Rebecca Möller, Universität Hamburg

Mikro-Perspektiven auf Physikunterricht im Kontext sprachlicher Diversität

Internationale Vergleichsstudien wie PISA zeigen, dass Schüler:innen mit Zuwanderungsgeschichte im deutschen Bildungssystem benachteiligt werden. Sie stammen im Vergleich zu Schüler:innen ohne Zuwanderungsgeschichte häufiger aus Familien mit einem niedrigem sozioökonomischen Status und schneiden damit zusammenhängend in Schulleistungsstudien meist schlechter ab als Schüler:innen aus bildungsnahen Familien.

Die Leistungsdisparität aufgrund des sozioökonomischen Status wird auf unzureichend ausgeprägte bildungssprachliche Kompetenzen zurückgeführt. Bildungssprache bezeichnet dabei ein sprachliches Register, das heißt eine Art und Weise der Sprachverwendung, die bestimmte formale Anforderungen beachtet. In der Erziehungswissenschaft ist Bildungssprache daher das Register, das in schulischen Kontext verwendet wird, mithilfe dessen Lehr-Lernprozesse gestaltet werden und über das Schüler:innen verfügen müssen, um im Bildungssystem erfolgreich zu sein.

Um der Bildungsbenachteiligung von Schüler:innen mit Zuwanderungsgeschichte entgegenzuwirken, hat sich das Konzept der durchgängigen Sprachbildung im bildungswissenschaftlichen Diskurs etabliert. Das Konzept sieht die Etablierung sogenannten sprachexpliziten Unterrichts in allen Unterrichtsfächern vor. Sprachexpliziter Unterricht bezeichnet dabei Unterricht, in dem (bildungs)sprachliches und fachliches Lernen miteinander verknüpft und die gesamten sprachlichen Ressourcen – also auch die Herkunftssprachen – von Lernenden systematisch berücksichtigt und gefördert werden.

Empirische Untersuchungen zu sprachexplizitem Unterricht deuten an, dass sich sprachexplizite Unterrichtsgestaltung positiv auf die fachliche Kompetenzentwicklung von Schüler:innen mit schwach ausgeprägten bildungssprachlichen Kompetenzen und mehrsprachige Schüler:innen auswirkt. Die empirischen Forschungsbefunde zum Einbezug von Herkunftssprachen in den Unterricht beziehen sich bislang jedoch eher auf bilinguale Lehr-Lernkonstellationen (z.B. Deutsch - Türkisch) und können dort tendenziell Vorteile für fachliches Lernen zeigen. Studien zu Wirkungen sprachexpliziter Unterrichtsstrategien mit einem Schwerpunkt auf die Einbeziehung der individuellen Mehrsprachigkeit in multilingual zusammengesetzten Lerngruppen sind jedoch selten und beziehen sich überwiegend auf das Fach Mathematik. Über die Wirkungsweisen sprachexpliziter Unterrichtsstrategien in Sachfächern wie Physik ist bislang wenig bekannt.

Hier setzt das Promotionsprojekt Mikro-Perspektiven auf Physikunterricht im Kontext sprachlicher Diversität an. Das Forschungsvorhaben soll klären, wie sprachexpliziter Fachunterricht am Beispiel Physik im Detail wirkt. Hierfür nimmt das Promotionsprojekt Lehr-Lernprozesse in sprachexplizitem Physikunterricht zum Thema Energie in den Blick. Durch Unterrichtsanalysen wird untersucht,

I. wie Schüler:innen zwei Varianten von sprachexplizitem Physikunterricht im Vergleich zu einer sprachimpliziten Variante nutzen und

II. wie die Nutzung des Unterrichts sowie die Lernergebnisse erklärt werden können.

Die Untersuchungsdaten umfassen Videos des Unterrichts einschließlich Transkripten sowie Unterrichtsartefakte und Feldnotizen. Weiterhin werden quantitative Daten zu den Lernergebnissen der Schüler:innen hinzugezogen, die gemäß eines parallelen Mixed-MethodDesigns mit den qualitativen Daten zur Nutzung trianguliert werden. Auf diesem Weg können förderliche und hemmende Faktoren für das fachliche Lernen identifiziert und somit Wissen über die Realisierung sprachexpliziter Lernumgebungen generiert werden.