Auf rechten Abwegen

Analyse

Vor den französischen Präsidentschaftswahlen gibt das rechte Lager im Wahlkampf den Takt vor und den Ton an. Durch schrille Parolen und menschenverachtende Positionen verändert sich bereits jetzt schon die politische Kultur im Land. Steht Frankreich vor einem Rechtsruck?

Paris

Fragt man Französinnen wie Franzosen dieser Tage, welches die wichtigen Zukunftsfragen für das Land seien, dann antworten sie, ähnlich wie die Deutschen vor der Bundestagswahl, das seien Klima und soziale Gerechtigkeit. Schaut man allerdings darauf, welche Themen in der französischen Öffentlichkeit diskutiert werden und welches die präsenten Schlagworte im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen sind, dann wird man erstaunt feststellen, dass stattdessen immer mehr die Themen Identität, Einwanderung und Islam in Fokus rücken. Mittlerweile geben 66 Prozent der Franzosen und Französinnen in einer Umfrage des Instituts Ifop an, die französische Identität sei in Gefahr. Genau das wollen Éric Zemmour und Marine Le Pen, die statt auf solide politische Programme auf Ressentiments, auf Emotionen und Hass setzen. Das ist nicht neu, erreicht aber durch gleich zwei extrem rechte Bewerber eine neue Qualität.

Dazu merkt der Politologe Erwan Lecoeur kürzlich im französischen Fernsehen an, dass gerade Zemmour über Dinge rede, die den Franzosen momentan eigentlich egal seien: „Eric Zemmour arbeitet mit Ängsten, Befürchtungen und mit Frustration, denn es ist einfacher, diese Ängste zu instrumentalisieren (...). Auch deswegen wird es spannend, inwieweit durch die aktuellen Krisen Themen wie Kaufkraft durch die steigenden Energiepreise oder aber internationale Politik durch die Ukraine-Krise weiter an Bedeutung gewinnen. Felder, auf denen die Kandidaten rechts der Mitte weit weniger punkten können als mit Ressentiments.

Wo bleibt der Widerstand?

Was für die kommenden Wochen zu befürchten ist, darauf gab es bereits einen Vorgeschmack im Dezember, als beim ersten großen Meeting von Zemmour im Veranstaltungssaal auf protestierende Aktivisten und Aktivistinnen von SOS Racisme eingeprügelt wurde. Dass identitäre, gewaltbereite Gruppen unter den Anhängern Zemmours sind, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, lässt erahnen, welches politische Klima sich in Frankreich ausbreitet. Es sah mal so aus, als könnten sich durch die Präsenz von Le Pen und Zemmour die Wählerstimmen am rechten Rand splitten und sogar keiner dieser beiden in die zweite Wahlrunde einziehen, so dass am Ende die Konservative, republikanischen Kandidatin Valérie Pécresse gegen Macron in die Stichwahl einziehen könnte, jedoch ist dieses Szenario nicht mehr aktuell, da Pécresse nach einem kurzweiligen Höhenflug rapide in der Wählergunst abgesunken ist und am Ende in den Umfragen nur auf dem vierten oder fünften Platz landet. Was bleibt ist der Schaden an der politischen Kultur, der bereits jetzt zu beobachten ist, könnte bleibend sein. Schriller Tonfall, menschenverachtende ideologische Theorien, rassischste Ansichten, anti-feministische Diskurse ... an all das scheint man sich in Frankreich langsam gewöhnt zu haben. Inwieweit sich das auch am Ende an den Urnen widerspiegelt, ist abzuwarten.

Dennoch wäre es nun so wichtig wie nie, dass sich in der französischen Gesellschaft breiter und hörbarer Widerstand gegen rechts formiert. Die politische Opposition von links braucht mehr Unterstützung von engagierten Bürgern, von Kulturschaffenden, von Gewerkschaften und Stiftungen, von vielen Seiten also, um den Rechtsruck noch aufzuhalten. Vor allem aber darf die Regierung, darf der französische Präsident, nicht in die Falle tappen, sich die rechten Positionen zu eigen machen, in der Hoffnung, Wählerstimmen zurückzuerobern. Wenn Macron vor „unkontrollierbarer Einwanderung“ nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan warnt, wenn er verschweigt, dass es gewalttätige Tendenzen innerhalb der französischen Polizei gibt und wenn er durch zugespitzte, polemische Formulierungen Ressentiments schürt, dann trägt er eine  Mitverantwortung an der Spaltung der französischen Gesellschaft Stattdessen bräuchte es eine klare Abgrenzung von rechten Gesinnungen, versöhnliche, integrierende Töne, die ausgestreckte Hand in Richtung marginalisierter Gruppen, die Verteidigung eines offenen, progressiven Identitätsbegriffs. Es wird viel Mühe und Zeit kosten, die Schäden zu reparieren, die Frankreichs Demokratie derzeit vom rechten politischen Rand zugefügt werden ... selbst wenn es bei den Wahlen am Ende nicht zum allerschlimmste Szenario  kommen sollte.


Heinrich-Böll-Stiftung Frankreich - Dossier 2022 zu der Präsidentschaftswahl –   Autorin: Romy Straßenburg