Vier Bagger stehen in Magdeburg nebeneinander

Willkommen in Magdeburg

Der Chiphersteller Intel kommt mit einer Megafabrik nach Magdeburg. Für eine Stadt in Ost-Deutschland, die sich lange abgehängt fühlte, eine große Chance. Doch die birgt auch Herausforderungen – für Menschen und Umwelt.

Als am 15. März 2022 Intel-Chef Pat Gelsinger vor die Kamera tritt, ist die Spannung groß. Die Gerüchte, dass der Chiphersteller in Magdeburg eine Fabrik bauen will, kursieren schon länger. «Heute verkünden wir unsere wichtigste Investition», spricht der Mann mit der randlosen Brille und der Seidenkrawatte in die Kamera. Sekunden später erscheint in der Präsentation ein Bild des Magdeburger Doms am Elbufer. Jetzt ist klar: Intel kommt nach Magdeburg. Es ist ein Coup für das Land und die Stadt. Die Halbleiterindustrie boomt, die Welt giert nach Computerchips. Ohne sie geht nichts,  die Technik ist verbaut in Laptops, Smartphones, Autos.

Magdeburg soll eine der wichtigsten Produktionsorte in Europa werden. Die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts ist eine leere Stadt, eine weiße Stadt. Und die Menschen dort sind nicht besonders einkommensstark. Eine Datenrecherche der Zeit berechnete das Brutto-Durchschnittseinkommen der Magdeburger: 3114 Euro im Monat, das sind 411 Euro unter dem Bundesdurchschnitt. Magdeburg liegt damit im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten auf Platz 75 von 80. Auch wenn der Wohnungsleerstand seit 2007 bis auf Ausnahmen rückläufig ist, sind auch im Jahr 2023 noch einige Tausend Wohnungen unbewohnt: Seit 1989 haben mehr als 50.000 Menschen die Stadt verlassen, darunter auch viele junge. Der Altersdurchschnitt stieg seit 1994 von 40,5 Jahren auf 45,4 Jahre. Auch bei der Arbeitslosenquote spürt Magdeburg die Ungleichheit zwischen West und Ost. Im Dezember 2022 lag sie bei acht Prozent.

Sandra Yvonne Stieger sieht im Neubau der Chip­fabrik eine Chance, diesen negativen Trends entgegenzuwirken. Auf ihrem Computer ging im April 2021 die Erstanfrage von Intel per Mail ein. Ob die Stadt Magdeburg die Fläche zur Verfügung stellen könne? Stiegner erinnert sich: «Am Anfang weiß man nicht, um welches Unternehmen es geht. Da kommt eine anonyme Anfrage rein. Wir wussten nur, dass es ein amerikanisches Unternehmen ist.» Stieger ist die Beigeordnete für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit der Stadt. Fast ein Jahr betreute ihr Büro die Zusammenarbeit mit Intel, bevor die Öffentlichkeit von dem Projekt erfuhr – ein Stein sei ihr vom Herzen gefallen, als es so weit war.

Stieger wäre in einem anderen Leben vielleicht Moderatorin eines Politmagazins geworden. Oder Turniereiterin, beides würde zu ihr passen. Neben der Tür von Stiegers Büro hängt eine Karte von Magdeburg. Als es um den Standort der Intelfabrik geht, steht sie auf und deutet auf die Stellen, wo Intel bauen wird.  Die Fläche liegt nahe beim Stadtteil Eulenberg. Am Stadtrand, bei der Autobahn 14 und der Bundesstraße 81. Es geht um 380 Hektar allein für die Fabrik.

Stieger kommt aus dem Harz, hat eine Wendebiografie. «Der Osten war immer sehr fleißig», sagt sie. «Und dann mitansehen zu müssen, wie nach der Wiedervereinigung eine Insolvenzwelle nach der anderen über die Menschen rollte und ein Ausverkauf der ostdeutschen Wirtschaft stattfand. Das war schon bitter.» Dass jetzt ein großes Unternehmen hier etwas aufbauen wolle, sei absolut gerechtfertigt. Die Stadt steht nun vor einer bedeutenden Transformation. Sowohl in Bezug auf die Infrastruktur als auch auf die Demografie.

Bei seiner Präsentation hatte der Intel-Chef 10.000 neue Arbeitsplätze angekündigt. «Vielleicht werden es 20.000, vielleicht nur 5.000», sagt Stieger. Das sei zwar ein Blick in die Kristallkugel, aber man brauche Zahlen für die Planung, so die Wirtschaftswissenschaftlerin. Und der Wohnraum für die neuen Bewohner sei da: Es gebe viele freie Flächen, viel Potenzial für Verdichtung. «Das ist positiv. Wir müssen die Stadt nicht nach außen erweitern, sondern können im Stadtgebiet bauen.» Das soll auch eine soziale Durchmischung garantieren. Neben Wohnraum sollen Büros, Kindergärten und Schulen gebaut werden. «Wir werden jünger werden und das Durchschnittseinkommen wird steigen», ist Stieger überzeugt.

Doch Fachkräfte stehen nicht Schlange, um in Deutschland zu arbeiten. Angelsächsische oder hispanophone Länder haben für viele Menschen allein aufgrund der fehlenden Sprachbarriere eine höhere Attraktivität. Die Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität soll daher bei der Besetzung der Stellen eine wichtige Rolle spielen. An einem Dezemberabend im vergangenen Jahr nimmt sich Jens Strackeljan, Rektor der Uni mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt, Zeit für ein Gespräch. Strackeljan, weißes Hemd mit Brusttasche, darüber Sakko, bittet, auf einer schwarzen Ledercouch Platz zu nehmen. Heller Holzboden, weiße Wände, gut beleuchtet und Glaselemente: Das Büro des Rektors wirkt einladend. So soll  Magdeburg «noch mehr» werden, wenn es nach Strackeljan geht. Er bewertet das Projekt Intel positiv. «Die Nachfrage nach MINT-Studiengängen ist schwierig. Gleichzeitig beobachten wir eine stärker werdende Regionalisierung der Universitäten», sagt Strackeljan. 4.000 internationale Studierende habe er an seiner Uni, viele davon aus Asien. «Wir hatten für die Internationalen bisher nur wenig Anschlussfähigkeit an den lokalen Arbeitsmarkt. Und da könnte mit Intel und den Unternehmen, die auch im Sog von Intel kommen, eine Menge möglich werden.»

Grafik zu Intel-Ansiedlung in Zahlen

Eine gute Arbeit ist eine Sache, die Attraktivität Magdeburgs für People of Color eine andere. Die Stadt sei dahingehend in einem «sehr dynamischen Transformationsprozess», so Strackeljan. «Und dann darf es nicht sein, dass es in Magdeburg No-Go-Areas gäbe.» Er benutze bewusst den Konjunktiv, wolle aber auch Probleme mit Rassismus nicht verneinen. In einem Studentenwohnheim der Hochschule Magdeburg-Stendal gab es im Mai des vergangenen Jahres rechtsextreme und antisemitische Schmierereien, es wurde zur Tötung von Juden aufgerufen und im Waschraum des Wohnheims legten Unbekannte ein Feuer, wie die Magdeburger Volksstimme berichtete. Im Juni fand man auf dem Campus der Hochschule Kleber der neurechten Gruppe «Gegenuni». Die AfD holte in Magdeburg bei der Bundestagswahl 2021 15,1 Prozent der Stimmen.

Dennoch sieht Strackeljan die Stadt auf einem guten Weg. Auch dank Intel. Aktuell befindet sich vor der Uni eine Baustelle. Mit Stolz in der Stimme erzählt Strackeljan von dem Projekt: «Das wird unser Welcome Center.» Hier soll es Service­angebote rund ums Ankommen in der Stadt und der Universität geben.

Ein weiterer Plan für eine bessere Willkommenskultur: ein Internationales Haus. Dort sollen ein Bürgerbüro und Teile der Ausländerbehörde einziehen, um ausländische Fachkräfte beim Ankommen zu unterstützen. Das sei auch nötig, findet Rektor Strackeljan. «Ich habe von einem Studierenden gehört, der seit drei Monaten auf einen Termin bei einer Behörde wartet. Davon hängen Bafög-Zahlungen und viele wichtige Dinge ab.»

Wir sehen das Projekt Intel mittlerweile positiv. Aber es gibt Dinge, wo man ganz genau hinschauen sollte.

Auch Madeleine Linke findet das Vorhaben gut. Sie ist Landesvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt und Stadträtin in Magdeburg. Andere Transformationsprozesse bewertet sie kritischer als CDU-Frau Stieger. «Wir sehen das Projekt Intel mittlerweile positiv. Aber es gibt Dinge, wo man ganz genau hinschauen sollte.» Eines dieser Dinge, die Linke meint, ist die soziale Durchmischung. «Auch wenn die Stadt es nicht gerne hört: Es gibt schon jetzt Gentrifizierung bei uns.» Die Mieten seien kontinuierlich gestiegen, auch unabhängig von der Inflation. Man müsse aufpassen, dass keine Quartiere entstehen, wo nur «Intelaner» wohnen. «Wir brauchen den sozialen Wohnungsbau, genauso wie hochwertige Immobilien», so Linke. Das habe der Stadtrat als Beschlusslage auch so festgehalten.

Linke, grauer Cardigan und gemusterte Bluse, ist in Elternzeit. Doch um über Intel zu sprechen, kommt die junge Mutter extra ins Rathaus. Sie schließt einen Konferenzraum auf,  in dem ihre Fraktion tagt. Linke ist Anfang 30 und Vollzeitpolitikerin. Ihr wichtigstes Thema als verkehrspolitische Sprecherin Magdeburgs: die Mobilitätswende.

Derzeit ist die Straßenbahn das wichtigste Verkehrsmittel in Magdeburg. Breite Straßen prägen die Stadt, ein Überbleibsel der DDR. Und eine gute Grundlage für Fahrradstraßen. «Wir haben dieses Jahr einen neuen Verkehrsentwicklungsplan beschlossen und Intel mit aufgenommen», sagt Linke. Ziele sind Klimaneutralität, Stärkung des Radverkehrs und des ÖPNV, aber auch Förderung von Carsharing. In Planung ist ein Radschnellweg durch die Stadt zur neuen Fabrik. «In dem Prozess hat uns Intel unterstützt.» Der Stadtrat habe beschlossen, dass 30 Euro jährlich pro Bürger in den Radverkehr investiert werden. Dass Intel nach Magdeburg kommt, habe den Prozess beschleunigt. «Wir sind auf einem guten Weg, vielleicht bald eine Fahrradstadt zu werden», sagt Linke.

Doch bei allen Chancen gibt es auch Risiken und ungeklärte Fragen bezüglich der Umweltbelastungen für die Region. Der Deutschlandfunk hat recherchiert, dass ein vergleichbares Werk in Irland 600.000 Kubikmeter Wasser im Monat verbrauche. Das seien fast 70 Prozent des jährlichen Wasserverbrauchs Magdeburgs. «Intel will 90 Prozent des verbrauchten Wassers wiederverwerten», sagt Linke. Tatsächlich plant das Unternehmen den Bau einer riesigen Recyclinganlage. Dennoch stellt sich die Frage, wo das Wasser herkommen soll.

Ein Bild von einem Fluss in Magdeburg
Die Intel-Fabrik wird viel Wasser benötigen. Niemand weiß so richtig, wo es herkommen soll.

Christian Kunz ist Landesgeschäftsführer vom BUND Sachsen-Anhalt – und skeptisch in Bezug auf Intel. Das Bundesland hat schon länger ein Problem mit Trockenheit. «Bereits heute wird für die Trinkwasserversorgung mehr Wasser entnommen, als im Grundwasser nachgebildet werden kann», sagt der Wasserwirtschaftler. Das sei noch nicht dramatisch, da man immer wieder mit Nassphasen rechnen könne, in denen der Grundwasserspiegel steige. Garantiert sei das jedoch nicht. «Die Trinkwasserversorgung ist derzeit gesichert, auch mit Intel. Der andere Aspekt ist die Ökologie», sagt Kunz. Es kämen immer längere Trockenphasen auf die Region zu. Deswegen müsse Intel Klarheit schaffen, wie die Wasserwirtschaft der Fabrik funktionieren wird. Biotope wie Tümpel, aber auch die Elbe seien auf eine konstante Grundwasserversorgung angewiesen.

Der Feldhamster hingegen ist von einem anderen Effekt des Fabrikbaus betroffen: der Flächenversiegelung. Kunz rechnet mit 1.000 Hektar Fläche, die für das Projekt Intel versiegelt werden. «Bei allen Krisen, die wir gerade haben, einen hochwertigen Boden wie die Börde zu vernichten. Das ist schon denkwürdig.» Und die Versiegelung ist auch für  die Landwirte der Region ein Problem. Die Bauern erhalten ein Vielfaches des regulären Bodenpreises. Doch um ihre Betriebe langfristig rentabel zu machen, müssen sie Ausgleichsflächen kaufen. Man muss kein Wirtschaftsgenie sein, um das Problem zu erkennen: Die Fläche, die zur Verfügung steht, ist begrenzt. Und wer vorne mitbieten will, der muss einen Großteil des Intel-Geldes wieder reinvestieren.

Trotz aller Probleme: Die Fabrik hat einen großen Nutzen für die Region, die sich lange abgehängt fühlte. Damit eine ökologisch-soziale Transformation gelingt, müssen allerdings viele Fragen geklärt werden. In der Bringschuld sind vor allem Intel und das Land Sachsen-Anhalt. Der Feldhamster und seine tierischen Nachbarn könnten wohl auf Intel verzichten. Mit Computerchips können sie nichts anfangen.


Jannis Holl ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule und lebt als freier Journalist in München.

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