Klimawandel am Theater

Kommentar

Die Energiekrise zwingt auch die Bühnen zu harten Sparmaßnahmen – Bund und Länder stellen ihnen Hilfen in Aussicht. An vielen Häusern wird aber längst überlegt, wie sich dauerhaft nachhaltiger produzieren lässt.

Plakat - Spruch von Brecht: "ÄNDERE DIE WELT, SIE BRAUCHT ES." Berthold Brecht

Es gab mal eine Zeit, in der die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz spöttisch als „Wärmestube“ bezeichnet wurde. Das war zwar gemünzt auf den dort angeblich gebotenen Wohlfühlfaktor für Menschen mit Ost-Biografie, löste sich aber in einem ganz wörtlichen Sinne ein. „Castorf“, so schrieb es 2002 der Journalist Robin Detje in seinem Buch „Provokation aus Prinzip“ über den langjährigen Intendanten, „schätzt eine Innentemperatur von konstanten 25 Grad“. Vor allem im Zuschauerraum war diese Vorliebe deutlich spürbar. Volksbühnen-Besuche ähnelten nicht selten Sauna-Gängen.

Die heißen Jahre sind vorbei. Heute ist in dem 1913 erbauten Theater, „die Lüftungsanlage für den Zuschauerraum auf eine Zieltemperatur von 19 Grad programmiert“. So erläutert es der technische Direktor des Hauses, Stefan Pelz. Die Marke könne allerdings im Laufe der Vorstellung überschritten werden – „aufgrund der von den Besucher*innen eingebrachten Wärmeleistung“, rund 100 Watt pro Person. In diesen Zeiten ist der Mensch des Menschen Heizkörper.

Wie die meisten Kultureinrichtungen folgt auch die Volksbühne den Energiespar-Empfehlungen, die das Land Berlin und auch der Deutsche Bühnenverein ausgesprochen haben. Mittlerweile werden zudem sämtliche Räume am Rosa-Luxemburg-Platz schrittweise mit elektronischen Thermostatventilen aufgerüstet, es gibt „bewegungsmeldergesteuertes Licht in Sekundärfluren“ – also Durchgänge, die nicht ständig genutzt werden –, einmal wöchentlich trifft sich eine Energiegruppe, um weitere Sparmöglichkeiten zu identifizieren. Und Pelz selbst sitzt in seinem Büro „in dickem Pulli und mit Daunenjacke“.

Wenn der Stromanbieter kündigt

Die Energiekrise, die alle Bürger*innen zu spüren bekommen, macht sich auch in den Kultureinrichtungen bemerkbar. Inzwischen hätten sich etwa die Materialpreise „um bis zu 100 Prozent erhöht“, berichtet der technische Direktor der Volksbühne. Holz, Stahl, Textilien, Farbe – alles, was Theater für den Dekorationsbau benötigen, wird zum Kostenfaktor. Eine Entwicklung, die schon während der Pandemie begonnen, sich seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aber rasant beschleunigt habe, so Pelz.

Auch Franziska Werner, bis zum Sommer 2023 noch Leiterin der Sophiensäle, berichtet, dass inzwischen „jede eingehende Rechnung im Schnitt zwanzig Prozent höher ist als noch vor einem Jahr“. Reinigung, Technikverleih,  – die Inflation schlage überall durch. Es gab auch schon die ersten Fälle von senatsgeförderten Projekten, bei denen die ursprüngliche Kalkulation plötzlich nicht mehr aufging, weil die Miete für den Probenraum sich signifikant erhöht hatte. Natürlich versuche sie, in solchen Fällen Künstler*innen und Gruppen entgegen zu kommen, etwa durch die Übernahme von Kosten an anderer Stelle, so Werner. Allerdings sei der Spielraum begrenzt, „schließlich wächst unsere eigene Förderung nicht mit der momentanen Teuerung mit“.

Natürlich schlagen die Energiepreise auch unmittelbar zu Buche. Das Deutsche Theater beispielsweise senkt bereits seit Jahren seinen Stromverbrauch, ist aber (zum Vergleich: Im April 2018 lag der Verbrauch bei 137.500 kw/h zu 25.700 Euro, im April 2022 bei 105.000 kw/h zu 31.400 Euro – und 2023 werden die Preise noch einmal deutlich anziehen). Der Schaubühne am Lehniner Platz wiederum hat zum Jahresende 2022 der Stromanbieter EWS den bestehenden Vertrag gekündigt, ein Ökostromlieferant aus Süddeutschland. Das Theater hat sich mit EWS darauf verständigt, vorerst tagesaktuelle Preise zu zahlen. „Das bedeutet Ungewissheit, aber jetzt eine längerfristige Bindung zu einem Fixpreis einzugehen, wäre astronomisch teuer“, so Tobias Veit, der Geschäftsführer der Schaubühne.  So oder so rechnet er für 2023 mit Energiemehrkosten von 200.000 Euro – „was nicht so leicht aufzufangen ist“.

Hilfen von Bund und Ländern    

Die Politik verspricht den Häusern allerdings Hilfe. Auch privaten Theater, die von den Teuerungen aufgrund ihrer höheren Abhängigkeit von Einnahmen noch ungleich härter getroffen werden – in Zeiten, in denen der Theaterbesuch für viele zum Luxus wird. „Wir haben den Kultureinrichtungen nicht zweieinhalb Jahre durch die Pandemie geholfen, um sie jetzt an steigenden Energiekosten scheitern zu lassen“, verspricht Daniel Bartsch, Pressesprecher des Berliner Senators für Kultur und Europa, Klaus Lederer. Auch die Realisierung von senatsgeförderten Projekten solle gewährleistet werden – auch wenn deren Finanzkalkulationen angesichts der Energiekrise nicht mehr haltbar seien.

Im Nachtragshaushalt, den das Berliner Abgeordnetenhaus am 14. November 2022 beschlossen hat, sind 143 Millionen Euro eingestellt „zur Unterstützung von Zuwendungsempfängern im Kultur- und Bildungsbereich“. Was etwa Studienwerke, Verbände und Vereine mit einschließt. „Härtefallfonds“ werden diese Mittel genannt, auf die - Stand Januar 2023 - noch nicht zugegriffen wurde – allerdings sind viele Häuser (ebenso wie Privatleute) noch gar nicht im Bilde über das Ausmaß der Mehrkosten, die auf sie zukommen. Zumal dann, wenn sie – wie etwa die Sophiensäle –  ein privates Gebäude bespielen. „Die Heizung läuft über den Eigentümer, wir bekommen erst zum Ende des Folgejahres eine Rechnung, von der wir nicht wissen, wie hoch sie sein wird“, so Franziska Werner.

Im Bundesministerium für Kultur und Medien verweist Pressesprecherin Julia Jorch darauf, dass „die allgemeinen Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung, insbesondere die Preisbremsen für Gas, Fernwärme und Strom sowie die Senkung der Umsatzsteuer für Gas 2023 alle Unternehmen und Verbraucher, darunter auch den Kulturbetrieb, spürbar entlasten“. Trotzdem blieben Mehrbelastungen, die Institutionen häufig nicht aus eigener Kraft tragen oder auf das Publikum umlegen könnten. Aus diesem Grund ist am 2. November 2022 beschlossen worden, Hilfen in Höhe bis zu 1 Milliarde Euro für Kultureinrichtungen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds für Kultureinrichtungen für die Jahre 2023 und 2024 bereit zu stellen. Der „Kulturfonds Energie des Bundes“ soll jetzt im Februar 2023 an den Start gehen.

Verschiedene Arten von Sparsamkeit  

Eine der Vorgaben für die Hilfen des BKM wird sein, „dass die Häuser ihren Energieverbrauch um 20 Prozent“ senken, weiß Claudia Schmitz, Präsidentin des Deutschen Bühnenvereins. „Wobei es an den Theatern sehr unterschiedliche Potenziale für Einsparungen gibt“. Was Tobias Veit bestätigt: „Wir haben bereits 2019 die gesamte Gebäudebeleuchtung der Schaubühne auf LED umgestellt, was in dem Bereich zu einer 70-prozentigen Reduzierung des Stromverbrauchs gebracht hat“.  Weitere Sparmöglichkeiten zu identifizieren, sei entsprechend gar nicht so leicht. Das Theater könnte auch bei den Scheinwerfern komplett auf LED umschwenken (derzeit sind es nur 15 Prozent) – „allerdings würde das eine Investition von zwei Millionen Euro bedeuten“.

Der Deutsche Bühnenverein hat derweil mit der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft (DTHG) eine Checkliste erstellt, die den Theater bei der Umsetzung der Vorgaben helfen sollen. Die DTHG stellt zudem die deutsche Übersetzung des „Theatre Green Book“ aus England rund um das Thema Nachhaltigkeit bereit.

Die empfohlenen Maßnahmen reichen vom Dimmen der Raumtemperatur auch in den Foyers über das Ausschalten der Außenbeleuchtung („soweit es die Verkehrssicherungspflichten erlauben“) bis zur Umstellung von Arbeits- und Probenprozessen. „Wir gehen davon aus, dass es in Bezug auf die gestiegenen Kosten kein zurück zum Status quo ante gibt“, so Schmitz. Woraus sich die Frage ergebe: „Bedeutet das, weniger zu produzieren? Oder anders zu produzieren?“

Vom Papierverbrauch zum Solarpanel  

An vielen Theatern hat die Krise dazu geführt, dass die Arbeitsabläufe genauso unter die Lupe genommen werden wie der Gesamtzustand des Hauses, oder überhaupt die eigene Klimabilanz. Was im Kleinsten beginnt. Wieso brummt in der Schlosserei der uralte Kühlschrank, muss wirklich jede Toilette beheizt werden? Es zeigt sich vielerorts auch, wie selbstverständlich Verschwendung lange war. „Papierverbrauch ist ein Thema, mit dem man sich intensiv beschäftigen kann“, sagt Stefan Pelz von der Volksbühne. „Muss ich jedes Mal ein neues Regiebuch drucken, wenn es eine kleine inhaltliche Änderung gab? Oder ist es günstiger, ein Tablet zu verwenden?“. Ein weiterer Punkt, eigentlich eine Binse, der aber lange keine Rolle spielte: „Zugige Fenster bedeuten einen enormen Energieverlust“.

Die dichtungstechnischen Mängel der teils denkmalgeschützten Fronten sollen jetzt an der Volksbühne genau so behoben werden wie am Berliner Ensemble, wo der technische Direktor Stephan Besson „mit der Wärmebildkamera“ ums Haus gelaufen ist, um undichte Stellen zu beleuchten: „25 Quadratmeter Fensterfläche zu dämmen, bedeutet eine Einsparmöglichkeit von 700 Litern Heizöl im Jahr, rund 150.000 Euro“. Häuser wie die Volksbühne, das HAU, das BE und die Schaubühne überlegen zudem, ob sie nicht Solarpanele auf ihren Dächern montieren können. Teils laufen die Verhandlungen dazu bereits mit der Eignerin, der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM).

Annemie Vanackere, Intendantin und Geschäftsführerin des HAU Hebbel am Ufer, setzt beim Thema Nachhaltigkeit hingegen auch beim Touring an, das in der international ausgerichteten freien Szene große Bedeutung hat: „Wenn wir beispielsweise eine Gruppe wie Las Tesis einladen, schauen wir zuvor nach Partner*innen in Deutschland und Europa, damit die Künstler*innen nicht nur für die Performances bei uns aus Chile anreisen, sondern mehrere Auftritte haben“. Was allerdings, wie Franziska Werner zu bedenken gibt, nicht in jedem Fall möglich ist: „Gerade für Newcomer lassen sich nicht immer fünf Spielorte realisieren“. Auch mit jungen Gruppen und Künstler*innen aber bleibe der Kulturaustausch wichtig.

Klimaneutralität mit dem Fonds Zero

Das Reisen spielt auch eine Rolle bei dem Projekt, mit dem die Schaubühne sich erfolgreich beim Fonds Zero der Kulturstiftung des Bundes beworben hat – als eine von 26 geförderten Institutionen, zu denen neben Theatern auch Museen oder Konzerthallen zählen.

Die KSB hat 3,04 Millionen Euro für die Arbeit an „Klimaneutralen Kunst- und Kulturprojekten“ zur Verfügung gestellt, insgesamt gab es 85 Bewerbungen. „Eine gute Resonanz für so ein komplexes Programm“, wie der Leiter des Projekts Sebastian Brünger betont. Der Fonds Zero macht hohe Auflagen. Alle Teilnehmer*innen müssen eine Klimabilanzierung ihrer Institution vornehmen, eine*n Klimabeaufragte*n ernennen – und, was die höchste Hürde bedeutet: sie dürfen lediglich ein Prozent des Produktionsbudgets für Kompensationsmaßnahmen aufwenden, um die Klimaneutralität des Projekts zu erreichen. Den CO2-Verbrauch schlicht durch eines der üblichen Baumpflanzprogramme auszugleichen, ist also nicht möglich.

Das Studio der Schaubühne – mittlerweile von Elisa Leroy  geleitet – bekommt über 100.000 Euro, um die Nebenspielstätte eine Saison lang in ein „Labor für klimaneutrale Theaterpraxis“ zu verwandeln. „Es geht nicht um Einschränkungen“, betont Leroy, „unsere Forschungsfrage lautet: Wie können wir weiter das Theater produzieren, das wir sehen wollen – aber so, dass es für Zukunft nachhaltig ist?“. Drei Projekte sollen im Studio realisiert werden. Darunter eine Produktion mit einem internationalen Team, bei der es darum gehen soll, während der Probenphase die Reisetätigkeit zu begrenzen und vor Ort zu bleiben – statt etwa jedes Wochenende zurück nach Hause zu jetten, wie es früher gang und gäbe war. Auch die Mobilität des Publikums soll im Kontext Klima-Labors erforscht werden. Wie sich mehr Leute dazu bewegen lassen, den ÖPNV zu nutzen. „Welche Lösungen finden wir, die skalierbar sind für den gesamten Theaterbetrieb?“, fragt Leroy.

Des Weiteren wird eine Inszenierung entstehen, bei der „das Bühnenbild eine besondere Rolle spielt und wir Prozesse von Recycling, Upcycling und Zwischennutzung testen“, so Leroy. Experimente mit nachhaltigen Materialien und Bauweisen werden gegenwärtig an vielen Häusern unternommen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Barbara Ehnes, Bühnenbildnerin und Professorin für Bühnenbild an der Hochschule für bildende Kunst Dresden, hat für die Inszenierung von Thomas Köcks „Solastalgia“ beim Kunstfest Weimar jüngst mit Myzelien gearbeitet. Pilzsporen, die mit einer speziellen Streu zusammenwachsen, so dass daraus Platten entstehen. Im wahrsten Sinne organische Materialen also. Das Experiment fand viel Resonanz.

Wenn es regnet und schneit im Theater

Auch Sebastian Brünger ist neugierig, welche Auswirkungen das klimaneutrale Produzieren „auf die Ästhetik hat. Sehen wir in den Bühnenbildern und Ausstellungsdesigns einen bewussten Öko-Chic oder wird die grüne Nachhaltigkeit gar nicht sichtbar und schlicht das neue Normal?“.

Fest steht: mehr Achtsamkeit im Umgang mit Materialien und Ressourcen ist das Gebot der Stunde. Oder, in den Worten des technischen Direktors des BE, Stephan Besson: „Weg von der Effekthascherei auf der Bühne“. Er diskutiere viel mit den künstlerischen Teams. Braucht es wirklich den Einsatz von Pyrotechnik? „Dabei werden Schadstoffe wie Schwefel freigesetzt und die Reste müssen als Sondermüll entsorgt werden“. Es soll regnen auf der Bühne? „Dafür braucht es nicht 10.000 Liter Wasser, man kann auch mit Sprühnebel arbeiten“. Oder schneien? „Der sogenannte Hollywood-Schnee besteht aus einer Art Polyesterflocken, die mit Brandschutzmittel begast werden müssen – fast nicht zu recyceln, weil sich das Material mit den Schmutzpartikeln auf der Bühne mischt“.

Besson war im Sommer 2022 privat in Grönland unterwegs. Er hat selbst gesehen, mit welcher Geschwindigkeit dort die Gletscher brechen, wie weit das Festland-Eis inzwischen zurückgegangen ist. „Für mich war das wie ein Weckruf“, sagt er. „Ganz unabhängig von der Energiekrise müssen wir alle etwas tun, um den Klimawandel aufzuhalten“. Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass Veränderung ein mühsamer Prozess sein kann. Stefan Pelz erzählt, dass an der Volksbühne mal für zwei Monate ein Lastenrad für kleinere Transporte als Alternative zum Auto getestet wurde. Aber wie es so ist: mal regnet es, mal sinken die Temperaturen. „Der Zugriff war nicht überzeugend“,  Pelz. „Es ist nicht leicht, die Gewohnheiten der Menschen umzustellen“. In der wärmeren Jahreszeit soll das Lastenrad aber in jedem Fall eine zweite Chance bekommen.