Ungleich verteilte Risiken

Analyse

Von Kunststoffen sind Frauen stärker betroffen als Männer. Dahinter stecken unter anderem biologische Unterschiede: Ihre Körper reagieren anders auf Giftstoffe, sie verwenden belastete Hygieneprodukte. Doch es gibt Alternativen.

Tampons
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In ärmeren Regionen können sich Frauen und Mädchen Hygieneartikel während der Menstruation häufig nicht leisten.

Giftstoffe aus Kunststoff belasten Frauen anders als Männer, sowohl am Arbeitsplatz als auch im Alltag. Das liegt an den biologischen Unterschieden bei der Körpergröße oder dem Anteil von Fettgewebe zum einen und tradierten Geschlechterrollen zum anderen. Frauenkörper haben mehr Körperfett und reichern in ihrem Gewebe deshalb fettlösliche Chemikalien wie etwa Phthalat-Weichmacher stärker an. Besonders sensibel auf die Giftstoffe reagiert der weibliche Körper in Lebensphasen wie Pubertät, Stillzeit, Menopause und Schwangerschaft.

Grafik zu Hygieneprodukten
Patente für Damen-Hygieneprodukte sind seit Ende der 90er-Jahre sprunghaft angestiegen. Eine Ursache ist massenhaft verfügbarer günstiger Kunststoff.

Das kann auch Folgen für das ungeborene Kind haben. Vor allem Chemikalien, die ähnlich wie Hormone wirken – sogenannte endokrine Disruptoren (ED) –, sind problematisch. Da die Plazenta keine sichere Barriere ist, können ED schon im Mutterleib all die Entwicklungsphasen stören, die hormonell gesteuert werden. Das kann Fehlbildungen bei Neugeborenen und Erkrankungen begünstigen, die sich erst viel später zeigen. ED betreffen Frauen und Männer gleichermaßen. Die Weltgesundheitsorganisation vermutet, dass ED für die Zunahme hormonbedingter Krebsarten wie Brust- und Hodenkrebs verantwortlich sind. Weiter scheint es möglich, dass sie die Fruchtbarkeit und die Qualität der Spermien beeinträchtigen. Darüber hinaus können ED zu Fettleibigkeit, Diabetes, neurologischen Erkrankungen, einer verfrüht einsetzenden Pubertät sowie angeborenen Fehlbildungen wie Hodenhochstand und Hypospadien (Fehlbildung der männlichen Harnröhre) beitragen. Zunehmend kommen Kinder mit Schadstoffen belastet zur Welt.

Frauen sind an vielen unterschiedlichen Stellen den Gefahren ausgesetzt, die von Plastik ausgehen. Weltweit sind schätzungsweise 30 Prozent der Beschäftigten in der Kunststoffindustrie Frauen. Um Kunststoffe und Plastikprodukte massenweise und günstig für den Weltmarkt herstellen zu können, werden meist sie, vor allem in Entwicklungsländern, zu Niedriglöhnen in der industriellen Produktion beschäftigt, häufig an gefährlichen Arbeitsplätzen und ohne Maßnahmen zum Arbeitsschutz. Eine kanadische Studie zeigt, dass Frauen, die in der Automobilindustrie Kunststoffe verarbeiten, ein fünffach erhöhtes Risiko haben, an Brustkrebs zu erkranken.

Grafik zu Damenbinden
Die Produktion einer modernen Damenbinde ist ohne den Einsatz von fossilen Rohstoffen und Kunststoffen nicht denkbar.

Ebenfalls problematisch können Hygieneprodukte sein. Der Plastikanteil bei Tampons beträgt bis zu sechs Prozent, Binden bestehen bis zu 90 Prozent aus rohölbasiertem Kunststoff. Beide können unter anderem hormonell wirksames Bisphenol A (BPA) und Bisphenol S (BPS) enthalten. Applikatoren für Tampons enthalten darüber hinaus häufig Phthalate. In den USA benutzt eine Frau in ihrem Leben zwischen 12.000 und 15.000 dieser Produkte. Alternativen sind waschbare Mehrwegprodukte oder wiederverwendbare Menstruationstassen.

In ärmeren Regionen, auch in der EU, können sich Frauen und Mädchen Hygieneartikel während der Menstruation häufig nicht leisten, oder sie haben gar keinen Zugang zu ihnen. Das führt bei Mädchen während ihrer Periode zu schulischen Fehlzeiten von durchschnittlich fünf Tagen pro Monat.´Kostengünstigere und zudem sichere Mehrwegprodukte könnten diese Lücke schließen und die Belastung mit Schadstoffen und den Müll reduzieren. Denn die Einwegprodukte landen auf Deponien, in Wasserquellen und Meeren und blockieren auch die Abwassersysteme.

Grafik zu Schadstoffen in Mentruations-Produkten
Weltweit werden über 400 Millionen Tonnen Plastik im Jahr produziert. Auf Verpackungen entfällt mehr als ein Drittel aller hergestellten Kunststoffe.

Auch Kosmetik kann eine Quelle für Schadstoffe sein. Ein Viertel aller Frauen in westlichen Industrieländern verwenden bis zu 15 unterschiedliche Produkte täglich. Nicht selten enthalten diese bis zu 100 Chemikalien, einige davon schaden der Gesundheit. In vielen Kosmetika steckt zudem Mikroplastik. Partikel davon können ebenfalls durch die Plazenta zum Fötus gelangen. Zuletzt sind häufig noch immer Frauen vornehmlich für Hausarbeit zuständig oder in Reinigungsberufen beschäftigt. Reinigungsmittel enthalten ebenfalls Mikroplastik und Schadstoffe wie etwa gesundheitsschädliche Tenside oder Lösungsmittel. Eine kritische Auswahl der Produkte und der Gebrauch schadstoffarmer Reinigungsprodukte oder herkömmlicher Mittel wie Schmierseife oder Zitronensäure können die Belastung von Mensch und Umwelt verringern.

Grafik zu Mensch und Plastik
Macht Plastik krank? Inhaltsstoffe wie Hormongifte können Krankheiten auslösen.

Sie entlassen aber nicht die Hersteller aus der Verantwortung, schädliche Inhalts- und Grundstoffe zu ersetzen. Wenn Müll in Entwicklungsländer exportiert wird, wer den Deponien zu wichtigen Einkommensquellen. Millionen von Müllsammlerinnen auf der ganzen Welt, häufig Frauen und Kinder aus den ärmsten Bevölkerungsschichten, suchen nach Verwertbarem aus Plastik- und Elektromüll. Oft ist das das einzige Familieneinkommen, verdient auf einem hochtoxischen Arbeitsplatz. Um an wertvolles Kupfer zu gelangen, werden PVC beschichtete Drähte verbrannt. Dabei entstehen hochgiftige Dioxine, die schädlich für die Fortpflanzung sind, den Fötus schädigen und Krebs verursachen können. Auch sind es meist Frauen, die den Hausmüll in Hinterhöfen verbrennen oder giftigen Müll sortieren.

Grafik zu den Auswirkungen von plastik auf den Menschen
Menschen sind sehr unterschiedlich von Plastik betroffen.

Das Wissen um die Gefahren, die von Plastik ausgehen, ist bisher weltweit ungleich verteilt. Frauen sind hier eine wichtige Zielgruppe, um ein grundlegendes Umdenken und andere Alltagspraktiken zu initiieren sowie politische Maßnahmen für mehr Schutz zu fordern. Frauen nehmen verschiedene Gefahren sensibler wahr als Männer und sind weniger bereit, Mensch und Umwelt Risiken auszusetzen, sowohl in Unternehmen als auch als Konsumentinnen und Managerinnen ihrer Familien. Vieles deutet darauf hin, dass sie auch umweltbewusster handeln. Initiativen, die darauf zielen, den Konsum von Plastik zu reduzieren und Mensch und Umwelt vor den Schadstoffen zu schützen, gehen häufig von Frauen aus. Sie brauchen deshalb einen gleichberechtigten Platz in der Politik, in Unternehmen und in Familien und Gemeinschaften, um ihr Engagement für eine plastik- und giftfreie Umwelt und Gesellschaft noch mehr einbringen zu können.