ZUKUNFT HANDWERK – ein doppelter Perspektivwechsel

Was sich in den Podiumsdiskussionen, Impulsvorträgen und Seitengesprächen der dreitägigen Konferenz vollzieht, lässt sich vereinfacht als doppelter Perspektivwechsel beschreiben: Das Handwerk rückt ins Zentrum der Transformation und seine Handwerker*innen ins Zentrum des Handwerkssystems.

Handwerker dreht eine Schraube mit einem Schraubenzieher ein

„Eine Messe, von der die Politik lernen kann – so häufig gibt’s die nicht. […] Ich glaube, wir sind an einem Punkt angekommen, wo […] der Gestus des Handwerks […] beispielgebend ist für das, was Deutschland leisten muss.“

Mit diesen Worten eröffnet Robert Habeck am 8. März 2023 in München die Internationale Handwerksmesse und setzt damit zugleich den bestimmenden Debattenton der begleitenden Konferenz ZUKUNFT HANDWERK. Denn obwohl das routinierte Bekenntnis zum Handwerk zu wirtschaftministerialen Sonntagsreden gehört, spricht Habeck vom Handwerk mit ungewohnter Vehemenz und Demut. Doch dies überrascht wenig angesichts der Herausforderungen, vor denen Deutschland und seine Regierung stehen. Klimaschutz, Digitalisierung, soziale Integration – diese Ziele lassen sich laut Habeck nur erreichen,

„wenn das Handwerk funktioniert und sein Funktionieren politisch ermöglichend unterstützt wird. Das Handwerk rückt von einer Sparte in der ökonomischen Auffächerung des Landes zu quasi der Wurzel von all dem, […] zu dem Motor der Konjunktur.“

Was sich in den Podiumsdiskussionen, Impulsvorträgen und Seitengesprächen der dreitägigen Konferenz vollzieht, lässt sich vereinfacht als doppelter Perspektivwechsel beschreiben: Das Handwerk rückt ins Zentrum der Transformation und seine Handwerker*innen ins Zentrum des Handwerkssystems.

Handwerk rückt ins Zentrum der Transformation

Unter dem Druck des russischen Angriffskriegs und der resultierenden Energiekrise schwenkte die politische Aufmerksamkeit im letzten Jahr von dem Ziel- hin zur Umsetzung – oder in Habecks Worten: zur „Ins-Werk-Setzung gesellschaftlicher Ziele“. Mit diesem Schwenk verlagert sich nun auch das zu lösende ‚Problem‘ aus dem Raum des ‚politischen Willens‘ hin zum ‚gesellschaftlichen Können‘: Wie kann das „kollektive Deutschland“ die Transformation umsetzen, wie sehen Umsetzungsallianzen aus und was ist dabei die Rolle des Handwerks?

Die Rolle des Handwerks wird als Ins-Werk-Setzer und Problemlöser der Transformation auf zwei Arten adressiert. Zum einen werden Maßnahmen diskutiert, wie Handwerk bei der Ins-Werk-Setzung unterstützt werden kann. Handwerkspräsident Jörg Dittrich kondensiert dies auf die vier Forderungen 1) Abbau von Belastungen durch Bürokratie und Abgaben, 2) Schaffen von Spielräumen für unternehmerische Kreativität, 3) Ermöglichende Haltung des Staats und 4) Stärkung der beruflichen Bildung. Zudem kritisiert Dittrich mehrfach, dass die „monothematische Sicht auf Wärmepumpen“ den „komplexen Sorgen“ der Betriebe, etwa den Sozialversicherungsbeiträgen, Bürokratie oder Nachwuchsproblemen, nicht gerecht werde.

Zum anderen bedienten sich die Podiumsgäste allenthalben des Motives des Handwerks als vorbildhafter Macher. Von der „Pragmatik des Machens“ spricht Markus Söder, vom „maximalen Pragmatismus beim Umsetzen des Ehrgeizes“ Robert Habeck. Als auch Richard David Precht sich selbst zum „Handwerker des Geistes“ ernennt, wird klar: alle wollen Handwerker sein. Zumindest auf Handwerksveranstaltungen. Aber gerade diese rhetorischen Figuren schärfen den Blick dafür, welche Töne und Perspektiven in anderen Kontexten – wie Universitäten oder Schulen – fehlen.

Handwerker*innen rücken ins Zentrum des Handwerkssystems

Denn dass diese „Pragmatik des Machens“ mehr ist als eine Phrase, zeigt sich spätestens im Gespräch mit ‚Realhandwerker*innen‘. Auf und abseits der Bühnen erlebe ich lauter selbstwirksame Menschen, die sich mit Missständen — und davon gibt es Einige im Handwerk— nicht zufriedengeben, die die Verantwortung für Veränderung zuerst bei sich selbst sehen und die ihren Unmut zu mutig-konstruktiven Lösungen kanalisieren. Diese „Neue Generation Handwerk“, und besonders ihre weiblichen Vertreterinnen, verkörpern das politisch hochgelobte Machertum par excellence, beispielhaft eingefangen in der Szene, als Jungunternehmerin Viktoria Krastel auf die Frage „Was wünschen Sie sich?“ antwortet: „Ich wünsch mir gar nichts, ich mache.“

Viktoria Krastel bringt auch auf den Punkt, was sich als anderes Leitmotiv durch die Konferenz zieht: Die Menschen rücken ins Zentrum. Wegen des Fachkräftemangels werden aus Bewerber*innen Beworbene, der Arbeitgebermarkt wandelt sich zum Arbeitnehmermarkt und der Auftragswettbewerb zum Beschäftigtenwettbewerb. Und im Wettbewerb mit akademischen Berufen kämpft das Handwerk mit Image- und Wertschätzungsproblemen. An dieser Stelle gehen die Redner*innen hart mit dem Bildungssystem und der gesellschaftlichen „Silobildung“ ins Gericht: So kritisiert Precht die über Jahrzehnte verfestigte Vorstellung der Überlegenheit der Kopf- gegenüber der Handarbeit und äußert die Hoffnung, dass „die geistige Routinearbeit sukzessive automatisiert wird und man die Arbeit mit der Hand aufwertet.“ Immer wieder mahnen die Redner*innen die Gleichstellung der beruflichen und der akademischen Bildung an und plädieren für eine stärkere Durchmischung der „Silos“.

Ausblick: Es ist viel zu tun – packen wir es an

Zum Abschluss drei Wermutstropfen. 1) Die Omnipräsenz der Selbstwirksamkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Handwerker*innen sich nicht gesehen fühlen und sich politisch als weniger selbstwirksam erleben als die Podiumsgäste. 2) Bei vielen Programmpunkten sucht man Vertreter*innen der Handwerksorganisation wegen paralleler Gremiensitzungen vergeblich, obwohl gerade diese sich etwas von der pragmatischen Machermentalität und des Zukunftsmuts der Podiumsgäste abschneiden könnten. 3) Leider wird Söders Forderung, Medien sollten über Handwerk genauso berichten wie über Forschungsideen, nicht erfüllt: Die meisten Medien betrachten ihre Berichterstattung mit dem Teilen des Reuters Videos scheinbar als erledigt und die Chance zur Durchmischung der Silos bleibt quasi ungenutzt.

ZUKUNFT HANDWERK ist eine Konferenz der Möglichkeiten. Sie führt vor Augen, welche Potenziale das Handwerk birgt. Nun ist es an Politik, Handwerk und Gesellschaft, Initiativen zur Realisierung dieser Potenziale hervorzubringen und „ins Werk zu setzen“.

 


Zum Autor: Simon Wehden promoviert an der TU Berlin mit einem Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung zur Rolle des deutschen Handwerks in der Großen Transformation zur Nachhaltigkeit.