Wo stehen wir im Hinblick auf LGBTIQ+-Rechte weltweit?

Analyse

Feminismus und LGBTIQ+ Rechte umfassen komplexe Diskurse, die in sich selbst fast so vielfältig sind, wie die Bewegungen, die sie vertreten. Frauen und queere Menschen werden oft diskriminiert, ausgegrenzt, angegriffen und verletzt, nur, weil sie nicht mit den konventionellen und hegemonialen Vorstellungen von Geschlecht übereinstimmen. Die Rückbesinnung auf soziale Gerechtigkeit bringt feministische und queere Kämpfe zusammen. Für uns als Heinrich-Böll-Stiftung ist die konsequente Infragestellung patriarchaler Machtstrukturen und der gemeinsame Kampf für eine partizipative, inklusive und gerechte Welt ein zentrales Anliegen.

Eine Fahne mit der Aufschrift "Born this way" wird in die Höhe gehalten.
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Die Rückbesinnung auf soziale Gerechtigkeit bringt feministische und queere Kämpfe zusammen.

Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich die Menschenrechte von LGBTIQ+ Personen in einigen Teilen der Welt verbessert, meist in Form von rechtlicher Gleichstellung. Gleichzeitig wurden diese Rechte in verschiedenen Teilen der Welt durch einen erstarkten Rechtsextremismus beschnitten oder bedroht.

Ein Blick auf die Zahlen hilft, die vielschichtigen Dimensionen der Unterdrückung von LGBTIQ+ zu verstehen. Global gesehen haben in den letzten Jahrzehnten mehr als 30 Länder nationale Gesetze erlassen, die gleichgeschlechtliche Ehen erlauben. Dennoch ist die Ausweitung der Rechte von LGBTIQ+ Personen weltweit nicht gleichmäßig, sondern hängt davon ab, wie stark Anti-LGBTIQ+ und Anti-Gender-Bewegungen im jeweiligen Kontext vertreten sind. Im Dezember 2020 veröffentlichte ILGA World eine Weltkarte zur Rechtslage in Bezug auf die sexuelle Orientierung, aus der hervorgeht, dass gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen immer noch in etwa einem Drittel aller UN-Staaten strafrechtlich verfolgt werden.

In sieben Staaten kann Homosexualität sogar mit dem Tod bestraft werden. In Ländern wie dem Iran, Kamerun und Uganda (und anderen) werden LGBTIQ+ Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität verhaftet (oder müssen mit noch schlimmeren Strafen rechnen). Unabhängig vom Land und seinem so genannten "Entwicklungsstatus" kommt es in fast allen Teilen der Welt immer noch zu extremen Menschenrechtsverletzungen und Eingriffen in das Leben von LGBTIQ+. Seien es die "LGBTIQ+-freien Zonen" in Polen, die Wahl von offen LGBTIQ+-feindlichen Politikern (wie Donald Trump) oder der Aufstieg rechter Parteien mit konservativen Familienbildern (wie die AfD in Deutschland). Diese Beispiele zeigen, dass auch westliche Demokratien keine Geschlechterdemokratien sind und vor homo- und frauenfeindlicher Politik nicht gefeit sind.

Menschenrechtsverteidiger*innen und -organisationen können durchaus Fortschritte verzeichnen, aber es gibt noch keinen Grund zum Feiern, denn sie haben noch eine schwierige Aufgabe vor sich: Einerseits müssen sie versuchen, einer weiteren Verschlechterung der (grundlegenden) Menschenrechte entgegenzuwirken, und sich gleichzeitig für den Schutz von LGBTIQ+ Personen und die Umsetzung von Antidiskriminierungsgesetzen einsetzen.

Warum zählen LGBTIQ+-Rechte zu den Menschenrechten?

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die als Meilenstein der Geschichte gilt, schützt bereits die Rechte von LGBTIQ+ Personen - dabei handelt es sich aber nicht um auf eine bestimmte Gruppe zugeschnittene Rechte. Menschenrechte und Demokratie sind weltweit durch strukturelle Ungleichheiten bedroht. Die Politik sollte die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln. Unterschiedliche Unterdrückungsmechanismen gegenüber nicht-heteronormativen Personen haben vielfältige negative Auswirkungen, die nicht nur Ungleichheiten zwischen Menschen verstärken, sondern auch den lokalen Frieden gefährden.

Sich für LGBTIQ+ Personen einzusetzen, sie vor Gewalt und struktureller Diskriminierung zu schützen, bedeutet nicht, neue Menschenrechte, Gesetze oder Normen zu schaffen - die gibt es bereits! Dennoch sind in einigen Gesellschaften systematische Unterdrückung, strukturelle Diskriminierung, Ausgrenzung, Stigmatisierung und Gewalt gegen LGBTIQ+ Personen weit verbreitet, da viele patriarchale Gesellschaften bisher keine Vielfalt der sexuellen Orientierung und Gender zulassen und somit diskriminierende Gesetze auf nationaler Ebene befördern.

Die Befreiung von Diskriminierung und Unterdrückung liegt in der Erkenntnis, dass Menschenrechte nur mit einer einfachen Tugend verbunden sind: dem Menschsein. Sie können nicht durch irgendwelche konstruierten Unterscheidungsmerkmale unter uns eingeschränkt werden - weder durch Race, Nationalität, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung, sozialen Status, oder sonst eine Zuschreibung.

Warum ist LGBTIQ+-Aktivismus ein Teil des Feminismus?

Auch wenn feministische und LGBTIQ+-Themen fast so unterschiedlich sind wie ihre Communities selbst, teilen beide Bewegungen den Wunsch nach einer Welt ohne Unterdrückung und mit gleichberechtigter Teilhabe. Menschen, die sich in feministischen Bewegungen engagieren und/oder Teil der LGBTIQ+-Communities sind, werden oft diskriminiert, an den Rand gedrängt, angegriffen und verletzt, nur weil sie nicht mit den konventionellen und hegemonialen Vorstellungen von Geschlecht übereinstimmen. Die Rückbesinnung auf soziale Gerechtigkeit bringt feministische und queere Kämpfe zusammen. Unterschiedliche Formen von (Un-)Gerechtigkeit, sei es im Bereich der Reproduktion, der wirtschaftlichen Teilhabe, des Zugangs zur Gesundheitsversorgung usw., betreffen vor allem Frauen und LGBTIQ+ Personen. Zu beiden Gruppen gehören Menschen, die am stärksten von patriarchalischer, struktureller Gewalt und Unterdrückung betroffen sind. Dies zeigt sich an vielen Orten und in unterschiedlichen Kontexten.

Wie OluTimehin Kukoyi, eine nigerianische Schriftstellerin, Essayistin und öffentliche Intellektuelle in einem ihrer Interviews sagte: „Man fügt sein Schwarzsein nicht zu seinem Schwulsein oder zu seinem Frausein hinzu. Zusammen verändern sie deine Erfahrung und stellen sie in einen völlig neuen Kontext der Unterdrückung.”

Dies bringt uns zum Konzept der Intersektionalität, ein Begriff, der 1989 von der amerikanischen Bürgerrechtlerin und führenden Wissenschaftlerin der kritischen Rassentheorie, Kimberlé Williams Crenshaw, geprägt wurde. Das Konzept der Intersektionalität hat sich zu einer wichtigen Methode entwickelt, um die verschiedenen Ebenen von Diskriminierung und Ausgrenzung von Personen mit komplexen ethnischen, geschlechtlichen oder sexuellen Identitäten zu verstehen. Intersektionalität hilft uns, die Komplexität der Vorurteile und Stigmatisierung zu begreifen, mit der Feminist*innen und queere Menschen konfrontiert sind. In diesem Punkt vereinen sich die vielen unterschiedlichen Bewegungen.

Geleitet vom Prinzip der Intersektionalität verfolgt die hbs einen Ansatz, der für Einheit statt für Fragmentierung unter dem Schirm der Identitätspolitik steht: Demokratie und soziale Gerechtigkeit für alle - denn ein Feminismus, der andere Unterdrückte ausschließt, tut den Feminist*innen und Frauen auf der ganzen Welt nicht gut. Schließlich waren es queere Menschen, die in den 1960er Jahren in vielen Ländern der Welt feministische Bewegungen und Revolutionen besonders unterstützt haben. Das Konzept der Intersektionalität stellt Fragen: Wer gehört noch zu unserer unterdrückten Gruppe? Wie können wir uns noch solidarischer zeigen? Wenn wir unseren Blick ausweiten, lässt sich erkennen, wo Macht entsteht und aufeinander prallt, wo sie sich verschränkt und überschneidet.

Ein Blick in die Zukunft

Unsere Arbeit hat eine klare Vision: eine partizipative, inklusive und gerechte Welt, jenseits von heteronormativer und patriarchaler Ausgrenzung und befreit von ungerechten Machtstrukturen. Innerhalb der politischen, globalen und sozialen Bewegungen gibt es eine Reihe von Ansätzen, in denen sich Feminismus und LGBTIQ+-Aktivismus überschneiden. Eine konsequente Infragestellung patriarchaler Macht ist ein zentrales Thema, dem sich sowohl die feministische als auch die LGBTIQ+-Bewegung in ihrem Kampf widmen.

Menschen aus verschiedenen Regionen der Welt zu Wort kommen zu lassen und damit den transnationalen und transregionalen Austausch und die Zusammenarbeit zu stärken, ist das Grundgerüst globaler Solidarität. Es ist uns besonders wichtig, dass die Stimmen von LGBTIQ+-Aktivist*innen und –Wissenschaftler*innen sowohl aus dem Globalen Süden als auch dem Globalen Norden gehört werden.

Ein zentraler Fokus liegt in unserem Dossier zum Thema jedoch auf den Perspektiven aus dem Globalen Süden. Menschen, die von Rassismus und LGBTIQ+-Feindlichkeit betroffen sind, brauchen Sichtbarkeit und verlässliche Partner*innen. Deshalb unterstützt die hbs gezielt Personen, Projekte und Perspektiven von intergeschlechtlichen und transgender People of Colour aus dem Globalen Süden.

In unserem Dossier werden Beiträge zur Verbesserung der Menschenrechte von LGBTIQ+ vorgestellt. Wir haben Perspektiven aus verschiedenen Teilen der Welt integriert, so dass der*die Leser*in die unterschiedlichen Bewegungen für grundlegende Menschenrechte von LGBTIQ+ Menschen vergleichen kann. Wir möchten Euch außerdem dazu anregen, die auferlegten Narrative zu hinterfragen und den intersektionalen Ansatz in Eure eigene Lebenspraxis zu integrieren.