Pflanzenschutz durch Nützlinge: Natürliche Helfer

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Tiere wie Marienkäfer, Schlupfwespen oder Ohrenkneifer sind natürliche Schädlingsbekämpfer und wirkungs­volle Pflanzenschützer. Sie sind gut für die Umwelt und sparen Kosten, doch ihr Lebensraum wird durch den Pestizid­einsatz bedroht.
 

Naturvielfalt auf biologisch bewirtschafteten und auf konventionell bewirtschafteten Getreidefeldern
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Meistens zeigt sich Artenreichtum weniger in der Feldmitte, sondern an Rändern. Durch Pestizideinsatz wird die biologische Vielfalt auf dem Acker und am Feldrain stark reduziert

Gezüchtete Nützlinge als Pestizid-Alternative  

In der Landwirtschaft sind Nützlinge die natürlichen Feinde der Schädlinge. Nützlinge können kleinste Organismen wie Bakterien oder Pilze sein. Hierzu zählen unter anderem winzige Pilze der Gattung Trichoderma, die überall im Boden vorkommen. Indem sie bestimmte Substanzen bilden, können sie pflanzenschädliche Pilzkulturen außer Gefecht setzen. Auch Milben, Insekten, Spinnen oder Vögel können beim Schutz der Ernte helfen. So wurden etwa in Israel und in den USA Schleiereulen in der Agrarlandschaft angesiedelt, die Mäusebestände in den Feldern erfolgreich reduzieren. Um den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft verringern zu können, sind vor allem die kleineren Organismen von großer Bedeutung. Sie fressen die Schädlinge entweder direkt – oder parasitieren sie, indem sie ihre eigenen Eier in oder an den Schädlingen ablegen. Manche Nützlinge sind auf die Bekämpfung bestimmter Schädlingsarten spezialisiert, andere wiederum fressen viele verschiedene Arten. Blattläuse können zum Beispiel erfolgreich von Florfliegen, Schwebfliegen oder Ohrenkneifern bekämpft werden. Zu den wohl bekanntesten Nützlingen im Einsatz gegen Schadinsekten zählen die Marienkäfer. Sie und ihre Larven sind räuberisch: Sie fressen unter anderem Blattläuse, Getreidehähnchen, Rapsglanzkäfer, Weiße Fliegen und Kartoffelkäfer. Ein einzelner Marienkäfer kann circa 50 Blattläuse am Tag vertilgen – das macht hochgerechnet etwa 40.000 Blattläuse in seinem gesamten Marienkäferleben. Neben räuberischen Käfern verzehren auch verschiedene Wanzen oder Fliegenarten eine große Menge Schadinsekten. Eine Florfliegenlarve etwa frisst in ihrem zwei- bis dreiwöchigen Leben bis zu 500 Blattläuse. Mittlerweile gibt es in Deutschland und vielen weiteren Ländern die Möglichkeit, kommerziell gezüchtete heimische Nützlinge zu kaufen – und dadurch gezielt im Freiland, im Gewächshaus oder in der Lagerhaltung als natürliche Alternative zu Pestiziden einzusetzen. Schlupfwespen werden zum Beispiel aktiv gegen Weiße Gewächshausfliegen eingesetzt, die Gemüsepflanzen wie Bohnen, Gurken und Tomaten befallen. In der Getreidelagerung eignen sich untern anderem Lagererzwespen zur Bekämpfung von Kornkäfern.

Cover des Pestizidatlas 2022

Der Pestizidatlas 2022

Der Pestizidatlas zeigt in 19 Kapiteln Daten und Fakten rund um die bisherigen und aktuellsten Entwicklungen, Zusammenhänge und Folgen des weltweiten Pestizidhandels und Einsatzes von Pestiziden in der Landwirtschaft.

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Lebensbedingungen müssen stimmen

Es reicht jedoch nicht aus, Nützlinge einfach entlang der Äcker auszubringen. Um den Einsatz von Pestiziden wirkungsvoll zu reduzieren, müssen Nützlinge gute Lebensbedingungen in der Agrarlandschaft vorfinden – sowohl auf den Feldern als auch in der Landschaft insgesamt. Dafür benötigen sie vielfältige Strukturen: Hecken und Bäume oder auch Teiche, Steinhaufen oder Trockenmauern bieten ihnen Raum zur Fortpflanzung und zum Überwintern. Als wichtige Rückzugsräume für Nützlinge funktionieren auch temporäre Strukturen wie Brachen, Altgrasstreifen oder Blühflächen mit einheimischen Wildkräutern. Eine Studie aus England zeigt, dass blühende Untersaaten bei Apfelbäumen dazu führen können, die Anzahl der natürlichen Feinde von Blattläusen – vor allem Spinnen und Ohrwürmer – deutlich zu erhöhen. Das Ergebnis: Blattlauskolonien werden auf natürliche Weise reduziert und die Apfelernte geschützt. Um Nützlingen ein gutes Lebensumfeld zu sichern, sollten Felder – sowohl im konventionellen als auch im ökologischen Landbau – nicht zu groß sein, sondern etwa von Hecken oder Blühstreifen durchzogen und durch abwechslungsreiche Feldsäume begrenzt werden. So kann eine effektive Besiedelung der Nutzflächen mit Nützlingen sichergestellt werden.

Pestizidatlas Infografik: Anzahl von Getreideblattläusen pro Weizenhalm
Pro Quadratmeter wachsen 600 Halme, auf denen Marienkäfer Blattläuse fressen können. Pestizide töten und verjagen diese Nützlinge

Tödlicher Pestizid-Kreislauf

Eingespart werden durch Nützlinge teure Pestizide und menschliche Arbeitszeit: Hochrechnungen zufolge leisten natürliche Feinde von Schadinsekten allein in den USA einen Beitrag zum Pflanzenschutz von 4,5 Milliarden Dollar pro Jahr. Eine großflächige ökologische Aufwertung der Agrarlandschaften würde ermöglichen, auf natürliche Weise die Anzahl an Schädlingen zu reduzieren und Erträge zu sichern. Die derzeitige Realität auf vielen landwirtschaftlichen Flächen sieht jedoch schlecht für Nützlinge aus. Längst ist eine Form der Landwirtschaft entstanden, die sich von natürlicher Regulierung weitgehend entkoppelt: Der großflächige Anbau von nur wenigen Kulturpflanzenarten in kaum abwechslungsreichen Fruchtfolgen führt zu einem gesteigerten Pestizideinsatz. Gefährdet werden dadurch auch die natürlichen Helfer der Schädlingsbekämpfung. Damit wird ein Kreislauf geschaffen, in dem eine abnehmende Zahl von Nützlingen einen steigenden Pestizideinsatz nach sich zieht, der Nützlinge weiter reduziert, was wiederum den Pestizideinsatz ansteigen lässt.

Pestizidatlas Infografik: Naturvielfalt auf biologisch bewirtschafteten und auf konventionell bewirtschafteten Getreidefeldern
Meistens zeigt sich Artenreichtum weniger in der Feldmitte, sondern an Rändern. Durch Pestizideinsatz wird die biologische Vielfalt auf dem Acker und am Feldrain stark reduziert

Es bleibt daher die Aufgabe der Politik, wirtschaftliche Anreize für eine naturfreundlichere Bewirtschaftung zu schaffen und eine ökologische Schadschwelle zu definieren. Diese Schadschwelle sollte neben den ökonomischen auch die ökologischen Folgekosten eines Pestizideinsatzes berücksichtigen – etwa den Schaden an Nützlingen. Zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschaft und Umweltbehörden fordern daher: Agrarlandschaft und Landbewirtschaftung müssen so ausgestaltet werden, dass heimische Nützlinge genügend sicheren Lebensraum finden.