandel als auch daran, dass Afghanistan nun viel größere städtische Zentren besitzt und ein weiter Teil der Bevölkerung viel stärker mit der Welt verbunden ist. Bei der letzten Machtübernahme der Taliban war Afghanistan ein Land, das gerade erst begann, sich von einem brutalen Bürgerkrieg zu erholen. Auch dieses Mal sind wir dabei, uns von einem Konflikt zu erholen, der 20 Jahre lang wütete. Dennoch war in puncto Infrastruktur und menschlicher Entwicklung dieses Land, in dem Kinder und Jugendliche 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen, zuletzt ein fortschrittlicheres Land. Und ich hoffe und wünsche mir, dass die Taliban sich dafür einsetzen, dass die Forderungen der Menschen gehört werden.

Frauen machen mindestens 50 Prozent der Bevölkerung aus – wie sieht ihre Situation derzeit konkret aus?

Ich bin der Meinung, dass Afghanistan ohne eine starke Beteiligung der Frauen nicht vorankommen kann. Meiner Meinung nach erwarten nicht nur die Frauen, sondern auch sehr viele afghanische Männer, dass es in puncto Bildung sowie Beteiligung der Frauen in Politik und Wirtschaft mehr Möglichkeiten und mehr Offenheit geben muss. Denn wie ich bereits erwähnt habe, geht es Afghanistans Wirtschaft nicht sehr gut, und afghanische Familien brauchen zwei Einkommen, damit eine Familie über die Runden kommt. Wir brauchen also Frauen in den Ämtern, in der Politik, im Gesundheitswesen oder in allen anderen Bereichen. In vielen Provinzen und Organisationen kann man beobachten, dass Frauen wieder arbeiten, sei es im Nichtregierungsbereich oder in der Passabteilung. Auch im Gesundheitssektor wurden Frauen aufgefordert, zur Arbeit zurückzukehren. Wir sehen auch, dass Frauen ihre Bürojobs wieder aufnehmen. In einigen Provinzen besuchen Mädchen sogar wieder das Gymnasium und Hochschulen. Wir hoffen, dass dies so weiter geht. Ich weiß, dass die internationale Gemeinschaft besorgt ist, weil es eine große rote Linie gibt. Auch für uns Menschen oder die Zivilgesellschaft in Afghanistan ist dies ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit. Was wir unbedingt benötigen, ist ein Dialog sowie die Anerkennung von Frauen und Männern in der Entwicklung Afghanistans.

Erwarten Sie in Bezug auf TLO, Ihre eigene Organisation, dass Sie Ihre Arbeit vor Ort fortsetzen können? Und was bedeutet es konkret, weiterzumachen:  Heißt das, Sie müssen mit den lokalen Behörden oder sogar den nationalen Behörden, also den Taliban, zusammenarbeiten?

Ich bin einer der Mitbegründer und Leiter von TLO. Ich arbeite in erster Linie für mein Land. Und in den letzten 18 Jahren haben wir eine Menge wertvolle Arbeit geleistet. Wir haben eine Menge Fortschritte gesehen. Und als Bürger Afghanistans möchte ich unsere Arbeit fortsetzen. Die Taliban-Regierung hat erklärt, dass Organisationen geschützt werden und ihre Arbeit fortsetzen dürfen. Wir hoffen, dass dies auch weiterhin der Fall sein wird und wir unsere Präsenz vor Ort aufrechterhalten und unsere Arbeit fortsetzen können. Mit den Taliban werden wir auf der Ebene der Provinzen, der Bezirke und natürlich in Kabul und auf nationaler Ebene in Kontakt kommen. Sie sind eine Realität vor Ort und sie stellen im Moment unseren Staat dar. Und wir, als afghanische Organisation, die vor Ort handelt und arbeitet, werden mit ihnen definitiv direkt in Kontakt treten müssen.

Sie haben gesagt, dass man nicht die gesamte Zivilgesellschaft Afghanistans evakuieren kann. Was bedeutet das konkret? Inwiefern müssen Sie im Umgang mit den Taliban Kompromisse eingehen? Was machen Sie, wenn die Taliban Frauen die Mitarbeit bei TLO oder Ihren Kooperationspartner/innen verbieten?

Ich finde, die Zivilgesellschaft ist im Hinblick auf die Entwicklung des Landes eine der größten Errungenschaften der letzten 18 Jahre. Wir sind eine junge Nation, in der Kinder und Jugendliche über 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Zivilgesellschaft ist ein wichtiges Gut und muss geschützt werden. Und natürlich können wir nicht die gesamte Bevölkerung evakuieren. Ich würde aber nicht unbedingt sagen, dass wir Kompromisse eingehen sollten. Wir brauchen zuerst einen Dialog. Bei dieser Art von Engagement sollten wir nicht zu früh über Kompromisse sprechen. Dies ist genauso unser Land wie die Taliban eine Realität in unserer Gesellschaft sind. Aber natürlich gibt es in Afghanistan noch viele andere Realitäten.

Die afghanische Zivilgesellschaft ist eine davon. Wir werden also auf jeden Fall daran arbeiten, einen Dialog zu führen und sehen, wie wir den zivilen Raum schützen und ihre Forderungen einbringen können. Und zwar im Hinblick auf die Rolle der Frauen, die menschliche Entwicklung sowie den Zugang zum Recht und die Beteiligung der afghanischen Bürger/innen am täglichen Leben. Das ist im Grunde das Ziel. Gleichzeitig wollen wir nicht, dass die Zivilgesellschaft als von außen aufoktroyierte Komponente wahrgenommen wird. Die demokratisch verfasste afghanische Zivilgesellschaft ist ein autochthon gewachsener Teil der Gesellschaft – der mit allen Teilen der Gesellschaft zusammenarbeitet, mit denjenigen, die einen traditionellen Lebensstil haben, wie auch mit der Bevölkerung in den städtischen Zentren.

Was die internationale Gemeinschaft und ihren Umgang mit Afghanistan betrifft, so erkennen die westlichen Länder die Taliban politisch nicht an, kooperieren aber auf humanitärer Ebene. Was sollten die westlichen Regierungen, die USA, die Europäische Union oder Deutschland im Hinblick auf Verhandlungen mit den Taliban Ihrer Meinung nach tun? Wo sollten sie Druck ausüben, wo sollten sie standhaft bleiben? Was erhoffen Sie sich von dieser Art von Dialog zwischen den Taliban und der internationalen Gemeinschaft?

Es gibt meiner Meinung nach zwei sehr wichtige Aspekte: Erstens sollte die humanitäre Unterstützung für Afghanistan nicht politisch sein, sondern muss der afghanischen Bevölkerung gewährt werden. Denn die Bevölkerung leidet im Moment sehr stark. Und diese Hilfe sollte direkt an die Menschen gehen, damit sie diesen Winter überleben können und wir eine humanitäre Katastrophe großen Ausmaßes vermeiden können. Meiner Meinung nach wird dies die größte Katastrophe der letzten 20 Jahre sein - in Afghanistan verhungern die Menschen. Zweitens, was die Frage der Taliban und der internationalen Gemeinschaft betrifft, sollte es ein Engagement geben. Begründen lässt sich ein solches Engagement natürlich auch mit der Frage des grenzüberschreitenden Terrorismus, mit Fragen der Migration und mit der Situation Afghanistans selbst, mit dem Frieden innerhalb des Landes, aber auch mit den nahegelegenen Ländern und der internationalen Gemeinschaft.

In diesem Zusammenhang darf Afghanistan nicht zu einem vergessenen Land werden, in dem Bürgerkrieg herrscht, das in Armut lebt und dessen Entwicklungen vermeintlich keine Auswirkungen auf andere haben werden. Ich denke, die Auswirkungen der Situation Afghanistans werden unweigerlich auf nationaler und internationaler Ebene zu spüren sein. Daher sollte die internationale Gemeinschaft auf die Taliban zugehen und mit ihnen kommunizieren.

Das macht sie ja schon, aber was sollte die internationale Gemeinschaft in diesem Zusammenhang am stärksten betonen? Soll sie einen politischen Prozess in Afghanistan fordern, sollte sie die Gewährleistung von Frauenrechten oder Menschenrechten fordern - was hat aus Ihrer Sicht die höchste Priorität?

Ganz klar ein politischer Prozess. Momentan gibt es eine Übergangsregierung, die von den Taliban gestellt wurde. Ich bin mir sicher, dass es Pläne für eine dauerhafte Regierung gibt, die auch eine gewisse lokale Legitimität oder mehr Unterstützung durch die afghanische Bevölkerung genießt. Wir brauchen einen politischen Leitfaden dafür, wie Afghanistan die Fragen der internationalen Einbindung angehen wird. Afghanistan möchte wieder mit der Welt verbunden sein und eine Wirtschaft haben, die nicht mehr unter Sanktionen leidet. Das sind meiner Meinung nach die Druckmittel, die die internationale Gemeinschaft gegenüber den Taliban hat. Und natürlich besteht weiterhin die Frage der politischen Anerkennung. Ich betone das, weil die politische Ungewissheit darüber, wohin wir langfristig gehen, die lokale Bevölkerung sehr beunruhigt. Ich hoffe also, dass die internationale Gemeinschaft einen solchen Prozess stärker vorantreibt. Natürlich können und müssen die Fragen der Eingliederung, die Partizipation der Frauen, die Rolle der Zivilgesellschaft in diesen Prozess einfließen. Und wir hoffen, dass dies eher früher als später geschehen wird.

Sie sprachen von humanitärer Hilfe und Unterstützung - humanitäre Hilfe hat auch einen eminent politischen Effekt, denn sie stärkt zweifellos die Taliban, verleiht ihnen in den Augen der Menschen eine stärkere Legitimität, da sie die Bevölkerung wenigstens mit Lebensmitteln oder medizinisch versorgen können. Es ist zweifelsohne ein Dilemma, aber es stellt sich nicht die Frage, ob man es tun sollte oder nicht, denn hier geht es um Leben und Tod. In dieser Hinsicht gilt meine Anerkennung der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Merkel, als sie sagte, wir können nicht das ganze afghanische Volk in Geiselhaft nehmen. Aber die Umsetzung dieser Hilfe scheint immer noch sehr langsam.

Es geht um die Frage einer Kollektivbestrafung. Normalerweise leidet bei allen Sanktionen und in jedem sanktionierten Land oder Regime in einer Notlage immer die Bevölkerung. Dies geschieht nicht zum ersten Mal. Aber in einem Land wie Afghanistan, das zu 70 Prozent von ausländischen Geldern abhängig war, ist es eine riesige Katastrophe, wenn diese Zahlungen plötzlich innerhalb von 48 Stunden gestrichen werden. Ein wichtiger Grund dafür war allerdings auch das Scheitern der Republik und ihrer Institutionen, und der Verhandlungen über eine politische Lösung. Dies ist ein kollektives Versagen auf breiterer Ebene, an dem auch die meisten westlichen Länder in gewisser Weise beteiligt waren. Meiner Meinung nach hätte dieser politische Prozess schon zuvor mehr Rechenschaftspflichten, mehr Verantwortlichkeit schaffen müssen, damit es nicht zu einer solchen Situation kommt, in der die Frage der kollektiven Bestrafung aufkommt.

Die zentrale Frage lautet jetzt: Wie kann man den Menschen helfen? Der Winter wird zu noch mehr Katastrophen und gravierenden Konsequenzen führen. Eine davon wird eine Massenauswanderung sein. Zunächst in die Nachbarländer und später natürlich nach Europa. Wird es dadurch zu noch mehr Unsicherheit und einer stärkeren Radikalisierung in der Gesellschaft kommen? Zu mehr Drogenmissbrauch, mehr Menschenhandel? Daher können wir humanitäre Hilfe nicht losgelöst von der spezifischen Situation in Afghanistan und den möglichen Folgen ihres Ausbleibens betrachten. Natürlich schafft sie Stabilität und wird insofern natürlich auch den Taliban ein gewisses Maß an politischer Stabilität verleihen.

Ich finde, dass es keine Alternative gibt, wenn es um Leben und Tod von Menschen geht. Dennoch fragen sich viele, warum angesichts der Milliarden von Dollar zu Entwicklungszwecken dies nicht zu einer stabileren wirtschaftlichen Situation und verbesserten Lebensbedingungen der Menschen geführt hat. Warum ist das Land immer noch so abhängig von Lebensmittelimporten? Hat hier auch die Entwicklungshilfe versagt?

Ich würde sagen, dass sie vor allem wirtschaftlich wenig bewirkt hat. Denn es wurden nur in geringem Maße nachhaltig funktionierende Wertschöpfungsketten geschaffen oder unterstützt. Es wurde sehr viel Entwicklungsgeld in Finanzspritzen zur kurzfristigen Stabilisierung der Wirtschaft gesteckt, um die sehr volatile, unsichere Situation zu stabilisieren. Gleichzeitig ist eine der Errungenschaften der letzten Jahre, dass der Privatsektor erhebliche Fortschritte gemacht hat - er hat jetzt viel mehr Potenzial und viel mehr Möglichkeiten. Es wurden mehr Fabriken und Produktionslinien geschaffen. Aber wie bereits erwähnt liegt das Hauptproblem darin, dass die internationale Entwicklungshilfe nicht die Wertschöpfungsketten gefördert hat, die entstehen hätten können und zudem jedes Geberland, ohne Koordinierung untereinander, seine eigenen Schwerpunkte gesetzt hat - das hat der Wirtschaft letztlich nicht viel geholfen.