Honduras: Ein Jahr nach dem historischen Wahlsieg

Analyse

Vor einem Jahr wurde Xiomara Castro als Präsidentin und erste Frau in der Geschichte Honduras in das höchste Staatsamt gewählt. Ende November 2021 hatte Castro mit einem historischen Wahlsieg ihrer Regierungskoalition die Vorherrschaft der seit zwölf Jahren regierenden Nationalen Partei gebrochen.

Gemälde mit Honduras' Präsidentin: Xiomara Castro.
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Honduras' Präsidentin: Xiomara Castro.

Hoch waren die Erwartungen der Bürger*innen des armen, von Gewalt und Ungleichheit gezeichneten zentralamerikanischen Landes an ihre neue Präsidentin, Ehefrau des 2009 aus dem Amt geputschten Ex-Präsidenten Manuel Zelaya. Die neue Regierung versprach weniger Armut und Ungleichheit, weniger Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Mädchen, sowie die Bekämpfung von Korruption und Straflosigkeit.

Doch nach einem Jahr sieht die Bilanz eher mager aus: Dies liegt zum einen daran, dass die Regierung kein Programm für vier Jahre, sondern eher einen Plan zur Neugründung der Nation vorlegte. Lösungen für strukturell verfestigte Armut und Ungleichheit und die Bekämpfung der unter der Vorherrschaft der Nationalen Partei geförderten korrupten und kriminellen Strukturen der Narco-Diktatur brauchen langfristige Strategien für wirkungsvolle Maßnahmen. Xiomara Castro hat zwar ihren Vorgänger Juan Orlando Hernández an die USA ausgeliefert. Dort sitzt er wegen mutmaßlichen Drogenhandels nun im Gefängnis und wartet auf sein Urteil. Castro hat aber darüber hinaus keine konsequente Politik zur Eindämmung der Korruption öffentlicher Amtsträger*innen eingeleitet.

Die Verhängung des Ausnahmezustandes im Dezember 2022 in den Ballungsräumen San Pedro Sula und Tegucigalpa soll kriminelle Netzwerke der Erpressung eindämmen. Aber Vertreter*innen der heimischen Gangs, der Maras, und Menschenrechtsorganisationen befürchten gleichermaßen, dass diese Politik der harten Hand zu wachsenden Menschenrechtsverletzungen und einer weiteren Militarisierung der Politik führt. Die Regierung Castro war im Februar 2022 mit dem gegenteiligen Versprechen angetreten, so z. B. die Entmilitarisierung und umfassende Reform der Polizeikräfte. Im vergangenen Jahr haben sich die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Inflationsbekämpfung und die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der honduranischen Bevölkerung weiter verschlechtert: die währenden Folgen der Corona-Pandemie und der Krieg gegen die Ukraine haben die Rezession beschleunigt. Fast 70 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut, mehr als 50 Prozent hiervon in extremer Armut.

Was sagt die honduranische Zivilgesellschaft?

Vertreter*innen der honduranischen Zivilgesellschaft ziehen zwar eine gemischte Bilanz des ersten Regierungsjahres, wollen aber noch nicht von „Enttäuschung“ oder einem „Versagen“ der Regierung sprechen. Mehrheitlich wird der Präsidentin noch weitere Zeit zugestanden, um ihre Wahlversprechen einlösen zu können. Dennoch wachsen Ungeduld und Sorge auch in den Organisationen, die der Regierung positiv gegenüberstehen, dass dringend notwendige Reformen auf die lange Bank geschoben werden. Im Parlament fehlt der Koalition die notwendige Mehrheit, so dass Gesetzesvorhaben faulen Kompromissen mit der Nationalen Partei zum Opfer fallen könnten. So schreibt etwa eines der wichtigsten Netzwerke sozialer Bewegungen in Honduras, das Movimiento Amplio por la Dignidad y la Justicia (MADJ), in einem offenen Brief an Präsidentin Castro: Ein Jahr nach Regierungsantritt „gibt es keine klaren Anzeichen für einen umfassenden Wandel. Das Land befindet sich angeblich in einem Übergangsprozess, aber wir wissen nicht, wohin dieser Prozess geht.“

Test für den Kampf gegen Straflosigkeit

Ein entscheidender Test für die Regierung, ihre Versprechen zur Bekämpfung und Straflosigkeit umzusetzen, ist die derzeit anstehende Wahl der 15 Richter*innen des Obersten Gerichtshofes. Doch diese verzögert sich jetzt. Alle im Kongress vertretenen Parteien sollten die neuen 15 Mandatsträger*innen aus einer 45 Personen umfassenden Liste am 25. Januar in einer qualifizierten Mehrheit von 86 Abgeordneten auswählen. Hierfür muss die Regierung mit der Opposition verhandeln. Bislang kam es zwar noch nicht zu gewalttätigen Tumulten im Parlament, wie bei der Wahl des Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses vor einem Jahr. Aber honduranische und internationale Beobachter*innen und Rechtsexpert*innen fürchten, dass das parteipolitische Gemauschel am Ende nicht die besten Kandidat*innen, sondern diejenigen mit der größten Parteinähe ergeben wird. Bereits im Juli 2022 hatte das Parlament in einer Nacht- und Nebelaktion Qualitäts- und Ausschlusskriterien für die Aufstellung von Kandidat*innen für den Obersten Gerichtshof gestrichen. In Folge können nun auch Kandidat*innen, die im Verdacht stehen, in illegale Wahlkampffinanzierung oder die Vertuschung und Verschleppung von Korruptionsverfahren verwickelt zu sein, ernannt werden.[1] Bei der Wahl zur Erneuerung der Richter*innen des Obersten Gerichtshofes steht viel auf dem Spiel: das Parlament soll nun im Februar aus den 45 vorgeschlagenen Kandidat*innen diejenigen auswählen, die am ehesten geeignet sind, die Unabhängigkeit des Gerichtes zu stärken. Ob dieser wichtige Schritt zur Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung für die Chance zur Eindämmung von Korruption und kriminellen Netzwerken gelingt, ist offen.

Unabhängige Richter*innen können die Weichen für die Einrichtung einer internationalen Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit (CICIH) unter UNO-Mandat stellen. Auch die Kommission ist ein weiteres Wahlversprechen von Xiomara Castro. Doch bisher gibt es nur eine Absichtserklärung, wichtige Voraussetzungen, wie u. a. Fortschritte bei der Autonomie der Justiz, sind aber noch nicht erfüllt.

Die frauenpolitische Agenda der Regierung

Vizepräsidentin Doris Gutiérrez zog eine Bilanz nach einem Jahr der Regierung Xiomara Castro. Sie sprach von „drei Geschenken”, die die Regierung den Frauen nach wie vor schulde: 1) Das Gesetz zur Prävention und Eindämmung aller Formen von Gewalt gegen Frauen, 2) Das Gesetz zur Einrichtung von Frauenhäusern und 3) Reformen des Strafgesetzbuches.

Doch die Ergebnisse sind ernüchternd: 2022 wurden 398 Frauen ermordet, das sind 51% mehr als 2021. 304 Morde waren Feminizide, Morde aus Frauenhass, so das Centro de Derecho de Mujeres (CDM). Für landesweite Empörung unter Frauen- und Menschenrechtsorganisationen sorgte insbesondere der brutale Feminizid an drei Garifuna-Frauen in der Gemeinde Travesía (Puerto Cortés), Anfang 2023.

Feministinnen sehen die Tatsache, dass das Gesetz zur Prävention und Eindämmung von Gewalt gegen Frauen im Kongress bisher keinen Schritt weitergekommen ist, als kritisch an. Castro hatte versprochen, sich persönlich für eine rasche Verabschiedung einzusetzen. Das weitere Wahlversprechen, die „Pille für Notfälle“ wieder straffrei zu machen, konnte nur in Teilen umgesetzt werden. Sie wurde zwar wieder zugelassen, allerdings nur in Fällen von Vergewaltigung, da laut Gesundheitsminister Manuel Matheu in einem Interview mit BBC Mundo die vollständige Freigabe zu „sexueller Zügellosigkeit“ führen könnte. Hier wird deutlich, wie stark patriarchalische Haltungen in Teilen der Regierungskoalition verankert sind. Ferner erklärt es die mangelnden Fortschritte hinsichtlich der Lockerung der strikten Abtreibungsgesetze. Abtreibungen sind in allen Fällen – auch bei Gefahr für das Leben der Frauen und Mädchen oder nach Vergewaltigung – strafbar.

Doch es gibt auch Fortschritte zu verzeichnen. Ein Sekretariat für Frauen (Secretaría de la Mujer) wurde eingerichtet und mit umgerechnet vier Millionen US $ für das Haushaltsjahr 2023 ausgestattet. Neu ist auch die generelle Einführung der Genderperspektive bei der Haushaltsplanung.

Die Widersprüche in der Wirtschaftsagenda

Am 20. April 2022 setzte der Kongress die sog. Ley Orgánica de las Zonas de Empleo y Desarrollo Económico (=ZEDE) außer Kraft. ZEDEs sind Privatstädte, die eine moderne Form des Kolonialismus darstellen. Sie stellen extraterritoriale Enklaven, in denen (inter)nationale Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards außer Kraft gesetzt werden, dar. Die Gründung neuer Privatstädte in Honduras wird rechtlich zwar verhindert, doch das Problem der bereits bestehenden Sonderwirtschaftszonen (Próspera, Ciudad Morazán und Orquídea) wird damit nicht gelöst. Honduras wird von US-amerikanischen Lobbyisten mit Einfluss auf den Kongress und dem US-State Department sowie einer Einleitung eines Verfahrens vor dem bei der Weltbank angesiedelten internationalen Investitionsschiedsgericht (ICSID/CIADI) unter Druck gesetzt. Honduras ging auf die Forderung, einen 50-jährigen Bestandsschutz für die Privatstadt Próspera zu gewährleisten, nicht ein. Nun soll der Staat Honduras bis zu 10,8 Mrd. US-Dollar zahlen. Dies entspricht mehr als einem Drittel des Bruttoinlandproduktes.

Zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter der MADJ, begrüßen das Verbot der Gründung neuer ZEDEs und des Übertage-Bergbaus. Doch sie beklagen auch, dass die Regierung das extraktivistische Wirtschaftsmodell ihrer Vorgänger fortführe und bisher zu wenig getan hätte, um die Gewalt gegen Umweltaktivist*innen zu lösen. Allein Anfang 2023 wurden vier Umweltaktivist*innen im Aguán-Tal in der Provinz Colón ermordet. Honduras ist weltweit eines der gefährlichsten Länder für Umweltaktivist*innen, die Straflosigkeit ist hoch.  

Erwartungen in Hinblick auf wirtschaftliche Agenda

Ein Großteil der Bevölkerung erwartet von der Regierung Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation und zur Lösung ihrer alltäglichen wirtschaftlichen Probleme. Nach einem Jahr sind auch hier die Ergebnisse durchwachsen. Honduras gehört mit 10,2 Prozent zu den Ländern mit der höchsten Inflationsrate in Lateinamerika. Expert*innen, darunter der Ökonom Julio Raudales, sagen, dass neben der schwierigen internationalen Lage, die Regierung auch nicht genug zur Inflationsbekämpfung getan hat, obwohl die Zentralbank über die notwendigen Instrumente verfüge. Die Bürger*innen sind hingegen über das Einfrieren der Preise für 40 Produkte sowie über die Senkung der Strompreise erleichtert. Im Mai 2022 verabschiedete der Kongress ein Gesetz zur Reform des Energiesektors. Energie wird nun als öffentliches Gut anerkannt und armen Familien, die nicht in der Lage sind, ihre Stromrechnungen zu zahlen, werden Zuschüsse angeboten.

Die Auswahl der Richter*innen des Obersten Gerichtshofes ist auch ein Test für die Glaubwürdigkeit der Regierung von Präsidentin Xiomara Castro, für den Willen, rechtsstaatliche Strukturen und Gewaltenteilung zu stärken und die korrupten Strukturen der Narco-Diktatur zu bekämpfen.


[1] Das unabhängige Nachrichtenportal Contracorriente hat ausführlich zum Auswahlprozess berichtet.