Auf dem Radar: Wie in Griechenland zivilgesellschaftliche Arbeit bedroht wird

Analyse

Zivilgesellschaftliche Akteure*innen engagieren sich seit Jahren für die Einhaltung grundlegender Rechte von Menschen, die in Europa Asyl suchen. Sie werden damit zur Zielscheibe einer aggressiven Abschreckungspolitik, die Geflüchtete und solidarische Arbeit gleichermaßen gefährdet.

Eine Wand ist mit dem Satz "No one is illegal" beschriftet
Teaser Bild Untertitel
Die griechische Regierung schränkt den Handlungsspielraum für Zivilgesellschaft zunehmend ein.

Gleich nach meiner Ankunft auf der griechischen Insel Lesvos werde ich mit vier anderen von der Polizei zu einer Personenkontrolle in einen abgelegenen Container am Fährhafen geführt. Zufällig wirkt die Auswahl nicht: Alle kommen wir von der Insel Samos, wo drei Tage zuvor das erste der fünf neuen „closed controlled access center“ für Asylsuchende eröffnet wurde. Schon auf dem Weg zum Container und während der 40 Minuten, in denen unsere Körper, unser Gepäck und unsere Notizbücher ausführlich durchsucht werden, fällt immer wieder die misstrauische Frage: „Are you NGO?“ Immer wieder und in zunehmend aggressivem Ton werden die gleichen Fragen gestellt, als ob wir etwas zu verbergen hätten. Nachdem uns von dem Polizisten das halbherzige Versprechen abgerungen wird, auf der von Tourist*innen beliebten Insel keine Fotos zu machen, lässt man uns endlich gehen.

Es mag ein zufälliges Beispiel sein, aber es zeigt die allgemeine feindselige Atmosphäre, die mir während meiner mehrwöchigen Recherche entlang der türkisch-griechischen Grenze in vielen Formen begegnet ist. Tägliche Einschüchterungen solcher Art sind nur ein Teil des zunehmend bedrohlichen Umfelds, dem People of Colour, migrantisierte Menschen, Journalist*innen und Mitarbeitende von Nicht-Regierungsorganisationen (NROs) ausgesetzt sind. Dazu kommen handfeste strafrechtliche Konsequenzen, Diffamierungen und Verschärfungen von Gesetzen, die humanitäre, journalistische und solidarische Arbeit in den Bereichen Flucht und Migration einschränken oder gar verhindern. Dabei stehen grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien auf dem Spiel.

Seitdem im Jahr 2015 täglich Tausende Schutzsuchende Griechenland erreichten, waren es nicht-staatliche Akteure, Organisationen und engagierte Individuen, die die maßlos überforderten staatlichen Strukturen ersetzten oder unterstützten. Sie schaffen Überblick über die oft unübersichtlichen Entwicklungen und Transparenz über undurchsichtige staatliche Maßnahmen, leisten Aufklärungsarbeit über die katastrophalen humanitären Bedingungen für Geflüchtete, und stellen grundlegendste Infrastrukturen wie Wohnraum, Bildung, rechtliche, medizinische und psychologische Hilfe sowie Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln bereit. „Europas Selbstverständnis“ als eine auf Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit gegründete Gemeinschaft, wird von diesen Akteur*innen tagtäglich verteidigt. Zugleich sehen sie sich seit Jahren und Europaweit zunehmend bedrängt. In Griechenland gilt dies in gesteigertem Maße seit der Regierungsübernahme der rechts-konservativen Partei Nea Demokratia Ende 2019.

Einschränkung von Nichtregierungsorganisationen

Im Zuge weitgehender Reformen der Asylpolitik, führte Nea Demokratia im Februar 2020 ein neues Registrierungsverfahren für NROs in den Bereichen „Asyl, Migration und sozialer Zusammenhalt“  ein. Im Sinne des öffentlichen Interesses sollten durch die Reform „Transparenz, die Optimierung von Dienstleistungen“ sowie „die Menschenrechte von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Immigranten auf griechischem Territorium garantiert werden“.

Alle im Land aktiven NROs mussten sich im Rahmen des veränderten Verfahrens neu registrieren. Auf Lesvos berichtet Doro Blancke, Vorständin der gleichnamigen Flüchtlingshilfeorganisation, von den Schwierigkeiten, vor die das neue Registrierungsverfahren humanitäre Organisationen stellt. Sie nennt das Verfahren „irrsinnig aufwendig. Es kostet allein zur ersten Eingabe 9000 Euro, in Vollsumme 25.000 Euro und dann ist immer noch nicht sicher, ob es durchgeht.“ Auch Liza Papadimitriou von Médicines sans Frontières bestätigt, dass insbesondere kleine Organisationen vor unverhältnismäßige Hürden gestellt werden und dass „diese Einschränkungen es der Zivilgesellschaft unmöglich [machen], ihre Arbeit zu tun".

Gleich drei verschiedene UN-Sonderberichterstatter*innen - für das Recht auf Vereinigung, für die Lage von Menschenrechtsverteidiger*innen sowie für die Menschenrechte von Flüchtlingen und Migrant*innen - kritisierten die „belastenden“ und  „behindernden“ Bestimmungen des neuen Verfahrens. Sie folgten damit zwei Gutachten des Expert Council on NGO Law des Europarates von Juli 2020 und November 2020, sowie der Kritik in den Rechtsstaatlichkeitsberichten der EU-Kommission von 2020 und 2021. Auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates Dunja Mijatović forderte im Mai 2021 von der griechischen Regierung „auf den Empfehlungen dieser Gremien aufzubauen, um aktiv einen günstigen Rechtsrahmen und ein politisches und öffentliches Umfeld zu schaffen und aufrechtzuerhalten, das der Existenz und dem Funktionieren zivilgesellschaftlicher Organisationen förderlich ist.

Finanzberichte müssen vorgelegt werden

Alle diese Berichte stellen in Frage, ob die neuen Bestimmungen mit europäischen Rechtsstandards vereinbar sind, da sie unter anderem eine Gefahr für das Recht auf Vereinigung darstellen. Die individuellen Auskunftspflichten verletzen Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte und sich bewerbende Organisationen können aufgrund einer Reihe intransparenter Gründe abgelehnt werden. Das zuständige Sondersekretariat unterliegt laut Einschätzung des European Council on Refugees and Exiles (ECRE) in seinen Entscheidungen keiner unabhängigen Rechenschaftspflicht- oder Widerrufungsinstanz.

Eine der größten Hürden für junge NROs stellt insbesondere dar, ausführliche Finanzberichte vorlegen zu müssen, die mindestens zwei Jahre Arbeit im humanitären Bereich nachweisen. Während viele Organisationen daran scheitern, zeigen investigative Recherchen von Solomon oder Inside Story, dass es anscheinend Unregelmäßigkeiten und Doppelstandards im Registrierungsverfahren gibt. Anfang 2020 wurde eine lange Zeit inaktive und regierungsnahe NRO auf die neu geschaffene Organisation Hopeland übertragen. Eine Woche nach der Neugründung, bewarb sich Hopeland für die Ausschreibung des ESTIA II-Programms und bereits vor ihrer Auflistung im öffentlichen Melderegister, erhielt sie die ersten 500.000 Euro einer geschätzten Gesamtsumme von 6,5 Millionen Euro aus EU-Mitteln. Auf Anfrage von Solomon-Reportern zu diesem auffällig unkomplizierten und schnellen Verfahren, verstrickte sich die Geschäftsleitung in zahlreiche Widersprüche. Das Migrationsministerium wollte sich zu diesem Sachverhalt gar nicht äußern. Während Regierungsmitglieder regelmäßig Organisationen aufgrund vermeintlicher „Geldverschwendung“ und „Manipulation von Geflüchteten“ diskreditierten, so Solomon, sehe das Ministerium offenbar keine Probleme „zugleich Verträge in Millionenhöhe an fragwürdige NROs zu vergeben, manchmal sogar unter Umgehung der von der Regierung selbst festgelegten Bedingungen."

Die Rechtshilfe- und Partnerorganisation von „Pro Asyl“ Aegean Refguee Support, bezeichnete das neue NRO-Register im März 2021 als „unverhältnismäßig“ und „diskriminierend“. Im Dezember 2021 lehnten die griechischen Behörden ihre Bewerbung auf Registrierung ab. Begründet wurde die Ablehnung damit, dass die „Entwicklung von Aktivitäten zur Unterstützung von Personen, die abgeschoben werden sollen" gegen die griechischen Rechtsvorschriften verstoße. Die EU-Menschenrechtskonvention deckt solche Arbeit jedoch explizit ab und zahlreiche andere in Griechenland registrierten Organisationen arbeiten in eben diesem Bereich.

In Anbetracht dieser Entwicklung kam das Expert Council on NGO Law des Europarats zu dem Schluss, dass die neuen Bestimmungen das Gegenteil von dem bewirken, was sie versprechen: Anstatt Dienstleistungen zu optimieren, würde NROs die Arbeit unverhältnismäßig erschwert; anstatt die Rechte von Geflüchteten zu schützen, würde ihnen der Zugang zu den Organisationen entzogen, die ihre Rechte schützten und anstatt größere Transparenz zu fördern, würde der Raum für willkürliche Entscheidungen geschaffen.

Es herrscht ein fremdenfeindlicher Diskurs

„Der Schutz des Bluts ist der einzige Weg die griechische Gesellschaft zu beschützen […]. Grenzschutz kann nicht ohne Verluste existieren. Um klarer zu werden, ohne Tote. Grenzschutz braucht Tote. Der Islam kommt und versenkt das gesamte Europa und auch Griechenland. Das Ziel ist also, denen die Ankunft zu verhindern. [...] Ihr früheres Leben soll als Paradies scheinen, im Vergleich zu ihrem Leben hier. Nur so werden sie nicht weiter kommen.“

Das sagte 2013 Thanos Plevris in einer Runde Gleichgesinnter bevor er 2021 das Amt des Gesundheitsministers übernahm. Heute ist er für die Gesundheitsversorgung aller Asylsuchenden im Land verantwortlich. Mit seinen rassistischen und antisemitischen Aussagen vertritt er, genau wie der Migrationsminister Notis Mitarakis, den starken rechten Flügel von Nea Demokratia und bedient sich eines aggressiven und hetzerischen Tons, der in Regierungskreisen akzeptabel geworden ist.

Die Regierung verfolgt eine rhetorische Linie, die Geflüchtete zunehmend als „illegale Migrant*innen“ darstellt. NROs werden in diesem Zusammenhang wahlweise als Teil einer korrupten humanitären Industrie, als Manipulierer von Geflüchteten oder als erweiterter Arm internationaler Menschenschmuggler dargestellt. Die aktuelle Medienlandschaft Griechenlands spielt einer solchen Strategie in die Hände. Die starke Konzentrierung der Besitzverhältnisse im Mediensektor sowie die direkte Kontrolle, die der Ministerpräsident über den öffentlichen Rundfunk ERT und die staatliche Nachrichtenagentur ANA-MPA ausübt, bedrohen eine ausgeglichene und diverse Berichterstattung.

Handfeste Einschüchterungen gegenüber Journalist*innen und unabhängigen Beobachter*innen, wie die geheimdienstliche Untersuchungen gegen das genannte Investigativmagazin Solomon oder Ausweisung von Mitarbeitenden der Beobachtungsmission von ASGI durch Polizei und Frontex-Beamte sind zwei von vielen Beispielen dafür. Insbesondere die Sicherheitszone an der Landesgrenze zur Türkei in der Evros Region, gilt als „schwarzes Loch“ für unabhängige Beobachter*innen - gerade dort wo sich dokumentierte Pushbacks in den vergangenen Jahren besonders häufen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Griechenland nach der Einschätzung von Reporter ohne Grenzen in Punkto Pressefreiheit nur auf Platz 70 steht. Das Centre for Media Pluralism and Media Freedom bewertet die politische Unabhängigkeit der Medien in Griechenland als hoch gefährdet, genau wie die in der Türkei oder Ungarn.

Geflüchtete werden kriminalisiert

Parallel zu dem politischen und medialen Diskurs, in dem Geflüchtete sowie jede Form von Solidarität mit ihnen als Problem und Bedrohung griechischer Souveränität dargestellt werden, entfaltet sich eine Welle von strafrechtlichen Verfolgungen mit schwerwiegenden Konsequenzen. Besonders scharf gehen die  Behörden gegen Geflüchtete selbst vor, die wenig mediale Öffentlichkeit und kaum materielle Unterstützung zur Verfügung haben, um ihre Grundrechte zu verteidigen. Während Prozesse wie jene gegen die Rettungsschwimmer*innen Sean Binder und Sarah Mardini eine relativ große - wenn auch noch immer zu geringe - öffentliche Resonanz erfahren, bleibt die Kriminalisierung vieler Geflüchteter weitgehend unbeachtet. Die Verfahren gegen die „Moria 35“, die „Moria 10“ die „Moria 6“, die „15“ oder die „Samos 2“ sind nur einige Beispiele strafrechtlicher Verfolgung Geflüchteter.

Im April 2021 wurde der junge Syrer K.S. wegen illegaler Einreise und Schmuggel zu 52 Jahren Haft verurteilt, weil er laut Anklage das Schlauchboot gelenkt haben soll, auf dem er mit seiner Frau und drei Kindern die Insel Chios erreicht hatte. Im Mai 2021 fiel auf Lesvos ein Urteil gegen den 27- jährigen Somalier Mohammed H., in dem er wegen ähnlicher Vorwürfe und der angeblichen Verantwortung für das Ertrinken zweier Frauen zu 146 Jahren Haft verurteilt wurde.

Auch im aktuellen Fall der „Samos 2“ geht es um Jahrzehnte lange Haft: Ayoubi Nadir aus Afghanistan war mit seinem sechsjährigen Sohn Yahya und 22 anderen Insassen in stürmischer See gegen Klippen bei der Insel Samos gestoßen. Sein Sohn ertrank. Nadir und ein weiterer Überlebender namens Hasan wurden festgenommen. Nadir drohen wegen „Kindeswohlgefährdung“ - dem Tod seines eigenen Kindes - 10 Jahre und Hassan wegen „unerlaubtem Transport“ lebenslänglich plus 230 Jahre Haft.

Gemeinsam ist diesen Fällen der Bezug auf eine EU-Richtlinie von 2011, die eine Mindeststrafe von 10 Jahren für Schlepperei vorsieht, wenn das „Leben der Opfer grob fahrlässig gefährdet wurde“. 2015 ergänzte eine weitere EU-Initiative, dass der Straftatbestand der Schlepperei auch ohne „Gewinninteresse“ bestehen kann. Da Schlepper selten selber die Boote steuern, leisten diese EU-Gesetze der gezielten Strafverfolgung von Geflüchteten Vorschub.

Zudem kommt es in Griechenland regelmäßig zu verfahrensrechtlichen Unregelmäßigkeiten, bei denen grundlegendes Justizrecht missachtet wird. Prozessbeobachter*innen und Rechtshilfeorganisationen wie das Legal Centre Lesvos berichten von mehreren Fällen, in denen keine Übersetzer*innen der Muttersprache der Angeklagten anwesend waren. Ein wiederkehrendes Muster war auch, dass die Hauptzeug*innen der Anklage entweder Polizeibeamt*innen oder nicht persönlich anwesend waren und somit von der Verteidigung nicht befragt werden konnten. Entlastende Aussagen von Zeug*innen der Verteidigung wurden häufig nicht gehört oder in den Urteilen übergangen.

Durchführung von Pushbacks seit Jahrzehnten

Wie der griechische Ministerpräsidenten Mitsotakis auf einer kontroversen Pressekonferenz im November 2021 betonte, bleibt die griechische Regierung - genau wie Frontex - bei ihrer Linie, dass es für Pushbacks keine materiellen Beweise gäbe. Vielmehr werden Berichte über gewaltsame Rückführungen als „Fake News“ oder „türkische Verschwörung“ diskreditiert.

Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die griechischen Behörden seit Jahrzehnten Pushbacks an der türkisch-griechischen Grenze durchführen. Seit März 2020 hat das Ausmaß dieser Praxis eine neue Brutalität und Systematik erlangt, innerhalb derer Geflüchtete sogar nach Ankunft auf griechischem Territorium aufgegriffen, an geheimen Orten oder in Polizeistationen gesammelt inhaftiert, oft misshandelt und entkleidet und dann in Grenznähe ausgesetzt werden. Regelmäßig kommen Menschen dabei zu Tode, dokumentiert wird nur ein Bruchteil. Laut Hope Barker, Teil des Border Violence Monitoring Network, kam es 2020 zu “87 Pushbacks von Griechenland in die Türkei, die sich auf 4683 Menschen bezogen. Seit Anfang 2021 haben wir 54 Zeugenaussagen aufgenommen, was schätzungsweise 4007 Menschen entspricht. Und das ist nur das, was wir dokumentiert haben.”

Gleichwohl verstärkte die Regierung im November 2021 erneut ihr Vorgehen gegen vermeintliche Falschmeldungen. Eine erneute Verschärfung des Strafrechts stellt nun das Verbreiten von Fake News unter Strafe, die "geeignet sind, die Öffentlichkeit zu beunruhigen oder zu verängstigen oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in die nationale Wirtschaft, die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die öffentliche Gesundheit zu untergraben.“ Sechs Monate Gefängnis drohen bei Verstößen gegen diese reichlich vagen Bestimmungen. Eva Cossé von Human Rights Watch in Griechenland fasst es zusammen: "In Griechenland riskiert man nun eine Gefängnisstrafe, wenn man sich zu wichtigen Themen von öffentlichem Interesse äußert und die Regierung behauptet, dass diese Nachrichten falsch sind.“

Einen weiteren Schritt ging die Regierung durch die jüngste Änderung von Artikel 40 des „Deportation Law“. Es schafft die Grundlage für ernste strafrechtliche Konsequenzen für unabhängige Beobachter*innen und Hilfskräfte in der Ägäis, die im Bereich der Seenotrettung oder Monitoring von Pushbacks aktiv sind. Neben einer neuen Registrierungspflicht für beteiligte Organisationen, dürfen diese nur nach expliziter Erlaubnis der Behörden in Gebieten aktiv werden, die in die Verantwortung der Küstenwache fallen. Organisationen wie Mare Liberum, die als einzige internationale Monitoring-Mission in der Ägäis präsent sind, stehen nun vor der doppelten Herausforderung sich von einer Regierungsbehörde registrieren zu lassen, die Pushbacks abstreitet, und gleichzeitig Anordnungen der Küstenwache befolgen zu müssen, die selbst Pushbacks durchführt. Zudem fallen nicht nur Gewässer in die Verantwortung der Küstenwache, sondern auch ein Streifen der Küste, womit auch die Hilfe für gelandete Geflüchtete unter die strengen Maßgaben des neuen Gesetzes fällt.

Flankiert werden solche gesetzlichen Verschärfungen durch die öffentliche Verlautbarung von polizeilichen und geheimdienstlichen Untersuchungen gegen Mare Liberum und Mitglieder von drei weiteren NROs sowie sechs „Angehörigen eines Drittstaates“ denen „Spionage“ und „Beihilfe zur illegalen Einreise“ vorgeworfen werden. Das ungewöhnliche Vorgehen, solche Untersuchungen öffentlich zu machen, ohne das ein Strafverfahren in Gang gesetzt wird, deutet daraufhin hin, dass es an konkreten Beweisen mangelt. Gleichwohl entfalten solche Untersuchungen eine nicht zu unterschätzende abschreckende Wirkung.

Europa der Willkür oder Europa der Solidarität?

So droht ein zunehmend dichter Teppich von Vorschriften, intransparenten Verfahren, strafrechtlichen Drohungen und handfesten Einschüchterungen, solidarischer Arbeit, unabhängiger Berichterstattung und der Einforderung grundlegender Rechte von Geflüchteten die Luft abzuschnüren. Die derzeitige Regierungspartei und Teile der Justiz, scheinen alle Register zu ziehen, um das „Problem der illegalen Migration“ und der solidarischen Hilfe für Geflüchtete zu lösen - durchaus auch im Interesse der  EU-Asylpolitik, die diese stetig eskalierende Willkür und Gewalt gegenüber Schutzsuchenden an den eigenen Grenzen zumindest toleriert. Die neue Bundesregierung muss ihren „Neuanfang“ dafür nutzen, die Abschreckungsstrategie an den EU-Außengrenzen zu konfrontieren und nicht als „notwendiges Übel“ zu relativieren. Ihr Engagement ist gefragt, um jene zu verteidigen, die täglich den Unterschied machen zwischen einem Europa der Willkür und einem Europa der Solidarität.