JETP Vietnam: 15 Milliarden US-Dollar für die Energiewende

Analyse

Mit Hilfe der Energiepartnerschaft „JETP Vietnam“ soll Vietnam bis 2050 klimaneutral werden. Die Übereinkunft enthält einige energie-, finanz- und industriepolitischen Verabredungen. Klimapolitisch wurde bisher aber wenig erreicht.

Großes Feld mit Solarplatten in Vietnam
Teaser Bild Untertitel
Photovoltaik-Farm in Vietnam.

Am 14. Dezember 2022 verkündeten die „International Partners Group” (IPG)[1] und Vietnam den Abschluss einer „Energiepartnerschaft“ (Just Energy Transition Partnership, kurz JETP): Bis 2030 sollen Zuwendungen von 15 Milliarden US-Dollar Vietnam dabei helfen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Durch die Übereinkunft ist zwar energie-, finanz- und industriepolitisch einiges verabredet, aber klimapolitisch (bislang) wenig erreicht worden. Geber und potentielle InvestorInnen scheinen mit dem Abkommen den Herrschenden in Vietnam zu signalisieren, dass sie bereit sind, für das Erreichen des Ziels Klimaneutralität politische „Kosten“ wie die Inhaftierung und Verurteilung von UmweltschützerInnen, LandrechtsaktivistInnen und BürgerrechtlerInnen zu tragen.

Die Ausgangssituation: Was wollte die vietnamesische Seite erreichen

Aus Sicht der in Vietnam herrschenden „Staat-Partei-Unternehmens-Allianz“ hat man in dieser „Partnerschaft“ zwei Ziele zu vereinbaren gesucht:

  • Einerseits das 2021 von Premierminister Pham Minh Chinh auf der COP 26 in Edinburgh verkündete Ziel, Vietnam bis 2050 klimaneutral zu machen. Ein Jahr zuvor hatte die Kommunistische Partei Vietnams (KPV) dieses Ziel als verbindlich festgelegt.
  • Andererseits soll der Um- bzw. Ausstieg aus dem bislang verfolgten energie- und emissionsintensiven Kurs, welcher der wirtschaftlichen Weiterentwicklung Vietnams zugrunde liegt, möglichst kostengünstig, wenn nicht sogar profitabel für die stromintensive (Export-)Industrie, die Kraftwerksindustrie sowie diejenigen Unternehmen gestaltet werden, die fossile Energieträger fördern, benutzen und verkaufen (EVN, Petrovietnam, Vinacomin und andere) und die Ministerien (vor allem das „Ministry of Industry and Trade“ MoIT) zufrieden stellen, die diese Industrien begünstigen und schützen.

Unschwer lässt sich eine „win-win-situation“ beider Seiten am Verhandlungstisch erkennen:

  • Wollten die einen vor allem die Klimaneutralität Vietnams erreichen, sich dabei aber auch wichtige Geschäftsfelder im Rahmen der Energiewende erschließen (so zum Beispiel das unterstützende Bankenkonsortium „GFANZ“ und Hersteller und Betreiber von „Offshore Windparks“),
  • wollten die anderen vor allem günstige finanzielle Zuwendungen für den notwendigen Umbau der eigenen (Energie-)Wirtschaft erhalten und dabei auch das Ziel der Klimaneutralität erreichen.

Energie-, finanz- und industriepolitische Vereinbarungen

Energie-, finanz- und industriepolitisch wurde mehreres vereinbart (Anm: Alle Zitate in diesem und in folgenden Absätzen sind, wenn nicht anders vermerkt, Übersetzungen aus dem englischsprachigen Originaldokument):

  • Der im (revidierten) „Power Development Plan 8“ (PDP 8) angestrebte Umfang von 41GW (was einer Verdopplung gegenüber 2020 entspricht) wurde auf 37 GW kohleverstromter Energie bis 2030 reduziert;
  • man will Vietnam dabei „unterstützen“, den Umfang von kohleverstromter Energie bis 2030 von 37 GW weiter auf 30,2GW abzusenken. Wie das gelingen soll bleibt einstweilen offen, aber es wird auf die Wichtigkeit der Hilfe durch ausländische Investitionen dabei verwiesen;
  • der Ausstoß von CO2 soll von 240Mt „mit internationaler Hilfe“ (vor „COP 26“ plante man 280Mt CO2) auf „nur“ 170Mt CO2 heruntergefahren werden. Dieses soll durch “bedeutende” und „beträchtliche“ finanzielle Mittel seitens der “IPG”-Partner und den Ausbau der regenerativen Energien und des Betreibens eines entsprechenden Netzes geschafft werden;
  • parallel zum (zeitlich begrenzten) Ausbau der Kohlekraftwerke soll der Anteil der erneuerbaren Energien (Wind-, Solar-, aber auch Hydroenergie) von derzeit geplanten 36 Prozent auf 47 Prozent steigen. Der geplante Umfang des Ausbaus der regenerativen Energien ist größer als von der KPV ursprünglich beschlossen;
  • die Entwicklung der "technischen Expertise um ein Netz betreiben zu können in dem mehr und mehr verschiedenste erneuerbare Energien fließen“ (insbesondere im „MoIT“ hält man bislang die erneuerbaren Energien für notorisch unzuverlässig und nur schwierig zu handhaben);  
  • man will über die Schließung alter ineffizienter Kohlekraftwerke „verhandeln“ und – „wo immer möglich“ - darauf hinwirken, dass Investitionen nicht in kohleverstromende Kraftwerke fließen;
  • ob und in welchem Umfang Energiesparmaßnahmen geplant werden, geht aus der Erklärung nicht klar hervor.

Auffällig ist, wie vorsichtig und interpretationsoffen alle Formulierungen in der Erklärung gehalten sind, die die Reduzierung der Kohleverstromung betreffen: bislang wird lediglich festgehalten, dass eine Außerdienststellung von Kohlekraftwerken und die Unterstützung von Investoren dabei diskutiert werden sollen.

Finanzpolitisch schreibt die JETP Finanzmitteln des öffentlichen Sektors eine katalytische Wirkung zu: Zuschüsse und Darlehen zu Vorzugsbedingungen von Regierungen, staatlichen Banken und multilateralen Entwicklungsbanken in der Höhe von 7,5 Milliarden US-Dollar sollen dazu dienen, Investitionen in grüne Energieprojekte und die vorzeitige Stilllegung bestehender Kohlekraftwerke anzustoßen. Angestoßen durch den öffentlichen Sektor soll dann der Privatsektor daran arbeiten, weitere 7,75 Milliarden US-Dollar an Investitionen und Finanzierungen zu Bedingungen zu mobilisieren, die den Marktbedingungen besser entsprechen. Warum eine solche Reihenfolge bzw. warum überhaupt eine katalytische Wirkung öffentlicher Mittel für notwendig gehalten wird, begründet die Erklärung nicht.

Die Transformation der vietnamesischen Energiewirtschaft soll sozial inklusiv gestaltet werden. Besonders betont die Erklärung die Lage der von der Energiewende betroffenen ArbeiterInnen, man spricht sogar von Rechten der ArbeiterInnen. Die vietnamesische (Zivil-)Gesellschaft bleibt dahingegen unerwähnt. Vielmehr werden nur im Charakter unbestimmte „Konsultationen“ mit verschiedenen „stakeholders“, „darunter“ (!) auch NGOs, als notwendig „zur Kenntnis“ gebracht.

Die „Energiepartnerschaft“ – Gewinner und Verlierer

Die „IPG“ hat Vietnam das Zugeständnis abgerungen, seine Umweltverschmutzung nur bis zum Jahr 2030 zu intensivieren. Somit erhalten vietnamesische Energieversorger, Netzbetreiber und Unternehmen, die fossile Brennstoffe fördern und verbrauchen, für das erhöhte Ausmaß an Kohleverstromung Finanzmittel aus dem Ausland, die sie auf anderem Wege nicht bekommen hätten. Denn zum einen ist China bereits 2021 aus der Finanzierung kohleverstromender Kraftwerke in Vietnam und anderswo ausgestiegen (zuvor hatte China geholfen, die Hälfte dieser Kraftwerke in Vietnam zu finanzieren). Zum anderen tat sich Vietnam bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der „Partnerschaft“ schwer, irgendeinen Investor für Projekte mit kohleverstromenden Kraftwerken zu finden.

Letztlich bleibt völlig unbestimmt, wie konkret die angestrebte Energiewende aussehen soll: ein „JETP-Resource Mobilization Plan“ (JETP-RMP) soll bis Ende 2023 entwickelt werden, er wird aber nur die Zeit bis 2028 abdecken. Wie nach 2030 die „Energiewende“ gestaltet werden soll ist aus dem „JETP“ nicht ersichtlich und wird, so vermute ich, auch nicht in dem „JETP-RMP“ das Thema sein. Und damit bleibt die entscheidende Frage unbeantwortet: Wenn bis 2030 weniger als die Hälfte der benötigten Energie Vietnams aus erneuerbaren Energien kommen soll, wie kann der Ausbau der regenerativen Energien, eines entsprechenden Netzes, einer intelligenten Energiesteuerung und -speicherung sowie die Einsparung von Energie so vorangetrieben werden, dass bis 2050 das Ziel der Klimaneutralität in Vietnam erreicht wird?

Die wichtigsten Protagonisten, die fossile Brennstoffe fördern, verkaufen und/oder benutzen (EVN, Vinacomin, Petrovietnam und andere) sowie Ministerien wie das „Ministry of Industry and Trade“, die ihre Interessen vertreten und fördern, haben also erfolgreich eine für sie lukrative Strategie für den einstweiligen Ausbau und Betrieb von Kohlekraftwerken und der fossilen Energieträger verfolgt und sich für die Zeit nach 2030 zusätzlich eine profitable Aus- bzw. Umstiegsoption eröffnet. Denn wer von Partner- und Geberseite will schon nach sieben  Jahren Partnerschaft eine solche quasi unvollendet verlassen?

Auch spricht die wirtschaftliche Realität - eine Fülle bereits jetzt beschlossener „Offshore Windparks“ und andere Anlagen zur Gewinnung „grüner“ Energie - gegen die Notwendigkeit des „katalytischen“ Einsatzes öffentlicher Mittel. Denn ohne solche Mittel planen derzeit zum Beispiel große japanische und dänische Konzerne mit „Petrovietnam“ und anderen vietnamesischen Firmen den Bau und Betrieb von „Offshore Windparks“ vor der südvietnamesischen Küste, und dies sicherlich nicht aus rein altruistischen Gründen. Auch deutsche und singapurianische Unternehmen haben sich inzwischen mit vietnamesischen Partnern zur Förderung regenerativer Energie geeinigt, beispielsweise zur Produktion von „grünem“ Wasserstoff. Wenn es derzeit Probleme bei solchen Projekten gibt, dann betreffen diese weniger die Finanzmittel und deren Aufteilung in öffentliche und eher private als die ausstehende Verabschiedung von Gesetzen durch die vietnamesische Nationalversammlung, welche die Nutzung der Meeresgebiete regeln sollen.

Die besondere Berücksichtigung der Interessen des Energieversorgers „EVN“, von „Vinacomin“, „Petrovietnam“ und anderer Unternehmen sowie Bedenken von Einwänden aus dem „MoIT“ verdanken sich dann auch Leerstellen in der Energiepartnerschaft. So bleibt unerwähnt, dass

  • die Interessen weiterer Bevölkerungskreise jenseits der unmittelbaren Produzenten („Kohlekumpel“) eingeschlossen werden sollen;
  • die „grüne“ Wirtschaft (auch) andere Projekte als beispielsweise „Offshore Windparks“ oder hunderte Meter hohe Windkraftanlagen auf dem Land aufweisen soll;
  • die Entwicklungsperspektive nicht ausschließlich an quantitativen Kriterien bemessen werden und auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet sein soll;
  • die Energieproduktion und -versorgung dezentralisiert, intelligente Speichertechnologien und -medien entwickelt werden und zum Einsatz kommen müssten und von wem und wann das Stromnetz so ausgebaut werden soll, dass es den neuen Bedarfen durch regenerative Energien gerecht wird. In diesem Zusammenhang sind die Interessen von „EVN“ überdeutlich zu erkennen: Das Unternehmen hat sich bislang hartnäckig solchen Unternehmungen vor allem mit Kostenargumenten verschlossen.[2]

Mit der „JETP Vietnam“ wurde also klimapolitisch bislang wenig erreicht, energie-, finanz- und industriepolitisch aber mehreres zumindest verabredet. So enthält die „JETP“ mit Vietnam bislang vor allem ein energie-, industrie- und finanzpolitisches Maßnahmenpaket zur Förderung einer „grünen“ kapitalistischen Wirtschaftsweise, aber noch kein Programm für die Klimaneutralität Vietnams im Jahr 2050.

Die JETP hat Protagonisten eines energie- und industriepolitischen Wandels aus den Reihen des Staates und der Wirtschaft in gewisser Weise gestärkt, gleichzeitig aber die vietnamesische (Zivil-)Gesellschaft und mit ihr die Artikulation weiterreichender klimapolitischer Vorstellungen geschwächt: Während der Verhandlungen 2021 wurden vier ihrer prominentesten VertreterInnen unter dem Vorwand der Steuerhinterziehung verhaftet und 2022 zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Ende 2022 folgte dann die Verhaftung eines weiteren Aktivisten, der als Experte für Landrecht gilt. Ihm wird ebenfalls Steuerhinterziehung vorgeworfen und auch ihm droht eine längere Haftstrafe. Den NGOs, die sich im Umweltschutz, Landrecht, der Energiepolitik und verwandten Gebieten engagieren wurde mithin vom vietnamesischen Staat signalisiert, dass ihr Engagement auf einem auch für sie persönlich höchst gefährlichen Politikterrain stattfindet. [3]Einzelne vietnamesische NGOs aus dem Umweltschutzbereich haben inzwischen erkennen lassen, dass sie ihre Tätigkeit einstellen werden oder bereits eingestellt haben. All dies hat den Abschluss der „Partnerschaft“ aber nicht verhindert. Mittlerweile wurde eine weitere prominente Umweltaktivistin festgenommen.

Wenn es zum Abschluss einer „Energiepartnerschaft“ kommt obwohl die vietnamesische (Zivil-)Gesellschaft weiter marginalisiert und die in Vietnam herrschende „Partei-Staats-Unternehmens-Allianz“ für solch eine Politik finanziell belohnt wird, dann darf man ein solches Verhandlungsergebnis mit Hai Hong Nguyen wohl als Erfolg eines „intelligenten Autoritarismus“ bezeichnen. [4]


Hinweis: Eine Langfassung der Analyse steht in Kürze an dieser Stelle zum Download bereit.

 

[1] Diese besteht aus der Europäischen Union, dem „United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland“, den USA, Japan, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Canada, Dänemark und Norwegen.

[2] Hier ist es wichtig, den genauen Wortlaut der Vereinbarung zu bedenken: Dieser besagt, dass Vietnam dazu befähigt werden soll, die technische Expertise zu haben, ein Stromnetz zu entwickeln, das den Anforderungen der regenerativen Energien gerecht wird. Ferner soll Vietnam in den Stand versetzt werden, ein Energienetz zu unterhalten, das solch komplizierten Anforderungen gerecht wird. Dabei wie bei dem Ausbau der regenerativen Energien soll internationale Unterstützung helfen. In dem Text ist nicht die Rede davon, dass beispielsweise „EVN“ ein solches Netz auch entwickelt und aufbaut. Letztlich bleibt also völlig offen, wer ein solches Stromnetz wann tatsächlich entwickelt und baut.

[3] Das Landrecht ist deswegen so wichtig und ein neues Gesetz dazu umstritten, da laut Verfassung aller Boden dem Volk gehört, dieser aber vom „Partei/Staat“ „verwaltet“ wird. Große Infrastrukturprojekte wie zum Beispiel Windenergieanlagen zu Lande berühren zwangsläufig die Interessen von Bauern und anderen EigentümerInnen. In Vergangenheit und Gegenwart hat es in Vietnam heftige, sogar tödliche Auseinandersetzungen um Landbesitz und Infrastrukturvorhaben gegeben (siehe dazu: Wischermann, Jörg/Dang, Phuong/Sirait, George Martin (2022), The State in a Capitalist Society: Protest and State Reactions in Vietnam and Indonesia, in: Journal of Contemporary Asia, online veröffentlicht am 6.4.2022. Der Artikel ist frei verfügbar unter: http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00472336.2022.2038235. Letzter Zugriff: 10.03.2023

[4] Nguyen, Hong Hai (2018), Der Mythos der fehlenden Responsivität des politischen Regimes in Vietnam, in: Wischermann, Jörg/Will, Gerhard (Hrsg.), Vietnam. Mythen und Realitäten, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 147-171, siehe https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/279697/vietnam. Letzter Zugriff: 8.1.2023.