Digital Futures - Szenarien für gerechte und inklusive digitale Zukünfte

Veranstaltungsbericht

Klimagerechtigkeit, Diversität, Inklusion von Identitäten und Generationen - was braucht es, damit sich unsere Werte im digitalen Raum der Zukunft widerspiegeln? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Fishbowl-Diskussion zum Abschluss der ersten Veranstaltungstages des Digital Futures Gathering Berlin.

Digital Futures Veranstaltung Gesamtansicht

Bei seiner breiten Einführung vor rund 30 Jahren war das Internet mit großen Hoffnungen und Verheißungen verbunden. Ein weltweit vernetztes Informationssystem schien neue Möglichkeiten zu eröffnen: mehr Demokratie, Vernetzung mit Menschen auf der ganzen Welt, ein gerechterer Zugang zu Informationen, Bildung, Chancen und Innovationen. Heute sind das Internet und digitale Endgeräte allgegenwärtig. Von den damaligen Visionen ist im durchkommerzialisierten Internet der Gegenwart allerdings wenig übrig. Wie könnten gerechtere digitale Zukünfte aussehen?

Vertreter:innen von 40 Organisationen der digitalen Zivilgesellschaft aus Europa und der Welt waren am 01. und 02. September in Berlin zusammengekommen, um gemeinsam Konzepte und Narrative für inklusive und gerechte digitale Zukünfte zu entwerfen. In einer Zeit multipler Krisen falle es häufig schwer, über positive Visionen nachzudenken, führte Julia Kloiber, Co-Founderin der Non-Profitorganisation Superrr Lab in die Diskussion ein. Denn in Krisenzeiten neigten Menschen dazu, die Zukunft düster zu malen. Dabei gebe es auch viel Ermutigendes: Es gebe viel Kreativität und Solidarität. Und es gebe Aktivist:innen und Menschen, die neue Dinge ausprobieren.

Sprache als Voraussetzung für digitale Teilhabe

Nanjala Nyabola gehört zu diesen Menschen. Die in Nairobi lebende Autorin und Menschenrechtsaktivistin treibt die Frage um, wie der digitale Raum demokratischer werden kann. 2018 publizierte sie das international beachtete Buch Digital Democracy, Analogue Politics. Derzeit beschäftigt Nyabola besonders die Sprache im Internet. Das heutige Internet ist Englisch dominiert. Rund 60 Prozent der Inhalte seien auf Englisch, während die Sprachen des globalen Südens im Internet kaum vertreten seien, sagte sie. Die dort lebenden Menschen hätten deshalb im digitalen Raum keine Heimat und könnten sich nicht vernetzen. Teilhabe aber beginne mit Sprache, das gelte im digitalen genauso wie im analogen Raum. Gemeinsam mit Wissenschaftler:innen arbeitet Nanjala Nyabola deshalb seit rund eineinhalb Jahren daran, den digitalen Raum für die Menschen Kenias in ihrer eigenen Sprache zu erschließen. Im Rahmen dieses Projekts seien beispielsweise ein Wörterbuch für Technikfragen sowie ein Handbuch für digitale Rechte in Kisuaheli herausgebracht worden, erzählte sie.

Nanjala Nyabola Diskussion

Geschäftsmodelle machen Menschen zu Objekten

Katarzyna Szymielewicz geht es um einen entscheidenden Paradigmenwechsel in der digitalen Welt. Die Mitbegründerin und Vorständin der Panoptykon Foundation machte die Kommerzialisierung als Grundproblem des digitalen Raums aus. Die Stiftung setzt sich für die Wahrung der Grundrechte und -freiheiten angesichts sich schnell verändernder Technologien ein und kämpft gegen die zunehmende digitale Überwachung. Jedoch sei es aufgrund der Logik der Geschäftsmodelle nicht leicht, aus dem Kreislauf der manipulierenden Algorithmen auszubrechen, sagt Szymielewicz. Die Frage nach einer gerechten digitalen Zukunft drehe sich deshalb nicht nur um einen rechtlichen Rahmen oder eine bessere Bildung, sondern sie berühre die grundlegenden Paradigmen des Kapitalismus. Gebraucht werde ein „New Deal“ für Daten, der Menschen nicht zum Objekt von Werbebotschaften mache, sondern der den Interessen der Menschen diene. Voraussetzung hierfür sei eine Entflechtung der großen Plattformen. Gemeint sei damit nicht nur eine Zerschlagung der Big Tech-Konzerne, sondern es brauche ein Unbundling von Daten, Hosting und Algorithmen. Dies schaffe Raum für Alternativen und ethische Lösungen.

Brauchen wir mehr Regulierung?

Auch Jan Philipp Albrecht, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung e.V., sah die Kommerzialisierung als eine der Haupthemmnisse für ein demokratisches und inklusives Internet an. Es verwies auf die Ursprünge des Internets: Im digitalen Raum habe es zunächst kaum Regeln gegeben, da er privatwirtschaftlich aufgebaut worden sei. Die Durchsetzung von Regeln sei zudem überaus komplex, da eine Vielzahl von Staaten mit unterschiedlichen Staatsformen und Gesetzen betroffen sei, sagte er. Dr. Maren Jasper-Winter, Vorstandsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, sah dies anders: Die EU verfüge über ein starkes Kartell- und Datenschutzrecht. Es mangle aus ihrer Sicht deshalb zumindest in der EU nicht an rechtlichen Rahmensetzungen, sehr wohl aber an der Umsetzung, so Jasper-Winter. Für die Verfolgung von Gewalt und Hetze im Internet etwa gebe es klare Regeln, die man durchsetzen müsse. Sie glaube an einen digitalen Ort, der Raum für einen Pluralismus der Unternehmen, Meinungen und Menschen biete. Digitalisierung könne zu einer besseren, demokratischeren und wohlhabenderen Welt beitragen. Jasper-Winter plädierte für eine bessere Bildung und höhere Digitalkompetenz in der Bevölkerung.

Jan Philipp Albrecht Diskussion

Macht und Verantwortung im digitalen Raum

Es sei die Aufgabe von Staat und Politik, die Menschen vor Manipulation und „digitalem Junk“ zu schützen, entgegnete Katarzyna Szymielewicz. Diese Verantwortung könne nicht auf die Einzelnen abgewälzt werden, sagte sie. Sie sah die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft in eine kompetente „digitale Superklasse“ und eine „digitale Unterklasse“. Macht und Verantwortung gehörten deshalb zusammen. Die Tech-Unternehmen dürften nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Werte müssen regel- und rechtsbasiert geschützt werden, bekräftigte auch Jan Philipp und forderte eine neue öffentliche Debatte hierüber. Die Chancen der Digitalisierung könnten nicht vollständig genutzt werden, auch weil der rechtliche Rahmen und die Durchsetzung der Rechte unzureichend seien.

Auch Nanjala Nyabola hielt eine bessere Regulierung des digitalen Raums für notwendig. Sämtliche Plattformen stammen heute entweder aus den USA oder auch China. Während die USA die wirtschaftlichen Interessen über die Interessen der Menschen stellten, sei China streng top-down organisiert und nutze die technologischen Möglichkeiten zur Machtsicherung und Unterdrückung, argumentierte sie. Dies sei fatal, denn die meisten Menschen auf der Welt könnten sich weder Inhalte noch digitale Plattformen aussuchen und würden deshalb ungefiltert mit Desinformation überspült. Virale Unwahrheiten aber würden gezielt eingesetzt, um Konflikte anzuheizen, sagte sie.

Kann uns Bildung vor Fake News schützen?

Dr. Maren Jasper-Winter wies auf das Spannungsverhältnis zwischen Desinformation und Meinungsfreiheit hin: Der Staat könne die Bürger:innen nicht allumfassend schützen, ohne zugleich in die Meinungsfreiheit einzugreifen. Der Schlüssel sei deshalb eine höhere Digitalkompetenz und Bildung. Menschen müssten dazu qualifiziert werden, die Qualität von Quellen selbst zu beurteilen und kompetent nach Informationen zu recherchieren. Auch sei es ihr wichtig, dass sich Frauen stärker in der digitalen Welt einbringen, zum Beispiel als Programmiererinnen. Frauen seien in MINT-Berufen nach wie vor unterrepräsentiert.

Auf dem offenen Platz in der Fishbowl nahm ein Wissenschaftler Platz, der derzeit seine Doktorarbeit am Weizenbaum Institut schreibt. Er ging auf die Frage nach Macht und Verantwortung ein und gab grundsätzlich beiden Positionen recht: Bildung sei natürlich ein wichtiger Schlüssel, aber es müsse geklärt werden, wie Bildung definiert und ausgestaltet sei. Bildung müsse die Menschen zu einer aktiven Rolle befähigen. Gemeint sei damit die Fähigkeit, etwas zu schaffen, etwas zu zerstören, aber dafür auch zur Verantwortung gezogen zu werden. Bildung als Vermittlung von Kompetenz, Systeme zu verändern, könne Teil einer Antwort auf einige unserer Probleme sein, sagte er. Den Big-Tech-Unternehmen attestierte er eine „toxische Machtstruktur“, die nicht allein mit Datensicherheit und Datenschutz aufgebrochen werden könne. Der Schlüssel hierfür sei der Datenbesitz.

Welche Strategien braucht es?

Ownership und Befähigung müssten sowohl individuell als auch organisatorisch vorangebracht werden, unterstrich Jan Philipp Albrecht. Er sah drei Handlungsebenen: Auf der individuellen Ebene gehe es zunächst um die Befähigung der einzelnen Individuen. Hier spiele Bildung und Information eine wichtige Rolle. Auf der zweiten, der organisatorischen Ebene gehe es beispielsweise um die Bereitstellung und Entwicklung von Services, aber auch um den Ordnungsrahmen und die Durchsetzung von Regeln. Aber es gebe noch eine dritte Ebene dazwischen, die nicht neu und etwas in Vergessenheit geraten sei. Dieses Konzept sei während der Industrialisierung als letzte große Transformation der Gesellschaft in Form von Gewerkschaften entwickelt worden. Gewerkschaften könnten Menschen mit gleichen Interessen verbinden und ihren Einfluss geltend machen. Dieses Konzept könne auch für die jetzige Transformation nutzbar gemacht werden und eine wichtige zivilgesellschaftlich verankerte Quelle für Veränderung sein. Dr. Maren Jasper-Winter sah den Austausch als essenziell an, um Regeln zu ändern und transparenter zu machen. Es hänge von jede:r Einzelnen ab, sich einzubringen. Sie zeigte sich optimistisch, denn die digitale Zukunft biete große Chancen für einen Pluralismus der Ideen und Konzepte. Auch sie habe eine optimistische Haltung, betonte Nanjala Nyabola, denn sie gehe von der Veränderbarkeit der Zukunft aus. Aber damit das gelinge, müsse man die Dinge klar benennen, die sich ändern müssen, sagte sie. Katarzyna Szymielewicz schloss mit einem Appell an das Publikum, ihre Stimme zu nutzen und dort zu investieren, wo Veränderung vorangetrieben wird, die Parteien zu wählen, die ihre Sichtweise vertreten und die am progressivsten sind - auch wenn der Kampf gegen toxische Algorithmen damit noch nicht gewonnen sei. Sie rief das Publikum auf: „Seid Avantgarde, um den digitalen Raum besser zu machen.“